[…]

Wir werden uns unter den Linden treffen, an der Ecke zur Friedrichsstrasse und ich werde ihr als Begrüßung einen Kuss auf den Mund geben, es ist Freitagabend, die Büros schließen gerade und die Menschen gehen auf die Straße und machen Feierabendverkehr, das ist: das Umsteigen von der U-Bahn in die Straßenbahn, das ist: schnell noch das Geschenk kaufen, das ist: im Kulturkaufhaus eine CD für das Wochenende kaufen weil es ohnehin regnen wird. Wir werden auf der nördlichen Seite zum Brandenburger Tor hoch laufen, es wird vermutlich ein bisschen nieseln, aber es ist nicht so kalt wie es scheint und wir werden uns wundern, dass es uns gar nicht stört, viel eher werden wir das Gesicht in den Himmel halten wegen der kalten Spritzer auf der Haut, das ist ja sowas wie Feierabendbier. Wie Feierabendbier?, wird sie fragen und ich werde sagen, ja, wie Feierabendbier und dann würde ich sagen, Feierabendbier sei sowas wie den Deckel oben drauf zu setzen, auf die vergangene Arbeitswoche, meine ich, und während ich das so sagen werde, werde ich mir denken, dass ich jetzt die Verbindung zu den kalten Spritzern auf der Haut nicht mehr herstellen kann, doch, vielleicht weil kalte Spritzer den Dreck wegspülen und wenn man so will, dann ist eine Arbeitswoche durchaus eine Art von Dreck, oder gewissermaßen sind Teile davon ganz offensichtlich Dreck, und wo wollte ich jetzt eigentlich hin, achja: Feierabendbier; Feierabendbier spült ja auch die Dinge weg, wenn vielleicht auch nur _hinein_ und nicht wirklich _weg_, ist mir aber ja egal, Zähneputzen ist ja auch nur ein Herumreiben von Zahndreck. Hat meine Zahnärztin vor vielen Jahren einmal gesagt. Aber das wird mir dann alles zu kompliziert zu erklären und ich werde sagen: lass uns den Film streichen, lass uns am Postdamer Platz in so eine Turikneipe einsteigen und uns mit zweidrei Feierabendbieren die Arbeitswoche hineinspülen, wir könnten am Fenster sitzen und rausschauen wie es draußen kalte Spritzer vom Himmel nieselt und sie wird sagen: aber ich will die Arbeitswoche nicht _hineinspülen_ sondern eher _wegspülen_. Und dann, ja dann. Dann werde ich mich ein bisschen komisch fühlen.
Wir werden mit den Menschen mitschlendern, den Besuchern aus dem Ausland, die alle in gräßlichen Schuhen den ganzen Tag schon herumgewandert sind, von der Aussicht zur Umsicht und nun Abends zum beleuchteten Tor am Ende der Linden pilgern, ein bisschen romantisch ist das schon, wenn man ihm sich nähert, jetzt nicht romantisch in der Liebe, aber so ähnlich fühlt sich das an, Himmel, wie komm ich da jetzt drauf, Geschichtsschwere und Herzensdinge im Gefühl zu verwechseln. Aber es sind die Leute da, es werde immer mehre, […]

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Man kann sich nur mühsam festhalten in dieser Stadt, alles ist so zerfleddert und fransig. Auch da wo die Planer mit locker aufgewürfelter Architektur das städtische aus der Stadt genommen haben. Man schwankt. Und springt deshalb von Insel zu Insel, von Kiez zu Kiez, die dichten Inseln mit den engen und schützenden Strassenzügen, man springt vom westlichen Prenzlauer Berg zum östlichen Friedrichshain, weiter nach Kreuzberg36, ins Scheunenviertel, zur Bergmannstrasse. Oder neuerdings in den neukölner Reuterkiez. Oder in die Schluchten des guten alten Charlottenburg. Weil man nicht wackeln will. Weil wir nicht umkippen wollen beim Feiern, wenn wir bis zum Umkippen feiern.

[…]

Die coole Omi bei Kaisers östlich der Prenzlauer Alee, wie sie lässig in ihrem Rollator lehnte und die Wurst in ihren tiefen Jackentaschen verschwinden ließ.
Wie verdammt cool sie war, und ich traute mich erst nicht zu grinsen, weil Omis in Ostberlin auf Rolatoren zuviel Tragik ist, weilweilweil, weil Omis auf Rolatoren in Ostberlin zuviel Tragik ist, weilweilweil.
Wie verdammt cool sie war
Wie verdammt cool sie war
Wie verdammt cool sie war

[stck]

Die Großen haben es vorgemacht, folglich müssen Stöckchen wieder en vogue sein. Was mich freut.

Clothes
Ich neige ohnehin zu schwarzen Anzügen in drei Teilen, seit ich aber in Berlin lebe, der Stadt der schlechtestgekleideten Menschen östlich des Urals, traue ich mich nicht mehr in Tshirt oder Jeans auf die Straße, wegen diesem Gefühl, meine Umwelt noch tiefer ins Hartzvier rutschen zu machen.
Überdies: Overdressed zu sein fühlt sich immer besser an als underdressed. Über Subjektivität will ich hier gar nicht reden. Zudem sind wir in Berlin, wir könnten gar sagen, overdressed sei das neue underdog. Überkleid das neue Unterhund.

Furniture
Ich bin stets bemüht meiner Wohnung Stil und Geschmack zu verleihen. Aber bei Möbeln fehlt es mir an Geschmack. Damit auch an Stil. Mein Risotto muss dann alles gut machen.

Sweet
Nein.

City
Unbedingt. Ich weiss warum ich meinem 600-Seelen-Dolomitendorf entflüchtet bin. Das war nicht wegen den Kühen. Ich liebe die urbane Romantik, die dunklen Straßenzüge, getriebene Menschen, hektische Menschen, diese Orte der Entwicklung und der Weiterentwicklung, Projektionsflächen für Ideen die man glaubt auf Brandmauern vergößern zu müssen, Städte, und vor allem so Städte wie Berlin, die haben so einen Ton, der ganz leise immer mitschwingt wenn man in den grauen Himmel schaut und im Hintergrund die S-Bahnräder metallern über die Gleise surren. Das ist immer so schön langsam und traurig.

Drink
Ardbeg Single Malt

Music
Bach, Einstürzende Neubauten, CocoRosie. In dieser Reihenfolge. Und wieder zurück.

TV
Meist nur zu zweit, spärlich bekleidet, wenn es draussen grau ist und regnet.

Film
Kostümfilme. Und Filme in denen Menschen dumme Dinge tun die sie später dann wieder ausbaden müssen; Liebesfilme zumbeispiel.

Workout
Ich war neulich schwimmen.

Pastries
Weiß nicht. Glaube eher nicht.

Coffee
Ja. Espresso mit viel (viel) Milch (Lattemacchiato geht als Term so gar nicht mehr).

[16. OpenMike]

Weil die von der Literaturwerkstatt nicht so fit schnell sind beim Verbreiten der Nachrichten, hier die Preisträger des 16. OpenMike:
1) Sonja Petner
2) Svea-Lena Kutschke
3) Thien Tran
Publikumspreis: Johanna Wack

Die beiden ersten habe ich nicht gehört, da sie gestern gelesen haben und ich gestern den Tag am Herd verbracht habe. Aber heute war ich da. Johanna Wack kannte ich schon aus Hamburg, wir haben schonmal zusammen gelesen, sie war damals super und war es heute wieder, mit einem scheinbar brachialen aber trotzdem sehr behutsamen Text über Borderline. Wir haben gelacht. Überhaupt erfrischend: Lachen.
Ein bisschen komisch ist die aufgesetzt wirkende Ernsthaftigkeit einiger Autoren wenn sie gerade mal anfang zwanzig sind.
Thien Tran habe ich auch gesehen und gehört, er trug Lyrik vor, aber Lyrik und ich, das sind zwei stumpfe Klingen. Blöde Metapher, aber ich wollte nicht sagen, wir vertrügen uns nicht. Wir kennen uns kaum.
AK mochte Florian Wiesner sehr gerne. Der war auch wirklich gut. Der als 15-minütige Offenbarung seines Gehirnes angekündigte Text mit dem Titel „15 Minuten“, hielt mehr als er versprach: witzige und keineswegs abgedroschene und vor allem unerwartet eingeworfene Sprachspielereien über Webzwonull und Marketingsprech, das hatte was. Vor allem war er schön anzusehen mit seiner stoischen Art am Mikrophon.
Mir gefiel Jeanette Hunziker. Ihre adrette Haltung und das kecke Lächeln einer Bibliothekarin. Und später, bei der Pause im Hof, trug sie eine konspiratorische Kapuze überm Kopf. Der Text mit dem Titel „(…)“ gefiel mir gut, sehr reich, sogar mit einem richtigen Plot. Für die Feinheiten muss ich ihn mir allerdings nochmal auf Papier durchlesen, der Wein stieg mir gerade in den Kopf. Das hatte ich so nicht vorgesehen.
Stefanie Gleißner wurde von einigen gut gefunden. Ich kann wenig darüber sagen. Sie hatte einen dermaßen charmanten Dialekt (oder ist das schon Akzent?), dass ich mich nicht auf den Text konzentrieren konnte. Aber das war schon okee, der Akzent hat mich angenehm eingelullt. Hat auch was. Und das war vor dem Wein.
Richtig umwerfend war nichts, doch zwei Richtungen gefielen mir, erstens der ab der zweiten Hälfte ein wenig verstörende Text von Kristine Bilkau über eine ziemlich einsame Frau die– nein ich verrate es nicht, sonst geht beim Lesen der Effekt verloren. Ich mochte den radikalen Ansatz, dieses atemlose und gleichzeitig auch wieder gelangweilte (als wäre es Routine) Erzählen hin zu dieser Szene. Das mochte ich. Doch fehlte mir etwas um es richtig gut zu finden und ich weiß nicht genau was. Vielleicht mochte ich einfach die Radikalität und wünschte mir mehr solcher Bilder.
Die zweite Richtung die mir gefiel war die Richtung des Textes von Alexander Langer. Und zwar: das zwingende Erzählen. Himmel, wie ich das vermisse. Das unbedingte Erzählen, dass man das Gefühl bekommt, jemand müsse eine Geschichte loswerden. Charaktere die man liebt oder hasst, denen man folgen will, wo sich das ganze literarische Dings um die Geschichte windet (räkelt). Ansatzweise ging sein Text „Farzner“ in diese Richtung. Das hat mir gefallen.

Die anderen sind mit entglitten.

Die Jury war dieses Jahr: Thomas Glavinic, Feridun Zaimoglu, Monika Rinck.

Die Sopranisse war auch da und hat Fundierteres dazu zu sagen. Tag eins | Tag zwei

[…]

Vorgestern im Dussmann ein bisschen lachen müssen, weil Lila Downs bei ihrer Unplugged-Session im Keller des Kultukaufhauses dann sagte, Berlin sei so beautiful, wegen der vielen glücklichen Gesicher, all die big smiles denen sie auf ihrem Spaziergang durch die Kastanienallee (Castanian-Road) begegnet sei.
Das ist natürlich an sich schon witzig.
Auch aus dem Mund einer Mexicana.
Ich lachte aber wegen der verschobenen Wahrnehmungen aus den unterschiedlichen Vierteln, wegen der vielen bösen Worte, weil man sagt, allet sei irgendwie schnuckelig und Bionademeier und bäh.

[BHO]

Natürlich freut es mich die Bushbillies aus dem Weissen Haus ziehen zu wissen, natürlich freut mich dieser Sieg über das reaktionäre USA, vor allem wird man endlich das mulmige Gefühl los, dort säßen totalmente die falschen Leute am roten Drücker, die Leute die ohne mit Augenliderhaaren zu zucken irgendwas hochgehen ließen das uns allen nachträglich den Magen verdreht. Doch die Euphorie bleibt aus. Der Jubel, diese euphorische Freude über dem Change. Und das keineswegs aus politisch fundierten Gründen, sondern schlicht aus nicht so starkem Interesse für die Sache.
Natürlich freut es mich die Republikaner aus dem Pentagon verschwinden zu sehen, doch ist mir gestern aufgefallen, dass man für Euphorie einen emotionalen Bezug zu den USA braucht, und es scheint mir, als sei man vor allem froh darüber, all die negativen Bilder der USA die unter der Administration der Hillbillies nach Westeuropa gebracht wurden, endlich changen zu können, da ist nämlich eben ein Präsident gewählt worden der den Irakkrieg ablehnt, der Guantanamo ablehnt, der gegen die Todesstrafe ist [edit: stimmt nicht]. Das ist der Typ der mit Syrien reden will, und man wird nachher niemanden mehr sagen hören: in Amerika, weisst, da gibt es keine Krankenversicherung für die kleinen Leute.
Die Bilder.
Ich glaube, es verstanden zu haben, es gibt Hoffnung, das Land des Rocknroll.
Die Stätten meiner Kultur waren aber immer eher London, Paris, Berlin.

Und ich weiß, die Wahl des amerikanischen Präsidenten muss man notgedrungen in einem globaleren Kontext sehen als die Wahl des Sarko oder der Merkel, weil in Washington ja die Hebel der Weltpolitik geschaltet werden, wegen der vielen Waffen, was ich jetzt keineswegs negativ meine, und der kulturellen Botschaft die mit dem Rosinenbomber über Westeuropa abgeworfen wurde. Und insofern ist es wichtig. Wichtig wichtig: relevant.
Und werde mich trotz der politischen Skepsis einfach mal freuen.

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Und auch.