[Mi, 9.2.2023 – zwei Jahre Tagebuch, Zeichnungen]

Seit heute zwei Jahren schreibe ich jetzt täglich Tagebuch. Am 9.2.2021 beschloss ich für ein paar Tage oder Wochen täglich zu schreiben. Damit ich mich in Zukunft besser an diese seltsame Pandemie erinnern kann.
Seitdem sind zwei Jahre vergangen, in denen ich ziemlich konsequent die Tage protokolliere. Es geht längst nicht mehr um Corona, eigentlich ging es nur selten darum, sondern darum, die Gegenwart zu protokollieren.

Auch in den frühen Jahren dieses Blogs schrieb ich mehr oder weniger täglich, im Laufe der Zeit wurde es immer weniger, ein oder zweimal die Woche, irgendwann ein oder zwei Mal im Monat, aber bei mindestens einmal im Monat ist die Frequenz schon geblieben. Seit 20 Jahren keinen einzigen Monat ausgespart. Die Konsequenz, mit der ich seit 2 Jahren Tagebuch schreibe, überrascht mich dann doch etwas. Passt nicht ganz zu mir.

Letztes Jahr am 9.2. schrieb ich mehr darüber, aber ähnlich. Vor allem stellte ich mir die Frage, was passieren würde, wenn ich nach der Pandemie das Sozialleben wieder hochfahren würde und weniger Zeit für das Blog haben werde. Nun. Die Frage hat sich beantwortet. Wobei. So klar ist das nicht. Habe ich wirklich mein Sozialleben wieder hochgefahren? Es fühlt sich nicht ganz so an.

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Ich bin immer noch krank. Vor allem dieser Kopfschmerz geht nicht weg und immer wieder Fieberschübe. Es ist härter als eine Erkältung aber schwächer als eine Grippe.

Aber dann doch wieder mit dem Tier raus. Die schneebedeckten Autos sind mittlerweile alle mit Zeichnungen verziert. Die meisten Motive sind Penisse und Herzen. Das kann man sicherlich psychologisieren.

[Mo/Di, 6./7.2.2023 – Wintersonne, Opferzahlen, IBU]

Die Erkältung streckt mich nieder. Ich muss dennoch mit der Hündin raus. Auch meine Frau ist niedergestreckt. Sie mehr als ich.

Aber diese Wintersonne ist schön. Ich habe einen neuen, kleinen Park entdeckt, den ich neuerdings in den morgendlichen Spaziergang mit der Hündin einbeziehe. Heute stand ich dort lange auf einem Flecken, an dem die frühe Morgensonne schien. Die Hündin scharrte Schnee auf, sie hatte Spass, ich stand nur da und hielt mein Gesicht in die Wintersonne.

Ahja Schnee. In der Nacht zu Montag hatte es geschneit. Geschnieben sagt man auf Südtirolerisch. Am Montag trug ich Sneakers ohne Profil, ich stürzte mehrfach auf dem frischen und angedrückten Schnee. Einmal tat es richtig weh, ich stürzte seitlich hin und spürte mein gesamtes Skelett.

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Die Zahl der Toten beim Erdbeben. Ich verstehe das Ausmass immer erst bei Voranschreiten der Zeit. Achthundert Tote am ersten Abend, am Abend darauf schon 3800 und noch ein Tag später 8700. Am ersten Tag nehme ich es als starkes Erdbeben wahr, erst am zweiten Tag dringt es stärker zu mir durch. Diese Abgebrühtheit. Zugegebenermassen wäre meine Wahrnemung von Anfang an anders gewesen, hätte ich die Gegend vorher einmal besucht, oder wäre das Epizentrum unter Bozen oder Amsterdam gewesen. Das ist immer so.

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Und sonst so. IBU400. Helfen derzeit immer. Bis die Wirkung nachlässt und der Kopfschmerz wieder durch den Filter durchsticht. Leider bin ich immer zu spät dran. Diese grossen IBUs brauchen immer so lange, bis sich die Wirkung entfaltet. Dazwischen zeigt der Kopfschmerz seine Zähne durch den angebissenen Filter.

[Sa/So, 4./5.2.2023 – Spielregeln, Rachen, Horrorfilm, Eis]

Am Samstagnachmittag schauten mein Schwager und ich Hertha gegen Frankfurt. Er hat in seinem Leben zwei Mal Fussball geschaut. Beide Male mit mir. Beide Male verlor Hertha. Es ist für mich nicht leicht. Er findet es aber durchaus interessant, die schlechte Performance interessiert ihn weniger als die Geschichten, die ich ihm erzähle. Er macht ein paar Vorschläge die Spielregeln zu ändern. Ich sage: sehr gut.

Ich habe mir wohl wieder eine Erkältung eingefangen. Ich hasse das. Am Samstagabend ging mein Rachen in Flammen auf. Jetzt fühlt es sich an, als hätte ich ein Reibeisen über die Nase inhaliert. Am Vormittag kann ich kaum etwas anderes tun als die Augen geschlossen zu halten. Glücklicherweise fuhren heute meine Schwiegereltern wieder nach Hause. Ich wäre ab heute ein schlechter Gastgeber gewesen.

Am Nachmittag schauten wir einen Horrorfilm mit dem Namen „X“. Der Plot geht so: Eine Filmcrew von sechs Menschen mietet sich im Texas der Siebzigerjahre in einer Farm ein und will einen Pornofilm drehen. Der Farmer begrüsst die Crew mit einem Gewehr, erinnert sich dann aber, dass er seine Scheune vermietet hatte und lässt die Crew dort einziehen. Er weiss aber nichts von dem Vorhaben einen Pornofilm zu drehen. Spoiler: am Ende sind alle tot.

Und sonst tue ich mir den ganzen Sonntag über leid. Rachen, Kopf und Nase. Horror.

Ich brauchte etwas um meinen Rachen abzukühlen. Also ging ich in den Späti und kaufte mir ein Eimerchen Ben&Jerrys Eis. Ich ass die gesamten 400ml, zusammengerechnet etwa 800 Kilokalorien. Ich habe jede einzelne dieser achthunderttausend Kalorien geliebt und jede einzelne hat sich sanft und beruhigend über das aufgebrachte Rachengewebe geräkelt.

[Freitag, 3.2.2023 – so ist das mit Wein und mir]

Als ich noch in Südtirol lebte, trank ich hauptsächlich Rotwein. Das lag sicherlich daran, dass man in Südtirol schlichtweg oft Wein trinkt. Ein Gläschen hier ein Gläschen da. Wein gibt es überall, ein schnelles Glas kostete in der durchschnittlichen Bar 1000 Lire, was damals dem Wert von 50 cent entsprach, nach der Umstellung auf den Euro wurde der Preis auf einen Euro aufgerundet. Man trank einfach immer und überall einen schnellen Wein. Das war nicht immer besonders guter Wein, aber es war immer okayer Wein, meist Vernatsch oder Magdalener, ansonsten Lagrein oder Teroldego, aber die kosteten schon 1300 oder 1500 Lire.
Es gab auch okayes Bier, das trank man auch, aber man trank eben beides.

Als ich vor dreissig Jahren in die Niederlande zog, musste man in Kneipen immer zuerst schauen ob man überhaupt Wein hatte. Oft gab es Wein, aber ich sah die Kellnerinnen immer zuerst heimlich daran riechen. Es lagen wohl Zweifel vor, ob der Wein noch in Ordnung war. War er oft nicht, aber egal. Das änderte sich im Laufe der Neunziger. Es gehörte irgendwann zum guten Stil, sich mit Wein auszukennen. Es wurde aber auch immer etepetetiger. Als ich im Herbst 2003 nach Deutschland zog, kannte sich das halbe Land schon mit Weinen aus. Ich trank bereits weniger Wein, möglicherweise hatte ich mich in den Niederlanden schlichtweg an Bier gewöhnt, und ich mochte den durstlöschenden Effekt von Bier immer sehr. Ich freute mich immer auf ein küüühles, frisches Bier, aber selten auf einen ernsten Moment mit Wein. Das war es vermutlich, was mich vom Wein fernhielt. Diese zunehmende Ernsthaftigkeit. Es gab diesen einen Moment auf einer längeren Fahrt im ICE, irgendwann Ende der Nullerjahre, ich fuhr zurück nach Berlin, bestellte eine Viertel Rotwein, dann kam die ICE-Dame, die meine kleine Flasche mit einer Schleife aus einer Serviette verziert hatte. Ich weiss, sie meinte das liebevoll und eigentlich mag ich es, wenn Menschen die Dinge zelebrieren, aber ich wollte einfach eine Viertel Rotwein, weil ich gerade Notizen in mein Notizbuch schrieb und das nach einem langen Tag mit einer Viertel Rotwein einfach besser geht. Man stelle sich vor, sie hätte einem Glas Warsteiner eine Serviette umgebunden, man hätte darüber gelacht, aber beim Rotwein gehörte das offenbar zum guten Stil. Ab jenem Tag bestellte ich nie wieder Wein. Zumindest keinen casual Rotwein.

Ich versuche mich wieder dem Wein zu nähern. Mit Rotwein geht das schon ganz gut. Nach wie vor habe ich selten Lust auf Rotwein, wenn ich dann aber einen richtig guten Wein trinke und dazu das passende esse, wie zB Käse, dann kann ich dem Wein wieder richtig viel abgewinnen. Heute dieser phantastische Valpollicella Ripasso, den mein Schwager mitgebracht hat. Wenn sich die Traubenfrucht so samtig im hinteren Bereich des Mundes ausbreitet, das schafft nur guter Wein. Aber mal ein schneller, lockerer Wein ist das nicht.
Dennoch finde ich Rotwein etwas unterkomplex wenn ich ihn mit gutem Bier vergleiche. Mit gutem Bier meine ich richtig gutes Bier, kein industriell hergestelltes Veltins. Und trotzdem macht man über gutes Bier weniger Gewese als über Wein. Wenn man mal von ernsthaften Bartträgern in Bierbars absieht.

Was ich immer noch nicht mag, ist Weisswein. Früher trank ich auch viel Weisswein. Allerdings bin ich mir nicht sicher ob ich Weisswein, im Gegensatz zu Rotwein, je wirklich mochte. Weisswein trank ich meistens vormittags. Vor allem bei einem Kater. Weisswein erinnert mich an ungewaschene und übermüdete Momente in Bozner Stehbars. Oft auch mit Mineralwasser aufgespritzt, damit man sich einigermassen rehydriert und nicht ganz so schnell betrunken wird. Richtig gut fand ich Weisswein allerdings nicht. Auch richtig guten Weisswein nicht. Er erschliesst sich mir schlichtweg nicht. Meine Frau hingegen liebt Weisswein. Frau Modeste schenkte uns zu Silvester einen richtig guten Chardonnay. Meine Frau öffnete ihn heute und die Schwiegerfamilie war über den Maßen begeistert. Wegen den vielen wohlwollenden Worten und weil ich mich dem Wein wieder nähern will, bat ich um ein halbes Glas. Ich roch daran, aber für mich ist das brotige Säure. Im Geschmack etwas besser als im Geruch, aber es bleibt brotige Säure.

So ist das mit Wein und mir.

[Donnerstag, 2.2.2023 – der Hauptstadt den Schniedel dongeln]

Mein Schwager wohnt während seines Berlin Aufenthalts in einem Hotel unweit des Checkpoint Charlie. Ich fahre jeden Tag mit dem Fahrrad an dem Hotel vorbei. Das hatte ich vergessen, ihm zu sagen. Heute wollte ich ihm die Info nachreichen, also hielt ich kurz an um ein Foto seines Hotels zu schiessen, das ich ihm per Messenger schicken würde. Das machte ich so, weil ich das lustig fand.

Als ich mein Telefon hob um das Hotellogo zu fotografieren, sah ich im ersten Geschoss, genau über dem Logo des Hotels, ein nacktes Kind. Es war ein drei- vielleicht vierjähriger Junge. Er trug immerhin ein Tshirt. Aber ansonsten dongelte er fröhlich und breitbeinig mit seinem Minigemächt auf Höhe des Hotellogos und schaute zu mir herunter.
Das konnte ich natürlich unmöglich fotografieren. Es laufen da viele Menschen herum, man hätte die Polizei gerufen. Ich wollte da jetzt auch nicht einfach nur so dastehen und warten, bis der Junge verschwindet, was vermutlich lange hätte dauern können, weil er sich für meine Anwesenheit zu interessieren schien. Da ich auch nicht hinaufstarren wollte, schielte ich ab und zu unauffälig zu ihm hinauf, er blieb dort aber breitbeinig stehen. So stand ich da auf dem Bürgersteig mit gezücktem Telefon, das ich mit zwei Händen Schussbereit vor mir hielt. Auf der anderen Strassenseite stand eine kleine Gruppe Touristen, die in meine Richtung schauten und lächelten. Ich weiss nicht, warum sie lächelten, vielleicht sah das lustig aus, wie ich verkrampft mit einem schussbereiten Telefon in beiden Händen in der Gegend herumstand, vielleicht lächelten sie auch nur wegen den kleinen Jungen zwei Meter über mir, der der Hauptstadt seinen Schniedel zeigte.

Weil mir die Situation nicht gefiel, lief ich ein paar Meter die Strasse hinauf und fotografierte die Gegend. Mein schwager würde es vermutlich auch so erkennen.

Das tat er dann auch. Nächstes Mal sollte ich einfach hochkommen und wir würden gemeinsam frühstücken, meinte er.

[Mittwoch, 1.2.2023 – Creme, Dämmerung in der Arktis]

Heute kamen meine Schwiegereltern und mein Schwager. Ich freue mich vor allem immer auf den Empfang, am ersten Abend. Wir legen Knabbersachen auf der Kücheninsel aus, Oliven, Pesto-Grissini, die Gläser stehen bereit, wir öffnen Bier, Wein, im Hintergrund brutzelt das Essen, ich werde cremig, bevor wir zu Tisch gehen nehmen wir uns noch einen Schluck Whisky und dann setzen wir uns hin, essen, dann Nachspeise, erzählen uns von den Dingen und dann werden wir müde, fallen ins Bett und schlafen tief.

Manchmal fürchte ich, das könnte mein Lebensinhalt sein.

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In Longyearbyen sieht man wieder Dämmerung am Horizont. Das beginnt jedes Jahr zu meinem Geburtstag, worauf ich mir natürlich etwas einbilde und dies als universale Verbindung zu diesem Ort misverstehe. Alle Insta-Accounts, denen ich folge, posten Fotos von der beginnenden blauen Jahreszeit. Bis die Sonne wieder zum ersten Mal aufgeht, dauert es noch einen Monat, aber jetzt beginnt die offenbar schönste Zeit des Jahres.

Es wird wieder einmal Zeit für die Webcam.

Wir haben unsere Reise in die Arktis für Anfang April geplant. Hotel ist schon reserviert, den Flug trauen wir uns aber noch nicht zu buchen solange wir keine Lösung für das Tier gefunden haben. Sie kann natürlich nicht mitfliegen.

[Dienstag, 31.1.2023 – Notizen]

Meine Notizen von heute:
* Hunderunde sehr kalt und verregnet.
* Mit einer Hundefrau geredet die nach Thailand ziehen will. Sie weiss alles besser. Über meine Hündin, über mich, über das Arbeitsleben, über Lebensplanungen von Leuten. Sie wusste die ganze Zeit alles besser.
* Königin Beatrix hat heute Geburtstag.

Mehr ist heute tatsächlich nicht passiert.

[Montag, 30.1.2023 – Bier und Pizza]

Am Abend auf einen Feierabenddrink im Mikkeller an der Torstrasse gewesen. Auch wenn der Laden und der dazugehörige dänische Star-Bierbrauer vor einigen Jahren ein bisschen übergehypted wurde, haben sie doch eine gute Auswahl, auch an lokalen, berliner Bieren.
Mikkeller selber scheint mir in letzter Zeit etwas aus dem Fokus geraten zu sein. Ich verfolge die Brauerszene nicht mehr so genau wie vor ein paar Jahren. Aber ich bekam noch diese seltsamen Geschichten über einen langen Streit mit seinem Bruder mit. Sein Bruder ist auch Brauer, aber mit weniger Geschäftssinn und weniger Starfaktor. Als dieser Streit an die Öffentlichkeit kam, schien es mir als würde er an Sexiness verloren haben. Zumindest ist der Hype etwas vorbei. Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass es gutes Bier mit guten Zutaten mittlerweile in jedem Edeka gibt und der Hype darum einfach generell vorbei ist.

Wir konnten uns auch Pizza von der Pizzeria nebenan bestellen. Die Pizza wurde uns auf Tellern mit Besteck gebracht und später kamen sie alles wieder selber holen. Ich mag solchen Pragmatismus.
Ich kenne die „Pizzeria Standard“ noch aus der Zeit, als ich im der Rheinsberger wohnte. Sie hatten gerade in der Templiner Strasse eröffnet und priesen ihre „Ernsthafte Napolitanische Pizza ohne Schnickschnack“ an. Das Lokal in der Torstrasse ist ihr zweiter Standort. Mittlerweile haben sie sogar einen Laden in Charlottenburg. Ich bin allerdings kein Fan napolitanischer Pizza. Das einzige, das ich mit napolitanischer Pizza verbinde ist der dicke Teigrand und das ist ja eher ein Nachteil als ein Vorteil, aber je mehr ich darüber nachdenke, weiss ich, dass ich noch nie darüber nachgedacht habe, was es mit diesem Hype um napolitanische Pizza auf sich hat. Vielleicht ist der Hype aber auch wieder vorbei. Napolitanische Pizza gibt es mittlerweile überall. Siehe Bier.

[Sonntag, 29.1.2023 – Bunkerführung, Oderquelle]

Heute war der letzte Tag mit meiner Schwester. Wir gingen in eine Führung der Berliner Unterwelten. Es war Tour nummer 3, Kalter Krieg, die Tour handelte von Luftschutzbunkern, die in den 70ern und 80ern gebaut wurden. Dei Tour Nummer drei war immer einer der schwächer besuchten Touren, aber seit dem Krieg in der Ukraine bekommt sie regen Zulauf. Der Tourführer warnte uns schon vorab: was wir heute erfahren werden, wird nicht zu unserer Beruhigung beitragen. Zum Glück war ich bisher nicht beunruhigt und buchte diese Tour auch nur, weil die anderen alle ausgebucht waren, dennoch gab es viele interessante Details zu erfahren.

Der Ubahnhof Pankstrasse lässt sich in nur wenigen Minuten zu einem voll funktionialen Luftschutzbunker umfunktionieren. Auch heute noch. Er würde allerdings nicht gegen Bombeneinschläge schützen und er kann auch lediglich etwa 3000 leute aufnehmen. Das ist bei einer Bevölkerung von etwa 4 Millionen sehr, sehr wenig. Nach dem Ende des kalten Krieges wurden die meisten Bunkeranlagen privatisiert und umgebaut. Im Ostteil der Stadt gab es überhaupt keine Bunker. In einem Atomkrieg würden die allermeisten von uns einfach sterben. Das finde ich einigermassen beruhigend. Als einziger zu sterben ist auch doof.

Am Abend gingen wir in die Oderquelle an der Oderberger Strasse. Meine Schwester und ihr Freund wollten deutsches Essen. Wir assen Schweinebraten mit Weisskrautsalat. Hat uns sehr geschmeckt. Die Oderquelle hat zwei Bedeutungen für mich. Zum einen fand dort 2008 das erste Date mit meiner Frau statt und zweitens diente die Oderquelle als erstes Vereinsheim von Hertha BSC. Das erfuhr ich aber erst viele Jahre später und fand das eine ziemliche göttliche Fügung. Das war einer der wenigen religiösen Momente in meinem Leben.

[Samstag, 28.1.2023 – Geburtstag, etc.]

Der Geburtstag war ein schöner, ruhiger Tag. Morgens mit dem Hund raus, dann ein langes Frühstück, das mir meine Frau zubereitet hatte. Ich bekam zwei Geschenke, einmal dieses Parfüm, von dem ich im Dezember sprach und ein lustig gemeintes Tshirt, mit dem Motiv eines schwarzen, strubbeligen Hundes und einem Herzen, da ich jetzt ja Hundedaddy bin und mich dabei manchmal ein bisschen zu sehr reinsteigere (nach Ansicht Dritter). Neben Käse, Tunfischcreme und vielen anderen Dingen, hatte meine Frau das Rührei mit Ricotta zubereitet. Die Ricotta war von der Tunfischcreme übriggeblieben, und da sie keine Sahne oder ähnliches im Kühlschrank vorfand, rührte sie die Eier eben mit Ricotta auf. Ich erwähne das, weil das eine wirklich tolle Sache ist.

Ich war faul, daher schauten wir Kleo, diese deutsche Serie auf Netflix, mit Jella Haase, über eine Auftragsmöderin im Auftrag der DDR, die sich nach dem Mauerfall auf einen Rachefeldzug begibt. Eine sehr kurzweilige und auch lustige Geschichte, immer kurz vor einer Groteske, aber immer nur kurz davor. Das fand ich gut.

Der Tagesplan ging so: um drei Uhr meine Schwester und ihren Freund treffen, dann im Due Forni Pizza essen und anschliessend ins Kino gehen, zu diesem irischen Film mit Colin Farell und Brendan Gleeson. Von der Pizza und dem Bier wurden wir dann alle sehr müde. Statt des Kinos wollten wir uns ein bisschen die Beine vertreten, also fuhren wir zum Brandenburger Tor, schossen ein paar Fotos und dann war es auch schon sieben Uhr und wir beschlossen, die Action zu beenden, meine Schwester und ihr Freund würden sich einen Popcornabend im Hotelzimmer machen und wir schauten zuhause Kleo zu Ende. Wenn ich das so aufschreibe, liest es sich antriebslos, ich finde das aber voll gut. Auch im Urlaub. Ich werde im Urlaub auch oft von Eindrücken erschlagen und liege meist gerne früh im Bett. Das fand ich noch nie verwerflich.

Hertha verlor gegen Köpenick 2:0. Ich verfolgte das Geschehen ab und zu auf dem Telefon in den Chats meines Fanclubs. Unsere Ultras wurden am Ostkreuz von der Polizei festgehalten und schafften es dadurch nicht zum Spiel. Die Kurve schien den Support aber organisch und ohne Vorsängercrew tragen zu können. So las ich es zumindest. Immerhin spielte die Mannschaft wieder leidenschaftlich.
Am Abend wird Geschäftsführer Bobic entlassen. Ein seltsamer Schritt zu einer seltsamen Zeit. Aber es klingt sofort richtig und gut. Dennoch herrscht eine kollektive Ratlosigkeit. Wie gehts jetzt weiter. Kein Fragezeichen.