[Mo, 15.7.2024 – Atemalkohol, schlechte Laune Wölfe]

Die nordischen Länder verfolgen traditionell eine sehr unentspannte Alkoholpolitik. Das betrifft alle nordischen Länder, neben Norwegen und Schweden, also auch Finnland, Island und die Faröer. Lediglich in Dänemark ist der Verkauf von Alkohol frei.
Ich finde die restriktive Politik nicht unbedingt schlecht, Alkohol ist schliesslich eine schlechte Sache. Andererseits bin ich ein ausgesprochener Liebhaber alkoholischer Getränke, deswegen finde ich allgemeine Verfügbarkeit von meinem Lieblingsbier eine gute Sache. Wie so oft sind die Dinge nicht einfach.

In Schweden kann man jedenfalls nicht einfach so Alkohol kaufen. Im Supermarkt gibt es alkoholische Getränke bis zu 3,5 Volumenprozent. Das ist nicht viel. Gewöhnliches Bier enthält ab etwa 4,5 Prozent. Alles darunter fühlt sich auf der Zunge leicht wässrig an. Für seriöse Getränke muss man also ins Systembolaget. Systemet oder Sysbollah, wie man es sonst auch nennt. Systembolaget ist ein staatliches Unternehmen. Es hat nur von Montag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr geöffnet und am Samstag von 10 bis 13 Uhr. Man muss mindestens 20 Jahre alt sein und man wird regelmässig nach einer Legitimation gefragt. Auch für Leute wie mich. Hat man keinen Ausweis oder wirkt man betrunken, darf man auch keinen Alkohol kaufen.

Mehr zu Systembolaget findet auf der Wikipedia Seite.
Davon ausgenommen sind natürlich Restaurants und Bars.

Der Vorteil von Sysbollah ist, dass die Auswahl an Bieren und Weinen wirklich hervorragend ist. Selten sieht man derart gut kuratierte Bierregale. Allen voran verschiedene schwedische und norwegische Handwerksbrauereien, aber natürlich auch deutsche Industriemarken. Noch besser sieht es bei der Auswahl an Weinen aus. Sysbollah führt ein beeindruckendes Sortiment an Weinen. Wenn die gelisteten Weine nicht in dem lokalen Geschäft vorrätig sind, kann man sie bestellen und erhält sie garantiert innerhalb 24 Stunden ins lokale Geschäft geliefert.

Heute waren mein Schwiegervater und ich sehr früh in der Stadt. Sein Auto hat einen seltsamen Schaden an der Unterseite, deswegen fuhren wir mit zwei Autos zur Volvo-Werkstatt. Dort teilte man uns mit, dass es ein oder zwei Stunden dauern würde, bis sie eine Aussage treffen könnten. Deswegen fuhren wir in die Stadt, um Einkäufe zu tätigen. Zuerst zu Sysbollah, dann in den Supermarkt und dann zu Telia. Systemet öffnet um 10 Uhr. Um 10:01 fuhren wir auf den Parkplatz ein. Wir stiegen aus dem Auto aus, ich wollte gerade zusperren, dann stand ein Polizist vor mir und fragte nach meinem Führerschein. Er konnte genug Deutsch, um das Wort in meiner Sprache auszusprechen. Er hielt mir auch ein Gerät vor die Nase, um meinen Atemalkohol zu testen.
Der Polizist war nicht gut gelaunt.

Am Montagmorgen bei der Öffnung von Systembolaget auf deren Parkplatz Kontrollen durchzuführen, ist sicherlich eine clevere Idee. Zumindest aus Sicht des Polizisten. Montag um 10 kommen jene Leute, die den Alkohol wirklich nötig haben oder jene Leute, denen auf der Party der Sprit ausgegangen ist. Oder eben unbescholtene Bürger wie ich.

Ich war sehr erfreut. Ich hatte bisher noch nie das Privileg, in ein solches Gerät zu blasen, ich kannte das nur aus Erzählungen und aus Filmen. Ich sagte Momentmoment, zeigte auf meinen Kaugummi im Mund, ich konnte ihn nicht einfach auf die Strasse spucken, also wühlte ich im Auto nach einem Stück Papier. Dann nahm ich den Gummi demonstrativ aus dem Mund und zerdrückte ihn, in einen Kassenbon. Dann atmete ich tief durch und fragte, ob ich da einfach pusten müsse. Ich fragte auf englisch. Er nickte ernst, ich pustete, dann schaute er auf sein Display, alles schien gut und dann ging er schon wieder weg.
Ich würde nicht einmal gebührend gefeiert, dass ich nüchtern war.

Später kontaktierte uns Volvo, die uns mitteilten, dass sie den Schaden relativ unkompliziert beheben können, es aber einen Tag dauere, wir würden das Auto erst morgen abholen können. Also fuhren wir zurück in den Wald.

Den Rest des Tages hatte ich viele Diskussionen mit meiner Frau und davon wurde ich sehr schlecht gelaunt. Also wirklich schlecht gelaunt. Am späten Nachmittag versöhnten wir uns einigermassen, aber die schlechte Laune blieb. Wir machten einen langen Spaziergang mit der Hündin im Wald. Seit kurzen wissen wir, dass die Gegend, in der wir uns befinden, die wolfreichste Gegend des ganzen Landes ist. Das fand ich nicht unbedingt cool. Aber Wölfe sind immerhin besser als Bären. Ich würde mir durchaus zutrauen, einen Wolf in die Flucht zu jagen. Bei einem Braunbären ist das nicht ratsam. Bären gibt es in unserer Gegend aber kaum. Die leben wesentlich nördlicher, ab der Nordseite des Väner-Sees, und in der Gegend von Östersund.

[So, 14.7.2024 – Waschtag, Gummistiefel]

Am Morgen mit der Nachricht des Attentats auf Trump wach geworden. Man ahnt sofort die Wahlkampftöne, die in den nächsten Monaten angeschlagen werden.

Es ist Sonntag. Also wusch ich mich. Wir haben hier kein richtiges Badezimmer, aber einen kleinen Raum mit einem Waschbecken und einer Brause. Der Raum ist mir Linoleum ausgelegt, daher kann man die Brause für eine Katzendusche verwenden. Üblicherweise springt man im Sommer einfach in den Fluss und wäscht sich dort. Aber dieser Sommer ist bisher sehr kühl geblieben, die Tageshöchsttemperatur übersteigt nicht die 22 Grad. Das Wasser im Fluss misst etwa 12 Grad. Mein Schwager springt jeden Morgen um halb acht in den Fluss. Das ist nicht mein Kink. Ich verwildere hier, ich muss mich nicht waschen. Erst heute, am fünften Tag, fiel mir auf, dass mein Körper einen gewissen Dunstpegel überschreitet. Ich sprang aber nicht in den Fluss, sondern griff zum Brausekopf.

Diesen Sommer brachte ich meine Hochwasserstiefel aus Berlin mit. Ich habe bereits oft über meine Gummistiefel geschrieben. Ich besitze jetzt ein paar schicker Gummistiefel für die Zivilisation und schwarze hohe Gummistiefel für Wasserkatastrophen oder eben für die Wildnis. Hier tragen wir meist hohe Gummistiefel, wenn wir ins hohe Grass gehen. Wegen Schlangen, kleinen Tieren und natürlich Insekten bzw. Spinnentieren wie Zecken. Das ist auch der Grund, warum ich immer das hohe Gras mähen will.

Alle haben hier ihre eigenen Stiefel. Mir wurde irgendwann ein Paar alter Gummistiefel zugewiesen, das ich eine Zeit lang gerne trug, vor allem weil es ein gutes Gefühl war, eigene Stiefel in Skandinavien zu haben, die das ganze Jahr warten, um von mir getragen zu werden. Nun habe ich aber schon seit einigen Jahren das Problem, dass ich immer mit dunklen Streifen an den Waden zurück nach Berlin komme. Die Streifen sind eher eine Art Schatten, die aus der Ferne allerdings aussehen wir Strumpfhalter. Wie diese altmodischen Strumpfhalter für Herren aus den Dreissigern des letzten Jahrhunderts. Der obere Rand dieser Gummistiefel färbt auf meine Waden ab und hinterlässt diesen seltsam sexuell aussehenden Streifen. Es ist aber nicht einfach eine Farbe, es muss eine andere Art der Ablagerung sein, ich bekomme sie nämlich wochenlang nicht ab, auch nicht mit Bürsten. Es scheint, als müssten die Streifen regelrecht rauswachsen bzw abschuppen. Ich weiss nicht genau, was da los ist.
Deswegen brachte ich diesen Sommer meine schwarzen Gummistiefel aus Berlin mit. Ich wollte wissen, ob es an den Stiefeln liegt. Und tatsächlich. Mit den Berliner Stiefeln kriege ich diese Fetischstreifen nicht. Der Erkenntnisgewinn ist gering. Die Freude darüber allerdings eher gross. Nicht überwätligend, aber eher gross.

#

Am frühen Nachmittag fuhren wir zu Max. Ich brachte ihm eine Actioncam mit, die ich fälschlicherweise doppelt bekommen hatte und ihm deswegen schenkte. Mit der Actioncam kann er seine Downhillradbahn filmen und dafür auf Social Media werben. Auch brachte ich meine Drohne mit. Wir wollten das Gelände von oben filmen und die Radbahn im Überflug auf Video festhalten. Der Wind wehte aber zu stark, also blieben wir in seiner Küche und quatschten. Er tischt immer Haferkekse mit Schokolade auf. Die sind so lecker, dass ich diesmal die ganze Packung aufass. Nach zwei Stunden fuhren wir wieder nach Hause.

Am Abend grillten wir. Vor allem Käsekrainer, also Eitrige aus Österreich. Es war ein lustiger Abend.

[Sa, 13.7.2024 – Brennesseln, Regen]

[alles Abwasserrelatierte habe ich rausgelöscht]

Heute rechte ich weiter das Heu zusammen und danach lackierten wir zwei Fenster neu. Dabei hörten wir den neuen Podcast über Amanda Knox und den Mord an Meredith Kercher. Eine erstaunliche Geschichte über freilaufende Fantasien von Ermittlern und Medien. Bei Hören der Geschichte ahnt man, welche Dynamiken im Spätmittelalter in Gang kamen, wenn Frauen der Hexerei verdächtigt wurden.

#
Um 4 Uhr nachmittags begann es zu regnen. Wir brachten Fenster und Gerätschaften ins Haus. Dann öffneten wir uns Getränke und kochten uns das Abendessen. Der Regen plätschert nieder. Die Fenster stehen offen. Ich legte mich gleich ins Bett. Draussen der Wald. Jetzt haben die Wolken übernommen. Die Regen wird immer lauter. Ein paar Wasservögel kreischen unten am Fluss. Das Kreischen trägt sich weit über das Flusstal herauf. Das Gras riecht nach Regen. Ich liege mit dem Gesicht am Fenster. Der Horizont schimmert immer noch weiss. Die Birken vor dem Haus tropfen. Die Tropfen erfassen alles. Blätter, Gras, Nadeln, Steine, Wasser, das Dach, es lässt alles plätschern. Die Spitzen der Bäume bewegen sich, es weht ein Wind. Und ich schlafe ein.

[Fr, 12.7.2024 – Abwasser, Heu, geile Probleme]

[Alles abwasserrelatierte habe ich gelöscht]

Heute rechnete ich das geschnittene Gras zusammen. Max hatte Anfang des Monats ums Haus herum das Gras gemäht. In den vergangenen Jahren tat das immer ein Verein aus dem nächsten Dorf gegen ein kleines Entgelt. Das war ein Resozialisierungsprogramm für straffällige Jugendliche. Die Initiative gibt es aber nicht mehr, also bot sich Max an, es für uns zu mähen. Bei solchen grossen Flächen braucht man einen Hochgrasmäher. Wenn ich da mit meinem kleinen tragbaren Akkumäher, der eigentlich kein Mäher, sondern ein Trimmer für Ecken im Garten gedacht ist, komme, brauche ich drei oder vier Tage für die ganze Fläche und danach habe ich einen steifen Rücken. Max hat hingegen Zugang zu richtigem Werkzeug. Erst wenn einmal das hohe Gras gekürzt ist, kann man es mit einem gewöhnlichen Rasenmäher auf vier Rädern kürzen. So einen Rasenmäher wollte ich mir auch zulegen, aber das hat diesen Sommer keine Prio.
Allerdings hatte Max‘ Hochgrasmäher keinen Auffangbeutel für Gras, weswegen jetzt überall Heu verstreut liegt. Also muss es händisch zusammengerechent werden. Gerechnet, gerechent, gerecht. Keine Ahnung, wie man das nennt.

Mir gefallen diese Problem auf dem Land ja sehr. Es sind körperliche Probleme, die sich prinzipiell leicht lösen lassen. Wege, Birken, Toiletten, überschwemmende Flüsse, Heu. Ich denke gerne über sowas nach, um gute Lösungen zu finden. Okay, auf die Überschwemmungen könnte ich verzichten, aber zu easy soll es ja auch nicht sein.

[Do, 11.7.2024 – Birke und Wege und der beste Ort zum Sterben]

Auf dem Waldweg aus dem Südwesten ist letzte Woche eine Birke umgestürzt und versperrt jetzt den Weg. Der Weg aus dem Südwesten ist der gute Weg. Über meine Auseinandersetzung mit den beiden Zuwegen habe ich hier bereits zur Genüge geschrieben. Alle fahren immer den guten Weg, auch wenn der gute Weg wesentlich länger ist. Im Winter tritt der Fluss aber regelmässig über die Ufer und flutet weite Teile des guten Weges. Deswegen ist es mir wichtig, dass wir den schlechten Weg im Norden besser instandhalten. Dass eine Birke uns aber von der Aussenwelt abschneiden könnte, kam bisher gar nicht in meiner Betrachtung vor. Das ist nun als zusätzlicher, wichtiger Punkt hinzugekommen, um beide Wege zu ertüchtigen.

Niemand wusste, wie gross der Schaden war. Der umgefallene Baum wurde von meinem Schwiegervater vor einigen Tagen entdeckt. Er drehte aber um und fuhr den weiten Weg zurück, um auf den anderen Weg aus nördlicher Richtung zu fahren. Seitdem hatte sich nichts getan.
Ich war zunächst optimistisch. Die Birke liesse sich vielleicht mit einem dicken Seil vom Weg wegschleppen. Meine Frau und ich liefen deswegen den Weg hinaus durch den Wald bis zu dem umgefallenen Baum, um uns ein Bild der Lage zu machen. Es war leider eine sehr grosse und schwere Birke. Ohne Traktor und Gerätschaft würde man sie nicht entfernen können. Ein Problem, das hinzukam war die Lage des Baumes. Er lag nämlich nicht mehr auf unserem Grundstück, sondern etwa fünf Meter weiter, auf dem Gebiet von Svea Skog, die schwedische Waldgesellschaft. Da wir aber die einzigen sind, die diesen Weg benutzten, hat Svea Skog sicherlich keinerlei Interesse, den Baum zügig zu beseitigen.

Man hätte einen Förster beautragen können, was um die 500€ kosten würde, aber das fand ich aus mehreren Gründen quatsch. Die Birke könne ich mit einer Motorsäge auch selber heruntersägen. Ich kann mit Motorsägen wirklich gut umgehen. Als Jugendlicher putzte ich mit meinem Vater jeden Sommer Waldstücke aus. Das bedeutete, markierte Bäume zu entästen, die Stämme in Stücke zu zersägen und sie auf die Strasse herunterzuarbeiten, damit sie auf einen Anhänger wegtransportiert werden können. Das wäre für mich kein Problem. Ich bräuchte lediglich eine Motorsäge mit Verbrennermotor. Wir haben nur eine elektrische Motorsäge, mit der ich vor dem Haus kleine Baumstämme kürze oder dicke Äste zusammensäge, aber die Birke liegt fast einen Kilometer entfernt, dafür bräuchte man ein sehr langes Stromkabel.

Aber wir entschieden uns die Waldgesellschaft in Stockholm anzurufen und denen zu melden, dass ein Baum aus deren Wald unseren Weg versperren würde. Die Verwaltung in Stockholm brachte uns mit dem lokalen Waldarbeiter in Kontakt, der, wie sich herausstellte, der Pächter unserer Wiesen war, also der Bauer mit den Stieren, der etwa 5 Kilometer flussabwärts wohnt. Er sagte uns, er würde sich heute noch darum kümmern.
Und so geschah das dann auch.
Sehr unkompliziert.

#
Heute mähte ich wieder Schneisen. Ich verbrachte wieder viel Zeit mit meinem akkubetriebenen Handmäher. Ich inspiziere immer noch Uferstellen. Wir haben fast einen Kilometer Flussufer und ich finde die Stelle, die wir als Badestelle verwenden, die unattraktivste Stelle des ganzen Ufers. Sie ist für Menschen leicht erreichbar, das ist aber der einzige Vorteil. Das Ufer ist an jener Stelle so steil, dass man sich mit einer Holztreppe behelfen muss, um aus dem Wasser zurück ins Trockene zu kommen, ausserdem befindet sich die Stelle an der Aussenseite einer Mäander, also dort, wo die Strömung stärker ist. Die Stelle gefällt mir aber auch optisch nicht. Sie befindet sich am Rand einer offenen Wiese. Dort gibt es keine Bäume oder allgemein schön geformte geologische Strukturen. Es ist nur eine schnöde gerade Wiese, dann kommt ein steiles Ufer und patzbumm Wasser. Und wenn die Sonne herunterbrennt, ist man ihr ausgesetzt.

Einige interessante und romantische Stellen hatte ich bereits im Mai gefunden und provisorisch freigemäht, aber ab Mitte Juni setzt starkes Wachstum von Schilf und Gräsern ein, heute war von den freigemähten Stellen nichts mehr zu sehen. Ich muss das nächstes Jahr im Frühling anders vorbereiten. Vielleicht muss ich Paletten auslegen, oder Bohlen. Aber als permanente Lösung wird das auch nicht funktionieren, wenn der Flusspegel im Winter steigt und alles wegreisst. Vor sechs oder sieben Jahren hatten wir einmal im Spätsommer vergessen, die Treppe aus dem Wasser zu holen. Im nächsten Jahr fanden wir die Treppe am Waldrand, etwa 300 Meter vom Fluss entfernt, wieder.

Weiter Flussaufwärts gibt es noch zwei kleine Buchten. Ich versuchte mich heute bis dahin vorzukämpfen. Aber mittlerweile ist alles so hoch und dicht bewachsen, dass ich mit meinem Mähgerät einen halben Tag bräuchte, um bis zum Wasser vorzudringen. Und dann bin ich erst beim Wasser. Ich müsste dann immer noch eine kleine Plattform bauen, damit man dort stehen und sitzen kann. Ich mache das ja nicht nur um das Wasser zu erreichen, ich glaube mittlerweile, dass ich eine Obsession mit Wasserstellen habe.

Wasserstellen. Das sind die schönsten Orte der Welt. Küsten, Buchten, Flüsse. Wasserstellen. Ufer. Irgendwann möchte ich einmal am Wasser leben. Auf einem Steg sitzen und dem Wasser hinterherschauen. Bis ich sterbe. Oder so.

Das fiel mir erst heute auf. Nachdem ich zum wiederholten Male gefragt wurde, was ich denn ständig da unten mit dem Mähgerät mache. Ich sagte bisher immer, dass ich eine bessere Badestelle suche. Jetzt glaube ich aber: ich suche aber nur den besten Ort zum sterben.

[Mi, 10.7.2024 – Reise, Podcast, Goldberg]

Heute fuhr ich die Strecke Berlin – Borås zum fünften Mal in sechs Wochen. In den letzten Jahren bin ich sie bereits so oft gefahren, dass ich mittlerweile oft schon weiss, wie die Landschaft hinter einer Kurve aussieht. Ich stelle mir vor, dass sich eine Strecke im Laufe der Jahrzehnte im Hirn immer weiter abspeichert, immer vollständiger wird wie ein riesiges Puzzle. Wenn man tausend Jahre alt werden könnte, würden die Lücken im Puzzle irgendwann alle geschlossen sein und man könnte die Strecke mit geschlossenen Augen befahren. Dummerweise wird das Gehirn ab 90 lückenhaft und reisst die eingesetzten Puzzlestücke wieder raus. Tausend Jahre alt zu werden ist kaum erstrebenswert.

Wenn ich diese Reise alleine antrete, beginne ich immer mit einem Podcast. Autofahrten sind wie gemacht für Podcasts. Man hat ein sehr aufnahmefähiges Hirn, die Augen und der Körper sind aber beschäftigt. Der Ohrkanal und das Hirn hingegen nicht. Die Reise beginne ich also immer mit einem anspruchsvollen Podcast. Heute hörte ich die Folgen über die Goldbergvariationen. Neulich verlinkte ich eine Folge in den Kommentaren, ich hatte aber auf die Schnelle nicht beide Folgen gefunden. Jetzt weiss ich auch, warum: nur die letzte Folge trägt den Namen „Goldbergvariationen“ im Titel, die erste Folge behandelt die Goldbergvariationen aber auch. Sie wurde aber nicht danach benannt. Also um alles richtig aneinanderzureihen:

Der Podcast heisst „Klavierpodcast“ mit Igor Levit und Anselm Cybinski. Der Podcast besteht aus zwei Staffeln. Die erste behandelt vor allem Beethoven in 32 Folgen. Die zweite Staffel handelt von Variationen im Allgemeinen. Der Ausgangspunkt sind Bachs Goldbergvariationen. Diese werden in der ersten und in der achtzehnten Folge besprochen. Wenn man sich nur für die Goldbergvariationen interessiert, kann man natürlich auch nur jene beiden Folgen anhören, es empfiehlt sich aber, die ganze Staffel anzuhören, weil die Themen alle miteinander verwoben sind. Der Podcast ist sehr zugänglich, die beiden scheinen am Klavier zu sitzen und während sie sich über Variationen unterhalten, spielt Igor Levit immer wieder Beispiele vor, damit man das Besprochene besser versteht.

Nach zwei Stunden Input ist meine Aufnahmefähigkeit aber strapaziert. Ich weiss nicht, wie wir das früher in der Schule gemacht haben. Kurz vor Rostock schaltete ich auf Musik um. Musik liefert Input und regt gleichzeitig gedanklichen Output an. Durch Dänemark hindurch blieb ich erst mal bei Musik, irgendwann vor Kopenhagen hörte ich aber „Sternengeschichten“, das sind astronomische Miniaturen vom Asteroiden-Spezialisten Florian Freistätter. Das hörte ich bis zur Fähre nach Helsingborg. Ab Helsingborg hörte ich wieder Musik, zuerst Hiphop, danach Black Metal, je weiter ich kam, desto lauter schaltete ich die Musik, irgendwann wurde es unerträglich und ich schaltete alles aus. Kein Input/Output mehr. Nur noch Output.

Die Reisen folgen immer einem ähnlichen Muster wie diesem.

[Di, 9.7.2024 – rote Augen, Umplanung]

Die Bewerbung war nix. Manchmal kommt keine Chemie auf. Der Geschäftsführer war ein ausgesprochener Overperformer Anfang vierzig, der in allen Themen involviert ist, ich ahne, wie es dort um die Firmenkultur bestellt ist. Auch wenn die Personalerin nicht müde wurde, mir zu erzählen, dass die Firma eigentlich wie eine Familie sei. Es ist ihr erster Job. Sie ist die Stelle letzten Dezember angetreten. Sie ist sehr überzeugt.

Auch glaube ich, keine gute Performance hingelegt zu haben. Zum einen sass ich etwas müde und mit roten Augen am Tisch und ich kam auch so gut wie nicht zu Wort. Ob es an mir lag oder ob der Geschäftsführer auch ein schlechtes Gefühl hatte und einfach nur ein Programm abspulte, ist schwer zu sagen. Nachdem ich den Wortschwall 20 Minuten über mich ergehen hatte lassen, sagte ich aber auch, dass sie eigentlich keinen CTO brauchen, sondern einen guten Scrum Master. Das fand er einen guten Einwurf von mir, ist aber für jemanden, der sich auf die CTO Stelle bewirbt, keine sehr kluge Aussage. Aber es ist mir egal, ich will nicht für etwas eingestellt werden, das nicht passend ist. Im nächsten Monolog erklärte er mir allerdings, wie er sich die CTO Rolle vorstelle und warum er doch lieber einen CTO sucht und nicht eine juniorigere Person. Seine Erklärung klang schlüssig. Nach zwei Stunden war ich wieder draussen. Mein Headhunter hatte mich gebeten, ihn gleich anzurufen. Ich teilte ihm mit, dass das wahrscheinlich nix wird. Weder von meiner Seite noch von deren Seite. Zwar seien wir mit offenem Ausgang auseinandergegangen, ich würde mir Gedanken machen und er betonte, ich hätte auch die Möglichkeit mit weiteren Mitarbeitern zu reden, aber das war eher Formsache.

Im Laufe des Tages wurde mir aber klar, dass ich diesen Job nicht will.

Am Abend würde ich mit Benny ausgehen, daher bereitete ich meine Reise vor. Ich packte und räumte das Auto um. Auch tauschte ich einen meiner Scheibenwischer aus. Und ich checkte das Öl. Ich fühlte mich sehr erwachsen, während ich das tat.

Danach sagte Benny ab. Er ist krank. Da ich mit meinen brennenden Augen auch nicht das beste Gefühl hatte, kam mir das eigentlich ganz gut gelegen. Da ich mit Benny vermutlich Alkohol trinken werde, hatte ich meine Abfahrt nach Schweden extra auf den Donnerstag verlegt. Mittwoch würde ich besser ruhen. Jetzt machte es aber keinen Sinn, einen weiteren Tag in Berlin zu bleiben, also beschloss ich, schon am Mittwoch aufzubrechen. Ich brachte also die Wohnung auf Hochglanz, buchte die Fähre und machte mich reisefertig.

[Mo, 8.7.2024 – Phantomschmerzen, Hängetag 2, Seitan]

Es ist so ungewohnt, die Hündin nicht bei mir zu haben. Wenn ich meinen Bürostuhl bewege, fürchte ich immer, über ihre Pfoten zu fahren, wenn ich nachts aufs Klo gehe, achte ich darauf, nicht auf sie zu treten, den Kühlschrank öffne ich leise, damit sie nicht glaubt, es gäbe etwas für sie, wenn ich nachts Reels auf Insta öffne und das Audio Krach macht, dann erschrecke ich mich mehr für sie, als dass ich selber erschrecke.

Jetzt ist sie weg. Meine Reaktionen bleiben aber. Dann fällt mir immer ein: Achso. Sie ist ja gar nicht da. Abstellen kann ich es nicht. Dafür müsste sicherlich etwas Zeit vergehen. Ich merke jetzt erst, wie doof das mit dem Stuhl ist. Ich sitze immer verkrampft, so kann man die Rollen gar nicht richtig nutzen. Vielleicht nehme ich die Rollen besser ab.

Heute hing ich einen zweiten Hängetag hintendran. Keine Verabredung, keine Aufgaben, keinen Plan. Ich habe ein sehr starkes Bedürfnis runterzukommen. Niemanden sehen, mich langweilen, hängen. Die letzten Wochen waren anstrengend. Bei Plants vs. Zombies schlage ich momentan alle meine Rekorde. Abends ging ich zu Edeka. Weil meine Augen so brannten, war der Einkauf unangenehm, ich schaute fast ständig nach unten. Es muss an der hellen Sonne gelegen haben, weil in der Wohnung geht es meinen Augen mittlerweile besser. Auch schaffte ich es relativ unkompliziert, meinen Augen die Salbe zu verabreichen. Ich hoffe, das Brennen ebbt ab. Morgen habe ich ein Bewerbungsgespräch, es wäre ganz nett, wenn ich nicht mit zwei roten Ampelleuchten im Gesicht auftauche.
Überhaupt: mich körperlich wohlfühlen. Das ist die Voraussetzung für ein gutes Auftreten. Ich testete die Hemden. Ich kleide mich in den letzten drei oder vier Jahren eher sportlich, Hemden gehören dummerweise seitdem nicht mehr zu meinem täglichen Outfit. Was ich sehr schade finde, andererseits will ich das gerade auch nicht ändern, mein Bauch sieht in engen Tshirts besser aus als in engen Hemden, wo die Knöpfe zahlreiche 8-er formen. Für ein Bewerbungsgespräch ziehe ich aber besser ein Hemd an. Und lange Hosen. Lange Hosen. Morgen wird es 32 Grad messen. Lange Hosen und lange Hemdärmel bei 32 Grad. Nach dem Gespräch werde ich Spiegeleier auf meinem Bauchvorsprung zubereiten können.

Blöde Metapher. Dass Spiegeleier immer herhalten müssen, wenn etwas auf einem Provisorium gebraten werden soll. Motorhauben, Steinplatten und jetzt auch Bäuche. Ich könnte genau so gut Seitanwürstchen auf meinem Bauch zubereiten.

[So, 7.7.2024 – Tag fast alleine]

Am Morgen reisten meine Schwiegereltern ab. Gestern war bereits meine Frau mit der Hündin nach Schweden gefahren.

Jetzt hatte ich einen Tag alleine. Ohne Besuch, ohne Hund, ohne Frau. Sogar ohne Lieferandoboten.

Bisschen geschrieben, bisschen gezockt, wieder versucht, die NAS ans Laufen zu kriegen, oft im Bett gelegen und Plants vs. Zombies auf dem Handy gespielt. Dabei führe ich wieder die Jade-Liga an, zum dritten Mal in Folge. Am Montagabend werde ich daher wieder viele Edelsteine und Minzen sowie Goldmünzen erhalten, um meine Pflanzen zu stärken.

Meiner Gesundheit geht es gerade nicht gut. Ich habe ein entzündetes Auge und Kopfweh. Beide Augen brennen. Ich habe das manchmal in unregelmässigen Abständen, ich weiss aber noch nicht, woher das kommt. Einmal hatte ich das Kissen in Verdacht. Milben oder so. Der Verdacht bestätigte sich aber nicht. Wenn man im Internet darüber liest, dann ist es vermutlich eine Bindehautentzündung. Weil das immer wieder einmal passiert, habe ich zwei Augenmittel, einmal Tropfen und eine Creme. Ich kann mir aber nichts selber ins Auge tröpfeln, schon gar keine Cremen. Das macht immer meine Frau für mich. Jetzt ist sie aber nicht da, ich werde es wohl lernen müssen.

[Fr, 6.7.2024 – Goldbergvariationen]

Den Tag verbrachte ich vor allem mit Arbeit an dem Hausbesetzertext. Meine Frau war ihren letzten Tag im Büro, morgen wird sie bereits nach Schweden fahren. Meine Schwiegereltern haben ihren Flug erst übermorgen. Solange kümmere ich mich um sie. Auch rief mich mein Headhunter an. Er hätte einen Job für mich, so organisierte er für mich ein Bewerbungsgespräch am Dienstag. Am Dienstagabend treffe ich noch einen Freund auf ein paar Drinks. Am Mittwoch fahre ich dann nach Schweden weiter, oder vielleicht am Donnerstag. Es kommt darauf an, wie viel ich am Dienstag trinke.

#
Mit Amelie in Hamburg redete ich auch über die Goldberg Variationen von Bach. Sie ist Pianistin und hat bei klassischer Musik bzw Barock ein sehr umfassendes Wissen. Wir kamen darauf, weil wir über Klaviere redeten. Dass ich wieder mit dem Spielen beginnen wolle, dann erzählte ich ihr davon, dass ich mir die erste Fuge von Bachs Wohltemperierten Klavier selbst beigebracht hatte, indem ich einfach Note für Note einstudierte. Ich kann nämlich nicht gut Klavier spielen, aber ich hatte als Kind zwei Jahre Unterricht bekommen und besitze einiges theoretisches Wissen über das Klavierspiel. Zum Üben war ich aber immer zu faul. Ich hatte einen Mozartfimmel und wollte so gut spielen können wie die Pianisten auf den Schallplatten, weil mir das aber nicht schnell genug gelang, verlor ich bald das Interesse und fixierte meine Obsession auf Schallplatten und Kassetten. Da meine bildungs- und musikfernen Eltern meine unerwartete Obsession für klassische Musik durchaus unterstützenswert fanden, kauften sie mir ein günstiges Klavier, auf dem ich zwar wenig übte, aber oft Akkorde spielte, zu denen ich dann sang. Das machte ich noch viele Jahre nachdem ich längst keinen Unterricht mehr erhielt. Ich spielte Akkorde, zu denen ich sang. Das kann ich immer noch.

Amelie hingegen ist eine richtig gute Pianistin. Und weil wir über Bachs Wohltemperiertes Klavier sprachen, kamen wir zu Bachs Goldberg Variationen. Ich meinte immer, ich wüsste viel über Bach. Ich besitze viele Aufnahmen zahlreicher Kantaten und Fugen. In diesem Blog gibt es sogar eine Kategorie namens „Motetten“, weil ich äusserst gerne Motetten sang. Als ich in Hamburg wohnte, war ich Teil eines Kammerchors, in dem wir häufig Motetten und Kantaten von Bach interpretierten, von unserem „Magnificat“ gibt es sogar eine Audio CD in einer fantastischen Qualität.

Aber die Goldberg Variationen kannte ich nicht. Ich kannte zwar den Namen. Es gibt verschieden Aufnahmen der Goldberg Variationen auf Youtube und Spotify. Ich dachte allerdings immer, es handle sich um einen Musiker namens Goldberg, der Stücke aus Bachs Werk neu interpretiere. Deswegen interessierte mich das nie. Bach will ich nur im Original. Nicht von Narzissten, die sein Werk verwursten,

Nun.

Jetzt weiss ich, dass das ein eigenständiges Werk von JS Bach ist, das sogar als eines der bedeutendsten Werke des Barocks gilt. Kann man niemandem sagen, dass ich das nicht wusste. Amelie empfahl mir einen Podcast, der sich eingehend mit dem Werk beschäftigt. Nächste Woche fahre ich wieder nach Schweden. Es ist eine lange Fahrt, ich werde alleine im Auto sitzen. Danach werde ich alles über die Goldberg Variationen wissen.