[Sonntag, 11.4.2021]

Heute bin ich das erste Mal ohne Jacke aus dem Haus gegangen. Das war ein seltsames Gefühl. Ein schönes Gefühl, aber ein seltsames Gefühl. Dieser einsame Ausstecher auf zwanzig Grad. Gestern war Regen und zehn Grad, morgen auch wieder. Aber heute: zwanzig Grad und Sonne.

Wir hätten die Gelegenheit nutzen und Fenster putzen können. Aber das fühlte sich sehr nach verschwendeter Zeit an. Deswegen haben wir stoßgelüftet. Alle Fenster geöffnet und etwa eine Stunde lang die ganze Wohnung durchpusten lassen.
Eine Freundin erzählte mir neulich, sie würde jeden Tag die Fenster öffnen um durchzulüften. Ich sage jetzt nicht in welchem Jahr ich das Fenster in meinem Arbeitszimmer das letzte Mal geöffnet habe.
Ich habe nicht das Gefühl, dass es im Nachhinein einen großen Unterschied gemacht hat, ich finde die Luft hier drin ziemlich wie immer. Aber dieses Aufreissen der Fenster und dieses Gefühl, jetzt lasse ich mal die Wohnung mit Frühlingsluft durchfluten, ja für sowas macht man es ja, oder? Für dieses Gefühl habe ich es getan.

Auch die Weihnachtsbeleuchtung haben wir heute abgebaut. Zumindest eine der drei Lichterketten. Die Lichterketten an den Stühlen an der Wand und auf dem Stierkopf haben wir hängen gelassen. Zum einen weil ich sie zu kompliziert verwickelt habe, aber auch, weil sie uns mittlerweile ganz gut als Raumbeleuchtung gefallen. Vor allem der Stier.

Die andere Beleuchtung war allerdings etwas missglückter. Jene Lichterkette war an der Gardinenstange im Wohnzimmer befestigt und wollte ihren Zweck irgendwie nie richtig erfüllen. Daher nahm ich sie ab.
Weil ich zu faul war mir eine Leiter zu holen, versuchte ich sie vom Boden aus abzulupfen, also mit Lupfbewegungen vom Gestänge abzukriegen. Ich hätte es vorhersehen können, dass das nicht funktioniert, ich hätte es vorhersehen können, dass ich die komplette vier Meter lange Gardinenstange samt Gardinen und Schrauben aus der Wand reisse.

Danach erst Mal lange spazieren gegangen.

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Viel Zeit in der Küche verbracht. Restgemüse zusammengeschnitten und in den Ofen geschoben. Außerdem habe ich eine Haferschleimsuppe zubereitet. Dieser Name. Ich suchte im Internet nach alternativen Namen, es geht sicherlich anders, als Nahrung mit Schleim in Verbindung zu bringen, aber andere Bezeichnungen als Haferbrei finde ich nicht und Haferbrei ist eigentlich doch wieder etwas anderes. Der Name sagt vermutlich etwas über die Menschen und ihre Beziehung zum Essen aus. Mehlschwitze. In Südtirol gibt es die Brennsuppe, das klingt auch nicht wesentlich besser. Sicherlich gibt es einen historischen Bezug zur Armut der Leute.
Läge Berlin Frankreich, hieße es bestimmt „Hafergold“ oder „Suppe aus dem lieblich sich windenden Loiretal“. Haferschleim. Das könnte eine Suppe aus einem BDSM-Keller sein.

[Tagebuchbloggen. Samstag, 10.4.2021]

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Ich stand auf, tat belanglose Dinge, dann war das Fussballspiel gegen Gladbach, dann tat ich belanglose Dinge und gleich ist Bettzeit.

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Eigentlich wollten wir diese neue Serie „Them“ sehen. Eine Horroserie über eine schwarze amerikanische Familie, die im Los Angeles der Nachkriegsjahre in eine weisse Nachbarschaft zieht und dort Horror erlebt. Anfangs denkt man, dass es schlichtweg um Nachbarschaftshorror mit einer sozialkritischen Nuance gehen wird, aber es kommt dann schon etwas klassisch Übersinnliches, das böse Dinge tut, ins Spiel.

Nach etwa 7 Minuten verfingen wir uns in eine Diskussion über den Film „Antebellum“, den wir bereits vor einigen Wochen gesehen hatten. Auch jener Film behandelt das Thema Hautfarbe und wir waren uns damals total uneinig.
Nach wenigen Minuten kam jenes Gesprächsthema wieder hoch und die steigenden Lautstärke unserer Stimmen verriet uns, dass wir das Thema offenbar noch nicht zu Ende besprochen hatten. Da wir von der Serie nichts mehr mitbekamen, war meine Frau so klug, auf den Pause-Knopf zu drücken.

Wir vertraten zwei sehr gegensätzliche Meinungen über die Auswirkungen des Films. Ich werde den Inhalt der Diskussion jetzt nicht im Detail wiedergeben, da es den Rahmen sprengen würde, aber die Essenz des Streitgespräches war, dass für mich der Film lediglich eine Art Jurassic Park mit rassistischem Thema war.
Der Plot des Films geht so: eine erfolgreiche, schwarze Frau wird entführt und findet sich auf einer Baumwollplantage, samt Herrenvolk, Konföderiertenflagge und Sklaven wieder. Am Ende schafft sie es zu flüchten und man erfährt, dass es ein privates Gelände von Rassisten in der Jetztzeit war.
Die Diskussion entflammte sich schon vor einigen Wochen an der Frage, ob es für mich schlimmer gewesen wäre, wenn sich dieses private Gelände in der Vergangenheit befunden hätte oder, dass es in der Jetztzeit angelegt ist. Für mich war es klar, dass es schlimmer gewesen wäre, wenn sie durch die Zeit in der Vergangenheit gelandet wäre. Weil sie dann nach der Flucht ja immer noch diese 180 Jahre vor sich gehabt hätte um sich am Rassismus abzuarbeiten bis dahin, wo wir heute sind. Das Problem ist ja längst noch nicht vorbei, aber es hat sich in den letzten fast zwei Jahrhunderten schon viel getan. Wenn sie in der Jetztzeit flüchtet, kann sie sich in der Gegenwart, mit allen Rechten, die sie als Frau und als Schwarze hat, an den Peinigern rächen.
Meine Frau fand es wesentlich deprimierender, dass diese Plantage in der Jetztzeit angesiedelt war und zwar, weil die Frau mit den daraus resultierenden Traumatas (es passieren sehr schlimme Dinge in dem Film) in der Jetztzeit leben muss und diese Selbstverständlichkeit, dieses selbstbestimmte Leben, das sie sich als schwarze Frau aufgebaut hat viel fragiler geworden ist und die kleinen, beiläufigen, alltäglichen Rassismen im Restaurant, an der Rezeption, beim Einsteigen in ein Taxi, ein ganz anderes Gewicht bekommen.

Im Laufe der nächsten Stunde erfahren wir wieder viel über die Fremd- und Eigenwahrnehmung unserer Hautfarben, aber vor allem auch über Geschlechter und das Selbstverständnis, mit dem wir durch das Leben gehen.
Nach einer Stunde sind wir wieder halbwegs versöhnt und drücken auf den Play-Knopf. Die Serie stand immer noch bei Minute sieben.

Mir gefiel die Serie nicht. Das lag aber mehr an der Unglaubwürdigkeit der Figuren.

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Später habe ich Dinge im Internet bestellt. Tastenkappen für meine mechanische Tastatur, AAA-Batterien, ein Ladegerät für AAA-Batterien, Pflaster, eine medizinische Schere, einen Akku für das Festnetztelefon, eine Pomade, die nach Holz und Patchouli riecht, ein Küchenthermometer, einen Omelettenwender und ein Schneidebrett aus Kunststoff.

[Tagebuchbloggen. Freitag, 9.4.2021]

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Ich habe gehört, dass für den 12.9. Wahlhelferinnen gesucht werden und diese Tätigkeit mit einer vorgezogenen Impfung belohnt wird. Das klingt für mich sehr verlockend. Ende Mai würde ich geimpft werden und im Tausch dagegen stehe ich dann einen Sonntag lang in irgendeinem Wahllokal in Berlin und mache Sachen. Rumstehen oder Zählen oder Kärtchen verteilen. Und es wird sicherlich irgendwas spannendes passieren. Alles im Dienste der Demokratie. Das mag ich total, ich bin weit davon entfernt, überfordert zu sein.

Der Tag fällt auf einen Sonntag. Das einzige Problem könnte sein, dass Hertha spielt, das würde mich sicherlich sehr ärgern. Da die meisten Spiele jedoch am Samstag stattfinden und am Sonntag nur zwei der insgesamt neun Partien, gibt es eine statistische Wahrscheinlichkeit, für die es sich zu hoffen lohnt.

Aber dann: Impfdränglung. Ich möchte kein Impfdrängler sein. Bin ich ein Impfdrängler? Warhscheinlich schon. Aber wenn es der Staat anbietet? Dann immer noch, aber ich kann das schlechte Gewissen auf den Staat abwälzen. Also melde ich mich an.

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Das Herumstehen in der Kälte ist mir gestern nicht gut bekommen. Ich bin sonst nicht anfällig für Kälte, aber gestern hat sich das offenbar anders auf mich ausgewirkt. Als ich nach Hause kam behielt ich den ganzen Abend lang eine kalte Nase. Ich probierte vieles, hielt lange meine Nase mit den Händen fest, setzte mich an den Heizkörper auf den Boden, bedeckte meine Nase mit dem Tshirtkragen und hauchte warme Luft in mein Tshirt hinein, aber es half alles nichts. Erst gegen elf Uhr, als ich einen Früchtetee trank, kam sie auf Temperatur zurück. Kalte Nase, Himmel. Kannste ja keinem erzählen.

Heute bin ich deshalb etwas kränklich. Ich wusste es nur lange nicht. Am Nachmittag bin ich quengelig und als ich merke, dass ich krank bin, beschließe ich Feierabend zu machen und schon geht es mir besser.

[Tagebuchbloggen. Donnerstag 8.4.2021]

Die Entlassung des Torwarttrainers bei Hertha BSC hat nun die Staatsebene erreicht. Die ungarische Regierung bestellt einen Vertreter der deutschen Botschaft in Budapest ein, da sie die Meinungsfreiheit in Deutschland gefährdet sieht. Der Satz ist so schön, man muss ihn wiederholen, damit man auf der Zunge großzügig den roten Teppich ausrollen kann. Ich mache es nochmal. Die ungarische Regierung bestellt einen Vertreter der deutschen Botschaft ein, da sie die Meinungsfreiheit in Deutschland gefährdet sieht.

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Eine Freundin war vor einigen Wochen unter etwas dramatischen Umständen ins Krankenhaus eingeliefert worden und so kam in unserer Telegram-Gruppe die Idee auf, ihr ein Krankengeschenk zu kaufen und ihr dann einmal gemeinsam zu überreichen.

Vor einiger Zeit erlebte ihre Familie einen Wohnungsbrand in dem so gut wie alles verloren ging. Gegenstände, Möbel, Instrumente, Fotos, Bücher. Auch ihre Hertha Trikotsammlung.
Weil sie uns oft Fotos schickte, auf denen sie als kleines Mädchen in einem weissen Hertha-Trikot mit ihren Stars posierte, machten wir uns auf die Suche nach genau jenem Trikot. Und wurden fündig.

Heute dann: eine von uns war mit ihr am Potsdamer Platz verabredet und wir anderen beiden warteten aufgeregt auf einer Parkbank im Tiergarten.

Wie sie dann so ahnungslos auf uns zukam und Sekunde um Sekunde verstand, was da gerade abging.

Wir hatten einander ohnehin ewig nicht mehr gesehen und so standen wir lange in der Kälte herum in einem Coronakreis. Coronakreis, das kann man ja so nennen, dieses seltsame kontaktlose Herumstehen im Freien im Kreis. Ich mag das mittlerweile.

[Tagebuchbloggen. Mittwoch, 7.4.2021]

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Heute bin ich sehr, sehr früh ins Büro gefahren. Das Problem mit dem früh ins Büro fahren ist, dass man dadurch nicht früher wieder aus dem Büro heraus kommt. Es heisst nur, dass man früher ins Büro gefahren ist.

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Am Abend bin ich auf einen alten, lustigen Text in meinem Blog gestossen, den ich schon vor mehr als zehn Jahren einmal auffrischen wollte, aber dann völlig vergessen habe. Er ist sehr schlampig dahingerotzt es ist aber eine ungemein gute Geschichte. Nein, ich verlinke den Text noch nicht. Ich schäme mich ein bisschen dafür, wie schlampig dahingerotzt er daliegt.

Überhaupt bin ich in letzter Zeit immer wieder auf einige alte Texte gestoßen. Indem ich auf Links klicke, die mein Statistiktool als aufgerufene Beiträge erfasst, gelange ich immer wieder auf Texte, die ich total vergessen hatte. Es sind einige gute Sachen dabei. Ich werde sie demnächst mal aufhübschen und in einer Playlist zusammenfassen. Vielleicht lese ich sie auch ein.

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Den ganzen Abend lang habe ich einen Megahunger. Da ich über Ostern vier Tage lang ein bisschen Bier getrunken und auch mehr gegessen habe als sonst, ist mein Appetit wieder zu seinem Sehnsuchtslevel von früher zurückgekehrt. Ich mag das englische Wort „craving“. Wenn ich in den Kühlschrank schaue, dann tut mein ganzer Körper craven, ich stelle mir dieses Craven so vor als kämen zahlreiche cravende Hände aus mir heraus und wollen nach dem Essen greifen um dieses cravende Loch in meiner Körpermitte zu stopfen.

To crave heisst auf deutsch Verlangen, Gier, Gelüste haben. Das geht auch. Verlangen vor allem, da sieht man ehesten Hände aus meinem willenlosen Körper ragen. To crave kommt mir visuell aber etwas besser hoch, vermutlich weil dieses „Raven“ drinsteckt und dieses Verlangen in mir etwas rabenartiges hat. Dunkel, bei scheinendem Licht aus dem Kühlschrank. So wie das, öhm, Raben eben tun.

[Tagebuchbloggen. Dienstag, 6.4.2021

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Der Torwarttrainer wurde nach seinen seltsamen Äußerungen über queere und eingewanderte Menschen konsequenterweise entlassen. Hertha hat nicht rumgeeiert, dass er doch fachlich gut sei etc, sondern ganz geradlinig gesagt, dass solche Aussagen nicht zum Verein passen, danke für die geleistete Arbeit, viel Glück.

Selten so viel Liebe für diesen Verein empfunden.

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Draussen schneite es. Und es regnete Eis. Und es schien die Sonne. Das änderte sich alle drei Minuten.
Die Leute, die heute im Büro waren, können nur englisch. Als wir aus dem Fenster schauten, versuchte ich „Der April tut was er will“ zu übersetzen. Das ist ohne Reim gar nicht lustig. Wusste ich gar nicht. Und als ich den Spruch dann auf deutsch anschaute, merkte ich: ist mit Reim eigentlich auch nicht lustig.

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Am Abend muss ich Steuerkram nachholen. Die Steuerberaterin hat noch eine Liste mit offenen Fragen. Während ich versuche, mich zu konzentrieren, reagiere ich auf jedes Pling von meinem Telefon. Wenn ich Steuern mache, bin ich sehr leicht abzulenken.

[Tagebuchbloggen. Montag, 5.4.2021]

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Am Morgen rief mich meine Schwester über Video an. Sie, ihre Kinder und die andere Schwester waren gerade bei unserer Mutter zum Osterbrunch.
Es war viel los, sie probierten Liköre, die meine Mutter angesetzt hatten und aßen Kuchen. Dann stellte man mich auf den Tisch, als wäre ich der siebte Gast am Tisch. Man musste mich manchmal drehen, wenn ich zur Nichte, die an meiner Rechten saß, etwas sagte. Schwierig war es nur, als sie alle gleichzeitig etwas fragten, dann wurde das Telefon hinundher gerissen. Da wurde mir etwas schwindlig. Es war sehr unterhaltsam.

Als ich auflegte, fiel mir auf, dass ich ja öfter mal meinen Vater anrufen wollte. Also tat ich das. Er befand sich gerade im Bus auf dem Weg zurück ins Dorf. Er war von meiner Schwester versetzt worden und hatte Geschenke für die Kinder dabei. Er war sehr gekränkt und sauer gleichzeitig. Ich sagte zu ihm, dass das sicherlich ein Missverständnis gewesen sein muss, zum einen, weil ich mir sicher war, dass sich keine böse Absicht dahinter versteckte, meine Schwester war schließlich nicht so und zum anderen konnte ich natürlich kaum sagen, dass sie gerade alle bei Mutter saßen und Spass hatten.
Wir plauderten ein wenig. Er war der einzige Passagier im Bus. Der Bus fährt dort etwa 20 Minuten durch eine Schlucht hinauf. Die Verbindung brach natürlich ständig ab. Das war vor vielen Jahren schon so und das ist immer noch so. Dieser Satz: ich bin im Eggental, die Verbindung wird gleich abbrechen. Drei oder vier mal.

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Ich verbringe mehrere Stunden in der Küche. Meine Frau ist gerade indisponiert. Ich backe Brot, bereite einen Salat für später zu, mache Ofenpaprika, koche eine Haferschleimsuppe mit Gemüse und räume auf.
Perfekt gegen Nackenschmerzen.

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Später am Nachmittag wird ein Interview unseres Torwarttrainers publiziert. Der Torwarttrainer ist Ungar und hat der großen, Orban-nahen Zeitung ein Interview gegeben. Ich meine nicht unseren Cheftrainer Pal, der auch Ungar ist, sondern den Torwarttrainer.
Er schwafelt viel über die Nation und sagt wörtlich „wir, als Vertreter der nationalen Seite“ und, dass Europa bei der Einwanderungspolitik moralisch tief abgesunken ist und er äußert Kritik über den ungarischen Nationaltorhüter, der die Fidesz Regierung wegen ihrer queerfendlichen Politik kritisiert. Es ist alles legal und nicht direkt diskriminierend, was er äußert. Seine Worte sind klug gewählt. Dass er ein großer Unterstützer der Orban-Politik ist, wird aber ganz offensichtlich, wobei er sich da auch rausreden könnte, wenn es drauf ankäme.

In allen Faninitiativen, Gruppen und meinem Twitterstream brennt es. Ich verfasse eine Mail an das Präsidium von Hertha BSC. Dass diese Aussagen nicht mit den Werten des Clubs vereinbar sind. Ich erhalte sofort eine Antwort aus dem Präsidium, dass man schon an dem Thema dran sei und man es sehr wichtig nehme. Es ist Ostermontag. Die Geschwindigkeit der Antwort beeindruckt mich. Eine offizielle Stellungnahme dazu soll es morgen geben.

Das Thema beschäftigt mich bis in die späten Abendstunden.

[Tagebuchbloggen. Sonntag, 4.4.2021]

Eigentlich wollten wir einen der Ostertage für den Osterputz reservieren, da es uns aber an Begeisterung fehlte, tasteten wir uns Tag für Tag an den Osterputz heran, hielten uns immer die Option des Putzens offen, aber fanden immer Gründe, es dann doch nicht zu tun. Der Hauptgrund war die Temperatur. Das Schöne an einem Osterputz ist ja das Fensterputzen. Also alle Fenster öffnen und die Wohnung durchpusten und dann Putzmittel an die Scheiben.
Nicht, dass ich je zu Ostern geputzt hätte, aber so kenne ich es noch aus meiner Kindheit. Was ich allerdings immer hasste: wenn meine Mutter den heimelig gewordenen Wintermuff durch nach Flieder riechendem Putzgestank ersetzte.

Bei uns sind es die Fenster. Wir wohnen jetzt 5 Jahre in dieser Wohnung. Wir sollten wirklich mal die Fenster putzen. Andererseits: warum eigentlich?

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Wir gehen spazieren. Die Parks und die Straßen sind leer. Es fühlt sich ein wenig nach Weihnachten an. War das zu Ostern immer schon so oder ist das coronabedingt? Coronabedingt. Auch so ein Wort.

Es ist Derbytag. Im Park sehe ich einen Mann mit seinem Sohn Fussball spielen. Er trägt eine Hertha Jacke. Wir sehen einander aus der Ferne. Nicken wissend.

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Es ist ein langsamer Tag. Um sechs Uhr beginnt das Spiel. Es endet 1:1. In der ersten Halbzeit hat meine Mannschaft eine halbe Stunde lang unsere Geniälität gezeigt um sich danach wieder den Schneid abkaufen zu lassen.
Das 1:1 lässt mich merkwürdig emotionslos zurück.
Nach dem Spiel schauen wir die Doku der Covid Station weiter.

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Danach bin ich noch kurz aus dem Haus, zur Apotheke mit Notdienst. Nix schlimmes.

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Mehr war irgendwie nicht.

[Tagebuchbloggen. Samstag, 3.4.2021]

Zum Frühstück schauten wie diese Doku vom RBB aus der Covid Station der Charite. Drei Folgen nur. Darüber, wie das Pflegepersonal in der Krise lebt. Darüber, wie die Leute wegsterben. Über Angehörige.
Zu Beginn musste ich das Frühstück weglegen. Diese große, junge Frau, die da auf dem Bauch liegt und künstlich beatmet wird. Wie sie da so hilflos liegt. Das war kein Film. Das war Realität und vielleicht 3 Kilometer Luftlinie von meinem Sofa entfernt.

Die Betten werden wieder voll. Es geht immer um Betten, Betten, Betten.

Das Telefonat der Pflegerin. Wenn sie den Angehörigen ankündigt, dass die Patientin heute sterben werde. Ob man sie begleiten möchte. Die Angehörigen die dann abwinken. Wie die beiden Pflegerinnen dann an dem Bett sitzen, die Hand der Patientin halten und die Herzlinie zum erliegen kommt. Boah, Kloss im Hals.

Gleich erging es mir eine Folge später. Bei der kleinen, dicken Frau mit dem Hoodie. Wie sie zuerst über ihre Mutter schimpft und danach Abschied nehmen muss.

Die Mutter ist längst nicht mehr da, sie wird nur noch beatmet. Der Arzt erklärt der Tochter, was passieren wird. Die Temperatur wird heruntergefahren, der Körper werde sich selbst überlassen, aber er versichterte ihr, dass ihre Mutter Mittel bekäme, damit sie nicht leide. Ihre Tochter geht raus, kommt wieder rein, geht raus, kommt wieder rein, fässt noch einmal die kalte, blaue Hand der Mutter an. Geht wieder.
Diese Hilflosigkeit der Gefühle.
Ich habe wieder diesen fetten Kloss im Hals. Ey, ich habe seit Jahren nicht mehr geweint, ich weiss nicht, was los ist.

Danach kommt das Pflegepersonal. Sitzt daneben. Die Kurve auf den Monitoren verflacht wieder. Einer geht zum Fenster und kippt es. Das machen sie offenbar immer. Damit die Seele raus kann. Der andere geht zur Maschine mit den hundert Knöpfen. Er schaltet sie alle einzeln aus. Buchdeckel zu. Das nächste bitte.

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Ja, das Sterben an sich hat nichts mit Corona zu tun. Dennoch: Während es sich bei den einen um Betten Betten Betten dreht, stehen die anderen in Stuttgart herum und brüllen, dass das alles ein Witz ist.

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Meine Frau möchte zum Ostkreuz spazieren. Bevor wir aus dem Haus gehen fragt sie, ob ich die Schlüssel und meine Hertha Sticker dabei habe.
Als sie das sagt, muss ich kurz innehalten. Dieses Bild. Die 47-jährige Professorin erinnert den 46-jährigen Manager an seine Herthasticker, damit er den Kiez vollkleben kann.
<3
Mich überfällt ein spontanes Knutschbedürfnis.

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Wir besuchen wieder den Eisladen. Nachdem ich gestern aufschrieb, dass sie immer das gleiche Eis nimmt und immer sehr glücklich dabei wirkt, während ich mit Experimenten meistens danebengreife, griff ich diesmal zu Altewährtem und Traditionellem: Straciatella und Vanille. Ja, war OK. Glücklich hat es mich aber nicht gemacht. Sie nahm hingegen eine warme, belgische Waffel mit Vanilleeis und Sahne. Das hätte mich auch gereizt, aber das wäre ja ein Experiment gewesen.
Sie wirkte sehr glücklich damit.

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Zuhause legten wir uns ins Bett und ich las Sarah Raich vor. Kurzgeschichten. Ich folge Sarah Raich auf Twitter, nachdem ihre Texte so gut besprochen wurden. Ich las drei Geschichten vor. Die Texte fingen mich aber nicht sonderlich. Zwar mag ich diese seltsame Belanglosigkeit. ZB die Geschichte mit der verlorenen Katze. Also eine Katze verschwindet, die Protagonistin macht sich auf die Suche nach ihr, es passiert dies und das, unter anderem besucht sie eine Nachbarsfrau die ein bisschen seltsam ist, die aber ihre Katze nicht hat, später ist sie dann wieder zuhause und dann kommt diese Nachbarsfrau zu ihr, die jetzt die Katze doch bei sich hat. Die Katze war wohl schon seit einigen Tagen bei ihr. Eigentlich ein gutes Setting für eine Kurzgeschichte. Es gibt ein paar schöne poetische Momente, wie dieser seltsame Moment, an dem die Katze zurückgegeben wird, die Unentschlossenheit der Nachbarsfrau bei diesem doch folgenschweren Entschluss.

Dennoch haben mich die Texte nicht eingefangen. Aber ich übersehe vermutlich etwas. Vielleicht war ich auch zu müde.

Meine Frau schlief nach dem ersten Absatz ein. Das sagt aber nichts über den Text aus. Sie schläft immer ein, wenn ich vorlese.

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Wir machen uns Pizza aus Tortillas. Schmeckt phantastisch.

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Danach schauen wir Harold and Maude. Ich habe tatsächlich noch nie Harold and Maud geschaut. Am Ende stirbt sie. Was ist denn los heute mit diesem Gesterbe? Kloss und Hals und wieder fucking feuchte Augen.

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Morgen ist Derby.

[Tagebuchbloggen. Freitag, 2.4.2021]

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Am Vormittag bei Kaffee und Muesli unterhalte ich mich mit ein paar Freundinnen in unserer Telegramgruppe über das richtige Gendern. Wir sind weitgehend der selben Meinung, diskutieren eher über Details. Dass das generische Maskulinum überholt ist, steht außer Frage. Nun ist die öffentliche Diskussion darüber, wie richtig gegendert werden soll, noch längst nicht abgeschlossen und sie wird sicherlich noch eine Weile andauern. Ich will mich aus der feingranularen Diskussion auch raushalten, als weißer Mann bin ich nicht von der Inklusion betroffen und will daher nicht über die korrekte Form mitreden. Ich kann alle Argumente pro Sternchen und contra Doppelpunkt bzw contra Binnen-I und pro Unterstrich nachvollziehen. Ich finde die Diskussion allerdings auch oft etwas zu verkopft und übervorsichtig. Natürlich ist Inklusion wichtig, aber dennoch will man am Ende die Sprache dahingehend ändern, dass sie praktikabel wird und eine allgemeine Akzeptanz findet.

Ich halte mich an den gefühlten Standard. Zur Zeit ist das der Doppelpunkt. Sollte ich das Gefühl haben, dass eine andere Form besser akzeptiert wird, werde ich meine Gewohnheit entsprechend ändern. Ich glaube, es geht bei Sprache immer um Akzeptanz oder auch um Authentizität. So entsteht Sprache.

Wobei ich bei der Anwendung des Doppelpunktes nicht sehr konsequent bin. Ich bevorzuge in der Regel das weibliche Generikum. Ich weiss, das ist nicht inklusiv genug, aber das weibliche Generikum kommt mit einer Wucht daher, der ich meist nicht widerstehen kann. Das weibliche Generikum sieht man im Textbild nicht kommen, weil es sich versteckt, anders als Sternchen oder Doppelpunkte, und es haut uns raus, es zwingt uns über Geschlechterrollen nachzudenken und sie zu hinterfragen. Das mag ich.

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Auf einem langen Spaziergang kaufen wir uns ein Eis. Sie nimmt Straciatella und Pistazie. Ich bestelle etwas Experimentelles, das mir nicht schmeckt.
Eigentlich ist das immer so bei uns. Sie nimmt immer das Gleiche und ist glücklich damit und ich kaufe immer etwas Unbekanntes und bin 95% der Zeit enttäuscht. Andererseits: wenn ich mal einen Treffer lande. Dann rede ich noch Wochen später darüber.

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Es ist Karfreitag. Ich habe das Bedürfnis Fleisch zu essen und Blasphemie zu sprechen. Vermutlich ist mir das Thema „Letztes Abendmahl“ zu Kopf gestiegen und das ganze Thema Christentum breitet sich in mir aus. Wir haben aber so gut wie nie Fleisch im Haus, wir essen eher selten Fleisch. Manchmal hat meine Frau ein bisschen Schinken, aber ich mag Schinken nicht besonders. Warum sollte es am Karfreitag also anders sein, ich hätte mich besser vorbereiten sollen. Eine fette Salami würde heute passen.

Ich habe auch versucht, die Zeitfolge des letzten Abendmahles nachzurechnen. Das kann zeitlich nicht stimmen. Wenn Jesus am Donnerstag das letzte Abendmahl zu sich nahm und am nächsten Morgen verhaftet wurde, dann den Prozess bekam, verurteilt wurde und dann das Kreuz die ganze via Dolorosa zum Kalvariusberg hinaufschleppen musste um dort ans Kreuz gehangen zu werden. Das sind mir ein paar zu viele Ereignisse an einem einzigen Tag. Ja, es kann natürlich auch ein richtiger Kacktag gewesen sein, wir kennen alle diese Kacktage, an denen wirklich alles zusammenkommt, aber Kreuzigungen sind ja bekannt dafür, dass sie dem Tod ein langes Leiden voransetzen und mit langem Leiden sind üblicherweise Tage gemeint und nicht wenige Stunden, auch wenn die Dornenkrone und die Essigwunde den Prozess sicherlich beschleunigt habe könnten. Aber alles an einem Tag? Das finde ich eher unwahrscheinlich.

Ja, ich könnte das alles googlen, ich bin sicherlich nicht der erste, der diese Kacktag-Theorie etwas seltsam findet.

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Am Abend wollen wir einen Film schauen. Es ist Karfreitag, ich schlage vor, einen Jesusfilm zu schauen. Meine Frau verdreht die Augen. Ich google „die 10 besten Jesusfilme“. Es kommen zahlreiche Listen mit den besten Jesusfilmen. Peinlicherweise auch „Osterauswahl – die besten Filme über Jesus“. Ich bin offenbar nicht der erste, der sich zu Ostern Gedanken über Jesus macht. Ich fühle mich sehr durch Vorhersehbarkeit enttarnt.

Deswegen schauen wir den Film über Harriet Tubman, die Frau, die 1849 aus der Sklaverei entfloh und danach über elf Jahre hinweg 70 Menschen aus der Sklaverei befreite. Eine beeindruckende Geschichte.