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ich frage mich gerade, wann der neue zyklus der salonfähig gewordenen kinder-dooffinderei begonnen hat. egal wann, aber ich ärgere mich jedes mal darüber – weil es so eine verdammt billige art ist, sich im konsens zu suhlen. […]
ich habe auch nie so richtig verstanden, welche art von statement hinter diesen leidenschaftlich vorgetragenen horror-anekdoten über quengelige wohlstandskinder mit altdeutschen namen und übereifrigen müttern steckt. aber es ekelt mich doch irgendwie an, wie leicht es offenbar ist, den eigenen lifestyle als bildliches negativ zu anderen lebensentwürfen zu konzipieren. etwas nicht zu wollen, etwas abzulehnen was anderen menschen erstrebenswert erschien, etwas leidenschaftlich zu hassen und borniert zu kommentieren ist auf befremdliche art und weise reaktiv – ausserdem […]

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Deutschboden Lesung, gestern in Charlottenburg. Das Buch las sich noch viel besser, als ich mitbekam, dass von Uslar nach seinem Buchprojekt in der Brandenburgischen Provinz, in regem Kontakt mit den Jungs von der Band geblieben ist. Auch mit anderen Jungs natürlich, aber gestern auf der Lesung, spielte die Band aus dem Buch: Five Teeth Less, ich hatte sie ja so liebgewonnen während der Lektüre, wie überhaupt ganz Brandenburg, Hardrockhausen, deshalb wollte ich ja auch hin zur Lesung.
Nur habe ich dann das Datum vergessen.
Erwähne ich jetzt so, als wäre es mir egal.

Aber wie es scheint, ist wohl die halbe Abteilung aus dem Seitenflügel dort gewesen, höre ich heute so nebenher, irre das, liest man ein Buch, findet das irgendwie privat, danach reden die anderen drüber als wäre es ihres.

(Klasse Buch, vor allem für diejenigen, die Brandenburg zu verstehen glauben.)

[muc hbf]

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Die schönsten Frauen, die durch den münchner Hauptbahnhof laufen, biegen alle zum Gleis nach Berlin ab. Das ist super so. Ein paar biegen auch zum Gleis nach Hamburg ab. Finde ich auch OK.

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An einem Kiosk im Bahnhof ein Brötchen mit Hackepeter gegessen. Weil ich gerade Moritz von Uslars DEUTSCHBODEN lese und dort in den Oberhaveler (Zehdenicker) Gastwirtschaften und Bäckereien dauernd Hackepeter-Brötchen ausliegen und ich dabei jedes mal einen eigenartig verklemmten Hunger bekomme. “Verklemmt” klingt als Term zugegebenermaßen ziemlich blöd, aber verblüffenderweise sehr zutreffend, wenn ich beschreiben will, wie sich mein Verdauungssystem gegen solche herrlichen Schweinereien wie Hackepeter zu wehren sucht. Wobei “Schweinerei” wiederum weggelassen werden müsste, aber nur “herrlich” steht da ja auch so doof im Satz herum.
Jedenfalls weiß ich noch, wie ich das erste mal Hackepeter gegessen habe. Das war ’91 in Erfurt, ich war in ein thüringisches Mädchen verliebt und dafür ziemlich planlos und heillos nach Erfurt aufgebrochen, daraufhin hungrig in einem ranzigen Autonomen Zentrum gelandet, wo sie neben Bier und O-Saft, zwar nichts zu essen anboten, aber auf meine Frage nach Essen hin, wusste jemand Brötchen, die mit rohem Hackfleisch und Zwiebeln beschmiert waren, aus einer Schublade hinter dem Tresen zu zaubern. Niemand wusste etwas über das Alter der Brötchen, noch über deren Herkunft. Ebensowenig wusste jemand, warum sie nicht im Kühlschrank aufbewahrt waren. Ich war damals jung, wild verwildert, und hatte wenig gesunden Verstand. Wunderbar fand ich, dass man für die Brötchen kein Geld haben wollte. Man wisse ja nichts, zudem sähen sie nicht mehr frisch aus, man sei sich ja nicht sicher, man wisse ja nicht, jaja, hm.
Fünfzehn Jahre später habe ich diese rohe-Hackfleisch-Speise als Hackepeter in einer berliner Bäckerei wiedergesehen.
No bad feelings. Mir ist damals nichts passiert. Die Gefühle sind eher positiv.

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In Wien haben wir Kinder besichtigt. Alle alten Freunde, alle alten Bekannten, haben jetzt kleine Kinder bekommen. Sie strahlen bei Ks Anblick. Mit ihrem langen blonden Haar sieht K aus wie ein Engel. Wenn ich hinter ihr zum Vorschein komme, mit meinem schwarzen Haar und haarigem Gesicht, fangen die Kinder an zu weinen. Sie schauen K an, sie strahlen, sie sehen mich an, sie fangen an zu schreien. Ein sich wiederholendes Spiel. Wir könnten es ewig spielen. Ich fühle mich sehr ungeliebt.

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Und überhaupt. Ich fand mich in Wien total hässlich. Beim Schaufensterschauen in der Mariahilferstraße standen mir hinten immer die Haare lockig nach außen. Ich bat K um Nachsicht, und so suchten wir den erstbesten Frisurladen in einer Kaufhauspassage auf. Der Laden schien OK zu sein, bei Friseuren ist es ja immer wichtig, zwischen OK und nicht so OK zu unterscheiden, er war also OK, deshalb ging ich rein, fragte, ob ich mir ohne Termin die Haar schneiden lassen kann. Die Dame sagte, es ginge, und so saß ich kurz danach in einem schwarzen Ledersessel und ließ mir die Haare machen.
Bei den Kindern hat es nicht geholfen.

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Schnee.
Mit dem Zug durch das Voralpenland, Linz, Salzburg. Dann kommt der Schnee. Erst Flaum. Im Inntal ist dann alles weiß. Vor mir sitzt ein Mann, er ist möglicherweise Inder oder aus Pakistan, oder die Ecke. Er kriegt sich gar nicht mehr ein. Fotografiert mit offenem Mund den Speicher seines Telefons voll. Er schießt eine halbe Stunde lang Fotos vom Schnee. Irgendwann läuft es ihm über. Er schließt die Augen und schläft ein. Am Brenner geraten wir in einen Schneesturm. Kurz vor Brennersee muss der Zug halten, um uns herum, weissgrau, wirbelnde Muster. Die Gleise der Gegenrichtung sieht man nicht mehr.
Ich hatte ein paar Tage vorher überlegt, ob eine dünne Jacke vielleicht reichen würde.

Dann: ah natürlich. Südlich des Brenners, in meiner Heimat, da lacht, wie immer, die Sonne für mich. Schon in Sterzing ist der Schnee gewichen, Meko is coming home.

Jetzt hat es mich ganz im Griff, dieses Fliegen. Mit AirBerlin nach Wien. Bitte von Tegel aus, da war ich noch nie. Schönefeld ist alte Kamelle. Diesmal will ich auch Berlin von oben sehen. Haben wir Ostwind? Bitte. Für Ostern auch schon Flug nach Innsbruck gebucht, für akrobatische Landung im Alpenhauptkammtal. Ich komme.

[liebe frau casino]

Liebe Frau Casino.

Wir sind schon seit einigen Tagen zurück, und ich kann bestätigen, dass es sich empfiehlt, Destillerien zu besichtigen. Wir hatten ja ein wenig Angst, dass man irgendwann keine Maischbottiche und Brennblasen mehr sehen kann, aber jede Besichtigung hatte so seine Highlights. Wir haben nur Destillerien auf Islay besichtigt, da wir Islay-Whiskys gerade als etwas spezieller ansehen, verglichen mit den Whiskys aus Speyside oder den Highlands, die sich für mich immer etwas elitärer anfühlen als Whiskys aus Islay.

Am ersten Tag haben wir Laphroaigh besucht. Laphroaig ist die erste Brennerei wenn man von Port Ellen Dorfauswärts Richtung Westen fährt. Wenige Kilometer auf einer schmalen Landstraße an der Küste. Für Laphroaigh muss man eine Führung vormerken, sie kostet nur wenig, ich glaube drei oder fünf Pfund, ich weiß es nicht mehr genau, jedenfalls ist es die Besichtigung sehr wert. Vor allem weil sie die einzige Brennerei ist, die noch selber die Gerste mälzt und räuchert. Die anderen Brennereien auf Islay beziehen ihren Malz von der Mälzerei in Port Ellen, was früher selber mal eine Brennerei war, aber mittlerweile nur noch das Mälzen für die anderen Brennereien übernimmt. Zu sehen, wie das Mälzen und räuchern geht, hat mir sehr gefallen, irgendwie hat mir dieses Wissen vorher gefehlt, für das Verständnis des langes Prozesses von der Gerste bis zum Whisky. Scherzweise durfte man auch frischen Torf in das Rauchfeuer werfen und so ein bisschen Laphroaigh machen. Da haben wir alle gelacht. Nachher haben wir noch geräucherten Malz gegessen, einfach vom Boden genommen und gekaut. Schmeckt süß und nach Rauch, irre ist das. Manche Leute nahmen sich ein bisschen davon mit um als Müsli ins Joghurt zu geben.
Laphroaigh hat ein bisschen den sympathischen Charme eines, wie soll ich sagen, Fußballvereins vielleicht, aber mir ist bewusst, dass Fußballverein negative Assozationen hervorrufen kann, es ist aber ein Fußballverein mit positiver Assozation, kannst Du Dir das vorstellen? Ein Fußballverein mit positiven Gefühlen? So in etwa ist Laphroaigh. Sehr freundlich, sehr umgänglich, sehr bodenständig, kumpelhaft, sympathisches Marketing mit witzigem Zubehör, so gibt es Laphroaigh-Käse zu kaufen, neben den obligatorischen Mützen und T-Shirts und Gläsern. Zudem kann man Pate eines Stückes Grund werden, das man auch besichtigen kann, wobei man ein kleines Fläschchen Whisky mit auf den Weg bekommt, Gummistiefel und eine Mütze gegen tieffliegende Möwen. Son Scheiß halt, aber sehr nett.
Und natürlich kann man nach der Führung den einen oder anderen Whisky testen. Dort habe wir den Laphroaigh triple wood probiert, der für mich die überraschendste Neuentdeckung des gesamten Urlaubs war.

Am Nachmittag sind wir nach Bruichladdich gefahren. Bruichladdich liegt im Nordwesten der Insel, in der Bucht von Bowmore. Islay ist aber klein, man fährt von Port Ellen nach Bruichladdich in etwa einer halbe Stunde auf der Landstraße. Bruichladdich ist eine der neueren Brennereien. Das heisst, Bruichladich ist zwar alt, sie wurde aber in den neunzigern geschlossen und vor wenigen Jahren von zwei enthusiastischen Vermögenden wiedereröffnet. Die Brennerei rühmt sich, die letzte unabhängige Brennerei auf Islay zu sein. Alle anderen wurden mittlerweile von Konzernen aufgekauft. DIAGEO, Pernod, Fortune Brands und Luis Vuitton. Wobei ich zugeben muss, es sehr abgefahren zu finden, Whisky von Luis Vuitton zu trinken, ich stelle mir das so poppig vor, wie ich mit einer zehnfarbigen Lederhandtasche an der Schulter einen rauchigen Whisky kippe. Ich weiß nicht woher dieses Bild stammt, aber ich finde es ästhetisch sehr abgefahren. Bruichladdich gehört jedenfalls nicht Luis Vuitton, sondern nur sich selber. Das Team auf der Brennerei ist sehr jung und die Identifikation mit der Brennerei ist sehr stark. Sie reden immer von “den Anderen”, messen sich dauernd daran und sehen sich selber als Pioniere. Das ist sehr erfrischend. Es gibt wohl keine Brennerei, die eine ähnlich breitgefächerte Produktpalette führt, zudem designen sie ihre Whiskyflaschen völlig anarchisch, manchmal quietschbunt, manchmal hermetisch in schwarz und wenigen Buchstaben, dann wieder total vereinmäßig mit Schleife und Queen-Abbild vornedrauf und wasweissich. Ebenso sind deren Whiskys. Anders als die anderen mir bekannten Brennereien, scheinen sie keinen bestimmten Stil zu verfolgen, sondern wollen eher herumexperimentieren, von seichten Wässerchens bis zum torfigsten Whisky von Schottland, mal in Sherryfässern gereift, mal in Weinfässern, mal hier mal dort, unzählige Sonderabfüllungen zu unterschiedlichen Anlässen. Das Visitors Center ist an den Wänden mit Regalen vollgebaut in denen alle ihre Whiskyflaschen aufgereiht stehen. Alles unterschiedliche Flaschen und unterschiedlichen Farben. Solltest Du dort einmal eine Führung bekommen, sorge dafür, dass Du die Führung mit Mark bekommst. Das ist der charismatische Eigentümer, und seine Führungen sollen großartig sein. Wir hatten leider einen jungen Praktikanten, der allerdings überzeugter Bruichladdicher war, aber eben, nunja, ein noch ein bisschen zu junger überzeugter Bruichladdicher. War aber nicht schlimm.

Sehr angetan war ich von Lagavulin. Lagavulin liegt auch bei in Port Ellen, eigentlich nur ein Dorf weiter, hinter Laphroaigh. Nun muss man sich Lagavulin als eine ziemlich konservative Brennerei vorstellen. Konservativ verglichen mit Bruichladdich. Wenn Bruichladdich die Tüftler und Freaks mit ihrer weitläufigen Palette sind, so ist Lagavulin genau das Gegenteil. Lagavulin hat genaugenommen drei Whiskys: den zwölfjährigen, den Sechzehnjährigen und den “double matured”. Mehr ham die ja nicht. Und so mutet das erst auch mal an. Den sechszehnjährigen kennst Du ja, den haben wir schon einmal zusammen getrunken, meine ich. Falls Du es je nach Islay schaffen solltest, vergiss dann nicht, bei Lagavulin die “Warehouse Demo” mitzubuchen. Die Warehouse Demo kostet 15 zwar Pfund, dafür bekommt man aber ein Whiskyglas, und ein wunderbares Highlight. Wir haben Lagavulin an einem Vormittag besichtigt, nach der etwas routinierten Führung durch die Brennerei wurden wir dann ins Warehouse gebracht und dort kam uns Iain entgegen. Iain ist ein kleiner, gedrungener Mann mit leuchtenden Augen, der letzen Monat seinen vierzigsten Jahrestag bei Lagavulin feierte. Er ist der Typ der mit einem Hammer die Fässer abklopft und dabei hört ob der Whisky reif ist oder nicht. Das klingt jetzt sehr romantisch, vermutlich ist das absichtlich so. Man darf nicht vergessen, dass Lagavulin zu einem Konzern gehört und ist sicherlich wie alles, was Konzernen unterliegt, sehr auf Effizienz ausgelegt. Und da gehört Fässerabklopfen nicht dazu. Aber trotzdem wirkte Iain ein bisschen wie eine Art graue Eminenz auf Lagavulin. Er führte uns jedenfalls ins Warehouse, in dem etwa zwei dutzend Plastikstühle in einer Reihe standen. Vor de Stühlen stand eine Reihe aus einem Dutzend großer Holzfässer.
Iain saß zwischen uns und den Fässern und erzählte uns alles über Whisky. Alles. Dabei hatte er ein Saugrohr, das er in die Fässer tauchte, den Whisky darin aufsog und uns in unsere Gläser goß. Während er vom Reifungsprozeß redete, gab er uns Kostproben aus den unterschiedlichen Fässern mit den unterschiedlichen Reifungsstadien. Das war klasse. Vor allem um neun Uhr morgens. Es fing mit dem sogenannten Spirit an, dem puren Destillat, das ganz hell ist und beim Trinken brennt, aber witzigerweise noch stark nach Torfrauch riecht, dann ging es weiter zu einem einjährigen, dann mit einem dreijährigen, den er “Babylagavulin” nannte, und während wir das so probierten erzählte er uns von den Nuancen und je weiter wir so probierten, desto unnuancierter wurde unser Empfinden, Iain lullte uns in Geschmacksnuancen ein, er brachte uns zum Lachen und am Ende tauchte er sein Saugrohr in einen 44-jährigen Whisky ein, so etwas weiches habe ich noch nie getrunken, mann.
Als die Warehousedemo zu Ende war, wollten sich alle mit Iain fotografieren lassen, und danach standen wir alle, etwa zwanzig erwachsene Menschen, auf dieser Wiese vor der Brennerei, unten am Wasser, etwas verloren in der Gegend herum, lächelten fröhlich, blinzelten in die Sonne, hach, es war Vormittag, wir hatten unheimlich einen im Tee und waren allesamt in Iain verliebt.

Als Letztes Ardbeg. Ardbeg ist ein kleines Dorf, drei oder vier Kilometer hinter Lagavulin. Das Dorf stand immer in Bezug mit der gleichnahmigen Brennerei. Ardbeg hat ja eine bewegte Geschichte von Schließungen und Wiedereröffnungen hinter sich. Wenn die Brennerei schließen musste, dann starb auch das Dorf mit aus. So ungefähr war das immer. Vor zwölf Jahren wurde der Betrieb in Ardbeg wieder aufgenommen und diesmal scheinen sie doch sehr von Erfolg gedingst. Ardbeg kommt sehr stylish daher. Später werden wir erfahren, dass das auch bewusst so aufgezogen ist, mit dem Ziel das Altherrenimage des Whiskys aufzuräumen. Das Altherrenimage ist aber möglicherweise eher eine Sache, die dem Whisky in Schottland oder England anhaftet als anderswo. Mir ist das egal. Tatsächlich erzählte die Führungsführerin, dass einmal zwei betagtere Damen auf der Brennerei waren, die in einem Anflug von Überraschung ausgerufen hätten: it’s so clean here! Ich kann das schon nachvollziehen irgendwie. Andererseits geht damit auch ein Stück Magie verloren, wie er uns von Iain aus Lagavulin vorgegaukelt wird. Aber vergaukelt wollen wir ja nur werden wenn wir es nicht wissen, ahh ich weiß nicht, schwierige Sache sowas.
Falls man nach der vierten Brennerei jedenfalls keine Lust mehr hat, weiterhin Maischbottiche und Brennblasen anzusehen, dann ist Ardbeg doch mindestens ein guter Ort um Mittag zu essen, oder einen Kaffee zu trinken, bevor man dort an der Südostküste am Strand spazieren geht. Sie führen auf Ardbeg ein gutlaufendes Restaurant annex Whiskyshop. Von der Führung war ich ein wenig enttäuscht. Das mag aber vor allem an der Führerin gelegen haben, eine attraktive Frau Ende vierzig anfang fünfzig, die aber sehr stark übermäßig hyperirgendwas war. Sie redete laut und aufgeregt und wollte unterhalten und mit einem besonderen Drang, aber mit einer völlig danebenen psychologisch/edukativen Mission, wirkte, als würde sie uns andauernd von etwas überzeugen müssen. Ich musste die ganze Zeit weghören und wegschauen, um mich nicht unangenehm berührt zu fühlen. Verstehst Du was ich meine? Wenn man nicht hinsehen kann, weil es einen unangenehm berührt wie sich die Person benimmt? Gomisch das.
Aber, anschließend an die Führung haben wir uns einmal durch die komplette Ardbeg Produktpalette hindurchgetrunken. Das war vollokay 🙂
Vom neuen, hellen, mit dem Namen Blasda, kann ich Dir übrigens abraten, der ist zu unraffiniert und zu körperlos, den magst Du wahrscheinlich nicht. Aber der “Uigeadail” ist köstlich, leider ein bisschen teuer im Laden.

Was ich auch super fand, war die Maische zu trinken, das ist praktisch Whisky bevor er gebrannt wird, es ist eigentlich nichts anderes als Bier, allerdings nicht unbedingt trinkfreundlich aufbereitet, sondern eben für das Brennen optimiert. Hilfe, habe ich wirklich gerade optimiert geschrieben? Ja, habe ich. In jeder Brennerei bieten sie dem Publikum augenzwinkernd an, einen Schluck zu nehmen, viele lehnen dankend ab, andere probieren sie aber, so auch wir und sie schmeckt wirklich sehr interessant, ein bisschen säuerlich, rauchig und sie hat ein wenig Kohlensäure, das ist Whisky solange er noch in seiner Ursuppe schwimmt, total toll. Am besten Du probierst das bei jeder Brennerei, da bekommst Du die unterschiedlichen Stadien der Maische zu schmecken.

So. Ich sehe, dass der Brief schon viel länger geworden ist als ich dachte, dass es werden würde, und ich bin jetzt ein bisschen müde. Ich bin ja sehr neugierig auf die drei Flaschen die Du gekauft hast. Vor allem der “Highland Park” klingt sehr spannend. Ich habe nämlich ein bisschen danach gegoogelt. Lass uns demnächst mal probieren. Ich kann meinen Laphroaigh triple wood mitbringen. K hat einen Jura gekauft. Der ist vermutlich sehr gut. Und Lagavulin darf nicht fehlen.

Bis bald.

Mek

[hggs]

# Eines der vielleicht beachtlichsten Dinge in Schottland, sind die überschminkten, dicken Frauen in enganliegenden Kleidern oder Leggings. Frauen, die anderswo als ordinäre verachtet werden. In Glasgow prägen sie am Samstagabend das Straßenbild. Ich bin hingerissen von der selbstbewussten Art, wie sie hier auftreten, sich schön finden, und laut lachen. Solche Frauen tauchen oft in meinen Träumen auf. Dort sitzen sie auf grünen Sofas.

# Linksverkehr. Linksverkehr krempelt immer meine Orientierung um. Ich verliere sogar das Gefühl für die Windrichtungen. Am verblüffendsten fand ich die Entdeckung, dass auch die Fußgänger sich links halten. Ich wich immer rechts aus, die Lokalen immer links. So standen wir uns oft im Weg. Doch die Schotten sind so freundlich und entschuldigen sich immer laut und deutlich. Kein dahingeworfenes “so’y”, sondern ein ausgesprochenes “Oh, excuse me, lad”

# Übrigens wurde das Salz aus der schottischen Küche herausgelöst. Würstchen sind salzlos, Fish&Chips sind salzlos. Sogar Haggis ist salzlos. Ich musste alles immer nachsalzen. Es muss ein guruartiger Küchenschönling in der Art eines Jamie Oliver ins Land gekommen sein und den Schotten ins Gewissen geredet haben. Sowas wie: ihr trinkt zu viel und ernährt euch zu schlecht, ihr werdet alle sterben. Salz wegzulassen ist vielleicht ein radikaler Schritt, aber immerhin besser als das Trinken sein zu lassen.

# Ja, natürlich habe ich Haggis gegessen. Das ist eine ausgezeichnete Speise. Das einzige unangenehme an Haggis ist das Naserümpfen von den Nachbartischen.

[flugzeugmäßig von oben]

Ein fahrendes Flugzeug fühlt sich an, wie eine Spülmaschine. Wegen des andauernden Druckes im Antrieb, es fühlt sich an, unter Volldampf zu stehen, das ist ungemein beruhigend, ich hatte mir das eher wie Bahnfahren vorgestellt, wo man den Fahrtdruck nicht so spürt, weil Bahnfahren ja eher ein Gleiten über Schienen ist, das wäre in der Luft aber zu fragil, ich muss also gedacht haben, Fliegen wäre fragiler, jedenfalls hatte ich es so in Erinnerung. Fragil. Aber letztes mal warvor siebzehn Jahren, und ich hatte damals einen ziemlichen Kater, als ich in Wien in den Flieger stieg. Zudem war ich schlecht gelaunt und ziemlich deprimiert. Und Wien war seit Monaten bewölkt und grau gewesen.

Boah, die Leute essen hier tatsächlich während der Fahrt. Mir wird schon schlecht weil ich den Speichel schlucken muss.

# Man kann wirklich Europa sehen, so googlemaps-mäßig von oben, ein bisschen zu eingezoomt um den kompletten Überblick zu haben, aber das macht es nicht minder gut. Wiesen, Dörfer, Städte. Ich kann manchmal nicht runterschauen, zu unwirklich ist mir die reale Entfernung zum Boden, es wird mir ganz leer im Magen. Aber manchmal kann ich schauen. Eigentlich immer, aber oft nur aus den Augenwinkeln. Ich hätte aber gerne den Namen der Ortschaften auf die Landschaft projeziert. Labels anzeigen. Ich kann witzigerweise schon in mein Notizbuch schreiben, da schaue ich in das Buch, habe Europa in Augenwinkel und kann atmen. K redet manchmal mit mir, ich schaue ihr dabei ins Gesicht, registriere aber nur ein Drittel von dem was sie sagt. Ich lächle zurück.

# Ich halte meinen Seatbelt gefastened. Europa bekommt ein ganz neues Gesicht, wenn man es in Flugstrecken betrachtet. Nicht mehr die weiten Landilinien sondern spielzeugmäßig verkleinert, total erreichbar, zusammengeschrumpft. Das lässt sich vermutlich auf die ganze Welt anwenden, das mit dem Schrumpfen meine ich.

# Meine erste Turbulenz. War ok.

# OK Bier gekauft. Wackelt ziemlich. Bin eh zu aufgeregt zum Kotzen.

# Ich schwitze die Blätter des Notizbuches voll, die Blätter bleiben während des Schreibens dieser Zeilen an meinen Handballen kleben.

# Ich glaube ja, dass das Bordpersonal dafür bezahlt wird, entspannte Grimassen zu ziehen. Niemand unterhält sich während des Starts eines Flugzeuges dermaßen überbordend. Das habe ich mir vorhin gedacht. Und jetzt machen sie es wieder.

# Ich bin fortwährend am Ablenken. Also, ich will schon den Flug mitbekommen, sehr wichtig ist das, ich kann aber nicht am Fenster sitzen, auch wenn ich dauernd rausschauen will, schaue ich nämlich zu wenig hinaus, schuaue ich zuviel in das Flugzeug hinein, und wenn ich zu viel in das Flugzeug hineinschaue, dann habe ich zuviel von den tausenden Metern Luft unter mir im Bewusstsein.

# Gegen Ende hin bekommt das Wackeln etwas beruhigendes, wegen der Heimeligkeit wenn es wackelt, dann ist die Maschine nicht mehr nur der Antrieb und das statische in-der-Luft-sein, sondern man spürt die Maschine mit ihrem ganzen Innenleben, wie sie ächzt, wie das Möbiliär mitwackelt, wie man kleine Maschine im Wetter ist, das ist viel beruhigender als man sich das vorstellt, viel Verständlicher, weil mechanischer. Keine schlechte Erkenntnis (sage ich mir so).