[…]

Sie stieg aus einem großen Wagen aus und hatte etwas eigentümlich Konservatives an sich. Etwas, das in meiner Vorstellung nur ganz Reiche Menschen, die ungemein weit von der Welt entfernt leben, an sich haben müssen. Es war so unwirklich, wie sie aus diesem Auto stieg, sie war vielleicht Ende fünfzig, sie sah edel aus und wirkte unnahbar, ihr Blick bestimmt, sie trug ihr gelbfarben blondiertes Haar zwiebelförmig aufgetürmt.

Ich fuhr auf dem Fahrrad an ihr vorbei, sie sagte: Hey Sie, Sie haben kein Licht!
Ich habe mir oft vorgestellt, was man Menschen entgegnen könne, die sich genötigt sehen, fremde Menschen auf der Straße zu belehren. Ich wusste nie, was ich sagen soll. Heute fiel mir auch nichts ein, sie hatte mich nur etwas aus der Wirklichkeit geholt, also bremste ich erschrocken. Nach einer Pause der Besinnung sagte ich: Sie haben eine komische Frisur.

(So standen wir noch eine Weile, aber dann wurde es merkwürdig).

[…]

Seit wann ist Leonardo di Caprio eigentlich so unattraktiv geworden? Damals galt er ja als Schönling, eine Rolle, die ihm im Nachhinein betrachtet, nie besonders gut gestanden hat. Es war keineswegs Neid, ich bin ja nicht so, ich befinde mich mit schönen Männern nicht in Konkurrenz. Doch mittlerweile finde ich ihn richtig klasse, spätestens seit Shutter Island, und ab Inception wurde es nur noch besser. Die Rolle des nervösen Emporkömmlings mit den angespannten Stirnfalten, steht ihm ungemein, aber gleichzeitig wird sein Kopf stets breiter. Nicht das Kopffleisch, sondern die Kopfform an sich, sie ähnelt immer mehr einem Nachttischkasten, und sein Gesicht verrutscht seitlich nach oben hin weg in seine zurückgehenden Haarecken hinein. Es scheint eine Verbindung zwischen seiner Hässlichkeit und meinem wachsenden Gutfinden zu geben. Ich sollte es vielleicht sein lassen.

[…]

I.

  Eigentlich wollte ich vorschlagen, zur Pause die Vorstellung zu verlassen. Ich saß mit K und B im Babylon Mitte, wir besuchten eine Vorführung von Miron Zownirs „Parasiten der Ohnmacht“. Birol Ünel las den Text und FM Einheit hämmerte dazu auf Metallfedern. Das liest sich super, ich mag FM Einheit, und K mag Birol Ünel und wenn die beiden etwas zusammen machen, dann kann es sich nur um Gutes handeln.
Ich war an jenem Abend vielleicht schlecht gelaunt, ich konnte mit den Klangperformances von FM Einheit nichts anfangen, fand es ganz schlimm zu empfinden, dass sich jemand seit zwanzig Jahren künstlerisch nicht weiterentwickelt hat, ich saß im Sessel und fand das ganz schlimm, konnte kaum zusehen, wie er Klänge machte. Und Birol Ünel las, mit zwar angenehmer Stimme, aber diesen fürchterlich aufgesetzten Text von Miron Zownir. Das fand ich noch viel schlimmer. Ein eitler Text, über eitle Kaputtheit, der Text ergötzte sich an Wörtern wie FICKEN, und nochmal FICKEN und alles so KAPUTT, und roadmoviemäßig plakativ, ICH FICKTE SIE NOCHMAL usw. Und noch schlimmer als den Text, fand ich dieses demonstrative Trinken auf der Bühne, dieses eitle Besaufen, ich fand das früher bei Shane MacGowan gut, aber da war ich achtzehn, aber Männer ab dem mittleren Alter sich heldenhaft einen Runtersaufen zu sehen, finde ich wahlweise peinlich oder traurig, oder beides gleichzeitig, Alkoholismus ist keine Heldentat, ich finde das dann nicht mal kaputt traurig, sondern so dumm eitel, so dumm traurig. Aber an anderen Tagen hätte es mich vielleicht nicht so sehr gestört, vielleicht war ich einfach schlecht gelaunt, vielleicht tue ich ihnen unrecht, ich hätte vielleicht ein Bier trinken sollen.
Ich wollte zu K und B zur Pause sagen, ich fände es grottenschlecht, ich möchte die Vorstellung verlassen, keinen Bock auf den Scheiß usw.

II.

  Kurz vor der Pause kam der Autor ins Spiel. In der ersten Reihe saß ein Mann mit blanker Glatze und einem schwarzem Nadelstreifen-Anzug. Er war mitte vierzig, vielleicht mitte fünfzig. Er scheuchte dauernd die Fotografen herum und gab ihnen Anweisungen. Regelmäßig schlug er sich die Hände über den Kopf zusammen. Manchmal hob er den rechten Finger und schien den Text mitzurezitieren. Zehn Minuten vor der Pause platzte ihm der Kragen und er bestieg seitlich die Bühne. FM Einheit spielte gerade ein Solo auf seinem Laptop und Birol Ünel trank von seinem Wein, während er gelangweilt im Manuskript blätterte. Der Mann aus dem Publikum (nennen wir ihn: Autor Miron Zownir) ging gebückt zu Birol und wollte ihm etwas ins Ohr flüstern. Er hielt das Manuskript in der Hand und schien ihn auf eine Stelle hinweisen zu wollen. Birol hatte sich schon in Stellung gebracht, offensichtlich wusste er, um was es gehen würde und schnauzte (für das Publikum hörbar): das ist meine Bühne, ich bin der Interpret. Er stand auf, und der Autor machte kehrtum, zurück in den Saal. Vor mir, hinter mir, neben mir, überall Tuscheln. Nur FM Einheit musizierte unbeirrt.
Zehn Minuten später, Birol las längst wieder, wurde der Autor vorne wieder unruhig, zappelte, dann stand er wieder auf und lief zur Bühne, schlich sich seitlich heran und wollte Birol ins Ohr flüstern. Während Birol las, wohlgemerkt. Diesmal platzte Birol der Kragen und es wurde bei laufendem Mikro eine ziemlich laut geführte Grundsatzdiskussion ausgetragen. FM Einheit ließ die Musik sein, brachte ja nichts, es wurde geschubst und Schlichter gingen zur Bühne, die beiden Protagonisten stiegen herunter und verhandelten weiter über Grundsätze, die Schlichter gingen ans Mikrophon und kündigten eine Pause an, während Birol laut maulend, sich seitlich ins Publikum saß. Das Publikum beklatschte Birol.
Jetzt war Pause. Ich sagte den Satz ganz oben, ich sagte: Eigentlich wollte ich vorschlagen, zur Pause die Vorstellung zu verlassen.
Man stimmte mir zu, grottenschlechte Vorstellung, grottenschlechter Text. Aber — wir waren uns auch ganz schnell einig: man konnte, gerade jetzt, doch nicht so einfach gehen (Ausrufezeichen). Würde es ein Happy End geben, würde es eskalieren? Wir waren vermutlich sensationsgeil, wir holten uns Drinks und gingen gespannt in die zweite Halbzeit.

III.

  In der zweiten Halbzeit gab es natürlich weder Versöhnung noch eine Eskalation, dafür war die Vorstellung aber noch viel schlechter als davor, nicht nur schlecht, sondern Langweilig außerdem. Solche Sensationsgeilheit gehört aber bestraft, das war also schon okay.

[das mit dem Ballbesitz]

Übrigens: der junge Mann, der bei Fußballübertragungen den Ballbesitz der Mannschaften zählt, sitzt üblicherweise still in einer Ecke in der VIP-Lounge und hält eine hölzerne Schachtel mit einem kleinen Hebel, den er mit den Fingern bedienen kann, zwischen seinen Knien. Er schaut konzentriert dem Spiel zu, schaltet den Hebel nach links, wenn der Ball beispielsweise bei Dortmund liegt, und schaltet den Hebel nach rechts, wenn Arsenal am Ball ist. Dieser Hebel ist mit dem zentralen Computer der jeweils rechtehabenden Fernsehgesellschaft verbunden, der wiederum die Zeit mitzählt, die der Ball beim jeweiligen Team verbleibt und per Knopfdruck, in Echtzeit, die Prozentanteile des Ballbesitzes auf die dafür vorgesehene Fläche des Fernsehbildschirmes darstellen kann. Die beim Schalten auftretenden Ungenauigkeiten werden von der Fifa, der UEFA oder dem DFB in Kauf genommen. Es lässt sich nicht vermeiden, dass der junge Mann in seiner stillen Ecke, beim konzentrierten Zusehen den Emotionen verfällt, wenn er möglicherweise den Ball bei Mannschaft A erwartet, dieser aber von der Mannschaft B überraschenderweise abgenommen wurde, bevor der junge Mann dies auch emotional verinnerlicht hat. Zudem lässt sich nur schwer vorher feststellen, wenn beispielsweise ein langer Pass, den angespielten Mannschaftskollegen verfehlt und in Besitz der gegnerischen Mannschaft gelangt. Es wurde von den offiziellen Fußballorganen auch noch nicht festgelegt wem der Ball in dieser luftleeren Zwischenzeit tatsächlich gehört. Man vertraut hier sozusagen dem korrektiven Verhalten des Mannes mit der hölzernen Schachtel, wenn er seinen Emotionen folgt.

[vorgestern also]

Die Popkultur auch, als vorgestern Rambo II im Fernsehen lief. Ich habe den Film als elfjähriger zum ersten mal gesehen und war sehr angetan von der Figur dieses einsamen Wolfes, der meine ersten pubertätsbedingten, persönlichen Rückschläge mit dem Pathos und dem Selbstmitleid des geschlagenen Hundes perfekt zu spiegeln wusste.
Zudem hat Rambo II zu meiner Bildung beigetragen. Das Gespräch mit der vietnamesischen Geheimagentin auf dem Piratenkutter, das meinen Wortschatz erweiterte, als sie Rambo mit einem etwas dämlich platzierte französischen Akzent nach dem Glück fragt: »Und was ist mit Dir?« »Ich bin entbehrlich.«
Sie wieder: »Was bedeutet… entbehrlich?« Rambo spielt mit seinem Rambomesser und sagt: »Entbehrlich bedeutet, wenn man auf einer Party eingeladen wird und man nicht hingeht. Und keiner merkt es.«
Er lächelt wie ein gepeinigter Hund, sie schaut nachdenklich übers Wasser. Seitdem weiß ich, was entbehrlich bedeutet, und seitdem muss ich immer an diese Szene denken, wenn ich irgendwo dieses Wort lese.
Meine Deutschlehrerin wollte einmal die Klasse herausfordern und die intellektuellen Vorteile von Büchern gegenüber des Fernsehens hervorheben. Sie stellte der Klasse die eher rhetorisch gemeinte Frage, wo wir denn jemals im Fernsehen etwas für unsere Intelligenz gelernt hätten. Ich hob nichtsahnend meine Hand, und sie machte den Fehler, mir das Wort zu gestatten. Ich sagte: Rambo II. Ich hätte da das Wort »entbehrlich« gelernt.

Ich habe den Film wieder geschaut. Es war ein interessanter Spaziergang in meine Pubertät. In der Werbepause lief der Trailer der neuen »Es« Verfilmung von Stephen King. Ich erinnerte mich daran, dass ich das Buch vor zwei Jahren angefangen hatte, weil ich mich mit Stephen King beschäftigen wollte, Mainstream verstehen, ich finde Mainstream ungemein faszinierend, das ist die Totalgegenwart, den Mainstream zu verstehen ist unerlässlich um die Gegenwart zu erfassen. Wobei ich Stephen King trotzdem nicht verstanden habe. Ich kann mich für vieles begeistern, besonders wenn ich eine Sinnhaftigkeit dahinter erkenne, aber »Es« fand ich in weiten Teilen schlicht zu langweilig. Ich hatte vieles befürchtet, aber Langeweile hatte ich nicht erwartet. Möglicherweise liegt es an der Langatmigkeit des Buches, Seitenstränge werden zu weitläufig ausgebaut, die einzelnen Figuren werden mit langen Vorgeschichten aus der Kindheit eingeführt, mühsam wird deren gemeinsame Geschichte aufgebaut. Vielleicht ist der Mainstream (und somit das Publikum) gar nicht so flüchtig und nervös oder auf die schnelle Unterhaltung aus, wie er oft dargestellt wird. Dieses Buch, das ja als eines seiner erfolgreicheren gilt, fordert auf, sich Zeit zu nehmen. Das wirkt unheimlich altbacken. Tröstet allerdings.
K liebte es, wenn ich ihr im Bett aus »Es« vorlas. Sie schlief immer innerhalb weniger Minuten ein. Ich nahm es gelassen, es lag ja nicht an mir, es lag am Buch, wir scherzten, haha, die Langeweile. Nach 400 Seiten stellte ich das Buch wieder weg. Als ich vorgestern also den Trailer in der Werbepause sah, fiel mir ein, dass vor zwei Jahren auch die Dreharbeiten begonnen hatten und ich das Buch eigentlich vor der Veröffentlichung des Films gelesen haben wollte, ich bin manchmal so, bei mir ist alles immer Projekt. Ich holte es wieder hervor. Als K schlafen ging, sagte ich, dass »Es« ins Kino kommt und ich das Buch weiterläse, ob ich ihr daraus vorlesen solle. Sie sagte: »Super, dann schlafe ich wieder schnell ein.«

[nombre sin hombre]

Ahja, warum ich jetzt unter Klarnamen schreibe, ist ganz schnell erklärt: Künstlernamen sind so achtziger.
Das hat nichts mit der gegenwärtigen Klarnamen-Diskussion um Pseudonyme im Netz zu tun, ich finde Nicknames gut und auch die relative Anonymität im Netz. Meinen Nickname habe ich nie wirklich als Nickname gesehen, sondern viel mehr als eine Verballhornung meines richtigen Namens. Mek wurde ich immer schon genannt, mequito kam dann, als ich in Madrid wohnte und der Rest war Gag. Der Seriosität wegen brauchte ich einen Nachnamen für einen Literaturverein, also legte ich mir das Wito zu, weil mir das Pfeifer irgendwie zu Pfeiferig war, zu echt, und vielleicht, weil ich nicht googlebar sein wollte, wobei man auf meiner Arbeit immer mitgelesen hat, und es auch in meiner neuen Arbeit wieder tut, deshalb: worüber reden wir. Vielleicht ist mir ein Klarname irgendwann zu zehnerjahre-mäßig, kann sein, vielleicht gibt man sich dann nur noch Vornamen, mit Ronaldo, Pele, Kaka und mequito in einer Reihe, was weiß ich, egal, aber Künstlernamen sind mir einfach zu achtziger. So einfach ist das.

[…]

Das hat mich damals schon bei Kim Wilde irritiert. Ich liebte Kim Wilde und hatte ein Poster von ihr, auf dem sie Strumpfhose und einen kurzen Rock trug, darüber ein knappes Oberteil, das ihren Bauch freilegte. Dieser Unterschied: unten Strumpfhose, dann Kleidung und kurz darüber ein blanker Bauch.
Das hat mich damals schon irritiert. Gestern auch bei Leslie Feist. Mich irritierte dabei dieser Unterschied in der Bedecktheit. Bestrumpfte Beine sind verhüllt, man hängt aber einem Glauben nach, die Beine zu sehen, durch einen nebelverhangenen Raum vielleicht, die Lichter dimmen runter. Wenn man weiter hochsah, kam dann aber dieser nackte Bauch nach. So blank, ungefiltert. Ich fühlte mich, als hätte man mich aus Träumen geholt, ohrgefeigt. Bei nackten Armen hat es mich nie gestört, auch nicht, wenn eine Frau nichts weiter als Strumpf am Körper trug, aber so hat es mich irritiert. Strumpf – Rock – blanker Bauch. Ohrfeige.

Daran wurde ich gestern erinnert. Aber Feist sang so schön, und es ist mir ohnehin ziemlich egal.

[melancholia]

In der achtminütigen Anfangssequenz von Melancholia bricht er vermutlich mit jeder einzelnen Dogma95-Regel, bis auf die Regel mit dem Filmmaterial vielleicht, die kann ich nicht beurteilen. Schließlich endet die Sequenz mit dem Bruch des Verbots, den Namen des Regisseurs zu erwähnen, indem der Name des Films eingeblendet wird. Nicht Melancholia, nein: Lars von Triers Melancholia.

Ich meine, eine wesentlichen Zug von Triers Filmen ausgemacht zu haben, es ist die ständige Anwesenheit der Antagonismen. Sei es in den einzelnen Charakteren, die immer in Spannung zueinander oder zu sich selber stehen, seien es die Situationen, die durchgehend Gewicht haben, bei jeder kurzen Befreiung lautert das nächste Gegengewicht, man mag sich gar nicht mehr darauf verlassen, die Geschichte, zwingend dargestellt, man bleibt immer gefangen in einer, ich nenne es jetzt mal, öhm, emotionalen Anhängigkeit. Der einzige Moment, an dem man losgelassen wird, ist die späte Szene im Pferdestall, ich verrate die Details natürlich nicht, aber der Film lässt einen kurz los, zeigt, was dort passiert ist und stellt fest, dass alles so erbärmlich ist.

Es gäbe viel über Lars von Triers Filme zu sagen, aber mir ist an seinen Filmen immer am Liebsten, dass ich danach schlecht schlafe, tagelang starke Bilder im Kopf habe und lange keine anderen Filme schauen mag.

Filmbesprechnung bei Anke.

[flttr]

Ich habe Flattr wieder abgeschaltet. Ich finde es nach wie vor eine gute Sache, ich finde auch Geldverdienen im Internet eine gute Sache, und ich möchte mich für die freundlichen Klicks bedanken, alles zusammengerechnet habt ihr mir 19,25€ geschenkt. Das hat mich sehr gerührt, und wirklich sehr gefreut. Dass einige von euch tatsächlich schlichtweg hin und wieder Geld liegengelassen haben, das finde ich toll. Dafür möchte ich mich bedanken.
Und trotzdem habe ich den Flattr-Knopf von der Seite entfernt. Diese Bettelhaltung, die nach jedem Posting kommt, die hat mich zu sehr gestört. Wie beim Straßenmusiker, von dem man weiß, dass er gute Laune macht, doch wenn das Lied zuende ist, will er Kohle von Dir. Man will schon gar nicht mehr hinhören. Ich gebe Geld immer nach Sympathie. Den Langweiligsten und Erfolglosesten gebe ich Geld. Den Guten nie. Es ist eine Frage der Vernunft. Die Schlechten können es brauchen, die Guten kommen schon irgendwie durchs Leben. Bei den Guten traue ich mich nie, die Musik zu mögen, weil ich glaube, dafür bezahlen zu müssen. Ich fürchte mich davor, versehentlich mit dem Fuß zu wippen. Schon könnte der Straßenmusiker herangeschossen kommen und mit dem Zeigefinger auf meinen Fuß zeigend, mir seinen Beutehut unter die Nase halten. Ich stünde öffentlich als Raubhörer am Pranger.

Trotzdem: Flattr finde ich gut. Gerade im Hinblick auf die Taz. Wenn ich es richtig verstanden habe, finanziert sich die Taz damit eine Praktikantenstelle, das ist eine tolle Sache, aber es funktioniert nicht in dem Maße, wie es möglicherweise erdacht war. Ein Micropayment-System braucht die Masse, mit der die kleinen Beträge sich rentieren. Sonst bleibt es ein nettes Spielzeug, mit einem ernsthaften Anstrich. Die Masse ließ sich nicht mobilisieren, ich glaube das wars jetzt, lasst uns weitersehen.

["in die Allee gegurkt"]

Als mir der Prüfer von der DEKRA meinen Führerschein aushändigte sagte er, ich hätte einen blinden Flecken für Geschwindigkeitsbegrenzungen, es sei, als würde ich sie in einer halluzinatorischen Gutgläubigkeit ausblenden. So sagte er das. Halluzinatorische Gutgläubigkeit. Weil ich aber zu Langsamkeit tendiere und sonst in allen anderen Bereichen ein überaus konzentrierter Fahrer sei, zudem auch in einem etwas reiferen und somit vernünftigeren Alter, fand er es falsch, mir wegen dieses Mangels, den Führerschein zu verwehren.

Ich fahre immer vierzig oder sechzig. Ich übersehe Geschwindigkeitsbegrenzungen tatsächlich. Ich strenge mich zwar an, und werde es sicherlich bald beherrschen, aber es ist eine erstaunliche Schwäche. Ich glaube, das sind die natürlichen Stundenkilometer, mit denen ich mich motorisiert durch das Leben bewege. Vierzig in der Stadt, sechzig auf dem Land. Immer, wenn ich in Gedanken vertieft fahre, finde ich mich irgendwann mit vierzig Stundenkilometer wieder. Auf dem Land sind es sechzig. Meine natürliche Geschwindigkeit, als würde mein Bio im Rythmus mit Mutter über die Erde schweben.
Das hält auf dem Land die anderen Fahrer auf, das wusste ich vorher nicht, heute fahre ich zum ersten mal auf dem Land. Hinter mir bilden sich immer Kolonnen. Im Wald, unweit von Strausberg, sammle ich über ein dutzend Autos hinter mir, etwa sechzehn oder siebzehn. K zählt achtzehn, ich komme aber nur auf sechzehn. Auf einer geraden Strecke durch einen Acker wird das Überholverbot aufgehoben, man überholt mich sofort, aber niemand hupt.

Ortseingang Strausberg, ein älteres Ehepaar sitzt im Auto neben mir an der roten Ampel. Die Frau schaut abfällig auf meine Autotür mit dem Schritzug Carsharing Berlin herab. Ich musste also einer dieser schnöseligen Grün-Wähler aus der Stadt sein. Ja, so sehen wir aus. Ich lächle freundlich. Sie weiß natürlich nicht, dass ich die Piraten wähle.

Musikhören geht noch nicht, aber ich kann erstaunlich gut plaudern. K und ich unterhalten uns die ganze Zeit über blendend. Das habe ich von meinem Fahrlehrer gelernt.
Ich konzentriere mich auf 70km/h. Die Abwechslung von Licht und Schatten. Wenn man schneller fährt, geht die Allee in Sequenzen von Bildern auf, sie verschwimmen und werden zur Bewegung, nicht fließend, aber die Landschaft hinter den Bäumen geht in einen Super-8 Film über, eine Landschaft aus den Siebzigern, die Verschlußklappe des Filmes klappert, es fehlt das Audio, es könnten mir jeden Moment Menschen in die Kamera winken, man sieht die Lippen bewegen, aber man hört sie nicht. Wenn man beschleunigt, und die Augen dabei zu dünnen Schlitzen schließt, verwischen die Farben. Das Meditative der Brandenburger Alleen. Wir würden den Kopf in den Nacken legen.

Ich kann noch nicht tanken. Auch K kann nicht wirklich tanken. Ich schiebe mein erstes Tanken vor mir her, bis ich jemanden im Auto sitzen habe, der mich notfalls retten kann. Beim Carsharing muss man erst tanken, wenn der Tankanzeiger auf ein Viertel steht. Bisher hatte ich immer Glück. Sähe ich den Füllungszeiger einmal auf kurz vor Viertel, ich glaube, ich würde nicht einsteigen. Ich weiß nicht, was schiefgehen kann, ich könnte es natürlich auch googlen, aber Google mein Arsch, es muss auch ohne Google gehen.

Einfache Sachen machen wie fahren, ist einfach. Schwierig wird es bei schwierigen Sachen. Zum Beispiel: anhalten auf einer Landstraße. Ich habe das nicht hinbekommen. Es scheitert stets daran, dass ich die Parkstelle zu spät als solche erkenne und das Auto hinter mir im Weg steht, da ich Angst habe, zu fest auf die Bremse drücken zu müssen. Es hat mich niemand darauf vorbereitet, mir solche Dinge antrainieren zu müssen. Parkstellen frühzeitig erkennen. Was für eine bescheuerte Sache.

Irgendwann vor Berlin: ich sehe das Tankstellensignal aus der Ferne. Tankstelle bedeutet Parkplatz, ich kann mich vorbereiten: Blick in den Rückspiegel, Blicke in die Seitenspiegel, Blinker, runter vom Gas, dritter Gang, zweiter Gang, leicht bremsen und: rechtsrum. Ich fahre auf eine Zapfsäule zu, will aber doch nur parken, reiße das Lenkrad rum und gelange auf eine asphaltierte Fläche hinterm Tankhaus. Keine aufgemalten Parkfächer, ich stelle mich also an die Seite, bin mir aber nicht sicher, ob ich richtig stehe, wende zwei mal, beschließe einfach, dass ich richtig stehe, ich bin ja der einzige hier, und puh, stelle den Motor aus, gerate erst ins Rollen, erinnere mich an die Handbremse, ziehe sie an und: gut ist. Das Auto steht.
Wir steigen aus. Gehen in den Tankstellenshop und bestellen einen Kaffee. Der Tankwart an der Kasse lächelt mich freundlich an. Er reicht mir eine Karte und fragt:
-Trinken sie öfter bei Shell Kaffee?
-Ob ich öfter bei Shell Kaffee trinke?
-Ja
-Ich weiß nicht genau
-Wollen Sie denn öfter bei Shell Kaffee trinken?
-Ich weiß nicht genau
-Ich gebe Ihnen unsere Kaffeekarte, für jeden Kaffee bekommen Sie einen Aufkleber. Den sechsten Kaffe bekommen Sie umsonst.

Ich nehme die Kaffekarte entgegen. Es kommt mir vor, als würde ich ab jetzt Fleißbildchen sammeln.