[le grand prix]

Die Beschreibung der Lesenden auch, sie liest sich immer wertend, egal wie sachlich ich die Kleidung aufzähle, es liest sich immer wertend, immer. Die Erwartungshaltung. Sogar meine eigene.

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In der Pause beim Bachmannlesen die Doku über Agota Kristof geschaut. Sie ist siebzig, trinkt Whisky, raucht Kette, ist einsam, abgedunkelt von Innen her. Wie sie sich aufgegeben hat, aber dies so selbstverständlich hinnimmt und fast schon belustigt darüber spricht.

Wir lasen einander Agota Kristof vor, das war am Anfang unserer Liebe, als wir die Tage im Bett verbrachten, alle drei Bücher über die beiden Zwillinge in einem Rutsch, ich las bis ich nicht mehr konnte, und dann übernahm K, bis sie nicht mehr konnte und dann wieder ich usw. bis wir darüber einschliefen. Draußen zogen die Tage vorbei und wir lagen drinnen, unbekleidet in den Laken, und waren völlig beiseite gedriftet. Abgedunkelt.

Seit gestern bin ich krank. K nennt es Sommergrippe. Ich habe im Schlafzimmer am Fußende des Bettes eine Konstruktion aus Polstermöbel und Sofa gebaut, und darauf das Laptop und Boxen gestellt. Da haben wir dann das Wettlesen in Klagenfurt und die Kristof-Doku geschaut. Dazwischendrin immer wieder weggedöst. Die feine Monotonie der Vorlesenden habe ich mit in den Schlaf genommen und dort weiter aneinandergereiht. Hintereinander, sorgfältig.

Später habe ich uns Pesto gemacht. Knoblauch ist ein natürliches Antibiotikum. K hat ein Kurzgeschichtenband von Agota Kristof hervorgeholt und mir während des Schnipselns ein paar Geschichten vorgelesen.

[bachmannpreis 2010, tag eins]

Sabrina Janesch:
  *1985. Roter, knielanger, ein bisschen sackmäßiger Rock. Haare im Seitenscheitel nach hinten gesteckt. Weit ausgeschnittene Ballerinas. Schwarzes, schlichtes Oberteil mit halbkurzen Ärmeln. Schlichte, dünne Goldkette.

Volker H. Altwasser:
  *1969. Erdfarben längsgestreiftes Hemd. Erdfarben: grün, braun, ocker, weiß. Hellgraue Hose. Dunkle Socken, dunkle, nicht weiter zu definierende Herrenschuhe (der Livestream ist so schlecht). Schmucklose Brille mit dünnem Rand. Braune, kurze Haare. Frisur.

Christopher Kloebler:
  *1982. Schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarze Schuhe mit weissem Sohlenrand, sie wirken leicht sportlich, aber salonfähig, die Ärmel bis zum Ellbogen hochgekrempelt. Leicht unrasiert.

Daniel Mezger:
  *1978. Schwarzes Hemd, dunkle Jeans, schwarze Schuhe mit weissen Turnschuhstreifen, die Ärmel bis zum Ellbogen hochgekrempelt. Leicht unrasiert. Kotelettenansatz. Kurzes, dunkelblondes Haar.

Dorothee Elmiger:
  *1985. Graues TShirt, darüber graue Weste. Zwei Ohrringe pro Ohr. Schwarze Haare, nenamäßig zu einem Seitenscheitel gelegt, Augen dunkel geschminkt. Dunkle, enganliegende Jeans. An den Füßen Sandalen oder FlipFlops, aber genau kann ich das nicht erkennen. Der Stream ist streammäßig mies.

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Die Kaltmamsell sitzt im Publikum und ich habe sie auch schon gesehen. Ich winkewinke in den Stream.

[…]

Ich habe eine Vuvuzela.

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Ich bin für Deutschland, Niederlande und Frankreich. Mit Frankreich geht es dieses Jahr nicht gut. Mein Glück ist aber breit gefächert. Es fühlt sich an wie die Sache mit dem dritten Standbein.

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Italien hingegen kann ich nicht ausstehen. Konnte ich noch nie. Diese Arroganz, diese angeblich kulturelle Überlegenheit. Boah, was habe ich mich über das erste Tor der Neuseeländer gefreut. Einem Freund in Italien teilte ich meine Freude mit. Er war gekränkt. Regte sich über die Arroganz aus Deutschland auf, über die angeblich kulturelle Überlegenheit.
Ahh, Nationalitätenauflauf.

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Eigentlich ist WM/EM ja immer so ein Auflauf der Kulturen. Man hält zu Klischees: Sauerkraut misst sich mit Tapas, Spaghetti misst sich mit Lager-Beer, Kaas misst sich mit Sushi.

Mir tut es weh, wenn die Brasilianer effizienten Fussball spielen. Die Brasilianer sagen zurecht, der neue Trainer habe dem brasilianischen Fussball die Seele genommen. Ich will die Brasilianer verliebt den Ball kicken sehen. Ich will die Engländer Fussballspielen sehen, als würden sie Rugby spielen, ich will die Japaner effizient spielen sehen wie eine Nintendo-Konsole und ich will die Deutschen spielen sehen wie ein Triebwerk.
So ist das mit Nationalitätenfuba.

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Und alle sind sie immer gegen Sauerkraut. Sogar die Deutschen selber.

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Ich habe meine Vuvuzela verschenkt. Und ich müsste das Verb im ersten Satz oben ändern.

[…]

Boing.

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Ein geblümtes Hemd gekauft, und immer wenn ich mich im Spiegel sehe, erschrecke ich eben.
Das ist so ähnlich wie mich beim Spazieren in den Schaufenstern zu sehen. Ich erschrecke immer vor dem dicken Mek im Fenster. Ich glaube ja immer schlank zu sein.
Was jetzt nicht wirklich etwas über das Blumenmuster auf meinem Hemd aussagt.

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Prozente Prozente. Komisch, dass ich gerade heute von Hemden und Schaufenstern rede.

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Oder von Umkleidekabinen.

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Mein Nachbar ist für drei Wochen nach Frankreich gefahren. Ich füttere seine Fische und gieße seine Blumen. Gestrichener Teelöffel Fischfutter und eine Nahrungspille jeden zweiten Tag. Man schmeißt die Pille ins Wasser und die Fische nuckeln daran. Irre ist das.

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[…]

Wir saßen gestern bis ein Uhr auf dem Sofa, vor dem Fernseher. Beide mit Laptop, tweeds verfolgend, Nachrichten lesend, biertrinkend, weintrinkend, ich habe auch ein tolles Paar Schuhe in einem Onlineshop gefunden, wir taten ein bisschen gelangweilt, schauten nur die halbe Zeit auf den Fernseher, wir wollten ja nicht zu offensichtlich die Sache in Oslo verfolgen, aber wir sitzen sonst nie zu zweit mit den Laptops vor dem Fernseher, das fiel uns beiden schon auf. Gefreut haben wir uns dann doch ein bisschen. Das war ja sehr ansteckend.

[…]

Dieses Blögchen ist nun auch für Handys optimiert. Damit ihr in der U-Bahn nicht Freecell spielen müsst.
Handybenutzer werden automatisch auf ein anderes Design umgeleitet. Das ist soooooo neunziger, Mann.
Lasst mich wissen ob alles aussieht, wie es aussehen soll. Auf Android2.1 getestet, ist IPfone Okay?

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Und die Autoren beim Bachmannpreis sind: Tataaaa!

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Und gestern LOST zu Ende geschaut. Warum ich das erwähne, ist, weil ich mich dazu genötigt fühle. Das ist eine meiner Monkitäten, Sachen rund zu machen, und LOST war zweifelsfrei eine Angelegenheit die ich für mich abschließen musste, sechs Jahre, Mensch, ich kann mich noch erinnern an die erste Folge, und wie ich danach am Bildschirm hing, dass ich mir Folge um Folge aus dem Netz zog und das LOSTschauen ritualisierte, und dann die sechs Jahre die vergangen sind, eine Liebe ist vergangen, drei Jobs sind vergangen, ein größerer Umzug, zwei kleine, und jetzt sind wir alle zusammen gealtert.

Ich werde hier nichts besprechen, die Meinungsbildner haben das schon gemacht, hier und hier und anderswo. Nachdem ich mich über das überraschend einfache, aber sehr einnehmende Ende emotional gelöst hatte, blieb der Unfriede über die vielen nicht mehr ausgearbeiteten Mysterien, die Sache mit den Zahlen, mit den Monumenten und all die Fragen die eben offen geblieben sind, aber letztlich gefiel mir das dann auch, wie glaubwürdig die ganze überdimensionierte Kulisse heruntergebrochen wurde auf so etwas wie, nunja: Liebe.

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Bzzzz Bzzzzz. Vielleicht mache ich im Juni wieder ein bisschen Tagebuchbloggen. Der Output war als stilistische Übung recht interessant, also nicht _was_ ich geschrieben habe und auch nicht _wie_ sondern, dass es ein _wie_ überhaupt gab. Auf Papier ist das Tagebuchbloggen immer zu ungehobelt. Als wäre Papier zu geduldig.

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Mutter war bis gestern zu Besuch. Sie kommt jetzt jedes Jahr. Wir machen dann spazieren und reden. Wir haben drei Tage lang spaziert und geredet. Wir haben aber auch geshoppt und geredet. Wir haben auch gegessen und geredet. Wir waren auch im Kino. Aber da haben wir nicht geredet. Erst danach.

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Am Samstag Boxhagener Platz gesehen. Er stand schon so lange auf meiner Liste. Schon vor dem Erscheinen. Warum wollte ich ihn sehen, vermutlich wegen dieser lokalen Verbundenheit, zu sehen, wie man Berlin portraitieren könnte, diese ganz besondere Ästhetik die sich wiederum so beliebig auslegen lässt. Dass der Film enttäuschen wird, hatte ich geahnt .Die paar Zeilen die ich darüber gelesen hatte, waren zum großen Teil gähn und schnarch. Dass er fast nur noch in Berlin läuft, ist vermutlich Patriodings.
Gefallen hat mir an dem Film, dass es dann doch kein Proletarierkitsch geworden ist. Das hatte ich befürchtet. Zudem auch kein Ostalgiescheiß, in keinerlei Form, höchstens die Tapeten vielleicht, aber bei diesen Tapeten werden sogar ich Ostalgisch. Was mir auch gefallen hat, waren die Bilder, ah, der Film lebt vielleicht von den Bildern. Ich habe mich von den Farben einlullen lassen. Grau in Braun, in Grau und immer ein bisschen Sepia mit reingemischt, ohne jetzt unecht oder romantisierend zu wirken. Und dann die Tapeten.

Doch trägt der Film irgendwie nicht. Wobei er durchaus dramaturgisches Potential hat: Ostberlin ’68, resolute, alte Frau wird von älteren, meist trunksüchtigen Herren umgarnt. Einer hat aufgehört zu trinken und schenkt ihr Gedichte. Sie liebt ihn zurück. Es wird was draus. Einer der Trunkebolde wird getötet, man verdächtigt die falschen, letztendlich finden man den Bösewicht, aber der ist gar nicht böse. Der Tote war eh ein Nazi aber das ist auch wieder egal. Drumherum haben ihre Auftritt: die Stasi, der Sohn der Frau als Polizist, des Sohnes Frau als DDR-müde Hausfrau die Westmusik hört, Kneipenbesitzer, der Nachbarjunge der von seinem Vater verprügelt wird, usw.
Und der dreizhenjährige Enkel, der dauernd die alte Frau begleitet. Sie ist seine Großmutter. Er ist der Sohn des Polizisten.
Genug Setting für spannenden Stoff. Alles nachvollziehbar und glaubwürdig in die Geschichte verwoben.

Und trotzdem. Ich kann nicht genau sagen warum der Film nicht trägt. Er hat zwar seine Längen, aber das fand ich gar nicht störend. Irgendwie soll der Film aus der Sicht des Jungen erzählen, wie mir scheint. Er ist der Beobachter, nimmt wenig Teil, schaut aber immer bedeutungsschwanger, während das was passiert irgendwie belanglos erzählt wird. Die große Geste zur Beiläufigkeit, wobei, ich habe nichts gegen Beiläufigkeit, ganz im Gegenteil, Beiläufigkeit ist wunderbar, gerade um die Relevanz der großen Geste hinzuschmeißen, aber der Film wirkte, als hätte er sich zu viel vorgenommen und in dieser Aufgeregtheit das alles nicht wirklich ausgearbeitet.
Zudem neigt die Hauptdarstellerin oft zum overacting, was ich ganz fürchterlich finde. Auch im Theater.

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Die Lesung am letzten Mittwoch war übrigens sehr fein. Ihr habt etwas verpasst. Zudem war es ein sehr netter Abend, mit sehr netten Neuköllner Menschen.

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KU*TURHAUS (Zinnowitz)