[…]
Wenn die Tante im Finanzamt bloggen würde, dann würde sie bloggen: dieser verfickte übergewichtige Schnösel mit seiner verfickten guten Laune, wenn der mir noch einmal mit seinem verfickten Grinsen kommt, und mir nen verfickten schönen Tahaach wünscht, dann tackere ich ihm seinen verfickten Kirchenaustritt an seinen Kopp.
[…]
Neulich hatte ich einen Gedanken, der mir ein irres Glücksgefühl bescherte. Dummerweise wurde ich für einen Augenblick abgelenkt und daraufhin bekam ich den glücklichen Gedanken nicht mehr zurück. Ich wusste nur, dass ich diesen Gedanken gehabt hatte und versuchte mich verzweifelt daran zu erinnern. Aber er blieb weg, das war schon sehr ärgerlich.
Später, viel später dann, auf dem Nachhauseweg, kam der Gedanke wieder zurück, und als ich merkte, dass es der Gedanke an den Friseurtermin war, der mich glücklich gemacht hatte, war ich wegen seiner Banalität ein wenig beschämt. Und trotzdem blieb ich erfreut. Eigenartigerweise erfüllte mich der Gedanke nicht mehr mit dem selben Glück, sondern mit einer sonderbaren Gehetztheit und doch wusste ich, dass es sich um den selben Gedanken handelte, nur seltsam ausgelutscht.
[hrvat]
Was mir an meiner neuen Funktion als Teamleiter gründlich missfällt, ist nur die Unmöglichkeit Krawatten zu tragen. Als normaler Angestellter war das immer subversiv mit Schlips und Kragen aufzutauchen, zumal in einem IT-Umfeld, in dem es unter Männern zum guten Ton gehört, in Jeans und T-Shirt anzutreten. Ich trage Krawatte, weil es wichtig ist, die Welt vor der Vergammelung zu retten. Und weil dünne Krawatten dünn machen. Ich trage gerne Krawatten, ich könnte in Krawatten schlafen, mich in Krawatten baden, wühlen, suhlen, manchmal fühle ich mich wie eine Krawatte. Wenn ich am Tresen hänge, habe ich oft das Gefühl ich sei oben Windsor-Knoten und unten baumeln meine Beine als Krawattenspitze am Boden.
Als Teamleiter ist alles ganz anders. Vom Kampf gegen die Vergammelung gerate ich in die Rolle des Vorarbeiters, des Fürdenkers von Rechtschaffenheit und Gleichform.
Neulich dem Abteilungsmeeting musste ich mich den Menschen vorstellen, ein bisschen von mir erzählen, ich wollte sagen: Hey Leute, sorry, aber ich trage gerne Krawatte, ich werde morgen mit Schlips ins Büro kommen, tut mir leid, nehmt es mir nicht übel, ich habe das immer schon gemacht, bedeutet nichts.
Aber dann habe ich es einfach vergessen. Es war mir wohl nicht wichtig.
#
Apropos gute Kleidung. Gestern saß ich mit meinem Wiener Freund H vor dem Fernseher. Wir waren am Tage unterwegs gewesen, am Abend knallten wir uns müde vor den Fernseher, es lief Frauenfußball, wir hatten uns lange darauf gefreut. Wir saßen im Unterhemd auf dem Sofa, rochen nach Schweiß und tranken Bier.
K fotografierte uns, über eine Veröffentlichung des Fotos waren wir uns schnell einig.
[…]
Weil es mich beschäftigt. Liste von Orten, an denen Berlin nach Sperma riecht:
* Rosenstraße Ecke Rochstraße (morgens)
* Brunnenstraße auf Höhe der Nummern 10 bis 14 (fast immer)
* An der Ampel Karl-Marx-Allee / Otto-Braun-Straße (immer)
* Holzmarktstraße (unterschiedliche, variierende Stellen zwischen Ostbahnhof und Jannowitzbrücke) (morgens)
* Bethaniendamm im Bereich Wrangelstraße (oft)
* Ruppiner Straße, wenn man auf die Bernauer hinausfährt (immer)
* Topsstraße Einmündung Schönhauser Allee (selten, aber regelmäßig)
* Spittelmarkt Südseite (immer)
* Reinhardtstraße westlicher Abschnitt (immer)
* Moritzplatz (nicht mehr)
[ha-be-eff]
Das war so: Axelk und LadyGrey sind nach Berlin gekommen. Ich habe sie im Hotel Circus am Rosenthaler Platz abgeholt, sie bewohnten ein wunderbares Appartement mit Blick über die Torstraße und dem Scheunenviertel. Eigentlich wollten wir da gar nicht mehr weg, aber wir hatten nichts zu trinken, und ich sollte sie ja durch Berlin führen, so gingen wir los, Hackescher Markt, Oranienburger, Friedrichsstraße, Linden, Brandenburger Tor, Alex, Nikolaiviertel, und danach mit der S-Bahn zur Warschauer Brücke, Pizza und Bier beim Ritrovo am Boxhagener Platz, K kam dazu, wir redeten über Hamburg und besiegelten die Hamburg-Berlinische Freundschaft mit Grappa und Averna. Dann sind wir zurückgeschlendert bis zum Frankfurter Tor, sind dort in die M10 gestiegen, die Partystraßenbahn, diesmal ohne Party, sind gefahren bis zur Schönhauser und haben uns dort noch in den Pratergarten gesetzt, das Eigenbräu getrunken, über uns der Berliner Himmel, der irgendwann samt Mond und Wind und Trost über uns hereinbrach. Dass wir nur noch den Prenzlauer Berg hinunterrollen brauchten.
So war das. Aber es war auch wieder ganz anders.
[businessvalue]
Es blitzte dann das Blaulicht auf. K sagte, hey, Action in unserer Straße. Wir öffneten das Fenster, sahen die Feuerwehr, wow AUFREGUNG, aber dann die Erkenntnis, die Aufregung in Aufregung umschlagen ließ: der Feuerwehrtrupp stand in unserem Hauseingang und wuchtete schwere Geräte und Schläuche in das Haus. Ich wusste gleich: die Sache mit den „überfluteten Kellern“, von denen man in den Blättern liest. Keine so tolle Sache, gibt dem Gewitter aber eine noch romantischere Dimension.
Ich lief runter und sah den Männern beim Pumpen zu, lauschte den Fachgesprächen, gab den Betroffenenen, tat besorgt. Am Ende fragte ich nach einer RCA (Root Cause Analysis), wie nun weiter zu verfahren sei, bekämen wir Post, würden wir ein Meeting halten mit den Fachmännern vom Dienst und weitere Maßnahmen treffen?
Nein. Sie seien nur dazu da das Problem zu beseitigen. Das war wirklich so: sie zogen nach getaner Arbeit wieder ab.
Wir haben ein neues Projekt.
[mein Austritt]
Heute wieder in der Botschaft gewesen und mir das erste mal ernsthaft überlegt, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, nicht nur, weil es keinen Sinn macht, weiterhin Italiener zu sein, wenn ich ohnehin nicht dort wohne, und das schon seit neunzehn Jahren nicht mehr, sondern vor allem, weil ich diese bräsige, lahme, überhebliche und faschistoide Art der italienischen Repräsentanzen nicht mehr aushalten mag. Und nicht zu vergessen, wenn sie meinen unitalienischen Namen lesen und mich als Südtiroler zu orten wissen, wie sie mir mit jeder Geste zu verstehen geben, ohnehin keiner von ihnen zu sein. Mal ehrlich: ich möchte nicht auf diese Leute angewiesen sein.
Aber der endgültige Schrecken kam mir erst, als ich am Leipziger Platz beinahe vor ein Auto gekommen wäre und ich mir später dachte, in der Zeitung wäre gestanden, ein Italiener sei an der Leipziger Straße überfahren worden. Das war mir dann zu viel.
Aber alles der Reihe nach, gestern bin ich erst von der Katholischen Kirche ausgetreten. Ich will nichts überstürzen. Der Beamten wollte ich sagen: »Hallo, ich möchte vom Glauben abfallen« fand den Witz aber albern konstruiert und hielt daher meinen Mund. Es ist schon tragisch genug, mit wie viel Dummheit ich überhaupt der Kirche beigetreten bin. Als ich vor sieben Jahren nach Deutschland zog, gab es auf dem Meldeschein die Felder zur Religionszugehörigkeit anzukreuzen. Ich war Katholik, zumindest als Kind mal, also gehörte da auch das Kreuz hin. Fand ich in der protestantischen Diaspora nur konsequent – und witzig. Aber eigentlich eher kindisch. Dass das die Kirchensteuer besiegelte, wusste ich erst lange Zeit später. In Italien gibt es die Kirchensteuer in dieser Form nicht. Man wird getauft und dann, nunja, dann ist man eben Teil der Kirche.
Auch albern, das.
[märkischsandburg]
Die Liste der Autoren beim diesjährigen (heurigen) Bachmannpreis.
Antonia Baum, geb. 1984, lebt in Berlin
Nina Bußmann, geb. 1980, lebt in Berlin
Thomas Klupp, geb. 1977, lebt in Berlin
Steffen Popp, geb. 1978, lebt in Berlin
A.M. Praßler, geb. 1983, lebt in Berlin
Leif Randt, geb. 1983, lebt in Berlin
Linus Reichlin, geb. 1957, lebt in Berlin
Maximilian Steinbeis, geb. 1970, lebt in Berlin
Die übrigen sechs leben doch tatsächlich in so komischen Orten wie: Heidelberg, Klagenfurt, Köln, Zürich oder Wien. Man mag es ja nicht glauben, aber so steht es da.
[böhmischrixdorf]
Mit Modeste in Neukölln gewesen um uns von Frédéric Neukölln zeigen zu lassen. Natürlich kennen wir Neukölln, aber man kennt die Dinge nie gut genug. Zu diesem Zweck haben wir Fred sozusagen als einheimischen Neukölln-Führer eingemietet. Das ist selbstverständlich totaler Schwachsinn, einen Freund als Führer einzumieten, wobei es durchaus etwas Beruhigendes hat, in einem klaren Rollenverhältnis zu stehen. Fred erzählte mit Begeisterung von seinem Kiez, die geschichtlichen Zusammenhänge, von den böhmischen Exilanten unter Friedrich, die Entwicklung von Rixdorf zum Puff der Hauptstadt. Wir waren gespannte Zuhörer.
Rund um den Richardplatz, mitten im wilden Neukölln dann, plötzlich patzbumm: Dorf.
Niedrige, locker verteilte Häuser, eine Art Dorfplatz mit einer freistehenden Kirche, hier und da ein paar Fachwerkhäuser. Wir setzten uns in einen Biergarten direkt am Platz. Der Biergarten erinnerte mich architektonisch an einen mittelalterlichen Handwerksbetrieb.Eine Schmiede vielleicht. Es ist eigentlich ein von niedrigen Baracken umgebener Hof. Im Hof stehen riesige, alte Bäume. Um den Bäumen herum Bierbänke und Tische. Die Gäste unterhielten sich ausgelassen, in den Baracken herrschte Betrieb, es brannte ein Ofen, ein Pizzamann schob Pizzen hinein und heraus. Ich aß Pizza, Modeste Rinderfilet mit Spargel, Fred eine Suppe. Wir redeten.
Später liefen wir zur Karl-Marx-Allee, dort war dann wieder Stadt, irre das. Wir schnappten uns ein Kurzstreckentaxi und fuhren bis zur Donaustraße und gingen ins Dilemma kickern. Rauch, Guiness, Pokertische. Wir wurden von zwei jungen Männern herausgefordert. Wir spielten abwechselnd. Fred ist gut im Tor, Modeste ist stark im defensiven Mittelfeld. Nach dem Spiel gab es stets einen Handschlag mit den Jungs und ein Danke für das gute Spiel. Man scheute nicht davor zurück, Modeste in ihrem eleganten, roten Kleid als Gleichgesinnte zu sehen.
Am Ende verlor ich eine Partie zu Null und musste eine Runde Schnaps ausgeben. Wir tranken Mexikaner. Mexikaner sind rot, tomatig und es schwimmen Chilistückchen darin.