[so sehen wir aus]

Der junge Koch in der Kantine, der immer zu kleine Portionen aufschöpft. Er ist so mager wie seine Portionen, er schöpft Portionen auf den Teller, wie er sie selber haben möchte. Als ich in der Küche gearbeitet habe (lange her), ermahnte mich der Chefkoch stets, die Portionen moderater zu halten, ich solle doch bitte keinen ganzen Stall füttern. Ich sehe auch aus, wie die Portionen, die ich aufschöpfe. Aber ich will nicht mehr zu dem jungen Koch in der Kantine, ich stelle mich immer so in die Schlange, dass ich an den älteren Herrn gerate, der ist rund.

[…]

[gelöscht]. Tröstlich. Vonwegen Trost: in einem Interview hat Wolfgang Herrndorf mal gesagt, dass er in Literatur Trost sucht, dass das in Literatur unabdingbar sei, oder so ähnlich. Das fand ich in seinem Absolutheitsanspruch etwas überdreht, aber tröstlich, dass das nicht nur mir so geht. Oder so ähnlich.

# Die Klagenfurtlesungen. Wir stellen den Fernseher ins Schlafzimmer und bleiben im Bett liegen. Leif Randt verpasse ich, da ich beruflich etwas erledigen muss. Dann mache ich Frühstück. Die darauf folgenden Autoren langweilen uns ärgerlicherweise. Wir sind zerstreut, reden dazwischen, unterhalten uns über das Aussehen der Autoren und krümeln das Bett voll. Ich sehe die Kaltmamsell im Publikum. Ich habe die Kaltmamsell auch letztes Jahr im Publikum gesehen. Sonst erkenne ich nie jemanden, aber die Kaltmamsell erkenne ich immer.
Parallel lese ich auf dem Handy den Hashtag #tddl mit. Ich werde kirre. Was ich über Leif Randt lese, macht mich aber neugierig. Ich lese nach. Der Text hat etwas tröstendes. Vielleicht im Tonfall. Wie man von der Erzählstimme in Vertrauen genommen wird. Aber ich werde eigentümlich sentimental.
Wer vor Ort über die Tage in Klagenfurt schreibt:
Sopranisse
Kaltmamsell
Die ZEIT

# Draußen Wetter.

# Die Görls verlieren das Spiel gegen Japan, ich bin untröstlich. Dass sie auf dem Spielfeld mit den Tränen kämpfen, macht es nicht besser. Es ist so vorbei. Wie sie da mit hängenden Schultern übers Feld gehen, mit dieser Erkenntnis, dass vermutlich gerade der Höhepunkt ihrer Karriere vorübergegangen ist, dass sie als Hauptprotagonisten dieser WM, die als Gradmesser für die Publikumstauglichkeit des Frauenfussballs herhielt, plötzlich nicht mehr im Rennen sind, dass sie vermutlich nie mehr so sehr gefeiert, sportlich so intensiv wahrgenommen werden; das hat mich schon sehr gerührt. Ich sollte vielleicht Leif Randt lesen und mich trösten lassen. Aber das ist natürlich Marmelade.

# Uh, schnell Brötchen holen. Um elf Uhr dreißig werden in Klagenfurt die Preise vergeben.

[jackie]

Wir laufen zum Alex. Ein paar haben die Gruppe verlassen, sie waren müde, der Abend vorbei, wir haben viel gegessen, und viel getrunken; ich bin unschlüssig. Man fragt mich zu bleiben, noch ein paar Drinks, und ein bisschen tanzen, wir träfen Jackie, die Freundin von Peter, sie sei eine umwerfende Frau, neu in Berlin, sie kenne die besten Clubs der Stadt. Peter ist zur Seite gegangen und ruft Jackie an. Ich bin leicht zu überreden und für einen Drink meistens zu haben. Peter kommt zur Gruppe zurück, Jackie sei noch zuhause, sie mache sich gerade hübsch, sie hat ihm die Adresse des Clubs genannt, links vom Alex in nördlicher Richtung. Die Gruppe bewegt sich, ich denke mir, okay, liegt eh in meiner Richtung, ein Drink kann so falsch nicht sein. Derweil redet Erik von Jackie, ich müsse sie unbedingt kennenlernen, man traue es dem Peter ja gar nicht zu, so eine Freundin zu haben, so griesgrämig wie der daherkäme, aber Jackie müsse ich mal gesehen haben. Ich werde neugierig. Niemand kennt den Club, wir wissen nur die Hausnummer. Erinnerungen an geheimnisvolle Eingänge in dunkle Keller werden entstaubt, ich kann mich der Neugierde nicht entziehen. Wir laufen zum Alex, ich unterhalte mich mit den Jungs, die Stimmung ist hibbelig, Erik redet von Jackie, und ehe ich es richtig verstehe, stehen wir bei zwei Türstehern, die mir in die Tasche schauen wollen. Ich gewähre Einblick, in der Tasche pulsiert ein einsames Blackberry. Wir betreten den Club, es ist der zentralste Ort auf der Karl-Liebknecht-Straße, draußen stehen Palmen, der Club wird mit Leuchtschrift beworben, drinnen begießen sich die Menschen mit Cocktails, tanzen ausgelassen, zu populärer, elektronischer Musik. Ich weiß nicht so recht, zur Sicherheit bestelle ich Gin-Tonic, fühle mich sofort altbacken, aber weniger altbacken, als würde ich Bier bestellen. An keinem anderen Ort der Welt würde ich mich altbacken fühlen, aber vermutlich im Ballermann und dort. Die anderen bestellen auch Gin-Tonic, ich bin beruhigt, wir setzen uns hin, ich denke: komisch. Sitzen in Clubs ist eigenartig. Alle Fragen Peter nach Jackie. Peter sagt, sie würde sicherlich bald kommen. Ein Rosenverkäufer schiebt sich an unserem Tisch vorbei. Erik kauf sieben Rosen für Jackie. Er frag Peter, ob er es okay fände, Peter grinst und sagt: ja. Der Mythos ist aufgebaut, ich habe so viele Bilder von Jackie vor Augen, kann mir aber nicht vorstellen wie sie ist, ich lehne mich zu meinem Tischnachbarn und rede mit ihm über Autos. Ich habe noch nie mit jemandem über Autos geredet, nur mit meinem Fahrlehrer, aber ich rede tatsächlich über Autos und sage so Sachen wie: ich werde mir ein Auto besorgen, das sicher auf der Straße liegt. Dann sagt jemand: da ist Jackie. Ich beschließe, mich nicht nach ihr umzudrehen, warte bis das ganze auf mich zukommt, schaffe es dabei aber nicht, nebensächlich über Autos zu reden. Und dann setzt sich Jackie zu uns. Jackie hat mittellange, brünette Haare, ein schlichtes Oberteil, und – sie trägt Jeans. Ich denke: sie ist ein schlichtes Mädchen und trägt Jeans. Ich muss lachen. Wir werden einander vorgestellt, wir tauschen ein paar Nettigkeiten aus, und ein paar Scherze. Der Kellner kommt, sie bestellt ein Weizenbier.

[…]

Wenn die Tante im Finanzamt bloggen würde, dann würde sie bloggen: dieser verfickte übergewichtige Schnösel mit seiner verfickten guten Laune, wenn der mir noch einmal mit seinem verfickten Grinsen kommt, und mir nen verfickten schönen Tahaach wünscht, dann tackere ich ihm seinen verfickten Kirchenaustritt an seinen Kopp.

[…]

Neulich hatte ich einen Gedanken, der mir ein irres Glücksgefühl bescherte. Dummerweise wurde ich für einen Augenblick abgelenkt und daraufhin bekam ich den glücklichen Gedanken nicht mehr zurück. Ich wusste nur, dass ich diesen Gedanken gehabt hatte und versuchte mich verzweifelt daran zu erinnern. Aber er blieb weg, das war schon sehr ärgerlich.

Später, viel später dann, auf dem Nachhauseweg, kam der Gedanke wieder zurück, und als ich merkte, dass es der Gedanke an den Friseurtermin war, der mich glücklich gemacht hatte, war ich wegen seiner Banalität ein wenig beschämt. Und trotzdem blieb ich erfreut. Eigenartigerweise erfüllte mich der Gedanke nicht mehr mit dem selben Glück, sondern mit einer sonderbaren Gehetztheit und doch wusste ich, dass es sich um den selben Gedanken handelte, nur seltsam ausgelutscht.

[hrvat]

Was mir an meiner neuen Funktion als Teamleiter gründlich missfällt, ist nur die Unmöglichkeit Krawatten zu tragen. Als normaler Angestellter war das immer subversiv mit Schlips und Kragen aufzutauchen, zumal in einem IT-Umfeld, in dem es unter Männern zum guten Ton gehört, in Jeans und T-Shirt anzutreten. Ich trage Krawatte, weil es wichtig ist, die Welt vor der Vergammelung zu retten. Und weil dünne Krawatten dünn machen. Ich trage gerne Krawatten, ich könnte in Krawatten schlafen, mich in Krawatten baden, wühlen, suhlen, manchmal fühle ich mich wie eine Krawatte. Wenn ich am Tresen hänge, habe ich oft das Gefühl ich sei oben Windsor-Knoten und unten baumeln meine Beine als Krawattenspitze am Boden.
Als Teamleiter ist alles ganz anders. Vom Kampf gegen die Vergammelung gerate ich in die Rolle des Vorarbeiters, des Fürdenkers von Rechtschaffenheit und Gleichform.
Neulich dem Abteilungsmeeting musste ich mich den Menschen vorstellen, ein bisschen von mir erzählen, ich wollte sagen: Hey Leute, sorry, aber ich trage gerne Krawatte, ich werde morgen mit Schlips ins Büro kommen, tut mir leid, nehmt es mir nicht übel, ich habe das immer schon gemacht, bedeutet nichts.
Aber dann habe ich es einfach vergessen. Es war mir wohl nicht wichtig.

#
Apropos gute Kleidung. Gestern saß ich mit meinem Wiener Freund H vor dem Fernseher. Wir waren am Tage unterwegs gewesen, am Abend knallten wir uns müde vor den Fernseher, es lief Frauenfußball, wir hatten uns lange darauf gefreut. Wir saßen im Unterhemd auf dem Sofa, rochen nach Schweiß und tranken Bier.
K fotografierte uns, über eine Veröffentlichung des Fotos waren wir uns schnell einig.

[…]

Weil es mich beschäftigt. Liste von Orten, an denen Berlin nach Sperma riecht:

* Rosenstraße Ecke Rochstraße (morgens)
* Brunnenstraße auf Höhe der Nummern 10 bis 14 (fast immer)
* An der Ampel Karl-Marx-Allee / Otto-Braun-Straße (immer)
* Holzmarktstraße (unterschiedliche, variierende Stellen zwischen Ostbahnhof und Jannowitzbrücke) (morgens)
* Bethaniendamm im Bereich Wrangelstraße (oft)
* Ruppiner Straße, wenn man auf die Bernauer hinausfährt (immer)
* Topsstraße Einmündung Schönhauser Allee (selten, aber regelmäßig)
* Spittelmarkt Südseite (immer)
* Reinhardtstraße westlicher Abschnitt (immer)
* Moritzplatz (nicht mehr)

[ha-be-eff]

Das war so: Axelk und LadyGrey sind nach Berlin gekommen. Ich habe sie im Hotel Circus am Rosenthaler Platz abgeholt, sie bewohnten ein wunderbares Appartement mit Blick über die Torstraße und dem Scheunenviertel. Eigentlich wollten wir da gar nicht mehr weg, aber wir hatten nichts zu trinken, und ich sollte sie ja durch Berlin führen, so gingen wir los, Hackescher Markt, Oranienburger, Friedrichsstraße, Linden, Brandenburger Tor, Alex, Nikolaiviertel, und danach mit der S-Bahn zur Warschauer Brücke, Pizza und Bier beim Ritrovo am Boxhagener Platz, K kam dazu, wir redeten über Hamburg und besiegelten die Hamburg-Berlinische Freundschaft mit Grappa und Averna. Dann sind wir zurückgeschlendert bis zum Frankfurter Tor, sind dort in die M10 gestiegen, die Partystraßenbahn, diesmal ohne Party, sind gefahren bis zur Schönhauser und haben uns dort noch in den Pratergarten gesetzt, das Eigenbräu getrunken, über uns der Berliner Himmel, der irgendwann samt Mond und Wind und Trost über uns hereinbrach. Dass wir nur noch den Prenzlauer Berg hinunterrollen brauchten.

So war das. Aber es war auch wieder ganz anders.

[businessvalue]

Es blitzte dann das Blaulicht auf. K sagte, hey, Action in unserer Straße. Wir öffneten das Fenster, sahen die Feuerwehr, wow AUFREGUNG, aber dann die Erkenntnis, die Aufregung in Aufregung umschlagen ließ: der Feuerwehrtrupp stand in unserem Hauseingang und wuchtete schwere Geräte und Schläuche in das Haus. Ich wusste gleich: die Sache mit den “überfluteten Kellern”, von denen man in den Blättern liest. Keine so tolle Sache, gibt dem Gewitter aber eine noch romantischere Dimension.
Ich lief runter und sah den Männern beim Pumpen zu, lauschte den Fachgesprächen, gab den Betroffenenen, tat besorgt. Am Ende fragte ich nach einer RCA (Root Cause Analysis), wie nun weiter zu verfahren sei, bekämen wir Post, würden wir ein Meeting halten mit den Fachmännern vom Dienst und weitere Maßnahmen treffen?
Nein. Sie seien nur dazu da das Problem zu beseitigen. Das war wirklich so: sie zogen nach getaner Arbeit wieder ab.

Wir haben ein neues Projekt.