Beim Buchen von MagentaTV merkt man die ganze Trägheit und hoffnungslos versteinerte Denke des Telekom-Apparats. In direktem Vergleich mit agilen und smarten Anbietern wie Netflix oder AppleTV, wo man auf der Seite sofort versteht, dass man sich entweder registrieren oder Einloggen muss und dabei nur eine Email und ein Passwd braucht, sowie eine Zahlungsmethode und danach ganz schnell zwischen einfach verständlichen zwei oder drei Tarifen wählen kann, brauchte ich für MagentaTV eine ganze Stunde und Hilfe des Supports.
Was ich wollte: die fünfte Staffel von Fargo schauen.
Telekom hat mich mit einem sogenannten Exklusivinhalt gelockt. Seisdrum. Also wollte ich mir für einen Monat MagentaTV zulegen. Wenn die Inhalte gut sind, würde ich natürlich auch länger bleiben. Die Telekom will mich mit Fargo ja locken, das verstehe ich, deswegen probiere ich es jetzt einen Monat wegen Fargo und dann schaue ich weiter.
Was ich verstanden habe:
es gibt tausende Tarife
es gibt immerhin nur die Hälfte an Produktbegriffen
es gibt Zubuchungsoptionen
Was ich aber nicht verstanden habe: Was muss ich tun, um Fargo zu gucken und nach einem Monat wieder kündigen zu können.
Stattdessen werde ich mit Zubuchungsoptionen gelockt, während ich noch gar nicht weiss, was ich als Basis buchen kann. Und überhaupt versucht man mir ständig einen sehr teuren Tarif anzubieten. Irgendwann lande ich endlich auf einer Seite, auf der 5 Optionen für MagentaTV angeboten werden. Ich wähle den Flex Tarif für 10 Euro aus. Beim Buchen des Tarifs werde ich informiert, dass ich bereits Kunde bin und ich es deswegen im Kundencenter als Option hinzubuchen muss. In meinem Kundencenter (wo ich mich erneut einloggen muss) lande ich wieder auf der Seite, wo ich den Tarif auswählen kann, der mich wieder ans Kundencenter weiterleitet (wo ich mich wieder einloggen muss). Ungefähr drei Mal lande ich bei Gewinnspielen und am Ende habe ich zwölf geöffnete Browsertabs, aber immer noch kein MagentaTV, auf dem ich Fargo schauen kann.
Irgendwann kontaktiere ich den Chatbot, der auch wenig damit anfangen kann, dass ich einfach Fargo gucken will. Deswegen schaltet sich eine Mitarbeiterin im Chat ein, die mir weiterhilft.
Nach der Nasen-OP hatte ich Angst davor, dass sich an der Durchlüftung meiner Nase nicht geändert haben würde. Die OP verschlimmerte den Zustand nämlich.
Ich nehme ja seit Jahren alle paar Stunden Nasenspray, damit ich normal sprechen kann und mit geschlossenem Mund atmen kann. Vor allem nachts. Ich hatte erwartet, dass sich durch die Operation alles lösen würde. Stattdessen wurde es nach der OP schlimmer. Seitdem musste ich mindestens einmal alle zwei Stunden sprühen. Besonders nachts war das frustrierend, da mein Schlaf ohnehin nicht der beste ist. Weil ich mittlerweile schon so viele Jahre sprühe, nehme ich den Spray auch prophylaktisch. Zum Beispiel, wenn ich ins Bett gehe. Auch wenn meine Nase zum Zeitpunkt des Schlafengehens noch offen ist, sprühe ich natürlich, damit ich erst mal zwei oder mehrere Stunden Ruhe habe. Das nennt man wohl Sucht. Sucht mit weiser Voraussicht.
Am Donnerstagabend vor dem Zubettgehen griff ich also wieder zum Fläschchen, mir fiel aber ein, dass der letzte Griff zum Fläschchen schon eine Weile her war. Da war ich noch im Büro. Das waren mehr als sechs Stunden. Aber meine Nase war frei wie nach einem frischen Sprühstoss. Das freute mich, ich wollte es aber nicht riskieren, in einer Stunde wegen meines verstopften Rüssels wach zu werden. Also verabreichte ich mir eine Dosis.
Am nächsten Morgen um 7 Uhr war mein Geruchsorgan immer noch frei. Wahrscheinlich dauerte es einfach diese zwei Wochen, bis sich die Schleimhäute nach der OP wieder beruhigten und jetzt hat sich alles zurechtgelegt und -gezogen, wie es die Intention war. Ich verstand, dass das dieser langersehnte Moment sein könnte, auf den ich so viele Jahre gehofft hatte. Ich beschloss, nicht zu sprühen, nahm das Fläschchen dennoch mit auf die Gassirunde. Aber von Stunde zu Stunde wurde mir bewusst, dass meine Nase geöffnet blieb. Kurz nach Mittag schrieb ich eine Nachricht: ich habe schon seit 13 Stunden nicht mehr gesprüht.
Das ist bisher so geblieben.
Ich trage das Fläschchen zwar immer noch mit mir herum, aber ich vergesse es mittlerweile. Früher hatte ich immer ein panisches Gefühl, wenn ich es nicht bei mir trug. Ich fuhr schon mehrmals deswegen von der Kneipe nach Hause oder in die Apotheke. Einmal kehrte ich vom Weg ins Stadion um und schaute das Spiel zu Hause. Ohne Fläschchen geriet ich in Panik.
Diese Abhängigkeit scheint jetzt vorbei zu sein. Ich freue mich alle paar Stunden darüber und sage zu meiner Frau ständig: ich kann es gar nicht fassen. Meine Nase ist immer noch frei.
In ein paar Tagen werde ich versuchen, ohne Spray aus dem Haus zu gehen.
# Am Nachmittag fuhren wir zur Demo gegen Rechtsextremismus und die AfD. Mehr als 150.000 waren vor Ort. Wir fuhren mit der U-Bahn. Die U-Bahnen waren gut gefüllte gelbe Sardinendosen, aber wir passten noch hinein.
Die Demo war dann kein Demonstrationszug, wie es in 2018 die grosse Unteilbar-Demo war, sondern eine Kundgebung vor Ort mit mehreren Rednerpulten und Musikeinlagen. Früher, als ich selbst noch Barrikaden anzündete, interessierte ich mich sehr für Protestformen, mittlerweile störe ich mich an den meisten Arten. Natürlich vor allem an angezündeten Barrikaden. Aber auch Rednerpulte sind eine davon. Ich finde, wenn man viele Leute bewegen will, dann ist es wesentlich wichtiger, dass etwas passiert. Wie blöd es auch klingen mag: Menschen sollen Spass haben. Menschen sollen gerne zur Demo kommen. Menschen sollen sich als Teil von etwas fühlen. Heute hatte ich das Gefühl, dass die meisten Menschen etwas verloren in der Gegend herumstanden, nicht genau verstanden, was los ist. Man hört die Reden zwar, weil aber so viele Menschen anwesend waren, wusste man nicht, woher die Stimmen kamen. Zudem verstand ich auch den Inhalt der Reden nicht, bzw. ich verstand nur jedes zweite Wort. Ich empfand es eher als anstrengend.
Viele Teilnehmerinnen verliessen die Demo bereits ab 14Uhr. Wobei ich fairerweise sagen muss, dass gleichzeitig viele Menschen erst zu jener Zeit kamen. Immerhin hielten sich auch weit ausserhalb der Demo, Unter den Linden, so viele Menschen auf der Strasse auf, dass sie gesperrt war.
Die Unteilbar-Demo fand ich hingegen richtig gut. Das war ein Demonstrationzug mit verschiedenen Wagen auf denen Musik gespielt wurde und wo kurze politische Ansagen gemacht wurden. Wir waren immer in Bewegung, konnten Musik wechseln, wie es uns passte. Man war eine Wucht an Menschen, die zeigten, dass wir mehr sind als die Rechten und dass wir dabei Spass haben. Ich brauche auf einer Demo keine Reden, wir alle wissen, warum wir da sind, wir wollen Präsenz zeigen, dass wir mehr sind, dass wir zusammengehören, dass wir alle noch da sind und es uns ein Anliegen ist. Das ist es, was diese Zeiten brauchen.
Ich fürchte, dass der Zulauf abebben wird, wenn solche Zusammenkünfte irritierend sind. Vielleicht empfinde aber auch nur ich so.
Auch traf ich noch die Menschen von meinem Fanclub. Wir hatten eigentlich einen Treffpunkt vereinbart, aber da meine Frau und ich zu spät waren, fanden wir sie nicht sofort wieder. Ich bat einen Freund per Whatsapp, mir den Standort zu teilen, das Mobilfunknetz war aber völlig überlastet. Die Nachricht fand erst ihr Ziel, als wir ein paar Stunden später am Alex einfuhren.
Wir trafen sie dennoch zufällig. Meine Freunde hielten ein Schild mit der Hertha Fahne hoch, auf der stand: „Liberté, Egalité, BSC“
Es gibt gerade nicht viel zu berichten. Ich arbeite sehr produktiv und mein Fanclub hat mit Hilfe von anderen Fanclubs und Person in einer super Aktion zwei Abende ein paar tausend Poster für den Abschied von Kay Bernstein in der Stadt verklebt.
Und sonst so. Am morgigen Samstag ist Demo. Kommt alle. That was it.
Als meine Frau das Rentierfell auspackte, war das Interesse der Hündin geweckt. Sie folgte meiner Frau andächtig mit gestreckter Schnauze, um dieses grosse Fell zu verstehen. Meine Frau lief damit durch die Wohnung und suchte einen geeigneten Ort, um es abzulegen. Die Hündin immer an ihren Fersen. Die Entscheidung fiel auf den Schaukelstuhl. Meine Frau breitete das Fell über den Stuhl aus und begutachtete es. Dann begann die Hündin zu knurren. Sie knurrte das ausgebreitete Fell an und versteckte sich hinterm Tisch. Sie kam wieder hervor, knurrte, machte einen Bogen um den Stuhl und versteckte sich wieder.
Das war lustig.
# Sonst waren die letzten beiden Arbeitstage unglaublich produktiv. Es geschah lange nicht mehr, dass ich abends nach Hause komme und das Gefühl habe, richtig viel erledigt zu haben.
# Übrigens gibt es ein Interview mit einer amerikanischen Psychologin auf Spiegelplus, das mich sehr begeistert hat. Über Winter und wie man den Winterblues verhindert. Schlichtweg, indem man ihn zu lieben lernt. Es bringt nichts, sich den ganzen Winter lang zu wünschen, im Park zu sitzen, wenn es der Winter nicht hergibt. Deswegen muss man die Dinge anders angehen. Z. B. Gemütlichkeit zulassen, Ausgehstress runterfahren, Lichter anschalten etc.
Ein paar lustige Passagen:
SPIEGEL: Gibt es Regionen, in denen die Menschen besonders anfällig für den Winterblues sind?
Leibowitz: Ja, das sind vor allem diejenigen, die ihre Heimat in den mittleren Breitengraden haben. Dazu zählen etwa Städte wie Berlin, London oder New York. Man würde denken, dass es dort, wo die Winter deutlich dunkler und extremer sind, auch zu mehr Fällen von Winterblues und Winterdepression kommt, aber das ist nicht so. Nach meiner Auffassung und Forschung ist der Grund folgender: Wenn man in extremen Wetterverhältnissen lebt, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich anzupassen, sich vollkommen in den Winter hineinzuwerfen und ihn zu umarmen.
SPIEGEL: Und wie umarmt man den Winter? Was machen die Menschen in den nördlichen Teilen der Welt anders als wir hier in Deutschland?
Leibowitz: Die Kultur ist vollkommen anders und deutlich besser an die kalte Jahreszeit angepasst. Die Menschen ziehen sich wärmer an, die Infrastruktur der Städte ist auf die Kälte und den Schnee eingestellt, die Häuser werden effizienter geheizt, so etwas hilft natürlich. Menschen, die in den nördlichen Breitengraden leben, sind außerdem deutlich mehr dazu geneigt, ihr Verhalten und ihren Rhythmus an die dunklen Wintermonate anzupassen. Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege, aber in Deutschland ist Gemütlichkeit kein relevantes kulturelles Konzept, oder?
SPIEGEL: Es ist auf jeden Fall kein Volkssport, würde ich sagen, nein.
# Am Abend fand das Pokalspiel gegen Kaiserslautern statt. Ich sass zu Hause und sah eine eher traurige Niederlage. Ich hatte meine Dauerkarte für dieses Spiel bereits im Dezember vergeben, ich weiss aber auch nicht, ob ich die Niederlage mit Freunden im Stadion anders verarbeitet hätte. Seit anderthalb Jahren ist bei mir eine gewisse Egaligkeit bei Niederlagen eingetreten. Ich interpretiere das als Selbstschutzmechanismus, vielleicht ist es aber auch etwas anderes. Es äussert sich leider auch darin, dass mir Siege weniger Freude bereiten als früher. Bei der Audiobearbeitung nennt man das „normalisieren“. Wenn man die Ausschläge oben und unten wegfeilt. Das machen auch Antidepressiva. Oben und unten wegfeilen. David Foster Wallace nahm sich deswegen das Leben. Weil er nicht nach unten und nach oben fühlen konnte. Klingt jetzt sehr dramatisch, wenn ich das so schreibe, ich bin nicht sonderlich suizidal, aber der Vergleich bot sich gerade an. Vielleicht sollte ich mit dem Fussball aufhören.
Montag war Rückflugtag und mir fehlte der Elan, die niedergeschriebenen Notizen in Form zu bringen.
Ich hätte ja gerne den Polarkreis überquert. Neben Wanderungen im Schnee war die Überquerung des Polarkreises das einzige wirkliche Vorhaben, das ich mir vorgenommen hatte. Es gibt kaum esoterisch-religiösen Gefühle in meinem Leben, aber diese magische Grenze der Sonnenwende fasziniert mich seit langer Zeit.
Ich habe sie oft mit dem Flugzeug überquert, aber sie füssläufig zu betreten ist eine ganz andere Dimension. Auch wenn ich jedes Jahr in Schweden bin, bedeutet das noch lange nicht, dass man die Linie einfach findet. Meist verläuft der Polarkreis irgendwo durch den skandinavischen Wald. Es gibt mehrere Waldstrassen, die vom Polarkreis durchkreuzt werden, aber dafür müsste ich entweder zwei Tage von Göteborg aus mit dem Auto fahren oder mit dem Flieger nach Kiruna oder Lulea fliegen und dort ein Auto mieten und noch einmal zwei bis drei Stunden fahren. Oder mit der Bahn, das sind auch 20 Stunden. Rovaniemi liegt hingegen 2km vom Polarkreis entfernt. Da bot es sich natürlich an.
Das Problem ist nur: Niemand scheint sich dort für den Polarkreis zu interessieren. Weder Taxifahrer noch Tourismusangestellte wissen, wo man den Polarkreis überqueren kann. Alle verweisen nur auf die Markierung im Santa Claus Village, aber dieses Weihnachtsmanndorf-Disneyland wollten wir tunlichst vermeiden. Dort gibt es eine Markierung im Boden und man kann sich gegen Entgelt sogar ein Diplom ausstellen lassen, dass man an jener Stelle den Polarkreis überquert hat. Es ist gut zu wissen, dass ich nicht der einzige bin, der diesen Wunsch hat, diese Linie zu überqueren. Es ist aber deprimierend zu wissen, wie billig bedienbar so ein Wunsch ist. Um es vorwegzunehmen: Nein, wir fuhren nicht ins Weihnachtsmanndorf.
Eine Alternative wäre es gewesen, ein Auto zu mieten und mit dem GPS Signal in den Wald zu fahren. Der Taxifahrer riet uns aber davon ab, ein Auto zu mieten, die seien bei diesen Wetterbedingungen immer schlecht bereift. Tatsächlich waren die Strassen, auch die Hauptstrassen, durchgehend mit Schnee bedeckt. Natürlich sagt ein Taxifahrer, dass Mietautos eine schlechte Sache sind, schliesslich sind die schlecht für sein Geschäft, aber es reizte mich auch wenig, irgendwo im Wald, bei minus zwanzig Grad und ohne Handyempfang mit dem Auto stecken zu bleiben. Ich habe viele Filme über Flugzeugabstürze in Alaska gesehen, ich weiss, was dann passiert.
Während unseres Aufenthaltes verfolgte ich den Plan nicht mehr stringent, aber ich schielte immer wieder auf den Verlauf der Linie und wo man sie vielleicht zufällig überqueren könnte. Der Flughafen war ein solcher Ort. Die Landebahn des Flughafens führt genau einmal durch 66,56°N. Da ist das Flugzeug noch am Boden. Es zählt also halb.
# Wir schrieben noch Postkarten. Wenn man Postkarten nach Deutschland schickt, kann man als Empfängerland „Germany“ schreiben oder das finnische Wort verwenden: Saksa. Genau. Saksa.
# Zurück in Berlin holte meine Frau die Hündin ab. Diese freute sich 5 Minuten lang wie eine Irre. Aber 5 Minuten später kippte irgendwas und sie schien zu schmollen. Dieses Schmollen dauerte noch den ganzen Dienstag lang. Sie frisst nicht mehr und sie verfolgt jeden unserer Schritte. Dabei hat sie in den Tagen unserer Abwesenheit gut und viel gegessen und hatte auch eine gute Zeit. Jetzt sind wir zurück und sie scheint uns zu bestrafen.
Heute ist mein 49. Geburtstag. Meine Frau wurde vor zwei Tagen 50, jetzt sind wir wieder nur ein Jahr auseinander. Ich habe immer gerne Geburtstag, aber heute wollte bei mir nicht so recht Stimmung aufkommen. Meine Frau hatte Fotos der Geschenke liebevoll in Umschläge verpackt, damit ich wisse, welche Geschenke in Berlin auf mich warten würden. Aber ich wollte die Umschläge zunächst nicht öffnen. Wir gingen zuerst frühstücken und danach auf eine längere Winterwanderung. Es gibt hier verschiedene Wintertrails, das sind Wege durch den Wald, die aber auch im Winter gepflegt werden. Das bedeutet, dass man mit einer Schneekatze den Weg vorgefahren ist, damit der Schnee hart ist und man darin nicht versinkt. Es liegt hier sicherlich ein halber Meter Schnee.
Ich hatte eine ganz bestimmte Route ausgewählt. Aus dem Hotelprospekt entnahm ich drei verschiedene empfohlene Routen, die ich zu einer einzelnen kombinierte, weil ich bestimmte Vorstellungen über eine Route habe. Für die Orientierung nutze ich Osmand. Das ist eine Karten-App, auf der viele Wege – auch nicht offizielle – eingezeichnet sind. Die App hat mir bereits oft in schwierigen Momenten weitergeholfen. Auch schon im Schnee, wo man keine Wege mehr erkannte, ich aber mit GPS der Markierung auf dem Telefon folgen konnte.
Heute war ich allerdings zu eigenwillig beim Verfolgen einer Abkürzung. Meine Frau verdreht die Augen, wenn ich „wiedermal“ eine Abkürzung für die bessere Alternative ausgemacht habe. Dazu muss man wissen, dass sie kein Outdoor-Mensch ist. Sie liebt es, in der Natur zu wandern, sie liebt den Wald, aber Outdoor-Performance ist nicht ihr Ding.
Ich muss zugeben, dass meine Abkürzungen nicht immer die besten waren. Aber im voraus bin ich mir immer sicher, eine gute Wahl getroffen zu haben. Weil meine Frau aber keinen besseren Plan hat, folgt sie mir meistens, wenn auch widerwillig und selten ohne Diskussion, aber in der Regel kommt sie mit. So auch heute. Ich stieg gut gelaunt im Tiefschnee voran. Der Schnee war hart genug, dass man nur wenige Zentimeter tief stapfte. Je besser meine Laune wurde, desto tiefer wurde aber das Geläuf. Und plötzlich sackte ich bis zu den Knien ein. Dabei verlor ich das Gleichgewicht und ich stand halbschief im Tiefschnee, während ich spürte, wie kaltes, gefrorenes Wasser in meine Schuhe eintrat. Dort muss sich ein Loch oder eine natürliche Verwerfung befunden haben, worüber sich der Schnee verweht hatte. Ich kannte so etwas aus meiner Kindheit. Meine Laune war immer noch okay. Ich sagte zu meiner Frau: „Äh, komm hier besser nicht lang.“ An ihren Gesichtszügen konnte ich eine gewisse Genugtuung ablesen. Sie nahm einen anderen Pfad, dort, wo es stabiler aussah. Im nächsten Moment brach auch sie ein. Sie brach aber wesentlich tiefer ein, mindestens bis zur Hüfte ein und sie fiel dabei seitlich in den Schnee. Sie schimpfte sehr laut. Gemessen an den Dingen, die sie über mich sagte, glaube ich, dass sie keine besonders positiven Gefühle für mich hegte. Ich befand mich leider selber in einer misslichen Lage, aber ich versuchte dennoch, ihr zu helfen. Offenbar machte ich es durch meine Hilfe nur noch schlimmer. Ihre Gefühle wurden nicht positiver.
Nach einer halben Stunde waren wir wieder Freunde. Ich hatte in jener halben Stunde nur noch offizielle Wege ausgewählt, nahm lieber einen Umweg in Kauf und ich vermied es natürlich, Abkürzungen zu nehmen. Irgendwann kamen wir auch wieder im Hotel an, wo wir die nassen Socken und Hosen auszogen.
Mein Wanderplan war aber noch nicht fertig. Es gab noch eine zweite, kürzere Wanderung auf der Ostseite des Hügelkammes. Dort gab es einen Aussichtspunkt, den ich noch sehen wollte. Ich hatte Geburtstag, es gab noch eine Stunde Tageslicht und der Aussichtspunkt war ein Skilift. Mein Plan ging so: Wir spazieren 15 Minuten zu diesem Aussichtspunkt, nehmen dort den Skilift runter bis in das Tal. Im Tal gibt es ein kleines Dorf und einen anderen Skilift. Das ist jener Skilift, der unweit von unserem Hotel endet. Wir könnten also unten durch das Dorf spazieren und den anderen Lift zurück nehmen. Wie gesagt: ich hatte Geburtstag. Meine Frau liess sich überraschenderweise darauf ein. Es verlief fast reibungslos. Ich wagte einen kleinen Abstecher zu einem Aussichtspunkt, der mir auf dem Telefon angezeigt wurde. Natürlich achtete ich diesmal darauf, dass der Weg gut ausgetreten war. Als wir jedoch den offiziellen Aussichtspunkt mit dem Skilift erreichten, entpuppte sich der Skilift als ein Schlepplift. Mit einem Schlepplift kann man nicht abwärts fahren wie auf einen Sessellift. Wir hätten uns einen Schlitten besorgen müssen um runter ins Dorf zu kommen, oder die Strecke laufen, aber dafür war es nicht mehr lange genug hell. Deswegen gingen wir zurück in das Hotel. Ende der Geschichte, keine Pointe.
# Im Hotel kauften wir ein Rentierfell. Genau. Ein grosses, simples Rentierfell. Für auf den Boden oder auf dem Sofa. Das wollten wir bereits im Oktober auf Spitzbergen kaufen. Damals hatten wir aber noch Skrupel. Mittlerweile sind die Skrupel gewichen und zu einem guten, positiven Gefühl herangereift.
Auch saunierten wir wieder. Das war nett. Aber ich weiss nie so genau, ob ich Saunas mag. Die Idee einer Sauna finde ich immer super, wenn die Kabine dann heiss ist, sehe ich jedoch keinen Sinn darin, hineinzugehen und mich der Hitze auszuliefern. Wenn ich es aber drin sitze und fast vor Hitze eingehe, finde ich es dennoch, öhm, nett. Speziell. Aber irgendwann reicht es mir auch wieder. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass ich nie so genau weiss, ob ich Saunas mag.
Dann öffnete ich auch den Umschlag mit meinen Geschenken.
Nach der Sauna gingen wir in die Hotelbar, nahmen einen Drink und für halb sieben hatten wir einen Tisch im Restaurant des Hotels.
# Am Abend benachrichtigten mich die sechs Polarlicht-Apps darüber, dass heute ein starkes Polarlichtfeld über Lappland läge. Man kann in der Gegend um Rovaniemi ungefähr jeden zweiten Tag Polarlichter sehen. Heute sollten sie ganz besonder stark leuchten. Aber der Himmel wurde mit einer 100%-Bewölkung angezeigt. Die Wolkendecke würde noch zwei Tage lang bleiben. Meine Frau war schon zu müde, um bei Minusgraden eine Wolkendecke anzustarren. Ich stieg aber noch auf die sogenannte Aurora-Terrasse hinauf und trotzte dem arktischen Wind. Etwa eine halbe Stunde lang. Ich war der einzige Mensch auf dieser Terrasse. Wenn man eine halbe Stunde lang in eine dicke Wolkendecke hineinstarrt, glaubt man irgendwann alle möglichen Lichter zu sehen. Polarlichter waren es aber nicht.
Gleich nach dem Frühstück packten wir unsere Siebensachen und verstauten sie in der Gepäckbewahrung des Hotels. Heute würden wir das Hotel wechseln. Wir wurden morgens von Tatendrang erfasst und da wir die nächsten beiden Tage eher im Wald verbringen werden, machten wir uns auf dem Weg, die letzten Dinge in der Stadt zu erledigen. Das Science Center, das eher ein kleines, interaktives Museum über die Bedeutung des Waldes ist. Die Skandinavier und ihr Wald. Es dreht sich alles ums Holz. Es war trotzdem sehr nett. Viel Erkenntnis zog ich allerdings nicht daraus. Bis auf die Vorstellung der Produkte, die aus Holz hergestellt werden können. Es wurden Gegenstände, die sich wie Kunststoff anfühlen, ausgestellt. Parfümdosen, Handyhüllen etc. und auch Tassen, die spülmaschinenfest sind. Da wird in Zukunft sicherlich Spannendes auf uns zukommen. Bis es so weit ist, bleibt es allerdings teuer.
Danach spazierten wir durch eher kleinere Seitenstrassen der Stadt. Rovaniemi ist ja unfassbar hässlich. Das muss ich erwähnen. Die Stadt wurde, nachdem die Wehrmacht alles zerstörte, ab den Fünfzigerjahren wieder aufgebaut. Wir wissen alle um den Charme der deutschen Nachkriegsbebauung. Rovaniemi sieht grössteinteils aus wie die Fussgängerzone von Dinslaken mit skandinavischem Plattenbaucharme.
Es ist heute verhältnismässig warm. Lediglich -3. Eigentlich wollte ich hinunter zum Fluss, aber stattdessen gingen wir in ein Museum für zeitgenössische Kunst von lappländischen Künstlerinnen. Das war eher mittelmässig. Dafür wiegte der Museumsshop die Enttäuschung auf. Wir kauften zwei seltsame Tiermasken, die man an die Wand hängen kann. Eine Eisbärenmaske und die Maske eine Schneehasen.
Nach dem Museum beschlossen wir, ins neue Hotel aufzubrechen. Wir konnten zwar erst um 16 Uhr einchecken, aber wir hatten genug von der Stadt und wollten jetzt in den Wald hinaus ziehen. Das war so geplant. Die letzten beiden Tagen wollten wir im Wald verbringen. Es gibt dort ein Hotel, das einige Kilometer ausserhalb der Stadt auf einem kleinen Berg gelegen liegt. Es hat Zimmer mit Sauna en suite und von dort aus lässt es sich einfach auf Wanderungen gehen. Auch ist es dort nachts so dunkel, dass man die Nordlichter besser sehen kann. Was ich bisher vergass zu sagen: Rovaniemi ist nicht nur hässlich, sondern auch teuer. Das Hotel, in dem wir die ersten beiden Tage nächtigten, war eines der günstigsten der Stadt. Es kostete 280€ pro Nacht. Ich will gar nicht sagen, wie viel das Hotel auf dem Berg mit der Sauna im Zimmer kostet.
Ein freundlicher Taxifahrer erzählte uns auf dem Weg dorthin, dass man bei den taxifahrenden Locals aufpassen solle. Er selbst käme aus Pakistan und sei kein Betrüger, aber die Locals würden teure Umwege fahren. So erzählte er, dass diese bei Fahrten zum Apukka Resort 200€ abgerechnet hätten. Das sei in Wirklichkeit nur eine 50-Euro-Fahrt. Deshalb empfahl er uns immer die Uber App zu verwenden. Das sei ohnehin billiger, die App zwinge aber auch die Locals keinen Scheiss zu machen. Als wir aussteigen, bedanken wir uns bei ihm.
Da es erst 14 Uhr war, wir aber erst um 16 Uhr einchecken konnten, dachten wir, das Gepäck erst mal ins neue Hotel zu bringen und danach auf einen langen Waldspaziergang zu gehen. An der Rezeption sagte man uns aber, dass das Zimmer schon bezugsfertig sei. Also brachten wir alles ins Zimmer und gingen dann trotzdem auf einen Waldspaziergang. Es gibt dort mehrere Skilifte und Rodelbahnen, vielleicht machen wir morgen etwas damit. Auch sah ich Fahrräder mit richtig dicken Reifen und Spikes, ich weiss aber nicht, ob man die auch mieten kann. Ich werde morgen auf alle Fälle danach fragen. Wir liefen ein ganzes Stück über einen Bergkamm hinaus. Der Schnee war tief, aber nur die obere Schicht war weich. Die untere Schneelage war vereist, also konnte man gut darauf laufen. Auch waren schon vor uns Menschen auf diesem Weg gegangen. Wir folgten nur den Spuren der anderen. Dieser verschneite Wald. Ich habe noch nie so viele Fotos von einem Wald geschossen.
Zur Dämmerung kamen wir zurück ins Hotel. Wir stiegen auf die Dachterrasse hinauf, die uns das Hotelpersonal empfohlen hatte. Dort treffen sich nachts die Gäste und spähen nach Polarlichtern. Es wehte ein eisiger Wind. Für Polarlichter war es noch zu früh, aber wir fotografierten den Horizont. Man kann von hier aus sehr weit sehen. Ich hatte das Gefühl, das weite Lappland vor mir liegen zu haben.
Es gibt eine Sache, die ich wirklich gerne mag. Kalte Arschbacken. Ich mag es, wenn meine Arschbacken eiskalt sind.
Danach gingen wir in die Sauna und schwitzten. Nach der Sauna gingen wir in die Hotelbar, dort tranken wir ein Bier und später einen Cocktail und wir assen einen Sandwich.
Sonst taten wir nicht mehr viel. Die Sauna und das Bier ist eine schläfrige Mischung.
Mittlerweile habe ich 6 Polarlichter-Apps installiert. Sie sagten allesamt leichte Aktivitäten am Nachthimmel voraus. Der Himmel blieb aber bewölkt. Ich checkte alle 5 Minuten alle 6 Apps ab. Manchmal checkte ich alle 3 Minuten. Und schaute aus dem Fenster auf die Wolkenglocke. Ich weiss es jetzt schon, dass das kein neues Hobby wird.
Gegen 7 Uhr öffnete ich die Gardinen. Es war noch dunkel. Die Sonne wird erst kurz vor zehn Uhr aufgehen. Draussen hantierten Bauarbeiter auf einem halb gebauten Gebäude bei -21 Grad mit Stahl und Zement. Ich schaue Menschen sehr gerne beim Arbeiten zu. Das hat etwas Beruhigendes. Aber Bauarbeiter in der Dunkelheit bei -21 Grad sind ziemlich überhaupt nicht beruhigend. Ich kroch sofort zurück ins Bett.
Heute ist der Geburtstag meiner Frau. Ich hatte die beiden sperrigen Geschenke natürlich nicht mit nach Lappland genommen, dafür mimte ich die Geschenke, sie erriet aber keines.
Um 9 Uhr gingen wir frühstücken, wir setzten uns ans Fenster, draussen war es immer noch dunkel, aber es begann zu dämmern. Die Strasse war belebt. Als wir mit dem Essen fertig waren, schien draussen das Tageslicht.
Gegen Mittag gingen wir ins Arktikum. Ein Museum, das meine Frau sich auf die Liste gesetzt hatte. Auch eine Freundin war dort gewesen und empfahl es uns wärmstens. Es war nicht mehr ganz so kalt wie gestern. Als wir losgingen mass es zwar noch -20, aber die Temperaturen würden sich im Laufe des Tages erhöhen. Voraussichtlich auf -13 Grad. Das ist berliner Temperatur. Das kenne ich. Das Arktikum befindet sich etwas ausserhalb der Stadt, es ist ein ungefähr zwanzigminütiger Fussmarsch durch den Schnee. Meine neulich gekauften Winterschuhe sind erstaunlich trittfest und warm. Ich rutschte kein einziges Mal aus.
Dort verbrachten wir fast drei Stunden. Das ist ein wirklich interessantes Museum, wenn man sich für Lappland, Skandinavien und insbesondere die Arktis interessiert. Auch war ich mir bisher nicht sehr des Krieges zwischen den Finnen und den Russen bewusst. Ein Krieg, der erst am Ende des zweiten Weltkrieges beigelegt wurde, u.a. indem Finnland Gebiete an Russland abgeben musste und die Bevölkerung durch die Russen vertrieben wurde. Es wundert mich, dass Russen und Finnen im Kalten Krieg bis zum Ukrainekrieg eine so entspannte Beziehung führten. Auch wurde Rovaniemi absichtlich von der Wehrmacht zerstört. Die Deutschen kommen bei den Finnen aber auch gut weg. Vielleicht liegt das einfach an den Finnen. Die Wehrmacht zerstörte übrigens auch Longyearbyen. Das vergass ich im Oktober zu erwähnen. Es ist schon erstaunlich, wie oft das deutsche Volk auf der falschen Seite der Geschichte stand.
Wir kauften gleich ein Kombiticket für das benachbarte Science Museum und dem kleineren Museum für moderne Kunst. Diese würden wir aber erst morgen besuchen. Morgen wechseln wir in ein anderes Hotel, da müssen wir ohnehin einige Stunden improvisieren.
Danach gingen wir zurück in die Stadt und betraten, tataa, den Supermarkt. Es gibt nichts schöneres, als Supermärkte in anderen Ländern zu besuchen. Aber das habe ich schon oft gesagt. Der Supermarkt befand sich in einer Mall, dort gab es auch ein Geschäft für Outdoorwear. Ich fragte eine Verkäuferin, welche Jacken sie für genau dieses Wetter empfehlen würde. Sie empfahl zuerst die fluffigen Jacken, aber ich erklärte ihr, dass ich genau die nicht wollte, sondern stylishere Jacken, die irgendwie mit Technologie vor Kälte schützen, anstatt sich auf die Natur zu verlassen. Sie meinte, ich müsse dann auf Skibekleidung umsatteln. Ski-Jacken sind tatsächlich dünn und besser geschnitten, aber die sind alle sehr grell mit auffälligen Farben und allerlei Reissverschlüssen versehen. Das stört mein modisches Empfinden.
Für 17 Uhr hatten wir einen Tisch im „Gustav“ reserviert. Wir hatten keinen späteren Tisch bekommen, aber es ist um 17 Uhr bereits dermassen dunkel, dass es sich nach Abend anfühlt. Auch hatten wir einen ereignisreichen Tag und konnten uns eine frühe Rückkehr ins Hotel vorstellen. Im Gustav ass ich einen sehr guten Artischocken-Risotto. Die darauf verstreuten eingelegten Äpfel passten meines Erachtens nicht. Im Menü wurde hingegen davon geschwärmt, dass diese die richtige Balance herstellen würden. Nunja, der Koch muss ja nicht meiner Meinung sein. Meine Frau hatte den Portobello Mushroom, den sie mochte und als Hauptgang nahmen wir beide den Saibling mit Lobster Sauce. Der unter dem Fisch liegende Salat war mit dieser Lobster-Sauce getränkt, das war richtig gut.
Als wir später im Bett lagen, schlug ein Alarm in meinem Telefon auf. Ich hatte mir eine App installiert, die uns bei Nordlichtern informieren sollte. Im Telefon sah ich, dass über ganz Lappland die Nordlichter leuchteten. Wir schalteten sofort das Licht aus und schauten aus dem Fenster. Der Himmel war aber bewölkt und die Lichter der Stadt verfingen sich darin. Morgen werden wir in ein anderes Hotel umziehen. Jenes Hotel befindet sich einige Kilometer abseits im Wald. In den nächsten Tagen soll der Himmel auch aufklären. Vielleicht haben wir ja ein bisschen Glück. Dennoch wäre ich nicht enttäuscht, wenn ich keine sähe, aber wenn ich schon einmal hier bin.
Kurz darauf alarmierte mein Telefon schon wieder. Diesmal war es beruflich. Unsere Plattform hatte schon wieder Probleme. Ich musste mich einschalten. Während ich auf Slack mit meinen Teams kommuniziere, prangt neben meinem Namen auch eine Palme. Wenn jemand die Palme neben seinem Namen hat, bedeutet das, dass die Person im Urlaub ist. Palmen. Ich schaue aus dem Fenster und sehe die verschneite Baustelle. Allerdings keine Bauarbeiter.
Nach kurzem Zwischenstopp in Helsinki landeten wir etwa um halb drei in Rovaniemi. Ich ging davon aus, dass die Sonne bereits untergegangen sein würde. Dem war aber nicht so. Der Sonnenuntergang findet erst um 15:18 statt. Der Tag ist schon 6 Stunden lang, vor einigen Monaten hatte ich aber 3 Stunden recherchiert. Da muss mir ein Rechenfehler unterlaufen sein.
Während der Landung wir daher über eine unwirkliche Landschaft von endlosen, schneebedeckten Nadelbäumen, die einseitig von einer tief stehenden orangenen Sonne angeleuchtet wurden. Nur unterbrochen von zahllosen vereisten Seeen und Flüssen. Es liegt hier viel Schnee, richtig viel Schnee. Lustigerweise wirkt Lappland wesentlich mehr wie ein Winterwunderland als Spitzbergen. Das hat mit den Bäumen zu tun. Während Spitzbergen eine Landschaft aus vereisten Bergen, Tälern und Gewässern ist, hat man hier wegen der schneebedeckten Bäume eher das Gefühl, es käme jeden Moment ein Bär oder ein Fuchs oder ein Schlitten mit einem rotnasigen Rentier hinter den Bäumen hervor. In diesem Zusammenhang verstehe ich jetzt auch den Santa Claus Tourismus in Rovaniemi. Bei Buchung der Reise waren wir uns dessen gar nicht bewusst. Als wir den Leuten von der bevorstehenden Reise erzählten, wurde es oft mit „Grüsst den Weihnachtsmann“ o.ä. kommentiert. Wir fanden heraus, dass es etwas nördlich der Stadt ein etwas kitschig angelegtes Weihnachtsdorf gibt. Aber das beschäftigte uns zunächst nicht weiter. Im Flieger sichteten wir allerdings seltsam auffällige Passagiere mit Weihnachtsschmuck, z. B. eine Gruppe sehr junger, exzentrischer Frauen aus China, die auffallende Weihnachtsparaphernalia trugen. Von Rentierschmuck über Ugly-Christmas-Pullover bis hin zu auf Fingernägeln auflackierte Weihnachtsbäume. Sie wirkten wie Fangirls eines Weihnachtsmangas. Das fanden wir nett, aber auch schräg.
Dann nahmen wir den Airportshuttle bis in die Stadt, dort mussten wir noch etwa 5 Minuten bis zum Hotel laufen. Meine Jacke war offen und ich hatte keine Mütze auf. Auch zog ich den Rollkoffer ohne Handschuhe hinter mir her. Nach einer Minute hatte ich das Gefühl, dass sich mein Schädelknochen vereist und ich dachte einen Moment lang den Kontakt zu meinen Fingern verloren zu haben. Also zog ich mir schnell etwas über. Es hatte -20 Grad. Das ist eine überraschend beeindruckende Temperatur. Es überraschte mich, weil ich minus zwanzig eigentlich aus meiner Kindheit in den Dolomiten kennen sollte, aber damals beschäftigte mich das vermutlich nicht so sehr, ich war einfach immer warm angezogen.
Nachdem die Sonne unterging, sackte das Thermometer noch einmal auf -23 ab und wir schauten uns etwas im Zentrum um. Ich hatte auf Googlemaps drei Kneipen und einen Pub ausgemacht. Die wollten wir uns von aussen ansehen und uns dann in einen reinsetzen. Das Zentrum ist nur klein und die ausgesuchten Kneipen lagen unweit von einander entfernt, also war die Runde nur kurz. Aber sie war lang genug, um uns auf die Wärme der Kneipe zu freuen. Wir tranken zuerst ein südfinnisches Bier, ein Pale Ale, das uns sehr schmeckte und danach probierten wir die Biere der Lappland Brewery, die wir aber viel zu malzig fanden. Also schwenkten wir wieder zurück zu der anderen Brauerei. Beachtlich ist auch, wie man ausserhalb Deutschlands neben Pils und Lager ganz selbstverständlich Pale Ales, IPAs, Neipas undsoweiter vom Hahn bekommt, wie ganz normale, etablierte Bierstile.
Nachher assen wir einen Burger in einem Laden, in dem es einen Pizzaraum und einen Burgerraum gibt. Ich weiss, ich habe öfter betont, wie langweilig ich Burger finde, aber manchmal ist Burger einfach die beste Sache der Welt. Wir fanden diesen Burger sogar so gut, dass ich der Köchin mitteilen liess, den besten Burger der letzten 5 Jahren gegessen zu haben. Die Kellnerin versprach, es weiterzugeben. Meine Frau fand es lustig, dass ich schon wieder bei einem guten Burger Komplimente an das kochende Personal ausrichten liess. Ich sagte, das stimme ja gar nicht. Aber sie sagte, dochdoch, das hätte ich in Longyearbyen auch schon getan. Es steht tatsächlich im Blog. Hatte ich vergessen. Ich mache das nur bei Burgern. Das sagt sicherlich etwas über ich aus. Ich weiss nur nicht, was.
Auf dem Nachhauseweg war es wieder sehr kalt. Die Kälte kriecht nach einigen Minuten durch die Kleidung hindurch. Es ist immer das gleiche: die erste Minute ist es schön frisch, ab der zweiten Minute spürt man, wie die Kälte langsam durch die Jacke hindurch kriecht. Es ist eine beeindruckende Kälte, aber das sagte ich schon, dabei ist es nur minus 23. Jetzt habe ich immerhin eine Referenz, bei der ich weiss, dass die Jacke, der ich bisher so viel Vertrauen schenkte, ihre Kraft verliert. Wir übelegten, in den nächsten Tagen Bekleidungsgeschäfte zu besuchen und uns von den Locals beraten zu lassen. Wahrscheinlich kaufe ich nichts, aber interessant ist es schon. Meine Frau hat eine Jacke von Didrikson, sie beklagt sich bisher nicht.
Es war lange nicht ganz klar, wie wir die Hündin während unserer Finnlandreise unterbringen. In den letzten Wochen sah es so aus, dass sie den grossen Teil bei Frau Casino verbringen würde, aber am letzten Tag, den Montag bei unserer Nachbarsfamilie vom Nebenhaus. Es sollte folgendermassen ablaufen:
1) Am Donnerstag um 6 Uhr verlassen wir das Haus und lassen die Hündin alleine in der Wohnung 2) Am gleichen Tag um 9 Uhr kommt die Dogwalkerin und geht mit ihr spazieren bis 13 Uhr. 3) Zwischen 13 Uhr und 18 Uhr ist sie alleine 4) Um 18 Uhr kommt Frau Casino und nimmt sie von Freitag bis Sonntagabend zu sich 5) Am Sonntagabend holt unsere Nachbarsfamilie die Hündin bei Frau Casino ab 6) Am Montagabend kommen wir aus Finnland zurück und holen die Hündin bei den Nachbarn ab.
Das war der Plan. Meine Frau und ich hatten aber bereits seit Tagen ein schlechtes Gefühl bei Schritt 1). Der Gedanke daran, wie wir uns um 6 Uhr früh mit Koffern aus dem Haus schleichen würden und die Hündin uns mit ihrem traurigen Blick eines verlassenen Haustieres hinterherschaut und sie dann den ganzen Tag seltsam verlassen verbringt und weitergereicht wird, das nagte seit Tagen an uns.
Also planten wir die ersten drei Schritte um. Da ich wusste, dass unsere Dogwalkerin auch Hunde zum Übernachten aufnimmt, fragten wir sie danach und sie sagte zu. Also brachte ich die Hündin heute Abend zur Dogwalkerin, wo sie die Nacht verbringen wird, morgen tagsüber mit den anderen Hunden spazieren geht, den Rest des Tages wird sie beaufsichtigt sein und am Abend kommt Frau Casino und holt sie für das Wochenende ab.
Jetzt ist ein Stein von unserem Herzen abgefallen. Hätte ich das mit mir und den Gefühlen für die Hündin vorher gewusst, hätte ich- ach nein, hätte ich eh nicht.
# Morgen also Finnland. Ich war noch nie in Finnland. Ich werde vermutlich nicht ganz so euphorisiert und ausgiebig berichten wie von der Reise nach Spitzbergen, aber ich werde natürlich berichten. Die Audioaufnahmen werde ich aus technischen Gründen erst nachreichen, wenn wir zurück in Berlin sind.