[tagebuchbloggen 11.02.2021]

Im Büro den ganzen Tag versucht, an einer Präsentation für Freitag zu arbeiten. Durch ständige Meetings, ständigen Unterbrechungen und selstauferlegten Kaffeepausen sitze ich am Ende des Tages vor dem Template. Ein weisses „Geben Sie hier ihren Text ein“ auf schwarzem Hintergrund. Morgen ist Freitag. Ich werde früh aufstehen müssen.

Dann „Ma“ geschaut. Aufgrund des Trailers wollten wir den Film schon seit Ewigkeiten schauen. Es ist uns dann aber nie gelungen.
Der Film war OK. Nicht so vorhersehbar wie befürchtet, aber auch nicht so zwingend wie erhofft. Zwingend in dem Sinne, dass „Ma“ als Figur so fesselt.

Übrigens habe ich in der Vorweihnachtszeit einen Beamer gekauft. Für die große, weisse Wand neben dem Fernseher. Etwas auf dem Beamer zu schauen ist schon sehr speziell. Es kommt dem Kino ziemlich nahe, dieses Sitzen in einem dunklen Raum und diese erhellte Wand.

Im Januar schauten wir einmal parallel. Sie eine Serie auf dem Fernseher, ich Hertha gegen Schalke auf der weissen Wand daneben, mit Kopfhörern auf.
Vor Anpfiff beschloss ich allerdings in die Küche umzuziehen. Ich hatte Angst davor, durch unbewusste tierische Laute auf mich aufmerksam zu machen, schließlich ist es mir wichtig, mich auf das Spiel zu konzentrieren und nicht auf meine Außenwirkung achten zu müssen.

[tagebuchbloggen 10.2.2021]

Am Morgen würde ich kein Muesli haben. Das wusste ich. Ich versuche meine Supermarktbesuche derzeit zu reduzieren, deshalb nahm ich mir vor, für die nächsten Tage ein Muesli aus Restbeständen im Vorratsschrank zu bauen. Ein ganz simples. Kernige Haferflocken mit Mandeln, die ich in einem Glas in einer der Schubladen gefunden hatte. Dann aß ich so das Muesli, las die Nachrichten des Tages und nach dem dritten oder viertel Löffel biss ich in etwas auffallend Bitteres. Nicht unangenehm Bitter, aber eben auffallend Bitter, etwas, das mich vage an Geschmäcker meiner Kindheit erinnerte. Kuchen. Jedenfalls etwas mit Küche oder Backofen.
Drei Sekunden nach dieser Erinnerung wusste ich die Wörter Bitter und Mandel zum Kompositum Bittermandel zu kombinieren und wusste sofort, dass das irgendwie mit Drogen oder Gift in Zusammenhang stand oder war Mandelbitter nicht ein Verdauungsschnaps oder war das Schwedenbitter? Mir wurde sehr schnell nicht geheuer bei dem Geschmack im Mund und lief zur Kloschüssel.
Als ich alles ausgespuckt und aus den Zahnzwischenräumen gepult hatte, schlug ich Bittermandel bei Google nach und da wurde das natürlich thematisiert. Gift hin, Gift her, warum man keine Bittermandeln essen darf. Schönen Dank auch. Es enthält Blausäure und wenn das isst, dann passiert etwas im Körper, ich bin zu faul dafür das noch einmal nachzuschlagen, aber man stirbt jedenfalls. Zumindest wenn man zu viel davon isst.
Die Faustregel ist aber: 1 Mandel pro Kilogramm Körpergewicht. Ich müsste also schon wie Obelix in ein Fass mit Bittermandeln fallen um zu sterben.

Es hat mich leider trotzdem nicht davor bewahrt, bei jedem Jucken Symptome einer leichten Blausäurevergiftung zu vermuten.

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Beim Verlassen des Hauses sah ich, dass meine Herthasticker immer noch an den Telekomkästen über dem FCU prangt. Das ist ein gutes Gefühl.

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Vom Büro gibt es nicht viel zu berichten. Die Straßen auf dem Weg dorthin waren heute allerdings etwas besser. Aber man merkt halt noch immer, dass Berlin keine Fahrradstadt ist. Die Straßen werden gut geräumt, dafür wird der Schnee oft auf die Radstreifen abgelegt. Radwege auf Gehsteigen bleiben meist unter der Schneedecke. Jeder Bezirk scheint das anders zu händeln. Mir egal, ich fahre auch auf Hauptstraßen mitten auf einer Spur. Autofahrer haben aber Verständnis dafür, so kommt es mir vor.

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Abends 40 Minuten Nackenübungen gemacht. Neulich haben wir Healthy Workout von VOltaren entdeckt. Ja genau, Voltaren. Man kann dort einstellen welche Körperpartien man trainieren möchte und dann beginnt ein Video.
Ich habe mich darauf eingestellt, für den Rest meines Lebens mit chronischen Nackenschmerzen zu leben (ich liebe die Monumentalität dieses Satzes, ich könnte den ewig vor mir her sagen) laut Ärztin kann ich dem vermutlich nur durch körperliche Tätigkeiten in Form von gezieltem Nackentraining beikommen.
Ich trainiere im Voltaren-Workout den oberen Rücken und den Nacken. Danach geht es mir wirklich besser.
Das mache ich jetzt jeden zweiten Abend so. Für den Rest des Monats. Für den Rest des Jahres. Für den Rest des Lebens.

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Direkt danach saßen wir in einem Videocall mit zwei lieben Freunden, die zwei Monate vor Corona nach Ostwestfalen gezogen sind.

[tagebuchbloggen 9.2.2021]

Am Morgen ging die neue Episode des DMTF Podcasts live. Es ist ein englischsprachiger Hertha Podcast mit zwei Fans aus England sowie Kanada. Ich bin anfangs nur ein paar Mal eingesprungen, weil einer der Hosts aber längerfristig ausgefallen ist, habe ich mittlerweile schon an vielen Sendungen dieses Podcasts teilgenommen. Allerdings habe ich ihn noch nie beworben, weil es mir immer etwas peinlich ist, wenn man mich da hört. Zum Einen weil mein englisch halt IT-englisch ist und mir in englisch total der Sprachfluss fehlt, in der Konversation bin ich daher sehr steif und total unlustig und immer wenn ich aufgeregt etwas erzählen will, dann schrumpft mein Vokabular auf ein Minimum zusammen. Ich kann mir das nicht anhören. Aber ich bin nicht konsequent genug darin, die Teilnahme zu verweigern, vor allem, weil ich das ja nur temporär machen sollte, bis der eigentliche Co-Host wieder einsteigen kann. Und so sitze ich da alle paar Wochen und bin öffentlich unlustig. Eine merkwürdige Situation. Mich jezt geoutet zu haben, relieved mich aber schon ein bisschen.

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Als ich nach Hause kam, überzeugte mich K, die erste Folge einer Horrorserie mit ihr zu schauen. Die Serie heißt „Into the Dark“ und es ist keine Serie im klassischen Sinne, sondern eher eine Anthologie. Jede Folge ist eine eigene Geschichte mit jeweils anderen Regisseurinnen und anderen Schauspielerinnen. Eigentlich ein prima Format für zwischendurch, kleine, leicht verzehbare Horrorhäppchen.
Um es vorweg zu nehmen: die erste Folge war richtig schlecht. Nicht im lustigen Sinne schlecht, sondern rundum schlecht. Nach einer halben Stunde schlug ich Rotten Tomatoes auf und dort stand, dass es eine Seite gäbe auf der die einzelnen Folgen dieser Serie nach einem Qualitätsranking mit Kurzkritik aufgelistet waren. Das hätten wir vielleicht früher wissen sollen. Die komplette Serie hat 21 Folgen, laut Autorin jener Seite sind aber lediglich drei davon sehenswert. Die erste Folge gehört nicht dazu, sie rangiert auf Platz 17 von 21. Und deshalb wiederhole ich den vorletzten Satz in einer leicht veränderten Form: das hätten wir vielleicht früher wissen können.
Wir haben dann doch zu Ende geschaut und wer es wissen will: sie sterben am Ende alle. Ausser der mysteriöse Auftraggeber. Und bei der jungen Frau ist man sich nicht ganz sicher, aber ey, die schleppt sich da mit so einer blutenden Wunde davon, ich kann mir nicht vorstellen, dass die das noch lange mitmacht, vor allem schien sie keine Anstalten zu machen, ein Krankenhaus aufzusuchen.

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Ich führe gerade einen Nachbarschaftkrieg mit einem Unionfan, der zwei Telekomkästen in meiner Straße rot/weiss angesprüht hat. Ich überklebe den Kasten mit Hertha Stickern und er entfernt sie wieder. Seit zwei Tagen hat er aber aufgehört sie zu entfernen, ich denke er hat nicht mit meiner Beharrlichkeit gerechnet. Ich werte das als einen Teilerfolg.

[Tagebuchbloggen 8.2.2021]

Es ist wieder Zeit, Tagebuch zu bloggen. Auch Madame Modeste macht es wieder und mir fiel neulich auf, dass es mir in einigen Jahren möglicherweise schwer fallen wird, mich an diesen Corona Alltag zurückzuerinnern. Ich will einfach wieder ganz banal die Tage dokumentieren, das hat mir bereits früher erstaunliche Einblicke in meine Vergangenheit gegeben.
Bis Ende des Monats vielleicht. Vielleicht länger. Mal sehen, wie lange es sich trägt. Die Qualität der Rechtschreibung wird sich wohl noch ein bisschen verschlechtern und mal schauen, ob ich es immer schaffe, die Texte auch einzusprechen.

Gestern war Montag und ich hatte schon das ganze Wochenende lang eine gewisse Vorfreude auf die angekündigten minus elf Grad am Montagmorgen. Ich kann mir das gar nicht mehr vorstellen. Als Kind in meinem Alpendorf war es ja drei Monate lang zwischen minus fünf und minus dreissig. Gestern war es dann nur minus neun. Es ist ja gar nicht so kalt wie man sich das immer vorstellt.

Mein Fahrradschloss war dann verfroren. Ich musste meine warmen Hände auf das Metall des Schlosses legen und lange hauchen um es geöffnet zu bekommen. Dadurch kühlten meine Hände aus und als ich losfuhr hielt ich die Lenkstange mit zwei Eisgriffen fest. Ich erwärmte mich aber schnell. Zwei Straßen weiter war ich schon auf Temperatur. Dennoch ist das keine Lösung, ich muss mir kurzfristig etwas anderes einfallen lassen.
Eine halbe Stunde später vorm Büro konnte ich das Schloss wieder nicht öffnen um das Fahrrad abzuschließen. Also nahm ich das Schloss einfach mit hoch zu meinem Schreibtisch und ließ das Rad solange unangeschlossen bis sich das Schloss wieder bedienen ließ. Ich hatte keine Lust mir wieder die Hände einzufrieren.
Oben am Schreibtisch vergaß ich das Fahrrad natürlich. Und das blieb den ganzen Tag so. Als ich es am Abend aufsperren wollte, war ich nur kurz über die Abwesenheit des Schlosses überrascht.

Für das Archiv: wenn es schneit, ist Radfahren eher unpraktisch. Wenn man Pech hat rutscht man aus. Es ist nicht so sehr die Glätte auf den Straßen, weil das Streusel eigentlich recht gut gegen das Rutschen hilft, aber es sind die gröberen Schneelagen, wenn sie zu dick sind oder darunter zu härteren Schichten vereist sind.
Es verlief dann doch recht harmlos. An Stellen wo mir die Radwege nicht gefielen, wich ich einfach auf die Straßen aus. Bei diesem Wetter sind ja weniger Autos unterwegs, außerdem fahren sie alle ängstlich und langsam.

Mein Vater schimpfte früher immer über die deutschen Touristen in unserem Alpendorf. Sobald es ein wenig schneite, würden sie alle langsam fahren und mit ihren großen Autos die Straßen blockieren. Die Deutschen hatten schon vor 40 Jahren die größeren Autos.
Dieses langsame Fahren der Deutschen bei Schnee. Daran muss ich immer denken, wenn ich es in Deutschland schneit. Nur mit dem Unterschied, dass ich in Berlin ausschließlich von deutschen Touristen umgeben bin.

Der Abend war wieder einer dieser typischen Corona Abende. Lustig, wie das „Corona“ als Adjektiv im Sprachgebrauch Einzug gehalten hat. Wir sollten es klein schreiben. Wir müssen uns ohnehin daran gewöhnen. „Wir hatten einen corona Abend.“

Ich hatte jedenfalls einen corona Abend. K schaute eine Serie, aber ich hatte nicht so viel Lust darauf, deshalb hing ich am Schreibtisch im Netz ab und räumte in der Küche etwas auf. Ich hatte noch einen Hertha-Podcast nachzuholen, das passte also ganz gut.

[Tagebuch, Weihnachten, Silvester und viel etc]

Unser Weihnachten war eigentlich wie immer, wir ziehen uns an, als würden wir einen Preis für die Newcomer des Jahres in der Kategorie „Music Experimental Modern Victorian“ in Empfang nehmen, dann kochen wir und betrinken uns. Danach landen wir im Sofa und schauen einen Film. Dazwischen schenken wir uns manchmal etwas. Dieses Jahr haben wir Lichterketten gekauft. Mehrere. Und damit Möbelstücke eingewickelt. Wir hatten uns das sehr einfach vorgestellt, man fängt irgendwo an und wickelt einfach weiter bis die Lichterkette verwickelt ist. Das war dann nicht so einfach. Jede von uns beiden dachte, sie sei klüger als die andere und hatte bereits ein System im Kopf, wie die Lichterkette anzubringen sei. Beide Ideen waren doof. Aber weil wir beide immer denken, die Klügere zu sein, gerieten wir in Streit.
Später erkannten wir, dass wir beide scheiterten, wir stellten uns beide total dämlich an und fabrizierten leuchtenden Kabelsalat. Als wir das erkannten, waren wir versöhnt.

Wir hatten einen ziemlich durchgetakteten Essensplan. Keine aufwändigen Dinge, aber da wir beide dem alltäglichen Kochen am Abend nicht so zugeneigt sind, hat sich im Laufe der Zeit eine ganze Liste an Speisen, die man-immer-mal-kochen-wollte, angesammelt. In der Vorweihnachtszeit haben wir die alle mal aufgeschrieben und als weihnachtlichen Essensplan priorisiert.
Ganz oben auf meiner Wunschliste stand Chicago-Style Deep Dish Pizza. Das wollte ich eigentlich schon seit dem Chicago Besuch von vor 5 Jahren kochen. Die Deep Dish Pizza ist weniger eine klassische Pizza sondern eher so etwas wie ein Pizzakuchen, oder ein Pizza-Quiche. Mit sehr viel Käse und einem fluffigen, buttrigen Teig.
Als wir damals in Chicago das erste Mal in einem Deep Dish Pizza Restaurant waren, wollten wir gleich zwei bestellen, weil die auf den Nachbartischen so klein aussahen, aber der Kellner, der sich uns mit dem Namen Bob vorstellte und uns versicherte, dass er heute Abend unser Host sein würde, riet uns freundlich davon ab, er versprach uns, dass es vollkommen ausreichend sei, wenn wir uns eine teilen würden. Ich nahm solche Aussagen natürlich nicht ernst, Bob konnte ja nicht wissen, dass ich in Vollmondnächten ein halbes Kalb verschlingen kann.
Aber er sollte natürlich Recht behalten, ungefähr zur Hälfte der Deep Dish Pizza musste ich aufgeben.
Zurück in Berlin erfuhr ich, dass es in der ganzen Stadt keine Deep Dish Pizza gibt. In ganz Deutschland nicht. Vermutlich auch in ganz Europa nicht. In Europa denken Menschen ja gerne, dass gute Pizze nur von Europäern bzw italienischen Europäern gebacken werden kann und überhaupt: ein Reimport von italienischem Kulturgut aus Amerika, das geht ja wohl gar nicht. Aber gut, das ist wieder eine ganz andere Geschichte, ich liebe ja Amerikaner, wenn sie beim Essen auf Traditionen scheissen.
Es kann aber auch einfach sein, dass es die Chicago Style Deep Dish Pizza nur in Chicago gibt.

Wir haben dann die Chicagopizza gebacken und sie ist echt gut geworden. Eigentlich müsste man ein kleines Restaurant aufmachen und nur Deep Dish Pizza backen. Drei oder vier Sorten. Mehr werden auch in Chicago nicht angeboten. Sich ganz auf diese drei Sorten fokussieren und vorne auf das Lokal draufschreiben: the only Chicago Style Deep Dish Pizza in Berlin and Europe and everywhere else except for Chicago maybe.
Ich würde sowas ja gerne machen. Vier Wochen lang. Danach fände ich es vermutlich langweilig.

Auf unserer Liste standen auch Köttbullar, Trüffelpasta und Lasagne. Und Fishpie. Und Gulasch.
Hat mehr oder weniger alles geschmeckt.

Zu Silvester haben wir uns auf den Balkon gesetzt. In dicken Wollsocken und Winterjacken. Lustigerweise hatten alle Nachbarn die gleiche Idee. Wie wir um Mitternacht alle so auf den Balkonen standen und einander über die Strasse hinweg zuprosteten. Dieser Coronawinter wird mir immerhin mit einer gewissen Romantik in Erinnerung bleiben.

Das mit dem Balkon behielten wir bei. Immer wenn es kalt war, fiel jemandem von uns ein: komm lass uns Arktis spielen. Wir öffeneten uns einen Drink, zogen dicke Jacken an und setzen und auf den Balkon.

Ende Januar hatte ich dann Geburtstag. Eine ganz besondere Eigenheit, die uns Endejanuar Geborenen den Winter ganz besonders schmackhaft macht, ist der Geburtstag Ende Januar. Für Menschen, die nicht Ende Januar Geburtstag haben, gibt es nach Weihnachten keine Highlights mehr, vermutlich bis die ersten Maiglöckchen sprießen. Zumindest für Menschen, die dem Winter nichts abgewinnen können. Für die gibt es Weihnachten und danach beginnt ein großes, finsteres und kaltes Loch bis Ende März.
Endejanuargeborene haben Ende Januar Geburstag. Das ist so ein Überbrückungsglied. Andererseits: ich bin ein Winterboy. Für mich ist der ganze Winter ein Überbrückungsglied.

[wintersonne]

Heute zu Mittag spazieren gewesen. Wie wir der niedrigen Wintersonne entgegenliefen. Das Licht, das die niedrige Wintersonne wirft. In den engen Straßen erreicht sie meist nur die oberen Etagen. Wenn man ihr entgegenläuft, stellt sie sich in die Sicht, diese Wärme bei geschlossenen Augen. Das ist die schönste Wärme, die es gibt.

Überhaupt, Wintersonnenwende. Wenn ich für sowas wie religiöse Gefühle empfänglich sein würde, dann am ehesten für dieses Gefühl am kürzesten Tag der Wintersonne mittags zuzusehen. Wie sie den tiefstmöglichen Zenit erreicht. Am Horizont auf Blickhöhe. Ich wäre heute gerne am Polarkreis. Zum Glück mache ich sowas nicht. Täte ich es, glaubte ich, ich trüge einen spitzen Hut auf dem Kopf und Mistelzweige unterm Arm.

Ich mag ja Winter. Ich mag ja die kurzen Tage, die langen Nächte. Ich mag es, wenn sich schon am späten Nachmittag dieser dunkle Schleier legt. Um mein Gemüt, um meine Sicht. Ich liebe es, in der Kälte Fahrrad zu fahren. Die Kälte an den Oberschenkeln und unter der Haut diese Körperwärme.
Und wenn ich dann nach Hause komme oder in die Kneipe gehe und mir Schal, Mütze, Handschuhe und alles ausziehe, wie mich dann die warme Raumluft auftaut: das Beste.

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In Longyearbyen ist jetzt Nacht. Seit Anfang November schon. Ende Januar wird es die erste Dämmerung geben. Die Sonne kommt dann Ende Februar nach.

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Vor einigen Jahren lernte ich einen jungen Syrer kennen. Es war ein eisiger Dezembertag, eine gemeinsame Freundin feierte ihren Geburtstag. Wir feierten in einer liebevoll zurechtgemüllten Neuköllner Kneipe. Er und ich, wir verstanden uns auf Anhieb. Er sagte: I love Winter. Das sei alles so schön, mit diesen kuscheligen Wohnungen, diesen warmen Kneipen, wie wir alle zusammensäßen und Kerzen anzünden. Das kannte er alles nicht. Ja, stimmt. Die Wohnungen. Die Innenräume. Es wird so viel Aufwand damit betrieben.
Es hat schon seinen Grund, warum wir uns gerade bei den Skandinaviern abgucken wie man sich die Wohnungen einrichtet. Wenn man unweit des Nordpols eingeschneit in seiner Hütte sitzt, hat man viel Zeit, Homeimprovement zu betreiben.

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Winterland

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Vor einigen Monaten habe ich mir dieses Spiel auf Steam gekauft. The long dark. Es handelt von den arktischen Wäldern Kanadas. Vom Schnee. Und von den Wölfen. The long dark. Ich könnte diesen Titel ewig vor mich hinsagen. The long dark. Das ist wie ein Zustand.

[woran ich mich erinnern will – November und auch ein bisschen Oktober]

Ständig irgendwelche Leute, die in Quarantäne müssen oder die sich testen lassen. Erstkontakte, Zweitkontakte, mittlerweile hat es auch Bekannte erwischt. Ein Freund und eine Freundin sind an Covid erkrankt. Eine liebe Freundin hat schwerere Symptome.
Ich bin weit davon entfernt hypochondrisch zu sein, aber wenn ich an die letzten beiden Monate zurückdenke, dann ist das vorherrschende Gefühl: seltsames Kratzen im Rachen. Hm, ist das schon Corona? Rieche ich noch richtig?
Ständig die Nase in den Achseln.

Daher habe ich vermutlich diesen Blogeintrag so lange vor mir her geschoben. Es gibt nicht wirklich Vieles, woran ich mich erinnern muss.
Seltsamer Monat. Dabei komme ich mit dem Lockdown wirklich gut zurecht. Ich stelle mich halt darauf ein, dass das alles nur temporär ist. Außerdem kann ich jeden Tag ins Büro, da dort ohnehin kaum jemand ist. Die meisten Leute arbeiten ja lieber von zuhause aus, das finde ich ganz furchtbar. Aber ich kann natürlich nur ins Büro weil fast niemand da ist, so sitze ich fast alleine in meinem aerosolfreien Grossraumbüro.

Und immer noch: Es ist temporär. Es ist temporär. Es ist temporär.
Ich würde die Zeit ja gerne nutzen einen richtig guten, langen Text zu schreiben oder an den anderen Texten weiterzuschreiben, aber ich sitze halt nur da, eine Hand in der Hosentasche, die andere Hand an der Maus. Bis meine Frau kommt und fragt ob wir Zähne putzen.

Immerhin nehme ich gerade ab. Ich habe seit 4 Wochen das Abendessen gestrichen. Wenn ich schon nicht rausgehen kann und meiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen (mit Menschen reden und währenddessen essen und trinken), dann kann ich genau so gut mit Essen und Trinken aufhören. Ich weiss, dass das bei mir immer gut funktioniert. Diäten kann ich nicht. Ich kann nicht einfach weniger essen, ich kann nicht einfach kleinere Portionen nehmen oder nach dem Essen aufhören herumzunaschen. Aber was ich gut kann: komplett aufhören zu essen. Über viele Monate hinweg.
Der abendliche Hunger dauert nur drei Tage lang. Nach den ersten drei Tagen ist es einfach. Mein Körper weiss: ah, jetzt spinnt der Kerl wieder und isst nix. Dann hört mein Körper auf, Nahrungsaufnahme zu erwarten. In meinem Beruf nennt man das Expectationmanagement.

Das mache ich jetzt bis Weihnachten so. Zu Weihnachten haue ich dann wieder voll rein. Und wenn danach immer noch Corona ist, dann faste ich danach wieder.

So ist das nämlich.

Aaah. Und dann Cecilia aus Longyearbyen. Die habe ich auch im November entdeckt. Es war Sonntagnachmittag, wir wollten während des Frühstücks etwas schauen, etwas kurzes nur, etwas, das zum Frühstück passt und danach noch ein bisschen weiter geht. Ein Film, oder eine Doku. Aber stimmungsmäßig wollte nichts zum Frühstück passen an dem Tag, also ging ich auf die Youtube-App des Fernsehers und tippte wieder mal ein: Longyearbyen. Meine Frau verdrehte die Augen. Youtube spuckte ein paar neue Treffer aus, sie trugen den Titel „My life in the Arctic„. Diese Clips kannte ich noch gar nicht. Es waren ein Dutzend zehn bis fünfzehnminütige Clips einer jungen Schwedin die etwas außerhalb von Longyearbyen lebt und einfach filmt wie sie mit dem Hund spazieren geht, oder wie sie an den Wochenenden mit ihrem Freund eine Hütte im arktischen Niemandsland besucht, oder wie sie Motorschlitten fährt undsoweiter. Währenddessen erzählt sie von den Dingen. Wie das mit dem Sonnenstand in der Arktis ist, wie sie in der Polarnacht lebt, und sie zeigt, wie sie ihre Wohnung eingerichtet hat, ihren gruseligen Weihnachtsschmuck, oder auch ihre gemachten Fingernägel und welche Lagen Kleider sie sich bei Minus 30 Grad anzieht, oder wie sie shoppen geht undsoweiter, immer mit einem seltsam verstrahlten Optimismus, und einer kurz an der Schmerzgrenze befindlichen Tussigkeit.

An dem Tag schauten wir etwa 2 oder 3 Stunden lang ihre Clips. Wir saßen auf dem Sofa, hatten eine dicke Decke über uns gelegt, die Heizung an und schauten in dieses Leben in der Arktis hinein.

Mittlerweile habe ich sie auf Insta abonniert und schaue zum Einschlafen immer ihre Stories. Wenn es neue Youtubeclips gibt, sparen wir sie für das Wochenende auf. Dann machen wir Frühstück, holen eine dicke Decke und schauen uns das Alltagsleben in der Arktis an.

Am 22. November sind wir mit der Webseite des besten Fanclubs der Welt live gegangen. Das Blog und der Shop. Ein Herzensprojekt. Es hat viel Zeit gekostet, das alles aufzusetzen, umso happier bin ich jetzt. Wir werden da unsere Zeit mit Hertha begleiten.

[woran ich mich erinnern will. September 2020]

Neulich gab es bei Spiegel Online diesen Artikel über Herrendüfte und Kulturgeschichte. Ich kann mit Gerüchen tatsächlich viel angfangen und wenn jemand sagt, dass im Mainstream die Gerüche alle ihre Kanten verloren haben, dann will ich wissen wie diese Kanten riechen. Das hat mich auch beim Bier beschäftigt. Und auch bei der Musik. Und erst recht bei den Menschen. Ich will immer die Kanten kennen.

Weiter im Text wird ein Parfum namens „Carnicure, von Marlou“ erwähnt, der Geruch wird folgendermaßen beschrieben: „Das ist zart-süß und animalisch-geil. Tropfen für Tropfen pure Lüsternheit, mit Schweiß-, Urin- und Darkroom-Assoziationen. Ein Parfüm, das polarisiert.“

Ich schlug sofort die Marlou Seite auf und bestellte ein Probefläschchen.

Eine Woche später kam das kleine Paket an. Und jetzt traue ich mich nicht dran zu riechen. Ich habe immer das Bedürfnis, mich angemessen zu fühlen und angemessen gekleidet zu sein um daran zu riechen.

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Weil Herthas Online Shop Schwierigkeiten hatte, meine Mitgliedsnummer zu verarbeiten, musste ich die Herthahotline anrufen.
Am anderen Ende nahm ein Mann das Telefon ab und redete in einem starken Nordttioler Akzent zu mir.

Um den Nordtiroler Akzent zu erkennen muss man eigentlich nur eine Sache wissen: er enthält ein „K“ mit dem man im Rachen Schleim akkumulieren kann. Er klingt ungefähr wie „Kchr“.
Wenn Nordtiroler beispielsweise Kakadu aussprechen, können sie zwei Einheiten Rachenschleim produzieren. Bei Kuckuck sind es drei, usw. Auch habe ich keine Ahnung wer auf die Idee gekommen ist, die nordtiroler Hauptstadt Innsbruck zu nennen. Bei Kufstein ist das K auch noch am Anfang. Wobei ich glaube, dass man im Kufsteiner Alltag schon ein weicheres K verwendet.

Es gibt ja diesen Witz:

  • Wie nennt man in Nordtirol eine Banane?
  • Banane-kchr.

Ich fand es jedenfalls schön, einen Nordtiroler an der Hertha Hotline zu haben. Ich outete mich sofort als Südtiroler und driftete in einen, für Norddeutsche Ohren, abgedunkelten Sprachabgrund hinab.
Wir plauderten ein bisschen, unterhielten uns über Berlin und über die letzte Hertha-Saison. Ich äußerte mich über die Zuversicht die ich für die kommende Saison hatte. Auch er war zuversichtlich, und währenddessen löst er mein Problem mit dem Shop.
Das war ein schönes Erlebnis.

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Neulich fuhr ich am Märkischen Ufer mit dem Fahrrad. Rechts auf dem Bürgersteig lief ein junger Mann mit zwei schweren Tüten an mir vorbei. Er trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Kein Fussball den Faschisten“.
Ich hatte einen Podcast im Ohr und außerdem schwitzte ich und ich wollte nach Hause, weil es Gutes zu Essen gab. Ich fuhr ein ganzes Stück weiter an der chinesischen Botschaft vorbei. Das Tshirt ließ mir keine Ruhe. Ich hatte schon die Hauptstraße überquert, auf der Zwischeninsel der Hauptstraße beschloss ich aber umzudrehen. Also fuhr ich wieder zurück. Ein paar hundert Meter weiter hatte ich ihn eingeholt. Er lief immer noch mit den schweren Tüten. Ich sagte, sorrysorry, kannst du mir verraten wo du das Tshirt her hast? Er erklärte mir, dass das von Fans des SV Babelsberg gemacht worden sei.
Ich sagte: cool, Danke. Bist du Babelsbergfan?
Er sagte: nein, ich bin bin Fan von Schalke.
Aha, sagte ich. Ist ja gerade nicht so schön.
Er schaute etwas leer.
Ich fühle aus der Nähe ja immer mit. Wenn die Leute so wehrlos sind. In ihrer Ergebenheit vor einer als unabänderlich hingenommener Macht.
Die seltsamen Formen von Liebe.

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Ich aus Friedrichshain, traf mich nach der Arbeit in Mitte mit einem Freund aus Schöneberg vor einer Bar in Neukölln.
Vier Risikogebiete auf einen Streich.

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Er trug seine Maske akkurat und bedeckte auch vorbildlich seine Nase. Dabei stand auf der Straße, hatte seine Hose offen, pinkelte auf den Mittelstreifen und rief Schlachtrufe während er eine Faust in die Luft streckte.

Ich überlegte, ob ich ihn darauf hinweisen soll, dass man im Freien keine Masken tragen braucht. Das hat Drosten ja so gesagt. Nach kurzer Überlegung beschloss ich nichts zu sagen. Man muss ja nicht gleich kleinlich sein, wenn jemand schon so vorbildlich ist.

[woran ich mich erinnern will. Zweite Augusthälfte 2020]

Menschen die auf Twitter ganz offensichtlich angefeindet werden, schreibe ich manchmal eine DM. Ich habe mir das vor einigen Wochen angewöhnt. Als Gegengewicht, weil sonst nur die Hater zu Wort kommen und alles durchseuchen und alle einschüchtern. Ich erkläre in der Regel warum ich deren Account mag und warum ich sie followe und schreibe ein paar mutmachende Worte, die sich explizit an die Hater richten.

Nachdem ich das ein paarmal gemacht habe, fiel mir auf: alles Frauen.

In meinem Fanclub hat ein Mitglied einen Fernsehbeitrag gesehen, wie jemand in Mainz obdachlose Menschen mit Wasser versorgte. Er fragte in den Gruppenchat, ob wir nicht auch so etwas machen könnten. Einige Stunden später hatten wir 400€ gesammelt und vier Tage später fuhren wir in Dreierteams durch die städtische Hitzewelle und verteilten Wasserflaschen an Obdachlose und andere Bedürftige. Weil wir ein Hertha Fanclub sind und Hertha im Jahr 1892 gegründet wurde, setzten wir den Rahmen, dass wir mindestens 1892 Liter Wasser verteilen wollten und nannten uns 1892Liter Wasser Gruppe. Dann flossen die Spenden, von Privatpersonen, Organisation und auch Firmen und Hertha BSC stellte uns ihren Fanbus zur Verfügung. Das Ding kam ins Rollen. Die Medien meldeten sich bei uns, berichteten darüber, weitere Helferinnen meldeten sich.

Ich bin sehr begeistert darüber wie das alles ablief. Ich selbst konnte nur an einer einzigen Tour teilnehmen, ich kümmerte mich sonst im Hintergrund um Medienarbeit, teils von Schweden aus. Die Tour war für mich sehr eindrücklich und hallte lange in mir nach. Ich werde das demnächst mal in einem längeren Eintrag aufschreiben.

Mit dem Tagesspiegel telefoniert während ich in Unterhose und Doppelripp Unterhemd auf einer Wiese im schwedischen Wald stand. Daran will ich mich erinnern.

Zum „Exilherthaner Podcast“ eingeladen worden um über den Fanclub „Axel Kruse Jugend“ und die „1892 Liter Wasser“ zu reden. Wir saßen zu dritt im Garten von Andy Brehmchens Eltern unter einem Zeltdach und wurden von seiner Mutter mit Marmorkuchen und Bienenstich verwöhnt. Manchmal regnete es, einmal brach ein Windsturm über uns herein. Das gesamte Zelt wackelte bedrohlich und ich musste an Dorothy Gale denken, wie sie in ihrem Häuschen durch den Wirbelsturm nach OZ verfrachtet wurde.
Wir haben uns aber nichts anmerken lassen.

Sobald sich das Mikrophon einschaltet und dort draußen ein Millionenpublikum erreicht, setzen sich sämtliche grammatikalischen Gesetzte außer Kraft und mein Wortschatz schrumpft auf gemessene 16,3% zusammen.

Letzte Woche ist in Longyearbyen das erste Mal seit 4 Monaten wieder die Sonne untergegangen. Für wenige Minuten. In zweieinhalb Monaten beginnt schon die Polarnacht. Für das Protokoll.
Die Sonne ging übrigens zwei Mal an einem Tag unter. Verstanden habe ich das allerdings nicht. Muss ich mal googeln.

Weil wir uns hier ja ganz offiziell in einem Blog der Arktissehnsucht befinden, muss ich auch zu Protokoll geben, dass vor drei Tagen ein Einwohner Longyearbyens von einem Eisbären getötet wurde. Der Mann, ein holländischer Staatsbürger, war mit der Aufsicht der örtlichen Campings beauftragt. Ja, Camping in Eisbärenland, sowas gibt es. Dennoch, Eisbären lassen sich in jener Gegend, 1km abseits des Ortes offenbar nicht so oft blicken bzw auf dem Weg dorthin muss er theoretisch so viele bewohnte und belebte Stellen passieren, dass er üblicherweise aufgefallen wäre. Diesmal halt nicht: um vier Uhr früh, bei Tageslicht, hat er ein Zelt überfallen.

Das doofe ist halt, dass Eisbären nur jagen können wenn es Meereis gibt. Weil darunter die Robben schwimmen, die sie sich schnappen. Wenn kein Eis da ist fasten sie eben mehrere Monate lang, das war schon immer so. Aber das Eis verschwindet seit Jahren immer früher und kehrt immer später zurück. So hat man schon im Spätsommer hungrige Bären, die nach alternativen Nahrungsquellen suchen.

Nota Bene für den nächsten Trip in den Grunewald:
Siehst du einen schwarzen Bären, dann mach dich groß
Siehst du einen braunen Bären, dann laufe
Siehst du einen weißen Bären, dann gib einfach auf

Habe ich von Naturspezialisten gelernt.

Ich höre derzeit Springsteen. Also The Boss. Als ich Bruce Springsteen hörte, muss ich 12 oder 13 gewesen sein. Da ich mir noch meinen Musikgeschmack und männliche Rollenmodelle zusammensuchte stieß ich im Fernsehen auf diesen Typen, der so wild und erdig daherkam. Das imponierte mir. Und Born in the U.S.A. klang schon sehr toll. Da ich zeitgleich wiedermal Geld für Musik ausgeben durfte, kaufte ich mir die Kassette von seiner „Tunnel of Love“. Ja genau Kassette. Die einzige Möglichkeit, in meinem Bergdorf Musik zu kaufen. Im örtlichen Lebensmittelladen gab es auch immer vier oder fünf Kassetten der aktuellen Topmusikerinnen oder irgendeinem Sanremo Sommermix.

Auf „The Tunnel Of Love“ gab es dieses romantische Lied mit dem Namen „Tougher Than the Rest„. Und ich, 13 Jahre alt, zum zweiten Mal verliebt und zum zweiten Mal unglücklich, fand mich natürlich auch Tougher Than The Rest. Ich spielte dieses Lied rauf und runter, eine elende und endlose Verliebtheitsleier. Das ging vermutlich den ganzen Sommer lang.

Seit dem Wochenende höre ich diesen Song, den ich mehr als dreißig Jahre nicht mehr gehört habe. Das Lustige ist: das ganze Verliebtheitsgefühl ist wieder da. Aber nicht mehr das dazugehörige Mädchen. Ich kann mich nicht mal mehr vage an ein Gesicht erinnern.

[was schön war. Letzte Juliwoche, erste Augusthälfte 2020]

Mein Fussballverein Hertha BSC wurde auf einer Parkbank auf dem Arkonaplatz in Mitte gegründet. Zwei minderjährige Brüderpaare benannten ihren Verein nach einem Haveldampfer mit dem sie an einem der vorherigen Wochenenden herumgetuckert sind.

Wir finden diese Geschichte so schön, dass wir den Hertha Geburtstag auf einer Parkbank auf dem Arkonaplatz verbracht haben. Wir, das ist der Fanclub namens Axel Kruse Jugend. Ich habe 10 Jahre lang um die Ecke beim Arkonaplatz gewohnt und es hat mich immer schon beschäftigt, dass der Arkonaplatz durch die Jahrzehnte, Kriege und Teilung der Stadt hinweg, ganz aus der Hertha Kultur verschwunden ist. Dabei ist nichts einfacher als Geburtstag zu feiern. Und so war es dann auch. Wir waren zu viert, haben eine Kiste Bier gekauft, einen Flyer gedruckt und auf Twitter Leute eingeladen. Und weil Geburtstage zu feiern so schön ist, sind dann auch viele Leute gekommen und sogar das Fernsehen. Im Fernsehen sieht man 10 Kilos dicker aus, sagte man. Das kann ich jetzt bestätigen.

Das machen wir jetzt jedes Jahr.

Es kamen auch drei Polizistinnen. Sie wurden gerufen. Verdächtige Menschenmengen. Wir kümmerten uns um sie und erzählten ihnen, was wir da machen. Der Geburtstag von Herhta, soso. Eigentlich würden wir gar nichts machen, nur ein bisschen wegen des Geburtstages unseres Vereines herumhängen. Was man an Geburtstagen halt so macht. Wir gaben ihnen einen Flyer. Die jüngste und stillste der drei, nahm den Flyer an und studierte ihn mit Zornesfalte und der Ernsthaftigkeit einer angehenden Polizistin.

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Mein kleines Auto hat ja so gut wie keine Ausstattung. Ein Feature das ich letzten Herbst in Irland im Mietauto zu schätzen gelernt habe, ist ein Tempomat. Dieses Festsetzen einer Geschwindigkeit, das ist schon eine tolle Erfindung. Nun ist es bei mir ja so, dass ich seit einigen Jahren immer zu schnell fahre. Nicht, weil ich ein Raser wäre, sondern weil ich ein schlechtes Geschwindigkeitsmanagement habe. Ich fahre immer nach Bauchgefühl und stimme meine Geschwindkeit sehr ungerne mit dem Tacho ab. Manchmal werde ich dabei auch etwas aggressiv und entwickle eine diebische Freude wenn ich mit meinem untermotorisierten Wagen dicke Audis überhole und dabei Black Metal höre.

Vernünftig ist das nicht. Das weiß ich schon.

In Irland habe ich dann gemerkt wie entspannt das ist, wenn man das Auto einfach auf eine bestimmte Geschwindigkeit festsetzen kann. Ich komme dann nicht in Verlegenheit schnell zu sein und kann mich anderen Gedanken widmen.

Ich habe das jetzt in meinem Auto nachrüsten lassen. Und echt jetzt. Ich habe ganz neue Verliebtheitsgefühle.

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Ich bin jetzt in Schweden. Bei dem Häuschen im Wald, wo ich immer meinen Sommer verbringe. Dieses Frühjahr ist der Fluss über die Ufer getreten und hat unsere selbstgezimmerte Badebrücke mitgerissen. Später fanden wir sie zweihundert Meter weiter am Waldrand, fernab des Flusses.

Wir werden dieses Jahr nicht nach Göteborg fahren sondern die meiste Zeit im Wald verbringen. Die Schweden sind anders drauf als der Rest Europas. Sie tragen keine Masken. Nirgendwo. Dafür halten sie konsequent Abstand. Ich kann nicht einschätzen ob das gut ist, ich habe mich aber so sehr an die Masken gewöhnt, dass ich mich seltsam nackig fände wenn ich Geschäfte ohne sie beträte. Ich behalte die Maske so gut wie immer auf. Man wird allerdings merwürdig angesehen. Wenn das passiert, hustet meine Frau immer auffällig. Die Leute gehen dann ganz von alleine.