[so, 26. Feb]

Am Freitagabend trafen wir uns im Cafe Jacques am Maybachufer. C feierte ihre Promotion (deswegen war sie in Berlin, ihre Alma Mater). Ihre Familie aus Österreich war zugegen und die liebsten Freunde. Auf dem Weg ins Cafe Jacques ereilte mich die Nachicht, dass die ganze Gesellschaft noch in Steglitz festsäße, ich aber schonmal vorausgehen sollte um den Tisch besetzt zu halten. Das bereitete mir wenig Freude, die Aussicht eine halbe Stunde lang alleine an einem Tisch für achtzehn Personen zu sitzen, würde ein trostloses Bild abgeben. F und R saßen aber schon da, das freute mich, aber doch war ich ein wenig verwundert, die beiden würden am nächsten Tag heiraten, ich hatte aus diesem Grund nicht mehr mit ihnen gerechnet. Mit den beiden sollte die halbe Stunde schnell vorübergehen.
Danach trudelte der Rest ein. Wir aßen und tranken, es wurden Reden gehalten, es wurde viel gelacht, mit dem Voranschreiten des Abends wurden die Reden immer wackeliger, aber auch lustiger, die Hemmungen fielen ein bisschen, der Brandy half kräftig mit. Am Ende, als wir das Lokal verließen, begann ein Teil unserer Gruppe vor dem Tresen Paartanz zu tanzen.
Danach gingen die jungen Leute noch in die Oranienstraße in den Cake Club, die älteren Leute ins Hotel.

Am nächsten Tag brauchte ich lange, um mich zu sortieren. K ging es ähnlich. C war schon wieder unterwegs um ihre Familie durch Berlin zu führen. Am Nachmittag suchte ich meine Tasche, da ich Franz Hessel lesen wollte, doch ich fand sie nicht und dann kamen die verschwommenen Bilder vom letzten Abend hoch, der Jackenhaufen in der Sitzecke des Cake Club, die Taxifahrten, aber keine Erinnerung mehr an die Tasche. Tasche also verloren, mein Notizbuch weg, meine Bankkarten, Kreditkarte, Führerschein, Reisepass, Ebook Reader, Buch, nur das Handy war noch da. Anruf bei Jacques: nichts. Anruf im Cake: nimmt niemand ab. Taxi: wobitte.
Danach verlor auch noch Hertha 3:0 in Augsburg.
Um Sechs Uhr machten wir uns auf den Weg nach Charlottenburg zur Hochzeitsfeier von F und R. Wir brauchten mit dem Taxi eine knappe Stunde, zwei Demos legten die ganze Stadt lahm. Das frischvermählte Paar hatte ihr Lieblingsrestaurant angemietet, siebzig Leute waren zu Gast, wir wurden an den Tisch mit einem Franzosen und einem Ehepaar mit Kind gesetzt. Die Konversation verlief schleppend an, was aber vermultich an meinem verbeulten Zustand liegen musste (dabei sah ich in diesem neuen Anzug so verdammt schick aus), dass ich wenig Output zu geben vermochte. Ich blieb auch vorsichtig, trank nur kleine Biere und viel Wasser dazwischen, aber auch viele kleine Biere machen Mist und irgendwann kamen die Ouzos (wir befanden uns in einem griechischen Restaurant), und schließlich erreichte ich jemanden unter der Telefonnummer des Cake Clubs, der mir bestätigte, dass meine Tasche gefunden wurde, es war alles noch drin, bis auf den Ebook Reader (natürlich), das erhellte meine Laune erheblich und als dann die Tanzfläche eröffnet wurde, ging alles von selbst.









[do, 23. Feb]

Nach der Arbeit bin ich mit K in den Westen gefahren um mich mit neuer Kleidung einzudecken, am Samstag werden F und R nämlich heiraten und alle meine guten Kleider sind verlottert. Das rührt daher, dass ich nahezu nie Kleider trage, die man unter der Bezeichnung casual führt, da ich selten zwischen Anlässen unterscheiden mag, weder bei einem beruflichen Kundentermin, noch in einer verrauchten Spelunke, ich fühle mich immer gleich, ich stelle immer das gleiche dar. Aus diesem Grund verbrauchen sich meine Kleider ungemein schnell und wenn ich nicht darauf achte (mache ich nie), verlottern meine Kleidern zusehends, sozusagen am lebendigen Leibe. Eine Hochzeit ist einer guter Anlass, sich des Verlotterns wieder bewusst zu werden, daher sind wir in den Westen gefahren und ich habe mir eine Erfrischung verpasst. So ist das.

#

Später kam C. Bei uns zu Besuch in Berlin. Wir haben Pasta gegessen. Vorher haben wir den Prosecco aufgemacht und währende des Kochens bin ich eine zweite Flasche aus dem Spätkauf holen gegangen und als die dann fertig war, habe ich mich erneut in den Spätkauf begeben und weil ich mir vorgenommen habe, nach einem gewissen emotionalen Pegel nicht mehr zu lesen, äh schreiben, schreibe ich jetzt nicht mehr.

[mi, 22. Feb]

Heute den ganzen Tag Zahlen hin und her geschoben. Um mich nach der Arbeit zu belohnen, bin ich zum Zahnarzt gegangen und habe an mir rumdoktern lassen.

# 20:45 Üblicherweise fällt es mir nicht schwer, den FC Bayern verlieren zu sehen, allerdings gab es Phasen, zB letzten Herbst gegen den SSC Napoli, als die Bayern in der ersten Hälfte eine Art kosmische Einheit mit dem Ball eingegangen zu sein schienen, diese spielerische Leichtigkeit, mit der die Mannschaft ganze Galaxien zu übernehmen bereit war; das war eine sehr beeindruckende Vorstellung von etwas, das mit Ballsport vermutlich nicht mehr viel zu tun hat.
Doch seit Anke Gröner ständig über die Bayern bloggt, schaffe ich es nicht mehr, den Bayern ungeniert freudig beim Verlieren zuzusehen. Es wurde ein Keim gesäht. Verlierende Bayern produzieren nun eine leichte Kollateralfreudlosigkeit, die zu ertragen merkwürdig ist. Freude/Scheiße. Das kann man ärgerlich finden, andererseits ist es nicht sehr schlimm. Ich mache jetzt: Freude/Scheiße/Egal.
Letzte Woche war ich beim Friseur und habe mir Extreme Thickening Glue für das Haar gekauft. Als ich die Tube in der Hand hielt dachte ich: Mario Gomez. Ich hatte es zuvor öfter beobachtet, aber mich nie darüber gewundert, warum Marios Haar neunzig Minuten lang aussieht wie das Haar einer griechischen Statue aus schwarzem Marmor. Aber jetzt weiss ich: Extreme Thickening Glue.

[di, 21. Feb]

Zugegeben: könnte man den Ebook-Reader nicht so cool aus der Jackeninnentasche ziehen (oder ihn betont gelangweilt wieder zurückstecken), würde man, würde man, würde man.
Die Naserümpfenden Blicke in der Ubahn gibt es übrigens nicht mehr, die neugierigen Blicke von links und rechts auf das Display werden weniger. Ein neuer Trend scheinen die kleineren Tablets zu sein, aber Ipads natürlich weiterhin. (Chronistenpflicht.)
Andererseits hängt es natürlich davon ab, durch welchen Stadtteil die Ubahn tuckert, allerdings ändern sich nicht die Geräte, sondern die Inhalte, die auf den Geräten angezeigt werden. Der Mann, der in den Wedding fuhr, spielte auf seinem Ipad Poker. (Ich las Sport auf den Bildschirmen der BVG).

# eine Seite

[mo, 20. Feb]

Nachdem ich im Büro den ganzen Tag Rechnungen und Verträgen hinterher gelaufen bin, traf ich mich am Abend mit A im Haus am See am Rosenthaler Platz. Ich hatte ein Geschenk für sie aus Lissabon dabei und bisher noch keine Gelegenheit gefunden, es ihr zu überreichen. A trinkt nämlich keinen Alkohol. Manchmal ist das wie ein Geschenk, weil es mich davon abhält zu trinken, wenn wir Abends weggehen, meist ist es aber ungünstig, weil ich üblicherweise trotzdem trinke und ich mich irgendwann zum Affen mache, während sie mit Klarheit im Kopf die Gesprächsfäden festhält. Im Dezember sagte sie mir, sie hätte jetzt den Alkohol für sich entdeckt, sie hätte Portwein probiert und das schmecke ihr gut. Das verzückte mich wiederum, weil es sich anfühlte, als bekäme ich eine neue Freundin im Geiste (ich übertreibe natürlich, das war ja vorher schon so). In Lissabon angekommen, drängte sich das Geschenk nahezu auf. Ich entschied mich für eine kleine Geschenkbox mit einem halben Dutzend kleiner Portwein-Flaschen, vermutlich ist es in der – ich nenne es jetzt mal: – Entdeckungsphase spannender, wenn man sich an einem breiteren Sortiment bedienen kann, als an einer einzelnen großen Flasche. A wiederum hatte auch ein Geschenk für mich dabei, wegen meines Geburtstages letzten Monat. Sie überreichte mir ein Buch von Franz Hessel mit dem Titel „Spazieren in Berlin“, möglicherweise eine Referenz an meine Spazierlust und meine manchmal etwas komplizierten Routen und vermutlich anstrengenden Erklärungen zum städtischen Kontext. Das Buch wird mit einem Vorwort von seinem Sohn Stephane eingeleitet, ja genau, _der_ Stephane Hessel, was mir als kuturell-historischer Zusammenhang ungemein gefiel, ohne es genau erläutern zu können warum. Vielleicht so: wie der Vater im preußischen Stettin geboren wurde, das heute wiederum Polen ist, nach Frankreich auswandert und in den Zwanzigern nach Berlin zurückkehrt, um ein paar Jahre später vor den Nazis zurück nach Frankreich zu flüchten (und dort dann ’41 stirbt). Davor hat er einen Sohn gezeugt, der später in die Résistance geht und als beinahe Hundertjähriger ein Pamphlet schreibt, von das ich über Facebook wahrnehme.
Ich kannte Franz Hessel vorher nicht.

# Zuhause angekommen rief mich mein Vater an; ein sehr ungewöhnliches Vorkommnis. Ein bisschen überrascht, aber auch neugierig (komischerweise nicht besorgt) nahm ich ab, dann plauderten wir etwa fünfzehn Minuten locker über dies und das.

# Das Thema Bundespräsident geht ziemlich an mir vorbei. Seit ich mir in den Kopf gesetzt habe, dass das Amt des Bundespräsidenten überflüssig ist, bin ich nicht mehr imstande, Interesse für das Thema aufzubringen. Als wäre es verschwendete Energie.

# westberlin.tumblr.com

[so, 19. Feb]

Ich putzte gerade die Zähne, als mich die Lust ereilte, wieder Tagebuch zu schreiben, hier, im Blog, die Tage dokumentiert, vielleicht wieder einen ganzen Monat, vielleicht nur ein paar Tage.

# Ziemlich spät aufgestanden (09:15) und mich mit einem großen Milchkaffee an die Nachrichten gesetzt. Vor allem die Stimmen von gestern weitervefolgt, über Rehhagels einstieg bei Hertha, was schon ein ziemlicher Kracher war. Ich kann mich der Faszination für Rehhagel in seiner Rolle als gutgelaunter, autokratischer Feuerwehrmann nicht entziehen. Wenn man Hertha retten will, dann sicherlich nur indem man sagt: ab morgen hören alle auf mein Kommando.

# Mit K die Tagesplanung verhandelt, sie würde arbeiten, also würde ich am Nachmittag schreiben. Ich kam dann wenig dazu und las stattdessen Mandels Büro von Berni Mayer, was bei mir allerdings die ärgerliche Nebenwirkung auslöst, keine Zeile mehr schreiben zu können, da es zu sehr auf meine Sprache abfärbt. Was beim Berni gut klingt indem er diesen Roadmovie-Sound aussprudelt, wird das bei mir zu einer hilflosen Verzahnung von Handlungsabläufen. Wenn ich Bernis Buch lese, muss ich nachher immer etwas anderes lesen um noch schreiben zu können. Sowieso ist dieses Abfärben sehr ärgerlich, momentan klingt bei mir alles nach Bolaño, leider dessen Bezirksliga-Version, was alles zusätzlich betrübt.

# Zwei Seiten geschrieben.

[trend. meiner.]

Diese von Cem Basman angeleierte Reflektion (früher nannten wir es Stöckchen) auch hier. Wie schön man daran auch ablesen kann, dass das Internet nie eine Bewegung gewesen ist, sondern immer einfach ein Werkzeugkasten, nur früher eben als Blogs gebündelt, die als eine Art gemeinsamer Nenner gesehen und daher missverstanden wurden. Die Werkzeuge im Netz haben sich vervielfältigt und wem ein gewisses Werkzeug gut in der Hand liegt verwendet es eben. Ich halte Facebook meistens offen, wenn ich am Rechner sitze, oder wenigstens öffne ich die Seite mehrmals täglich, um zu sehen, was meine Leute so machen, Fotos anzusehen, Links zu folgen, Facebook ist tatsächlich eine durchlaufende Linkliste, in der ich verfolgen kann, was mein sozialer Kreis liest, oder wie mein sozialer Kreis die Nachrichten aufnimmt und verteilt, es ist eine Meinungswolke, die sich durch das Tagesgeschehen schiebt. Dazwischen sind Befindlichkeiten gepostet und regelmäßig ein Comicbildchen, ich liebe Comicbildchen, ich klicke auf jedes der geposteten Comicbildchen. Googleplus ist im Funktionsumfang ähnlich, doch gefällt mir die Haptik besser, es wirkt ausgreifter auf mich, besinnlicher vielleicht auch, nicht so schreierisch, zudem werden auf Googleplus längere Einträge verfasst, und die besseren Diskussionen geführt, ich weiß nicht, warum das so ist, möglicherweise liegt es an der Ruhe, die die Oberfläche abgibt. Aber trotzdem schaue ich bei Googleplus seltener rein, manchmal habe ich das Gefühl, Googleplus würde ein bisschen schlafen. Aktiv beteilige ich mich weder das eine noch das andere übermäßig viel.

Twitter hat mich nie sonderlich gepackt. Die Beschränkung auf 140 Zeichen hat mich bei meinen etwa zwanzig Tweets zwar nie gestört, im Gegenteil, ich reduziere gerne Saucen und Texte, bei Twitter fand ich diese Reduzierung auf Microebene eigentlich sehr anregend, aber Twitter wirkte auf mich immer eher wie Gegacker (Cackler) denn als Gezwitscher. Ohne es werten zu wollen, es funktioniert ja gut, aber wenn ich etwas lustiges tweeten will, sehe ich die Twitter-Timeline vor mir und denke: du kannst dein olles Gegacker jetzt doch nicht in diesen Hühnerstall schmeißen. Ganz schlimm für mich.
Andererseits lese ich Tweets gerne, besonders wenn sie in Facebook erscheinen.
cackler.com ist übrigens frei.

Das Blog ist immer noch am ehesten meine Form. Für die persönlichen Inhalte. Und nur die persönlichen Inhalte. Neuerdings las ich mehrmals, das jemand Wert darauf lege, seine Blogtexte als Fiktion verstanden zu wissen. Ich nicht. Mein Blog ist nur autobiographisch. Es gibt nicht einmal eine Kunstfigur (ok, ein Farbfilter -rosa- liegt vielleicht drüber). Ich glaube, ich will auch nur Blogs lesen, die autobiographisch sind. Ich lese Blogs, weil ich den Charakter hinterm Blog mag (ähnlich lese ich auch Bücher, mich interessieren die Figuren), ich mag die Subjektive Sicht der Person auf die Dinge. Wenn jemand mir eine Kunstfigur vorgaukelt: auch okay, aber Gemeinschaftsblogs lasse ich üblicherweise liegen, oder fiktive Sachen finde ich auch schwierig. Ich habe vier fiktive Texte in meinem Blog, offensichtlich Fiktion, die fühlen sich alle fremd an. Sie bleiben aber da wo sie sind, vielleicht weil sie jetzt Teil der Chronik sind, meiner Chronik, was weiß ich.
Andererseits: es ist mir total wurscht ob jemand Fiktion in sein Blog schreibt oder nicht.

Xing: Xing finde ich schwierig. Xing verstehe ich nicht ganz, ich adde aber Profis.

[lesbar]

Am Tag vor der Lissabonreise habe ich mir dann einen eBook-Reader von SONY gekauft, weil ich schon seit längerem neugierig auf die Verwendbarkeit solcher Geräte bin, zudem habe ich gemerkt, dass ich Roberto Bolaños „2666“ nicht mehr mit in die U-Bahn nehme, da es mir schlicht zu schwer ist. Ich bin da ganz undogmatisch, lasse zwar die Wichtigkeit des Geruchs und der Haptik von Büchern gelten, kann mit dem Festhalten an dieser aber genauso wenig anfangen. Ein Buch ist ein Buch, aber eben nur ein Buch und ein Text ist halt ein Text und hat mit dem Buch erstmal nichts zu tun. Mir geht es beim Lesen eines Buches (oder je nachdem: eines Textes) hauptsächlich darum, dass es unumständlich ist. Ein dünnes Buch kann ich umbiegen, mit einer Hand festhalten, überallhin mitnehmen und einer lästigen Fliege mit dem Tod drohen. Mit einem eBook-Reader wirke ich auf lästige Fliegen unseriös, kann dafür aber scrollen und dicke Bücher handlich lesen. Ein dickes Buch ist ein umständlicher Klotz, den ich ungerne halte. So einfach ist das für mich.
Als ich den Reader dann in der Hand hielt und den ganzen Tag damit rumgenerdet hatte, machte ich mich ans Kaufen von eBooks und stellte fest, dass es „2666“ gar nicht als eBook gibt. Zumindest nicht auf deutsch. Der deutsche Markt gibt es wohl noch nicht her. Das war natürlich enttäuschend, zumal ich gerade jenes Buch in Lissabon lesen wollte. Dafür lud ich mir andere Klötze herunter, die ich zwar als Bücher herumstehen habe, ich aber als unhandliche Klötze wieder zurück ins Regal gestellt habe. Hans Falladas Jeder stirbt für sich allein und David Foster Wallaces Unendlicher Spaß. Auf dem Reader sind sie beide lesbar. Vielleicht nehme ich jetzt auch wieder Ulysses auf.

Ich bin überrascht, wie gut sich auf einem Reader lesen lässt, es verhält sich wie beim Lesen eines Buches, man braucht Licht, je mehr Licht, desto besser liest es sich. Der Reader spendet selber kein Licht, hat keine Hintergrundbeleuchtung, nichts, das ist nicht vergleichbar mit einem Handy oder einem iPad, das nennt sich elektronische Tinte, und genau so wirkt das auch, Tinte, die man halt scrollen kann. Außerdem verbraucht das Teil kaum Strom. Was mich hauptsächlich von solchen Readern abgehalten hat, ist diese Abhängigkeit vom Strom, immer mit dem Akkustand meiner Geräte im Hinterkopf, durch das Leben zu stapfen, das ist ein hassenswerter Dauerzustand, seit ich Laptops und Handies besitze, ich wollte nicht noch ein Register in meinem Kopf dafür freigeben. Aber Reader brauchen kaum Strom, eigentlich nur beim Blättern, wenn sie Zeichen auf dem Bildschirm neu aufgebaut werden müssen. Und sonst schläft er. So wird er zum geduldigen Papier.

[fünf, vier, drei, etc]

Vorher zwei Stunden durch den Darßer Urwald gelaufen. Sumpflandschaften; im Wasser stehen die Bäume mit hochgezogenen Hosenbeinen und fristen der Dinge, lehnen aneinander, hängen und darben. Wir haben den Weg unterschätzt, wir wollten nur zum Weststrand, gäbe es nicht hin und wieder einen gutgelaunten Fahrradfahrer, ich würde dem GPS-Signal auf meinem Handy ankreiden, es sei verzaubert.
Eine Stunde später erreichen wir den Leuchtturm. Der Leuchtturm schließt, es ist sechzehn Uhr, der Tag dämmert, und uns dämmert, dass wir unmöglich den Heimweg durch den finsteren Wald antreten können. Wir sehen einen Kutscher, der auf Kundschaft wartet, er nimmt uns mit, und noch ein dutzend anderer Gestrandeter. Wir fahren eine Stunde durch den Wald, es ist finster, erst lachen wir noch, doch vom Sitzen wird es kalt, wir klappen die Kragen hoch und ziehen die Mützen ins Gesicht. Ich vergrabe meinen Kopf und schließe die Augen.
Irgenwann: Licht. Wir fahren in Prerow ein. Wir lassen uns in einem Cafe absetzen, nehmen Kaffee und Kuchen, bekommen wieder Farbe im Gesicht und spüren die Zehen wieder. Der Kutscher kennt seine Schäflein.

#
Fünf, vier, drei, zwei, eins.

F hat uns wieder Königsberger Klöpse gemacht. Wie letztes Jahr. Auf K’s und mein Bitten hin. Königsberger Klöpse sind R’s Lieblingsgericht. K und ich sind Traditionalisten, zumindest wenn es um Königsberger Klöpse geht.

Danach sind wir durch das Dorf zur Seebrücke gepilgert. Den gesamten Ort schien es an die Seebrücke zu ziehen, über diesen geschwungenen Weg, über eine Brücke und durch die Dünen zum Strand, als gäbe es ein Licht am anderen Ende.

#
Erster Januar. Ich schreibe diese Zeilen in Prerow an der Ostsee ins Notizbuch, während ich vor offenen Verandatüren sitze. Draußen regnet es leicht, es fühlt sich nach Oktober an, Ende September vielleicht. Vorhin habe ich mir einen Kaffee gemacht, ich las ein Buch und wusste lange nicht, warum mir so unwohl war. Als ich merkte, dass mir schlichtweg zu warm war, habe ich allererst die Heizung ausgemacht, als das nicht half, öffnete ich die Türen zur Veranda und fand draußen diesen wunderbaren Herbst vor.

[das Licht ist okay]

Dieses Jahr hatte ich in einem abenteuerlichen Moment daran gedacht, einen Weihnachtsbaum anzuschaffen. Vielleicht nur um K zu erschrecken, vielleicht einfach um mal etwas wildes zu tun. Ich habe es dann nicht getan. Dafür hat uns die Putzfrau eine wächserne Tanne mit Docht auf den Tisch gestellt. Die hat uns beim Essen die Weihnacht geleuchtet. So ein Kitsch ist wunderbar, wenn man nicht selbst dafür verantwortlich ist. Ich habe mich sehr aufgehoben gefühlt.

Am letzten Arbeitstag vor Heiligabend kam die junge Russin in unser Büro. Sie ist nicht das, woran man denkt, wenn man eine junge Russin typisiert, sie ist eher der herzliche, strahlende Typ. Sie wollte sich persönlich bei uns bedanken, für das schöne Jahr, das wir ihr beschert hatten, für die gute Zusammenarbeit und sie würde sich sehr auf das nächste Jahr mit uns freuen. Es sei ihr sehr wichtig, das zu sagen. Das sagte sie so, strahlend, als sie in der Tür stand, in unser IT-Büro hinein. Wir wussten nicht so recht, wie wir damit umgehen sollten, es nahm uns ein bisschen mit.
Später, als A und ich die Firma verließen sagte ich zu ihm, Mist, wir sollten das auch so machen, herumgehen von Büro zu Büro, und den Menschen aus ganzem Herzen danken, für alles einfach, rundum ausholen und so einen erweichenden Dank über die Leute gießen.
Ja sollte man, aber wir waren uns schnell einig, dass das schlechtes Licht auf uns werfen würde.

„Ich möchte nicht deine Browserhistory sein“