[So, 2.6.2024 – Hugleikur]

Am späten Nachmittag fuhren wir zu Hugleikur Dagsson ins Oblomov in Neukölln. In der Einladung wurde mehrmals erwähnt, dass die Veranstaltung um Punkt 18:30 Uhr beginnen wird. Das kommt mir sehr entgegen. Nichts ist schlimmer als dieses ewige Gewarte bei Bands oder Stars. Zuerst kommt meist ohnehin die Vorband oder ein Vor-Act und dann wird wieder gewartet, und dann kommt der Soundcheck und dann wird wieder gewartet. Auch 18:30 finde ich eine super Zeit. Dann kann man nachher noch etwas trinken. Denn wenn man vorher trinkt, wird man ohnehin nur müde und unaufmerksam.

Erstaunlich fand ich die Grösse des Raumes bzw, wie klein diese Grösse war. Die Show fand in einem kleinen Nebenraum der Kneipe statt, es standen etwa 30 Stühle, es gab keine Bühne, sondern nur einen Freiraum vor der ersten Reihe, mit einem Mikro und im Eck hing ein kleines Mischpult. Unter solchen Umständen trat ich vor zehn Jahren auf, als ich noch öfter auf Lesebühnen meine Texte vortrug. Zwar mag ich solche Kulissen gerne, aber für einen Mann, der in Island ein Star ist und 100.000 Follower auf Insta hat, fand ich es doch ein bisschen unglamourös. Gut, seine Stärke sind die Zeichnungen, Comedy ist eher seine Nebenkompetenz und in Deutschland ist er nicht sehr bekannt. Andererseits erwähnte er gestern, dass er zu 40% in Berlin wohnt, ich hätte angenommen, dass der Wohnort auf die lokale Popularität abfärbt. Andererseits wohnte ich in Mitte fünf Jahre lang neben einem kroatischen Popstar von dem niemand in Berlin wusste, dass sie ein Popstar ist. Wir hatten uns mit dem jungen Paar in der Nachbarwohnung angefreundet und gingen manchmal gemeinsam aus. Irgendwann erzählte uns die Frau, dass sie in Koratien sehr berühmt sei, sie deswegen auch lieber in Berlin wohne, wo niemand sie kenne und sie ein normales Leben führen könne. Als ich sie googelte gab es hunderte Videos von ihr, wie sie sich mit einer Windmaschine vor einem Sonnenunteruntergang räkelte und Liebesbeweise ins Mikro hauchte. Zu jenem Zeitpunkt hatte sie aber bereits mit ihrer Popkarriere gebrochen. Sie macht jetzt Jazz und findet ihr früheres Werk peinlich. Das konnte ich gut verstehen. Von ihrem Jazz-Werk kann sie allerdings nicht leben. Weil ihre Zeit als Popkünstlerin aber noch so viel Geld reinbringt, muss sie sich nicht um das Einkommen sorgen.

Was das genau mit Hugleikur Dagsson zu tun hat, weiss ich aber auch nicht. Er ist schliesslich auch ausserhalb Islands bekannt. Island hat 400.000 Einwohner, zu den 100.000 Followern gehören sicherlich nicht ein Viertel der Einwohner.

Nach der Show tranken meine Frau und ich ein Bier am Tresen. Auch Hugleikur sass im Barraum mit ein paar Freunden. Als wir gingen, sagte ich im Vorbeigehen Thankyou zu ihm und erzählte, dass wir seit 11 Jahren Fans seiner Comics sind. Elf Jahre. Ich hatte die Jahre erst vor kurzem nachgezählt. Er gab sich sichtlich erfreut.

[Sa, 1.6.2024 – Lamour, Kuhweide, Bozner Sauce]

Mein Schwager war zu Besuch und so war ich etwas eingespannt. Und ich musste im Ehebett schlafen, wo ich allgemein nicht mehr sehr gut schlafen kann. Zu allem Überfluss plagte mich der Partyschlager „L’Amour toujours“ in seiner rassistischen Variante. Seit hellhäutige Strickpulloverübermenschen das Lied auf Sylt sangen, wurde mir das Lied ein paar Mal zu oft in die Timeline gespült. Es ist ein grauenhafter Ohrwurm. So lag ich zwei Nächte im Bett und spulte fünf Akkorde mit rassistischen Parolen vor dem inneren Ohr ab. Ich war hilflos. Das muss man ja irgendwie umdichten können. Aber dazu war ich nicht in der Lage.

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Am Freitag war ich mit meinem Braufreund in Brandenburg. Genauer gesagt in der Märkischen Schweiz, beim Vorder- sowie Hintersee nahe Trebnitz. Die Gegend ist nicht ganz so stark bewaldet, was ich durchaus mag. Wir liefen zuerst an Getreidefeldern entlang. Nach einiger Zeit wollten wir wissen, um welche Getreidesorte es sich dabei handelt. Ich schmiss Google Lens an, das mir verriet, dass wir uns am Rande eines Gerstenfeldes befanden. Ein Gerstenfeld. Das fanden wir beide Hobbybrauer natürlich lustig, auf eine fast religiöse Art lustig. Sofort fühlte ich mich wohl.

Dann liefen wir an einer Kuhweide entlang. Meine Hündin kennt keine Kühe. Was für mich, als ehemaligen Kuhhirten etwas ungewöhnlich ist. Ich war gespannt, ob wir Kühe sehen würden und wie sie darauf reagieren würde. Aber wir erblickten keine. Allerdings spazierte sie hinterm Zaun auf der Weide neben uns her.

Und dann passierte es.

Sie sah einen frischen Kuhfladen, roch daran, und – wälzte sich darin. Da sie sich auf der anderen Seite des elektrischen Zauns befand, konnte ich ihr nur entsetzt zubrüllen, aber in dieser Situation war sie nicht abrufbar. Sie wälzte sich genüsslich in der frischen Kuhscheisse. Als sie nach einer Weile genug Scheisse in ihr Fell aufgesogen hatte, beschloss sie, meinem Ruf zu folgen, und kam befriedigt zu mir, wo sie sich einmal kräftig schüttelte. Mein Freund und ich sprangen zur Seite.

Glücklicherweise befanden wir uns am Anfang unserer Wanderung, vielleicht ergäbe sich eine Gelegenheit, die wasserscheue Hündin in einem der Seen zu waschen, oder vielleicht würde sie sich im Gras trockenwälzen, oder wohlwissend, dass es so etwas wie Trockenwälzung nicht wirklich gibt, fiele mir auf der Wanderung vielleicht eine andere gescheite Lösung ein. Dermassen schmutzig und stinkend konnten wir sie kaum im Auto zurück nach Berlin transportieren.

Es ergab sich dann tatsächlich, dass es am grösseren, sogenannten Haussee ein paar flache Einstiegsmöglichkeiten gab. Ich zog meine Schuhe aus und ging bis zu den Knien ins Wasser. Von dort aus lockte ich die Hündin mit billigen Triggern (Wasser spritzen, Stöcke werfen). Sie japste mindestens zehn Minuten lang am Ufer, weil sie unbedingt die Stöcke holen wollte, sich aber nicht ins Wasser traute, aber irgendwann stand sie vor lauter Aufregung mit den Vorderpfoten im Wasser. Und dann mochte sie es. So geht das immer. Im Wasser konnte ich sie dann einigermassen waschen. Zwar roch sie nachher immer noch nach Kuhweide, aber die braune Masse war immerhin weg.

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Heute machten wir uns anderthalb Kilo Spargel. Das ist gar nicht so viel, wie man vermuten würde. Um das ganze etwas aufzupeppen, beschloss ich Bozner Sauce zuzubereiten. Ich dachte, das sei vielleicht nett, weil ich ja in Bozen geboren wurde und ich kenne Bozner Sauce eigentlich nur aus meiner Jugend, danach ass ich das nie mehr. Da ich wusste, dass ich Eier brauchte, fischte ich alle verfügbaren Eier (6 Stück) aus dem Kühlschrank und kochte sie. Nachdem ich sie abgekühlt hatte, las ich das Rezept. Es hätten zwei Eier gereicht. Und zu zwei Eiern nimmt man 150 ML Öl. Bei 6 Eiern hätte ich also fast einen halben Liter Öl verwenden müssen. Das fand ich übertrieben. Also machte ich die Sauce wiesiewiesie mir gefällt. Als Bozner kann ich Bozner Sauce schliesslich zubereiten, wie es mir passt. Ich zerdrückte die sechs Eier und rührte etwas Olivenöl und Essig mit ein, streute etwas Brühepulver und Schnittlauch drüber. Das schmeckte auch prima.

[Do, 30.5.2024 – Texte, die lange Auszeit]

Heute begann ich wieder mit der Arbeit an der Hausbesetzernovelle. Ich will meine Auszeit dazu nutzen, diese Geschichte fertigzustellen und als E-Book zu veröffentlichen. Vor allem das letzte Viertel erfordert mehr Arbeit, das letzte Viertel wirkt, als hätte ich die Geschichte so schnell wie möglich beenden wollen.

In den letzten anderthalb Jahren habe ich drei Texte begonnen, die mit etwas Zeit und Arbeit zu langen Prosatexten, also Novellen oder Romanen, oder mindestens zu sehr langen Kurzgeschichten ausgearbeitet werden könnten. Sollten. Müssten.
Während ich einer regulären Arbeit nachgehe, fange ich gerne an, lange Texte zu entwerfen, ich schreibe Eröffnungstexte, manchmal das erste oder die ersten beiden Kapitel, um ein Gefühl für Figuren und Setting zu bekommen. Manchmal merke ich, dass ein Text gut funktioniert, und gut unter meinen Fingern wegflutscht, dann bleibe ich eine Weile dran. Weil ich aber weiss, dass ein richtig langer Text weniger aus dem flutschenden Moment besteht, sondern vor allem Lesen, korrigieren, erneut lesen und erneut ausbessern und ständiges Ausmisten bedeutet, verschiebe ich die richtige Arbeit immer auf den Schwedenurlaub, an dem ich viel Zeit zum Schreiben habe. Wenn ich in Schweden bin, hacke ich aber lieber Holz oder ich mähe Uferstellen.

Die momentane Auszeit bietet sich aber förmlich an.

Bezüglich meiner Auszeit: Ich habe noch nicht mit der Suche nach einem neuen Job begonnen. Zwar hat mein Headhunter bereits etwas für mich gefunden, möglicherweise werde ich nächste oder übernächste Woche ein Vorstellungsgespräch führen, aber selber bin ich noch nicht aktiv geworden. Schliesslich werde ich ab Mitte Juni erst mal zum Polarkreis fahren und den ganzen Juli werde ich in Schweden verbringen. Ich würde nicht vor August anfangen können. So hänge ich gerade motivatorisch etwas im Vakuum. Ich verbringe Zeit mit der Hündin und führe ein sehr sorgenfreies Leben, mit der Gewissheit, dass ich mich bis Ende März nächsten Jahres nicht um finanzielle Einbussen sorgen muss. Nach den vielen stressigen Jahren empfinde ich das gerade als wohltuend.

Andererseits liegen die Stellen im höheren Management nicht auf der Strasse herum, es kann auch sehr lange dauern, bis ich etwas Adäquates finde. Ich bin schliesslich nicht mehr der schnittige junge Typ mit Mitte dreissig, sondern ich trage einen grauen Bart und werde nächstes Jahr fünfzig. Aber natürlich wird oft genau das gesucht. Also nicht ein Typ mit Bauch und Bart, sonder die darin liegende Erfahrung. Es kann auch schnell gehen.

[Mi, 29.5.2024 – Dialog, Einbürgerung, Elternbeziehungen]

Wie immer, wenn man mit einer läufigen Hündin unterwegs ist und sich ein Kontakt nicht vermeiden lässt, frage ich die Frage:

Ich: Ist er unkastriert?
Er: Ja.
(Wir beobachten die Hunde, es passiert aber nicht viel)
Ich: Er scheint sich aber nicht für sie zu interessieren.
Er: Ja. Sein Ding sind eher unkastrierte Rüden.
Ich: Unkastrierte?
Er: Ja.
Ich: Lustig.
Er: Ja finde ich auch.
(wir lachen)
Ich: So ist das halt manchmal.
Er: Genau.
Ich: Schwulsein kommt in der Natur ja viel vor.
Er: Hunde waren schon schwul, bevor es modern wurde.
Ich: Ja stimmt.
Er: Ja total.
Ich: Dass er auf Unkastrierte steht, ist aber noch mal ein sehr spezieller Kink.
Er: Ja total.
(Wir schauen belustigt)
Ich: OK, wir gehen frühstücken.
Er: Ja, wir auch. Tschüss.

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Ich habe jetzt einen Termin für den Einbürgerungstest. Er findet Ende September statt. In Angermünde. Das sind 1 Stunde und 14 Minuten Autofahrt. Es hätte einen weiteren Termin ein paar Tage früher gegeben, für jenen Test hätte ich aber nach Senftenberg fahren müssen. Das sind ganze zwei Autostunden. Dann lieber Angermünde.
Dieses Land will mich nicht.

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Später treffe ich das Frauchen von Wallace. Wallace ist ein unkastrierter Rüde, der sehr seinen Hormonen erlegen ist. Das ist bei ihm dermassen stark ausgeprägt, dass das Frauchen ihn zu gewissen Jahreszeiten konsequent an der Leine hält, weil er wie verzaubert irgendwelchen Weibchengerüchen hinterherläuft. So auch heute.
Als wir uns nähern, gebe ich ihr zu verstehen, dass meine Hündin läufig ist, ich schlage ihr aber vor, die beiden zu testen. Vor allem, damit ich weiss, wie sehr sich unkastrierte Rüden noch für sie interessieren. Wallace ist natürlich sofort interessiert und steckt seine Schnauze in ihre Vulva. Meine Hündin knurrt ihn aber weg und er hält sich fortan auf Abstand.
Die Halterin ist erstaunt und auch ein bisschen stolz. Sie sagt, sie würden das gut üben. Wir quatschen ein bisschen hin und her und dann beschliessen wir, ein Stück gemeinsam zu laufen. Sie möchte nämlich mit ihm üben, dass er entspannt und folgsam neben einem läufigen Weibchen laufen kann. Der Spaziergang funktioniert einwandfrei.

Ich erzähle von meiner geplanten Reise mit meinem Vater. Dass wir Mitte/Ende Juni mit dem Auto zum Polarkreis und zum Nordkap fahren. Ich erzähle ein bisschen über meinem Vater und meine wenig existierende Beziehung zu ihm. Sie ist unerwartet begeistert von diesem Plan, sie sagt, das soll ich unbedingt tun. Sie fragt mich auch, ob ich Tagebuch führe, ich sage „ja ich schreibe Tagebuch“. Das findet sie super und wichtig für diese Reise, damit ich das später auch alles reflektieren kann. Ich erwähne nicht, dass das dieses Tagebuch im Internet stattfindet.

Daraufhin erzählt sie mir von ihrem Vater und ihrer Mutter. Zu denen sie vor 5 Jahren den Kontakt abgebrochen hat. Wie sie eigentlich immer beschimpft oder beleidigt wurde. Ihre Mutter eröffnete ihr, dass sie gar nicht mehr schwanger hatte werden wollen, als sie in ihrem Bauch war. Ihr älterer Bruder wurde geliebt und sie wurde beschimpft. Verstanden hat sie das nie. Beschimpft und beleidigt zu werden empfand sie als normal. Seit sie den Kontakt abgebrochen hat, geht es ihr besser.
Ihr Vater rief sie vor zwei Jahren einmal an und beleidigte sie nach zwei Sätzen. Sie fragte ihn, ob er besoffen sei. Dann legte sie auf.

[Di, 28.5.2024 – Podcast, Hündin]

Tagsüber war ein Fanclubfreund bei mir zu Besuch. Er hostet einen englischsprachigen Hertha Podcast und möchte das Ganze auf eine andere technische Basis umziehen. Ich wusste gar nicht, dass ich mich mittlerweile recht gut mit Podcasttechnik auskenne, und das offenbar auch andere Leute denken. Aber auf eine gewisse Weise stimmt das wohl auch.

Mein Freund hat Angst vor Hunden, daher treffen wir uns zuerst ausserhalb des Hauses, damit sich die Situation weniger konfrontativ ergibt. Es läuft natürlich völlig entspannt ab. Er würde auch gerne seine kleine Tochter, die sich auch vor Hunden fürchtet, an Hunden heranführen. Das ist ein gutes Unterfangen, Kinder sollte früh Angst verlieren. Angst ist die Pest. Deswegen werden wir uns in nächster Zeit einmal für einen Spaziergang treffen.

Die Hündin ist gerade läufig. Sie befindet sich mitten in den Stehtagen. Das ist der Höhepunkt der Fruchtbarkeit und in ihr machen die Hormone Ballermann. Es ist anstrengend für sie. Sie will sich nicht bewegen, gleichzeitig hechelt sie aber vor Anstrengung, ausserdem hat sie mehrmals am Tag Anflüge von Rastlosigkeit, in denen sie ihr Bettchen rammelt. Sie verwendet ihr Bettchen wie einen Sexualpartner, beisst sich oben fest und rammelt unten. Das machen nicht alle Hunde so. Sie aber schon. Ich weiss nicht, ob alle Rüden sich damit anfreunden könnten.
Das dauert eine halbe Stunde. Danach liegt sie wieder faul herum.

[Mo, 27.5.2024 – Fil, Richmond, Hugleikur]

Ausserdem brachte ich zwei Tüten Filmjölk mit nach Berlin. Filmjölk oder Fil kann man in manchen Biomärkten unter dem Namen Schwedenmilch kaufen. Fil ist fermentierte Milch, also eine Art Joghurt, es hat auch die Konsistenz von Joghurt, schmeckt aber eher wie Kefir. Während ich Joghurt lieber mit etwas Zucker oder Sucralose süsse, schmeckt mir Fil gerade wegen der Säuerlichkeit und füge ihm nichts weiteres hinzu. Ausser den obligatorischen Haferflocken natürlich.

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Ich ging heute schon wieder zum Frisursalon. Die Friseurin liess mir letztes Mal die Haare oben zu lang, das sieht bei mir schnell schlecht aus. Wenn das Haar oben zu lang ist, wellt es sich zu einer Beethovenfrisur auf. Diesmal liess ich sie ordentlich kürzen. Mit dem Ergebnis bin ich allerdings nur mittelmässig zufrieden.

Meine Frau sagt immer „Richmond-Richmond“, wenn mir meine Haare vorne ponymässig über die Stirn hängen. Sie bezieht sich dabei auf den AFC Richmond aus Ted Lasso. Der kurze Mittelscheitel oder die kurzen Stirnfransen sind Frisuren von englischen Fussballfans aus den Achtzigern. Der Ausruf „Richmond-Richmond“ ist dann als diskrete Warnung an mich gemeint, wenn wir irgendwo im Restaurant oder in der Öffentlichkeit sitzen.
Heute kam ich vom Frisurtermin nach Hause und sie sagte „Richmond-Richmond“. Tja. Sie hat schon recht. Mit Pomade bekomme ich zwar die Stirnfransen weg, aber im Gesamtergebnis sieht es dennoch nach „Richmond-Richmond“ aus. Jetzt weiss ich auch nicht.

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Ich kaufte Karten für Hugleikur Dagsson am 2. Juni in Neukölln. Auf unserer Islandreise in 2013 wurden wir regelmässig auf ungewöhnliche Comics aufmerksam. Am prominentesten war vielleicht das Motiv eines Strichmännchens mit der Überschrift „I hate dolphins“. Das machte etwas mit uns beiden. Es gab Postkarten davon, kleine Bücher und auch T-Shirts. Wir fanden die Comics in der Bücherei, in mehreren Cafes und auch in Kneipen sowie im Hotel. Die Comics sind nicht viel mehr als bessere Strichmännchen. Die Witze durchgängig beleidigend, destruktiv oder geschmacklos. Meist alles gleichzeitig. Wir waren auf Anhieb Fans und kauften gleich zwei Bücher. Der Zeichner heisst Hugleikur Dagsson. In Island ist er ein Star.

[Sa,25.5.2024 – Verwahrlosung, Zurück]

Seit ich so viel Zeit im Wald verbringe, kommt Verständnis für Rednecks in mir auf. Nach zwei Tagen im Wald habe ich Kratzer an Beinen und Händen, ich trage weite und schmutzige T-Shirts, mein Bart und meine Haare verstruppen, ich laufe in Gummistiefeln oder Croqs herum und trage nur noch selten eine Hose. Zwar trage ich eine Unterhose, aber eben keine Hose mehr drüber. Das liegt zum einen daran, dass mir an den Beinen schnell warm wird und zum anderen liegt es daran, dass ich es kann. Ausser meinem Hund und meiner Frau sieht mich dort niemand. Mit Ausnahme dem ehemaligen Pächter, der hinterm Haus seine Honigbienen hält oder Max. Aber die kündigen sich meistens vorher an oder man hört sie schon zwei Minuten vorher am Autogeräusch, das sich nähert.
Ganz selten kreuzen nichts ahnende Wanderer unsere Pfade. Letztes Jahr spazierte ein älteres Ehepaar mit zwei Bordercollies durch unseren Wald oder letzte Woche fuhr beispielsweise ein junger Mann auf dem Fahrrad bei uns vorbei. Als er uns sah, entschuldigte er sich schnell und drehte sofort um. Zwei Minuten später sahen wir ihn hinterm Spukhaus die Strasse hochradeln. Wahrscheinlich ist der Weg über unser Haus eine Abkürzung für ihn, die er in den kühleren Monaten benutzt, wenn niemand da ist. Oder in 2018 diese Joggerin mit den Bauchmuskeln, die aus dem Nichts auftauchte.

Gestern lief ich komplett nackt über die Wiese vorm Haus. Ich lag schon im Bett, dann fiel mir ein, dass ich das Ladegerät im Auto vergessen hatte, also musste ich noch einmal raus. Nackt und nur mit Gummistiefeln über eine Wiese zu laufen ist ein nicht alltägliches Gefühl. Es war elf Uhr abends, da ist es draussen zwar noch hell, aber auch unwahrscheinlich, dass eine Joggerin mit Bauchmuskeln vorbeirennt.

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Die Fahrt ging gut. Nichts Besonderes darüber zu berichten.

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Zurück in Berlin hat jemand meine Herthasticker mir Unionstickern überklebt. Ich werde meine Hunderunde morgen zeitlich um eine Stunde vorziehen, um die Strasse zu säubern.

[Fr, 24.5.2024 – gelbweiss, rotweiss]

Später fuhren wir zu Max, um seine Downhill Fahrradbahn zu besichtigen.

Max wohnt etwa 15 Minuten von uns entfernt in einem kleinen Häuschen an einem Hang. Zu ihm zu gelangen ist sehr verwirrend, man fährt einen Hang hoch, findet sich dann plötzlich in einem Tal wieder und fährt eigentlich immer durch lange Schotterstrassen im Wald in die Richtung, aus der man eigentlich gekommen ist. Ich verliere selten die Orientierung, zumindest habe ich immer eine ungefähre Ahnung, wo ich mich befinde. Jetzt bin ich aber das zweite Mal bei ihm, aber ich habe immer noch nicht ganz verstanden, wo das ist. Googlemaps navigiert uns aber zuverlässig hin. Auf der Karte erschliesst sich mir die Struktur der Täler und Hügel aber nicht.

Nun.

Max wohnt mittlerweile fast alleine dort auf dem Hang. Er ist Anfang vierzig und ist ein sportlicher, gut aussehender Mann. Es befinden sich dort mehrere Gebäude. Drei kleinere rotweisse Häuser und ein grösseres gelbweisses Holzhaus, zu dem ein Stall und eine Scheune gehört. Etwas weiter unten steht noch eine verfallene Hütte. Nur Max wohnt dort permanent. Eines der Häuser steht leer und das andere ist ein Wochenendhaus eines Mannes aus Länghem.
Etwa ein Kilometer vorher gibt es einen grösseren Bauernhof, über dessen Gelände man fahren muss, um zu Max zu kommen. Wir trafen den jungen Bauern, der uns mit einem Bagger entgegenkam und freundlich grüsste. Er wusste offenbar, wer wir sind. Max hatte eine Stunde vorher mit ihm ein Entwässerungsrohr neben der Strasse entstopft, als er von uns erzählte.
Der Vater des Bauern heisst Bertil. Dieser Bertil ist schon ein alter Mann, aber er geht jeden Abend hinauf zu Max, weil er von Max Jägermeister bekommt.
Der Mann aus Länghem, der das Haus nebenan an Wochenenden benutzt, trinkt auch viel. Der kommt immer freitags an und trinkt bis Sonntag. Der Mann trinkt aber immer alleine. Er hat Frau und Kind in Länghem. Die kommen allerdings nie mit.

Das gelbweisse Haus gehört seinem Vermieter und Kumpel. Sein Kumpel heisst auch Bertil. Dieser interessiert sich aber nicht für das Haus, sondern nur für den Wald. Er hat es Max erlaubt, diese Downhill Bahn durch den Wald zu bauen und auch damit Geld zu verdienen. Bertil wird das gelbweisse Haus samt dem rotweissen Haus, das Max jetzt bewohnt, an ihn verkaufen. Wenn Max die Downhill Bahn fertig gebaut hat, möchte er das kleine Haus an Besuchern und Benutzern der Bahn vermieten. Am unteren Ende der Bahn möchte er auch eine Ess- und Trinkmöglichkeit schaffen, aber er weiss, dass das noch ein langer Weg ist. Zuerst will er die Bahn bauen.
Er zeigt sie uns. Wir laufen die Bahn einmal zu Fuss ab. Sie führt fast einen Kilometer durch den Wald. Er hat sie schon zu einem Drittel aufwendig mit Sand, Erde, Beton und Kies zu einem Parcours mit Sprungschanzen und scharfen Kurven ausgebaut. Die letzten beiden Drittel hat er erst mit einem kleinen Bagger und einer Schubkarre geräumt und vorbereitet. Es wird sicherlich noch ein Jahr dauern, bis sie fertig ist. Er stand den ganzen Winter im Wald bei Minus 15 Grad und bewegte Erde. Das wird er im nächsten Winter auch so tun.

Er zeigt uns auch das grosse, leer stehende gelbweisse Bauernhaus, in das er ziehen wird. Es hat auf der Unterseite einen Anbau mit vielen grossen Fenstern und einer fantastischen Aussicht über das Tal. Man kann es sich gut vorstellen, dort morgens zu sitzen und den ersten Kaffee zu trinken. Danach gehen wir in sein Haus, wo er Kaffee und mit Schokolade überzogenen Haferkekse auftischt.

Am Abend packten wir. Morgen werden wir erst mal nach Berlin fahren. Mitte Juni komme ich wieder zurück.

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Die Hündin mag die Nachbarn nicht.

[Do, 23.5.2024 – Ufer, Prüfung, Spökhus, Horrorfilm]

Es kamen die Ergebnisse der Sprachprüfung. Ich habe bestanden. Mit „sehr gut“ für die Module lesen, schreiben und sprechen, aber nur „gut“ für das Modul „hören“, immerhin besser als erwartet, bei hören hätte genau so gut eine „0“ sein können, weil ich mich äusserst unkonzentriert an die Aufgaben dieses Moduls gesetzt hatte.
Jetzt kann ich mich mit dem Deutschnachweis an die Einbürgerung begeben. Leider gibt es immer noch keine Termine.

Wir malerten noch den kleinen Flur im Obergeschoss, vorher beschlossen wir aber, mit Abschluss des Obergeschosses die Malertätigkeiten für diese Woche zu beenden.

Am Nachmittag ging ich mit der Hündin hinunter zum Fluss, um die Badestellen freizumähen. Es ist besser, dies vor dem Sommer zu tun, damit die Stellen nicht zu sehr verstruppen. Diesmal suchte ich noch zwei weitere Stellen am Fluss aus. Meine Schwiegermutter erzählte mir, dass sie als Kind immer ein Stück flussabwärts in den Fluss sprangen. Hinter einer Kurve bei einer grossen Erle gab es damals eine Sandbank und nur wenig Strömung. Diese Stelle wollte ich mir heute ansehen, im Juli wird das Gras und das Gestrüpp dort bereits zu hoch und dicht sein. Aber Ende Mai komme ich mit meinem kleinen Rasentrimmer noch einigermassen durch. Es ist eine schöne Stelle mit einem Baum. Die Strömung ist dort weniger stark. Von der Sandbank ist nach den Jahrzehnten natürlich nichts mehr übrig, aber der Einstieg ins Wasser ist flacher als an vielen anderen Stellen. Dort kann ich im Juli vielleicht den Steg bauen.
Die Hündin liebt es, wenn ich dort am Ufer beschäftigt mit. Ich weiss nicht, was sie sich dabei denkt, aber sie tut so als würde sie mich unterstützen. Meistens steht sie mir aber im Weg.

Sie erhebt dieses Jahr ausserdem stärkere territoriale Ansprüche. In 200 Metern Entfernung und in direkter Sichtweite gibt es ein verlassenes rotweisses Holzhaus. Das Haus hiess schon zu Jugendzeiten meiner Schwiegermutter „Spökhus“, also Spukhaus, weil nie jemand darin wohnte. Das Haus wurde in den Neunzigerjahren von einem Mann aus dem nahen Dorf gekauft, der es für seine Tochter renovierte. Seine Tochter interessierte sich jedoch nie für das Haus. Irgendwann in den Nullerjahren wurde das Haus einem Finnen verkauft, der das Haus mutmasslich aber nur als schwedische Adresse verwendete. Zwei Sommer lang vermietete der Finne die Wiese vor dem Spökhus als Auslauf für Pferde. Aber nach zwei Sommern war das auch wieder vorbei. Das Spukhaus blieb also weiterhin ein Spukhaus.

Dieses Jahr sehen wir aber täglich Betrieb. Schon früh am Morgen kommen zwei Autos, aus denen zwei Menschen aussteigen, die daraufhin hämmern, sägen und schleifen. Wir wissen aber nicht genau, was das bedeutet. Auch der ehemalige Pächter wusste nicht genau, was die da machen. Ich finde es nicht schlimm. Aber die Hündin mag das gar nicht. Sie knurrt oder bellt, wenn sie dort Menschen oder sie etwas sich bewegen sieht. Die Hündin hat Gene einer Mitarbeiterin des Ordnungsamtes.
Dummerweise macht ihr das Spass. Und je mehr ich es ihr verbiete, desto lauter bellt sie. Sie interpretiert mein Schimpfen natürlich als Bestätigung ihrer guten Arbeit.
Es gibt Methoden, das auf andere Weise zu unterbinden. Man soll ruhig bleiben, sie herbeirufen und ablenken. Das ist aber anstrengender und es gelingt uns nur mittelmässig gut.

Abends beschlossen wir, einen Film auf Disneyplus zu schauen. Meine Frau schlug „Cabin in the woods“ vor. Ein Horrorfilm über ein Paar, das in einem Holzhaus im Wald lebt. Das schien mir kein gutes Thema für diese Woche. Das können wir gerne nächste Woche schauen, wenn wir ein Paar sind, das in einem Steinhaus in der Grossstadt lebt. Also schauten wir „Fresh“. Einen Film über einen Mann, der Frauen entführt und ihnen Fleisch vom Körper schneidet, das er schliesslich an reiche Menschen verkauft. Ich hasse Filme, in denen Frauen in Kellerverliesen gefangengehalten werden, das weiss meine Frau auch, aber sie dachte, es sei eine Vampirkomödie. Der Film hatte dennoch komödiantische Komponenten und einen spannenden Geschichtsaufbau. Zu dem Zeitpunkt, an dem ich also verstand, dass es ein Film über Frauen ist, die in einem Kellerverlies gefangengehalten werden, war ich aus anderen Gründen an den Film gefesselt.
Und fand ihn trotzdem sehr unterhaltsam.

[Mi, 22.5.2024 – Sonne, Boa]

Morgens nach dem Aufstehen läuft die Hündin täglich direkt zur Haustür und schaut mich erwartungsfroh an. Wir gehen beide hinaus. Zwischen sechs und sieben ist es draussen noch frisch, aber die Sonnenstrahlen scheinen über die Wiese. Die Luft hat sich noch nicht aufgewärmt, aber die direkten Sonnenstrahlen sind stark genug. Jeden Tag stelle ich mich mit dem Rücken zur Sonne auf die Wiese und lasse mir den Rücken wärmen.
Dabei schaue ich meinem Schatten nach und stehe einfach nur da.

Wir malerten heute weiter. Das Treppenhaus war dran. Zu Beginn des Urlaubs hatten wir keinen festen Plan, wie viel wir eigentlich streichen wollten. Aber wir sind in einem guten Flow, wir hören Podcasts und sind sehr miteinander in Sync.
Das Treppenhaus ist komplizierter, weil es aus vielen kleinen, unregelmässigen Flächen besteht. Treppenhaus klingt nach einem grossen Raum in einem Palast, in unserem Fall ist es das natürlich nicht. Es handelt sich um einen Vorraum, in dem man die Jacken hängt und eine Holztreppe zum Obergeschoss, die sich auf Zweidrittelhöhe nach rechts wegdreht. Um das Treppenhaus mit Tape und Plane zu verkleben, benötigten wir mehrere Stunden. Malern ging etwas schneller.

Währenddessen hörten wir auch den Podcast über Kasia Lenhardt und Jerome Boateng. Es ist erstaunlich, welches Scheissleben manche Menschen mit sehr viel Geld sich bauen. In seltenen Fällen habe ich Mitleid mit Jerome. Dort blitzt dieser unreife Teenager heraus, der wahrscheinlich nie gelernt hat, über sich selbst nachzudenken. Er konnte immer alles mit Geld erschlagen.
Nach dem fünfteiligen Podcast hören wir wieder True Crime. Das ist weniger deprimierend.

Am Samstag fahren wir wieder. Wir waren bisher nur einmal im Dorf einkaufen. Diesmal führen wir ein sehr einfaches Leben. Wir verbrauchen sehr wenig, nur Wasser, etwas Bier und wir kochen uns einfache Speisen aus wenigen Zutaten, beispielsweise eine Pasta mit tiefgekühlten Broccoli und etwas Parmesankäse. Am Abend liegen wir schon im Bett, bevor die Sonne untergegangen ist und lesen. Die Sonne scheint ins Schlafzimmer, sie geht hier um 21:50 unter und schon um 4:30 wieder auf. Die Nacht ist bereits eine Stunde kürzer als in Berlin.