Am Mittwoch in der Yuma-Bar in Neukölln. Ich lese mit Erasmus von Meppen und Frédéric Valin. Read on, my dear. Kommet. Das wird gut.
[tagebuchnotizen. Zinnowitz, Usedom]
In Züssow am Bahnhof. Es gab Randalierer im Zug, wir haben den Anschlußzug für die Insel verpasst. K fragt nach einem Bier, ich sage, links ist Wiese, rechts ist Wiese, da hinten steht eine verlassene Fabrikhalle und das Bahnhofgebäude vorne, sieht nicht besuchbar aus. Sie sagt, das sei vermutlich so. Ich schlage ihr vor, dass ich kurz nach vorne laufe, Füße vertreten, vielleicht gäbe es im Bahnhofshaus ja einen Kiosk, wer weiß.
Ich laufe hin.
Draußen hängt ein Schild: Bahnhofsgaststätte. Die Fenster sind verstaubt. Ich schaue hindurch und sehe kein Mobiliar. Es ist ungastlich, die Eingangstür zugenagelt. Dann fällt mir mein Handy ein. Ich öffne die Qype-App, lasse mich lokalisieren. Wozu hat man sonst diesen Technikquatsch. Qype findet ein paar Kneipen in meiner Umgebung. Die Nächste ist 17 Kilometer entfernt. Auch Läden und Restaurants gibt es in 17 Kilometer Entfernung. Unter 17 Kilometer gibt es nur einen Asia-Imbiss. Der liegt 2,7 Kilometer von mir entfernt.
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Die Kellnerin in unserem Hotelrestaurant hat ein sanftes Gesicht. Es wirkt püppern. Wie aus Porzellan. Fast unbeweglich. Sie trägt immer dieses leicht freundliche Lächeln in ihrem Gesicht, immer ein bisschen zufrieden, immer ein bisschen zurückhaltend. Mir scheint, würde man mit einem Hammer darauf hauen, das ganze Gesicht würde lächelnd zerklirren. Und gesparte Münzen kämen dahinter zum Vorschein. Sie ist vielleicht mitte vierzig, hat etwas mütterchenhaftes, und doch ist sie hübsch, angenehm, außer ihre Ruhe vielleicht, die ist bei näherer Betrachtung ein wenig verstörend. Sie war letztes Jahr schon so. Nach dem Abendessen fing sie an, den Restaurantraum zu einem Frühstücksraum umzuwandeln, faltete die Tischdecken, ordnete Tücher, Tischdeko, alles unbeirrt und irgendwie glücklich. Und immer sanft lächelnd.
Tageintagaus.
Wäre ich Poet, würde ich sagen: in Glückseeligkeit erstarrt.
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Da der Filterkaffee im Hotel ein Graus ist, bestehe ich darauf, uns jeden Tag nach dem Frühstück einen ordentlichen Kaffee zu suchen. Wir setzen uns in die Bäckerei an der Kreuzung, mitten im Ort. Man ist an der Küste, die Bäckerei heißt Backbord. Das soll witzig sein. Wir lachen.
Ich kaufe den Usedom Kurier, wir setzen uns ans Fenster, wir lesen aus der Zeitung, schlürfen Kaffe, schauen aus dem Fenster.
Ich mag Zinnowitz ja sehr. Dieses preussische Örtchen an der Ostsee, das ganz selbstbewusst, aber unspektakulär aus einem langen Schlaf entwacht ist. Ich fahre nie im Sommer nach Zinnowitz, immer nur wenn es kalt ist, vielleicht ist es im Sommer schon zu überfüllt, zu laut. Im Frühling scheint es mir ganz richtig. Nicht zu verschlafen. Ich will keine Ruhe, ich muss mich nicht entspannen, ich will Abends etwas essen, ich will in die Kneipe gehen und Bier trinken, ich will die Mädchengruppen sehen, wie sie auf der Promenade herumalbern, weil nebenan eine Gruppe Jungs breitbeinig stehen, mit den Händen in den Hosentaschen lehnen. Ich mag diese preussische Urlaubskulisse mit diesem verkitschten Traum von damals, den man heute als Realität zu glauben meint.
Ich traue mich nicht im Sommer hin. Vielleicht ist Zinnowitz da wirklich schon hinüber.
Der neue orangefarbene Bau an der Ecke Strandpromenade lässt mich schlimmes ahnen.
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Schtraziatella.
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Wir liefen am Strand südostwärts, dem Wind entgegen. K war schlecht gelaunt, sie hatte zu viel Berlin mit auf die Insel genommen. Die Laune schlug auf mich über, aber alles was wir tun konnten, war, am Strand südostwärts zu laufen, dem Wind entgegen. Irgendwann wollte ich nicht mehr, Mensch, der ganze Scheiß, nichtmal der Wind kriegt ihn raus. Ich legte mich, steif wie ein Brett, auf den Boden und war stinkig. K stellte sich breitbeinig über mich. Sie zückte ihre Kamera und fotografierte mein verwehtes Gesicht. Sie lachte, ich lachte. Das lesbische Pärchen mit dem Hund lachte im Vorbeigehen. Dann stand ich auf, klopfte mir den Sand von den Kleidern und es ging uns beiden besser.
Wir liefen bis nach Koserow. Dort aßen wir eine Bratwurst mit Erbsensuppe. K trank ein großes Bier.
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Im Primavera
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Sanddornmarmelade, Sanddornlikör, Sanddornwein, Sanddorngeist, Sanddornthee, Sanddornschnaps, Sanddornkonfitüre, Sanddornlikörverschnitte, Sanddorngrütze, Sanddornjoghurt, Sanddornvodka, Sanddornbonbons, Sanddorngummibärchen, Sanddornsenf, Sanddorngrog, Sanddorndiätmarmelade, Sanddornessig, Sanddorngeleefrüchte, Sanddornnektar, Sanddornfruchtsaftgetränk, Sanddornmuttersaft, Sanddornhonig, Sanddornmus, Sanddornsirup.
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Sanddornbier? Sanddornbier? Sanddornbier?
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Wir sitzen im Wald, nahe am Meer, wir hören die Brandung, K sitzt auf einem umgefallenen Baumstamm, ich liege am Boden und mache Fotos von ihr, über uns zwitschern Vögel, dann nehme ich das Notizbuch raus und schreibe ein paar Zeilen, K schießt Fotos von mir. Ich werde mich jetzt immer hinlegen.
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„Freizeitmode“
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-Sie sah aus, wie der aus der Serie mit Spok, wie heiß die Serie nochmal–
-Raumschiff Enterprise
-Genau, und da sah sie aus wie der Kapitän, wie hieß der nochmal–
-Captain Kirk
-Ja genau, so sah die Tochter aus
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Und dann Regen. Es ist Samstag und es regnet. Es ist unser letzter Vormittag, ich möchte sagen: bezeichnend! Weiß aber nicht genau, was ich damit sagen will, es ist eher eine Geste, siehehier, es ist unser letzter Tag und es regnet. So posermäßig betrübt. Es ist eklig.
Wir sitzen wieder im Backbord, trinken vernünftigen Kaffee, schauen raus in den Regen und warten auf die Bahn.
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Das Backbord ist übrigens keineswegs ein cooler Bäcker. Geschweige denn urig. Es ist eher eine Mischung aus Starbucks und Autobahnraststätte. Das ist voll OK
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Am Bahnhof Zinnowitz. Ein kleiner, schlichter, neoklassizitsischer Bau mit Vordach. Es steht herrenloses Gepäck herum. Mensch, herrenloses Gepäck, das ist ja gleich so ein eingeflößtes Terrording, man denkt gleich an Bilder von Flughäfen, Sprengkommandos und zerfetzten Körperteilen.
Es sind drei buntbedruckte Plastiktüten. Vollgepackt. Papageien sind draufgemalt, Sonnen, Wolken, viel grün. Kinderzimmeroptik. Drei Tüten, alle gleich. K und ich sagen uns: das sieht nicht nach Bomben aus. Und wenn, dann albern kaschiert.
Und doch drängt sich das Gefühl auf, etwas tun zu müssen, das herrenlose Gepäck, nicht herrenlos sein zu lassen. Soll man es dem Bahnhofsvorstand melden? Himmel, wie sehr der Zivilisation verpflichtet wir sind. Ich denke: man könnte ja Kinder haben. Das hört man ja immer: wenn man Kinder hat, dann denkt man anders.
Das wachende Auge über Gerechtigkeit, Fortschritt und Wohlstand. Himmel, wohin mit diesen Gedanken, Mek, es ist nur Zinnowitz.
Drei Minuten später kommen die Besitzer der Bombentüten unters Vordach gehetzt. Zwei junge Männer, vermutlich aus Pakistan. Sie erblicken die Tüten und hasten zu mir herüber. Sie lächeln, ich lächle.
[…]
Gestern stand ich am Rosenthaler Platz und wartete auf B aus Zürich, ich hatte mich zentral hingestellt, weil ich ja nicht wusste von welcher Ecke des Platzes er aus den Ubahnschächten an die Oberfläche kommen würde, ich lehnte also irgendwie zentral an einem Geländer, gut sichtbar, und wunderte mich derweil über die eigenartig gespenstische Stille, bis mir auffiel, dass ein großer Teil des Verkehres fehlte, und aha, dann sah ich auch schon das Übel, ein riesiges Monster aus Stahl am westlichen Abschluß des Platzes, in der Torstraße, so groß, dass die Torstraße dafür gesperrt werden musste. Die riesige Maschine brummte einen tiefen, bedrohlichen Ton, der sich über den nun ziemlich beruhigten Rosenthaler Platz in Wellen ausbreitete.
Ich schaute hoch, die Maschine war ein Kran, mit einem Arm der weit hinauf in den Himmel ragte, schräg über das Dach des roten Hauses, über den Platz hinweg, über die Brunnenstraße drüber, bis hinter dem Dach jenes Hotelneubaus am Eck zum Weinbergsweg. Ausnahmesituation.
Ich merkte, dass ich nicht alleine war. Ich war umgeben von Menschen die still standen und mit begeistertetem Strahlen in den Augen auf die gewaltige Maschine starrten, auf den Arm, auf die Wucht, wie die Maschine dort unheilvoll vibrierte. Atmete.
Das war toll. Ich war Teil jenes begeisterten Fortschrittglaubens. Wie wir auf Maschinen starrten.
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„Es gibt keine Ursache, aber es gibt eine Lösung“
(Habe ich gestern ins Teammetingprotokoll geschrieben)
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Zudem waren wir am Abend des ersten Mai beim Griechen. Bei der Wahl der Küchennationalität das erste mal das Gefühl gehabt, eine politische Entscheidung getroffen zu haben. Was aber auch wieder Blödsinn ist. Aber das Gefühl war trotzdem da. Vielleicht, weil wir schon nicht am Nachmittag gegen den Nazis auf der Straße gesessen sind.
[…]
In einem Meeting letzte Woche einen tollen Kugelschreiber geklaut. Er ist lang und konisch, liegt daher gut in der Hand, indem er oben mehr Gewicht hat als unten, er liegt also schwer zwischen Daumen und Zeigefinger, wie eine schwere Diva im Sessel, eingenebelt in Opiumrauch, rezitiert Baudelaire, zeichnet beiläufige Bewegungen mit ihrer Federboa in die Luft, hat Atem wie Blei, und ein Gemüt wie modriges Erdreich.
Blöd nur, dass es aus Plastik ist, und orangefarben.
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Den ersten Mai in Charlottenburg verbracht.
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Mein Androidphone kennt schon das Wort uninspiriert. Das Wort inspiriert habe ich ihm heute beigebracht. Das fiel mir auf als ich schrieb: nicht inspiriert.
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Den ersten Mai in Charlottenburg zu verbringen fühlt sich an, wie ein Statement zu setzen, dabei war ich nur mit Freunden im Museum, die Sammlung der Surrealisten an der Schloßstraße ansehen. Hans Bellmer, Paul Klee, Max Ernst, besonders von Hans Bellmer war ich angetan, von seinen modularen Puppen: Hüfte, Bein, Geschlecht, Bein, Hüfte, beweglich, drehbar, immer die geschlechtliche Pose. Er war lebenslang unzufrieden mit seinen Studien an den Holzpuppen.
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Uninspiriert bin ich natürlich überhaupt nicht.
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Der geklaute Kugelschreiber ist nicht nur orange und aus Plastik. Er trägt der Schriftzug „Maturity“.
Keine Sorge. Das ist nur ein Firmenname. Ein Werbegeschenk.
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Nur das mit der Groß-kleinschreibung, das ist eine mühsame Angelegenheit– Ich könnte ja nur noch über mein neues Handy reden. Ich habe das Fahrrad wieder stehen lassen, damit ich UBahn fahren kann und dort ein bisschen, öhm, nunja, Sachen mit dem Handy zu machen. Gerade jetzt mit der Datenflat. Übrigens will ich keine Simsen mehr, schreibt mir Emails, die bekomme ich genau so schnell wie Simsen, nur ohne den soundsovielen Cents.
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Am Wochenende vieles ohne das Handy gemacht. Am Sonntagabend aber habe ich mich mit Frau Casino von Hotelmama getroffen und wir haben rumgenerded. Sie mit dem iPhone und ich mit dem Androiden.
OK wir haben auch geredet.
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K habe ich vor einigen Wochen, aus Vorfreude über mein bald zu bekommendes Handy, so sehr damit vollgequatscht, dass sie kurzerhand in den Laden lief und sich selbst eines kaufte. Noch lange bevor ich meines bekommen sollte. Ich war rosarot vor Neid.
Sie sagte, das habe alles sehr sinnvoll geklungen, was ich ihr gesagt hatte.
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Ich stehe am Bahnhof jannowitzbrücke mit meinem Android und der datenflat, lässig am BVG Automaten und Blogge. Also bin ich.
[tagebuchbloggend 15.4.]
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Der Rosenthaler Platz wird sterilisiert. Mittlerweile ist er ja zum Zentrum meines Berlins geworden. Immer ein bisschen zu schäbig, immer ein bisschen zu laut, zu viel Verkehr. Vor zehn Jahren war er grau und laut, dann wurde er bunt und laut, jetzt malen sie das zweite Circus weiß an, und der Hotelnebau am Eck, wo man früher gegen eine Backstein-Brandmauer schaute, wird ein weißer Bau. Bald it es da so steril, dass man die Lautstärke nicht mehr hört. Dabei war es doch gerade die Lautstärke, die den Rosenthaler Platz immer ausmachte.
Wenn ich an den Potsdamer Platz der zwanziger Jahre denke, habe ich immer den Rosenthaler Platz der Nullerjahre vor Augen.
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Ich sitze am Rosenthaler Platz im mein Haus am See. Ich schaue im Vorbeigehen immer wieder kurz rein, um zu sehen ob es schon von den Touristenströmen eingetreten wurde. Es ist der beste Ort, um an einem Nachmittag zu sitzen und die Zeitung zu lesen oder ein paar Sachen niederzutippen, es wäre schade drum, wird sich aber wohl nicht vermeiden lassen. Es wundert mich ohnehin, wie sehr man es bisher ausgespart hat. Sie haben dort WLAN, gute Musik, es ist hell, groß, und angenehm kahl. Kahl, unverputzte Betonwände, abgerissene Tapete, unästhetische Sofamöbel, die vermutlich aus den siebzigern stammen, die aber so abstoßend sind, dass man sie nicht einmal als Retro bezeichnen kann. Weil Retro ja eine gewisse Romantik impliziert. Aber natürlich alles gewollt so. Der intelektuelle Gegenentwurf zur Loungeästhetik.
Dass die Loungeästhetik der Tod dieser Stadt ist, habe ich ja schonmal gesagt, habe ich?
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Beim Betrachten des Betonfußbodens ein bisschen verliebt werden, mit dem Android ein Foto schießen und als Hintergrundbild einstellen.
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Ahh, Weißweinschorle. Das Frühlingsgefühl. Warum habe ich das nicht schon im Februar getrunken.
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Ich sitze in der Ubahn mit meinem Android und mache auf webzwonull. Test Test Test 123 dies ist ein Test. Undso.