[27.1.2023 – nicht zum Derby, Nikolaiviertel, Dauerkartenmanagement]

Ich nahm den Freitag frei. Normalerweise nehme ich den 26. 27. und 28. frei. Vom Geburtstag meiner Frau bis zu meinem Geburtstag. Dieses Jahr fällt mein Geburtstag aber auf den Samstag, dann spare ich mir einen Urlaubstag.

Eigentlich wollte ich am Samstag wieder ins Olympiastadion zum Derby gegen Köpenick. Es ist das wichtigste und spannendste Spiel der Saison. Aber die letzten beiden Spiele haben mich sehr runtergezogen. Üblicherweise würde ich trotzdem hingehen, aber für diesen Samstag dachte ich einfach: es ist mein Geburtstag, meine Schwester ist zu Besuch, ich sehe sie ohnehin viel zu selten, mit An- und Abreise bin ich mindestens 7 Stunden weg und werde eine deprimierende Niederlage gegen den selbstverliebten und unsympathischsten Club der Liga mitansehen müssen, das Spiel ist ausverkauft, alle wollen da hin und alle werden da sein, wenn es einen Tag gibt, an dem mein Verein nicht meine Unterstützung braucht, dann ist es heute. Und beim Gedanken daran, dass ich einen schönen Tag mit meiner Frau und meiner Schwester samt ihrem Freund verbringen kann, schwenkte ich einfach um.

Ich ging gegen 12Uhr mit meiner Hündin zum Alex, wo ich meine Schwester und ihren Freund vom Menschenmuseum abholte. Danach spazierten wir zum Nikolaiviertel, Schloss, Museuminsel, Hackeschen Markt, Oranienburger, dort assen wir was. Ich bringe meine Besucherinnen immer ins Nikolaiviertel. Ich mag diese lieblich-naive Staatsgeste, eine fake Altstadt aus Fertigbetonteilen aus dem Boden zu stampfen. Das Nikolaiviertel ist nicht cool, es ist nicht architektonisch wertvoll, es ist nicht progressiv, aber es ist eben eine etwas peinliches, lieblich-naives DDR-Staatsprojekt, das historisch genau so relevant ist wie, was weiss ich, man füge hier eine Sehenswürdigkeit aus einer beliebigen Epoche ein.

Danach musste ich zum Rosenthaler Platz, einer Freundin meine Dauerkarten fürs Derby übergeben. Ich trug mittlerweile vier Dauerkarten für die aktuelle Saison mit mir herum. Weil Leute verhindert waren und sie mir gaben um sie eventuell weiterzugeben, falls jemand eine braucht, was immer der Fall war.

Abends assen wir bei uns zu Hause. Ich kochte Haferkörner mit Gemüse zu einem Risotto. War sehr gut.

[Mi/Do, 25./26.1.2023 – Glurns, vegan koreanisch]

Ich brauchte mal einen Tag Pause. Zum einen hatte heute meine Frau Geburtstag und es ist nie eine schlechte Sache, wenn man Geburtstage mit etwas mehr Hingabe zelebriert. Zum anderen kam am Mittwoch auch meine kleine Schwester mit ihrem Freund nach Berlin. Als Grund hatten sie die „Grüne Woche“ ausgewählt. Die Eltern ihres Freundes haben einen Bauernhof, auf diesem ist er selber auch in Teilen tätig, auch wenn er sonst einen anderen Beruf ausübt, aber daher kommt eine Affinität zu landwirtschaftlichen Produkten und die Grüne Woche ist offenbar ein bekannter Termin für Menschen, die im Agrarsektor wirtschaften. Ich kenne die Grüne Woche ja nur von Politikerinnen, die stolz Obst- und Gemüsekörbe in die Kamera halten und von der starken lokalen Wirtschaft sprechen.

Der Freund meiner Schwester kommt aus einer kleinen Südtiroler Stadt mit etwa 800 Einwohnern. Genau. 800. Acht null null, Glurns heisst die Stadt, und bei dieser Grösse fühlt sie sich die Stadt natürlich mehr wie ein Dorf an, aber sie bekam irgendwann in 1400 Stadtrechte zugesprochen, weil sie geographisch ziemlich günstig im oberen Vinschgau zwischen Schweiz und dem Reschenpass lag. Zweihundert Jahre später baute man den Weg über den Brenner aus und so verlor das Städtchen an Bedeutung. Biste aber einmal Stadt, bleibste immer Stadt, so fand ich das als Grundschulkind schon faszinierend, dass dort im fernen Obervinschgau so ein Ministädtchen steht. Was die Stadt immer noch besonders macht, ist die vollständig intakte Stadtmauer, und dass sie sich seit mehr als vierhundert Jahren praktisch nicht mehr verändert hat. Deswegen erlangte sie in den letzten Jahrzehnten wieder eine gewisse Bedeutung auf dem touristischen Radar. Ich war ja schon als Kind der Geographie und der Geschichte verfallen und hatte Glurns immer auf meinem Schirm, aber meine Familie wohnte damals im entlegenen Südost-Südtirol und Glurns liegt ziemlich genau im entlegenen Nordwest-Südtirol, so ergab es sich nie, den Ort zu besichtigen. Erst viele Jahre später, mit 16 oder 17, als ich die Punks aus Meran und dem Vinschgau kennenlernte, hielt ich mich öfter im unteren Vinschgau auf, vor allem in Schlanders, aber einmal gab es diese wüste Drogenparty im Wald unter dem Kloster Marienberg bei Burgeis, ich kann mich erinnern, wie wir am nächsten Tag über Mals und Schluderns zurück nach Schlanders fuhren, da konnte ich mit etwas vernebelten Sinnen dieses Glurns am anderen Ende des Talbodens sehen. Man kann Glurns sehr gut an den Umrissen erkennen, es liegt rechteckig, mit klaren Umrissen, von der Stadtmauer eingepackt, mit vielen Türmen und Toren, es sieht aus wie ein überdimensioniertes Kloster.

Besucht habe ich Glurns allerdings immer noch nicht. Es liegt weit weg von den üblichen Orten in Südtirol, an denen ich mich sonst immer aufhalte. Aber während ich das so aufschreibe, woah, ich sollte bei der nächsten Gelegenheit schon hin, immerhin habe ich jetzt auch einen familiären Bezug, jemand, der mir auch alles über Glurns erzählen kann. Ich wäre doof, wenn ich das nicht umarmen würde. Umarmen, das schrieb ich jetzt wegen „embrace“. Ich mag dieses embracen von Dingen auf englisch. Aber sieht in einem deutschen Text halt schlecht aus. Umarmen, wie auch Embracen.

Meine Schwester und ihr Freund schlafen im Hotel. Das ist logistisch einfacher. Wir trafen uns um 19Uhr bei einem veganen Koreaner am Kollwitzplatz. Meine Schwester wollte etwas koreanisches essen, in Südtirol ist die Auwahl der internationalen Küchen tatsächlich nicht sehr gross. Das trifft allerdings auf ganz Italien zu. Wenn man in Südtirol oder Italien aus essen gehen will, geht man üblicherweise in die Pizzeria. Mittlerweile gibt es auch verschiedene Suhisläden und in Südtirol gibt es natürlich noch die südtiroler Küche, aber alles andere ist eher exotisch. Da die berliner Küche traditionell ja eher schlecht ist, gibt es in Berlin dafür alles Exotische.

[Montag, 23.1.2023 – Zitierungen und Referenzen]

ah, die Zeit der Herthapodcasts beginnt wieder. Eine gute Sache.

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Die Konservativen in den USA haben sich jetzt Dragshows vorgenommen, gottey, woz your problem?

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Seit zwei Tagen bekomme ich mehrere tausend Aufrufe pro Tag für den Eintrag über die Zeit zwischen 3 und 5 Uhr nachts, aber ich weiss nicht woher die Besucherinnen kommen, auf welcher Seite der Text verlinkt wurde. Ich kann schon seit einigen Jahren die Referrer nicht mehr gut sehen. Ich weiss nicht woran das liegt, möglicherweise an den Seiten selber, wie sie redirecten, oder an den Privateinstellungen in den Browsern. Allerdings sehe ich immer Referrers von Twitter und auch anderen Seiten. Manche aber eben nie.

Weil ich wissen wollte, warum dieser Text verlinkt wurde, googelte ich ein bisschen herum. Die verlinkende Seite fand ich nicht. Allerdings fand ich andere interessante Fakten über mequito.org.

  1. So taucht dieses Blog in einer Studie aus 2008 über Künstliche Intelligenz auf. Dort gibt es einen Abschnitt darüber, wie man Deutschlands Top Blogs identifizierte und analysierte. Dort erscheint dieses Blog in der Top10 der, öhm, most important german Blogs. Auch wenn mir das gefällt, kann ich behaupten, dass das Unsinn ist, es gab damals wesentlich grössere und wichtigere Blogs mit einer immensen Reichweite, die ich als Befindlichkeitsbloggerin nie erreichte und ehrlich gesagt auch nie erreichen wollte. Viele Leserinnen sind toll, aber Reichweite oder Einfluss oder Relevanz, ist nicht etwas, das ich je anstrebte.
  2. In einer Publikation aus 2020 über Sprachgebrauch von einem emeritierten Professor für deutsche Sprachwissenschaft. Dort wird meine Verwendung des Wortes Berlinfremd als Substantiv angesprochen. Tjo.
  3. In einer 263-seitigen Dissertation mit dem Titel „Poetik des autobiografischen Blogs“. Mein Blog dort nur als eines jener Blogs gelistet, auf denen Frau Modeste kommentiert. Als ich den Titel der Diss las, war ich aufgeregt. Dass ich nur als ein Bekannter von Frau Modeste gelistet bin, nunja.
  4. In einem Grammatikblog werde ich zitiert, weil ich „[ich habe] gebackt“ schrieb. Grammatikalisch inkorrekt, aber ich diene sozusagen als Beweis, dass sich das sogenannte „Partizip Perfekt“ im Alltag durchgesetzt hat.

[Sonntag, 22.1.2023 – Freunde in Paris]

Abends waren wir bei Freunden in Moabit zum spontanen Abendessen eingeladen. Die Freunde sind vor einem halben Jahr für zwei Jahre nach Paris gezogen. Wir reden über Paris und Berlin, ziehen Vergleiche, ich mag das, es hilft immer wieder die Dinge einzuordnen. Das letzte Mal, als ich in Paris war, war es noch eine totale Autostadt, mittlerweile wird die Stadt in einem atemberaubenden Tempo zu einer Fahrradstadt umgebaut. Auch in Berlin werden bessere Fahrradwege gebaut, aber das geht hier dermassen träge vonstatten, dass wir bei Fertigstellung sicherlich schon alle mit Flugtaxis durch die Stadt schweben. Es glänzt natürlich nicht alles in Paris. Die französische Hauptstadt ist wesentlich stressiger, wesentlich lauter, wesentlich weniger grün. Wenn ich nachrechne, war ich wirklich schon lange nicht mehr in Paris, Ende der Neunziger, als ich noch in den Niederlanden lebte und Anfang der Nullerjahre, war ich mehrmals jährlich da, sei es nur auf der Durchfahrt von Madrid zu meiner damaligen Freundin nach Hamburg (ich flog nicht gerne). Ich habe gerade im Blog nachgeschaut, das letzte Mal war im Sommer 2003 dort. Fast zwanzig Jahre her. Das war mir nicht bewusst. Damals gab es das Blog noch gar nicht in dieser Form, mit dem Blog ging es erst im November des selben Jahres richtig los. Auch das ist wieder zwanzig Jahre her. Ich mochte Paris immer aus ästhetischer Sicht und ich mochte diese Kompaktheit, dieses Meer an fünfgeschossigen Gebäuden, so etwas wie ein Prototyp der europäischen Stadt. Mittlerweile empfinde ich Paris als etwas zu idealisiert. Natürlich verfügt jeder bekannte Ort über seine ganz eigenen Projektionen, aber bei Paris wurde mir diese Idealisierung irgendwann zu billig und unecht, wenn sich junge Mädchen einen Traumprinzen unterm Eiffelturm vorstellen, oder der französische Akzent, der Liebende angeblich so weich werden lässt wie Käse, wenn er schmilzt und lange, lasszive Fäden zieht. Aber die Schilderungen unserer Freunde, dass sie in Paris mit ihren winterlichen Funktionsjacken auffallen, positiv wie auch negativ, das finde ich dann schon lustig. Und gut auch.

[Samstag, 21.1.2023 – Roboter, Niederlage, Bolaño]

Heute legte ich den Saugroboter umgekehrt auf den Boden und baute ihn noch einmal auseinander. Wir können ihn nicht benutzen und die Wohnung staubt zu. Wir könnten natürlich den Staub manuell mit dem Staubsauger saugen, aber es hat schon einen Grund, warum wir damals den Roboter kauften. Wir mögen saugen ziemlich überhaupt nicht gerne.

Die Hündin sass neben mir und studierte genau, was ich mit dem Roboter machte. Üblicherweise ist sie es, die dort auf dem Rücken liegt, während ich sie auf Zecken untersuche, oder ihr die Pfotenhaare stutze. Vermutlich versuchte sie herauszufinden, ob der Roboter in der Rangordnung über ihr oder doch unter ihr liegt. Sie ist mit dem Roboter öfter in aneinandergeraten, weil er sie einfach anfährt, wenn sie auf dem Boden liegt und entspannen will. Den Lärm, den der Roboter abgibt mag sie auch nicht und überhaupt: er nervt sie. Dass er aber auch vor mir auf dem Rücken liegen und sich von mir untersuchen lassen darf, scheint sie jedenfalls zu beschäftigen.

Ich steckte alle Verbindungen einmal neu, und baute ihn wieder zusammen. Diesmal behielt ich weitere drei Schrauben über, von denen ich nicht weiss, wo ich sie vergessen haben könnte. Bevor ich den Roboter anschaltete, beschlossen meine Frau und ich folgendes: wenn er immer noch nicht funktioniert, kaufen wir einen Neuen. Ich kann ihn schliesslich nicht jeden Tag auseinander und wieder zusammen bauen, wenn ich nicht weiss, wo ich das Problem suchen muss. Nächste Woche kommt meine Schwester, die Wohnung muss gesaugt werden, wir müssen also heute eine Entscheidung treffen.

Dann schaltete ich ihn an. Er fuhr immer noch rückwärts. Und nach einer Minute beschwert er sich darüber, dass der Bumper wieder blockiert ist (was er ganz offensichtlich nicht ist). Es hat also nicht geholfen.

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Nachher spielte wieder Hertha. Es sind über siebzig Tage seit dem letzten Bundesligaspiel vergangen. Nach der unsäglichen Katar WM und allgemeinem Ekel vor der Fussballwirschaft, vollzog sich ein Entzug, den ich offenbar nicht wirklich wahrgenommen hatte. Es kam heute keine richtige Vorfreude auf. Einige Freunde sind der Mannschaft hinterhergefahren, nach Bochum. Ich schaute das Spiel auf dem Beamer mit Kopfhörern, daneben schaute meine Frau auf dem Fernseher etwas anderes. Die Hündin bellte manchmal die Wand an, wenn sie einen riesigen Fussballspieler auf der Wohnzimmerwand grimmig gucken sah.

Beim Anpfiff war ich allerdings wieder voll drin. Das Spiel begann gut, wir bekamen ein wahnsinnig schönes Tor von Tousart ungerechterweise aberkannt, aber dann fingen wir uns drei Gegentore und es kamen ungute Gefühle hoch, die mich an das Frühjahr des letzten Jahres erinnerten. Kurz vor Schluss schoss Serdar noch ein Tor für die Statistik, aber bei einem Stand von 1:3 wollte bei keinem der Spieler so recht Freude aufkommen.

Zu allem Überfluss gewann Wolfsburg 6:0 gegen Freiburg. Wolfsburg ist unser nächster Gegner am Dienstag. Ich werde bei minus zwei Grad im Stadion sein, und muss jetzt zusehen, wie ich das mit der Vorfreude mache.

Als das Spiel zu Ende war, beschloss ich, mich etwas anderem zu widmen, sonst würde ich die schlechte Laune über das ganze Wochenende tragen. Zuerst suchte ich nach einem neuen Roboter, danach las ich Roberto Bolaños Kurzgeschichtenband Telefongespräche. Ich besitze fast ein Dutzend Bücher von Bolaño, eigentlich verbindet mich wenig mit Lateinamerika und der spanischsprachigen Kultur, mal davon abgesehen, dass ich ein Jahr in Madrid wohnte und überraschenderweise immer noch eine einfache Konversation auf spanisch führen kann, aber ich lese keine spanischsprachigen Autorinnen, vor allem, weil, öhm, mich Lateinamerika nicht besonders interessiert. Natürlich habe ich nichts gegen Lateinamerika, ich glaube aber, dass mein Bild von Lateinamerika gebiased ist, denke ich an Lateinamerika, dann denke ich an Hitze, an heisse Tage und an schlaflose, schwüle Nächte, in denen man sich im Bett wälzt und nicht schlafen kann. Ich denke an permanente +35 Grad Celsius, vermutlich lehne ich es unbewusst immer ab, mich mit irgendwas zu beschäftigen, das bei 35 Grad und drüber stattfindet.

Aber das ist natürlich quatsch. In keinem der Texte von Bolaño schwitzen Menschen. Im Gegenteil. Dinge passieren, als würden sie bei 16 Grad passieren. So ist es in der Welt. Es passieren Dinge.

[Freitag, 20.1.2023 – zwischen drei und fünf Uhr]

Ich schlafe so schlecht. Meist wache ich zwischen 3 Uhr und 5 Uhr auf und kann nicht mehr einschlafen. Statt mich im Bett zu wälzen, beschliesse ich aufzustehen, mir einen Kaffee zu kochen und mich an den Schreibtisch zu setzen. Dort lese ich Nachrichten oder öffne tausende Wikipediatabs oder schaue Pornos. Die Welt zwischen 3 und 5 befindet sich in einem seltsamen Leerlauf. Im Innenhof brennen selten Lichter. Meist nur von der Wohnung im Nachbarhaus, dort sieht es wie in einem Ton- oder Filmstudio aus. Man sieht ein Mischpult, Licht in verschiedenen Farbtönen, oft rot, und man sieht Stative. Und einen Schreibtisch mit mehreren Monitoren. Vielleicht ist es auch eine Influencerin, oder ein Star auf Onlyfans, ich habe aber noch nie Menschen in dem Fenster gesehen, obwohl ich einen grossen Bereich des Raumes überblicken kann. Es ist das Berliner Zimmer in jener Wohnung und ich schaue von meinem eigenen Berliner Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite hinein, ich habe also einen günstigen Blickwinkel. Aber ich stehe auch nicht lange an Fenstern um das Leben fremder Menschen zu beobachten.

Einmal vor ein paar Jahren im Sommer setzte ich mich mitten in der Nacht in den Erker und öffnete das Fenster. Es war so warm, dass ich wieder nicht schlafen konnte. Also hing ich eine ganze Weile mit ziemlich belanglosen Gedanken aus dem Fenster. Es muss wieder zwischen 3 oder 5 Uhr gewesen sein. Eher 3 als 5. Im Haus gegenüber, auf der anderen Strassenseite praktizierte eine Frau Yoga. Sie bewohnte die Wohnung ein Stockwerk tiefer, ich konnte also ihr ganzes Zimmer überblicken. Ich dachte mir nichts dabei, hegte auch keine voyeuristischen oder sexuellen Gelüste, ich hing nur schlaflos aus dem Fenster und schaute ihr beim Yoga zu. Ich wunderte mich gar nicht darüber, dass sie das mitten in der Nacht tat.
Sie muss mich dann gesehen haben. Obwohl sie sich in einem beleuchteten Raum befand und bei mir kein Licht brannte, ich hatte mich unsichtbar gewähnt. Vielleicht waren es die Laternen von der Strasse, die mich enttarnten. Sie kam ans Fenster und schaute zu mir hoch. Ich drehte mein Gesicht weg und starrte demonstrativ in eine andere Richtung, die Strasse hoch. Dann ging sie vom Fenster weg in ein anderes Zimmer und stieg auf den Balkon hinaus. Auch dort schaute sie zu mir hoch. Ich interpretierte es als Angriffslust, als Angriff beim Verteidigen ihrer Privatsphäre. Es hätte laut werden können, mit Gebrüll über die Strasse. Ich hätte es aber auch einfach auflösen können. Sorry sagen. Dass ich nur nicht schlafen könne. Keine übergriffige Absicht. Dass ich einfach ein bisschen in die Strasse hinein schauen würde. Stattdessen starrte einfach demonstrativ links die Strasse hoch.
Nach mehreren Minuten in dieser starren Position, ging sie wieder zurück in ihre Wohnung und zog die Vorhänge zu.

Im Haus gegenüber, aber in einem anderen Stockwerk sehe ich oft ein junges Paar, das sich umkleidet. Der Mann probiert meistens Hemden an. Er läuft in Jeans durch die Wohnung, entweder mit freiem Oberkörper, oder er knöpft sich gerade ein Hemd zu und betrachtet sich dabei im Spiegel. Die Frau läuft oft in Unterhose und BH durch die Wohnung. Manchmal auch im Unterkleid. Immer beschäftigt, als würde sie Kleider suchen. Aber nie ohne BH. Das wäre mir aufgefallen. Die beiden sieht man aber nur spät am Abend. Zwischen 3 und 5 schlafen sie, oder sie sind in Clubs.

Mich sieht man vermutlich in Unterhose in der Küche. Wenn ich mir zwischen 3 und 5 einen Kaffee koche. Die Menschen im Innenhof haben vollen Einblick in meine Küche. Wir haben dort keine Gardinen. Will meine Frau nicht. Ich laufe aber nicht völlig nackt an dem Fenster vorbei. Zumindest nicht, wenn drin das helle Licht brennt. Im Halbdunkeln schon, vor allem muss ich an dem Fenster vorbei wenn ich ins Badezimmer will. Dabei habe ich nicht immer einen Bademantel an.

[Donnerstag, 19.1.2023 – Ebikes und Tretroller]

Diese E-Bikes von Lime und Tier. Ständig funktioniert etwas nicht damit. Die Hälfte der Räder fallen nach halber Strecke einfach aus. Meist ist der Akku leer, wonach man sich fürchterlich einen abstrampelt um bis zum nächsten Leihrad zu gelangen.

Heute war ich eigentlich im Homeoffice, aber ich musste spontan und eher dringend ins Büro. Ich fuhr mit meinem Fahrrad los, allerdings sind die Bremsen gerade sehr locker. Ich fahre üblicherweise ziemlich schnell, dafür braucht man gute Bremsen. Ich fahre deswegen seit einigen Wochen langsam und vorsichtig und ich nehme mir immer vor, am Abend in den Fahrradladen zu gehen. Am Abend wiederum denke ich mir immer: ach google doch mal, wie man Bremsen straffer zieht, das kannste doch auch selber lösen. Das mache ich dann aber nie.


Heute hatte ich es allerdings eilig. Als ich nach einem halben Kilometer zwei Mal in eine gefährliche Situation geriet, stellte ich das Fahrrad ab und lieh mir ein E-Bike von Tier. Mit dem fuhr ich etwa einen Kilometer mit Strom, danach fiel es aber aus. Bis ich ein nächstes E-Bike am Strassenrand sah, hatte ich schon etwa 2km stromlos gestrampelt. Als ich das neue Rad mieten wollte, liess sich dieses allerdings nicht mieten. Möglicherweise war auch hier der Akku leer. Also stieg ich auf einen dieser leidigen Tretroller um. Ich mag diese Tretroller nicht. Sie verfügen über keine gute Fahrhaptik, ausserdem liegen sie nicht gut aus der Strasse, der Schwerpunkt ist viel zu hoch, ich merke sofort, wie man mit solchen Dingern übel stürzen kann.

[Mittwoch, 18.1.2023 – Gummistiefel]

Meine neuen Gummistiefel sind gekommen. Zuerst suchte ich mehrmals in verschiedenen Läden nach halbhohen, halbwegsschicken Gummistiefeln. Halbwegs schick, weil ich bei den morgendlichen Gassirunden im nassen Park nicht immer aussehen will, als würde ich zum Angeln gehen.
Schicke Gummistiefel gibt es eigentlich nur für Frauen. Gummistiefel für Männer sind immer grobe Outdoortreter für Angler, Feuerwehrmänner oder für den Fetischclub. Ich würde auch Frauenstiefel tragen, allerdings hören sie bei Grösse 41 auf. Ich trage Schuhgrösse 46, das wird nicht klappen. So fand ich immerhin auf der Webseite der schwedischen Marke Tretorn ein paar schicke schwarze Gummistiefel im Chelsiestil. Sie sehen eigentlich aus, wie gewöhnliche Schuhe.

Apropos Schuhe. Gestern beim Bowlen, diese orangenen Pflichtschuhe angezogen. Ein seltsamer, aber guter Stil, Retro-Science-Fiction. Man könnte sie auch im Alltag tragen, allerdings müssten sie besohlt werden.

[Dienstag, 17.1.2023 – Bowling, Allyoucaneat]

Am Nachmittag ging ich mit einem der Teams zum Bowling. Es ist das dritte Mal, dass ich bowle. Der erste Wurf ging in die Hose, aber nachdem man mir erklärte, wie ich die Kugel werfen musste, gewann ich alles.

Nachher fuhren wir nach Lichtenberg ins Viktoria Center, dort gibt es ein All-You-Ca-Eat Asiarestaurant. Das Lokal befindet sich in der Mall und es sieht innen auch so aus, es ist riesig, ein bisschen billig eingerichtet und es finden mehrere Geburtstagsfeiern statt. Es ist eine eigenartige Wahl um mit dem Team zu essen, das Lokal wurde von dem einzigen Berliner am Tisch ausgewählt. Anfangs beschwere ich mich darüber. Berlin ist schliesslich vollgespickt mit kleinen, liebevollen Lokalen, es ist fast ein Aushängeschild dieser Stadt, da geht man doch nicht mit einem Team von Neuberlinern in eine Mall zum All You Can Eat Buffet.
Aber ich liebe bekanntermassen den beiläufigen, öden Charme liebloser Malls. Meine Beschwerden hören sehr schnell auf.

Ein paar Tische weiter feiert eine Grossfamilie aus dem Balkan Geburtstag und sie zünden kleine Feuerwerke an. Zwar keine Böller und keine Raketen, aber mittelgrosse Funkenfontänen. Das personal gerät in Aufruhr, die Mitglieder der Grossfamilie versteht die Aufregung nicht. Ist ja bloss Geburtstag.

Dann All You Can Eat. Eigentlich sollte man mich nicht in ein All You Can Eat reinlassen. I can sehr viel eaten und kann mich nur sehr schwer ausbremsen. Auf dem Nachhauseweg passe ich gerade noch so in meine Jacke. Atmen geht aber bereits schwer.