Wir haben heute den Ausflug in die Uckermark nachgeholt. Mit Frau Modeste, ihrem Mann und dem kleinen Sohn. Wir fuhren zuerst nach Brodowin. Ich wusste gar nicht so genau, was uns da erwarten würde, aber ich bin immer für Ausflüge zu haben, ich brauche gar kein besonderes Programm, ein wenig Kulissenwechsel, mich bewegen.
In Brodowin trafen wir uns bei diesem offenbar bekannten Ökohof und assen zu Mittag. Ich bestellte einen Pulled-Reh Burger, meine Frau ass Thymian-Rinderbockwurst. Der Ökohof ist ein Bauernhof mit angeschlossenem Laden, einer Küche und man darf da zwischen den Ställen herumlaufen.
Ich war ja Kuhhirte und hatte bis zu meinem 12. Lebensjahr sicherlich mehr Kühe kennengelernt als Menschen. Aber ab 13 hörte das auf. Nicht, dass ich ab dem 13. Lebenjahr keine Kühe mehr mochte, aber in meinem Freundeskreis hütete einfach niemand mehr Kühe, deswegen hing man nicht mehr bei den Kühen ab, sondern am Parkplatz bei der Feuerwehr.
Solange jemand Kühe hütete, traf man sich immer am Dorfrand, wo die Kumpels auf die Kühe aufpassten und man folgte alle paar Stunden der Herde, bzw brachte sie bei den Strassenübergängen von einer Wiese zu der nächsten.
Ab 13 wurde es ehrlicherweise ein bisschen uncool, bei den Kühen abzuhängen, vor allem, wenn im Sommer die schönen Mädchen aus Deutschland oder Italien kamen, da wollten wir nicht wie Bauernburschen wirken, sondern so cool sein wie Michael J Fox oder Michael Jackson.
Mir wurde erst vor zwei Jahren in Irland wieder bewusst, was das eigentlich für große und schwere Tiere sind. Wir liefen damals über eine Weide an der Westküste und es kamen zwei Kühe auf uns zu. Große, schwere Tiere mit langen Hörnern und einem finsteren Blick. Ich verstand zum ersten Mal, dass die mich einfach tottrampeln könnten. Dabei waren sie einfach nur neugierig auf uns, sie konnten ja nicht wissen, was lange Hörner bei Menschen für Assozationen hervorrufen. Kühe sind ja Totalphlegmatinnen, springen nie, rennen nie und streiten sich nie. Vermutlich hingen wir als Kinder deshalb so gerne bei den Kühen ab. Wir waren ein bisschen wie die, wir wurden gerne in Ruhe gelassen, wollten nie rennen, nie springen, nur ein bisschen mit Händen in den Hosentaschen herumhängen, uns alberne Dinge erzählen und Kaugummi kauen. Dieses ständige Kauen der Kühe. Diese Leckmich Attitüde.
Es ist ein lustiger Zufall, dass ich am Dienstag einen Tattootermin habe und das Motiv ist, genau, eine Kuh.
Wir haben dann auch zwei Raben gesehen. Ich glaube, es ist das erste Mal, dass ich richtige Raben gesehen habe. Ich meine nicht Krähen, sondern richtige Kolkraben, die großen Schwarzen. Ich komme aus einem kleinen Alpendorf namens Corvara, was so viel wie „Ort der Raben“ bedeutet. Corv ist rätoromanisch für Rabe, also wie Corvus auf lateinisch. Ich kann mich aber nicht erinnern, ob es in meiner Kindheit Raben gab. Verschiedene, vor allem kleinere, Krähenarten schon, aber Vögel interessierten mich damals nun wirklich nicht.
Die Rabenpopulationen wurden in Mitteleuropa ja ziemlich ausgerottet, da man sie im Mittelalter und in den darauffolgenden Jahrhunderten als Überbringer von schlechten Zeiten sah und aufgrund ihrer Größe und weil sie schlichtweg alles fressen, also auch Wirbeltiere, hatte man auch einfach Angst davor. Es ereilte sie das gleiche Schicksal wir Wölfe und Bären.
Ich las kürzlich darüber, dass sich in Brandenburg wieder einzelne Kolonien gebildet haben. Da standen wir also. In Brodowin. Über uns auf dem Dach eines Heusilos, zwei Exemplare dieses symbolträchtigen Vogeltiers, vielleicht die ersten Boten einer großen Rückkehr. Und wie sie da so saßen, finster, mit diesem langen Schnabel und dieses laute, tiefere kraaa, das eher einem rollendem grrrrrroooo ähnelt. Als ich so an die gegenwärtigen politischen Wetterverhältnisse dachte und die beiden Verkünder von schlechten Zeiten auf dem Dach zu uns herunterrufen sah, wundert es mich eigentlich nicht, dass Leute sie töteten.
Nachher fuhren wir zum Kloster Chorin. Ich wollte immer schon einmal zum Kloster Chorin. Auch wenn ich nicht wusste, was mich da erwartete, so waren doch alle Menschen, die einmal dort waren, begeistert von dem Ort.
Es regnete die ganze Zeit, auch schon in Brodowin. Es war ein schöner Sommerregen. Man konnte noch gut herumlaufen, als der Regen ein bisschen stärker wurde, stand man einfach irgendwo unter. Bevor wir zum Kloster gingen, setzten wir uns in die Klosterschenke, draussen im Garten unter ein Zeltdach. Wir aßen Grütze und Pfannkuchen. Die Frauen tranken gespritzten Aperol, wir führerscheinhaltenden Männer nicht.
Das Kloster ist eine Ruine und ein Museum. Also mit Eintritt und einem Museumsshop. Das sollte man wissen. Ich wusste das nicht, ich wusste ja nur, dass alle immer begeistert waren. Da ich als Kind zwei Jahre in eine Klosterschule gegangen bin, kenne ich Mönche und Nonnen aus erster Hand und es ist mir nicht besonders fremd, es hätte also genau so gut ein richtiges Kloster mit richtigen Bewohnerinnen sein können, ich ging da völlig unvorbereitet hin. Das klingt erst mal so, als wäre ich enttäuscht gewesen, aber das ist keineswegs so, ich hatte mir einfach keine Gedanken darüber gemacht, was Kloster Chorin hätte sein können, ausser, dass Leute immer begeistert waren. Ich war dann auch begeistert.
Es ist eine Museumsruine. Sie hat viele Gedanken bei mir ausgelöst. Zum einen fand ich vor allem den organisatorischen und wirtschaftlichen Teil der Anlage unglaublich spannend, also die Aufteilung von religiösen und der Andacht zugedachten Trakten und jenen Teilen, in denen sich das Brauhaus und die Küche befanden. Auch der Fakt, dass der ganze Komplex lediglich zwei warme Räume hatte, ist eigentlich schwer vorzustellen, immerhin zu einer Zeit, in der es etwas kälter als heute war.
Am meisten beeindruckt hat mich dann doch ein Film. Dieser wurde in einem der Räume gezeigt in denen die Mönche sich mehrmals täglich zum Beten trafen. Es war ein animierter Film über den Tagesablauf der Mönche. Ein sehr strukturierter und ritualisierter Alltag unter Männern. Demut, Gottesgefälligkeit, Unterwerfung an strikten Regeln, Machtausübung. Irgendwie sexualisiert. Ich kann mir gut vorstellen, dass man damals, wenn man einem Lebensstil oder sexuellen Praktiken zugeneigt war, die man heute dem BDSM zuschreibt, und wenn man das gleiche Geschlecht vorzog, man hinter Klostermauern ein erträglicheres Leben vorfand als draussen in einer Welt, in der man bestimmte Rollenbilder aufrecht zu erhalten hatte. Diese Erkenntnis ist vermutlich nicht neu. Sie hat sich beim Ansehen dieses Filmes bei mir nur so offensichtlich ausgebreitet.
Besonders angetan war ich von der Fusswaschung. Mönche waschten sich am Abend gegenseitig die Füße. Aus sakralen Gründen, weil Jesus das auch tat. Sie taten das Gegenseitig, ungeachtet der sozialen Hierarchie. Das gegenseitige Waschen der Füße. Wie schön.
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