[Di, 23.1.2024 – Vorbereitungen]

Am Montag ging ich zurück ins Büro und hatte viel zu tun.
Am Dienstag ging ich zurück ins Büro und hatte viel zu tun.

Donnerstagfrüh fliegen wir nach Finnland, also bereitete ich heute mehr oder weniger alles vor, was ich vorbereiten kann: Flüge einchecken, Restaurants und Bars in Rovaniemi googlen, Touren buchen, Kleidung packen usw.
Eigentlich wollte ich heute ins Camp4 an der Schillingstrasse um mir eine schickere Winterjacke zu kaufen, aber ich entschied mich dagegen. Zu meiner alten Jacke habe ich ein vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut. Ich kenne ihre Wärmequalitäten. Nur aus Eitelkeit mit einer neuen Jacke zu experimentieren und am Donnerstag in der arktischen Nacht zu frieren, schien mir plötzlich zu risikovoll. Ich werde nur eine einzige Jacke mitnehmen und die muss mich wärmen. Um eine neue Jacke werde ich mich kümmern, wenn ich zurück bin, ich sicheren, tropischen Hafen von Berlin. In Rovaniemi kennt mich niemand, da kann ich mit einer schäbigen, aber warmen Jacke herumlaufen. Lappland wird sich nicht an mich erinnern.

Es wird da gar nicht mehr so kalt sein. Letzte Woche waren es noch minus 30, aber die nächsten Tage höchstens bzw. tiefstens minus 18. Am Wochenende sogar nur minus drei. Das ist nix.

[So, 21.1.2024 – Gedenken, Demos]

Ich blieb vernünftig und ging nicht ins Olympiastadion, sondern schaute das Spiel im Fernseher. Das ganze Stadion war in schwarz gekleidet. Nur einzelne verteilte hellblaue Tupfer jener Menschen, die Kays sogenannte Präsidentenjacke trugen, jene Jacke, die er trug, als wir ihn vor anderthalb Jahren ins höchste Amt unseres Vereines wählten.
Es wurden keine Banner der Fanclubs und Fangruppen gehängt, keine Fahnen, nichts. Nur ein langes, schwarzes Banner unten im Umlauf, mit dem die Werbebanden überdeckt wurden. Darauf stand „In Gedenken an Kay Bernstein“. In der Mitte der Kurve zwischen Unter- und Oberring prangte ein weisses „Kay“. Alle Ultragruppen hatten angekündigt, während des gesamten Spiels keinen Support anzustimmen.

Dann wurde die Hymne gesungen. Die Kamera zoomte zu den Menschen auf den Rängen ein. Die Leute weinten. Nach der Hymne gab es eine kurze, emotionale Ansprache des Stadionsprechers. Dann schwieg das gesamte Stadion. Der Vorsänger der Harlekins stand unten in der Mitte der Kurve, dort, wo er immer steht, und dort, wo vor 25 Jahren eben Kay Bernstein als Vorsänger stand. Er zündete eine Fackel an. Dieser Moment. Der aufsteigende Rauch dieser einzelnen Fackel in der schwarzen Ostkurve. Und das ganze Stadion in Stille.

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Und Deutschland geht auf die Strasse um gegen die Rechtsradikalen zu demonstrieren. In Berlin waren es nach Polizeiangaben 100k, laut Veranstalterinnen 350k. Viele Leute aus meinem Fanclub gingen nach dem Spiel direkt zur Demo. In Pegida-City Dresden waren es überraschende 40k. Im ganzen Land waren mehr als eine Million Menschen auf der Strasse.

[Sa, 20.1.2024 – Winterstiefel, Winterjacke, Demos]

Bei meinem Mittagsspaziergang ging ich ins Trittfest, dieser Stiefelladen an der Warschauer. Ich bin mit meinem winterlichen Schuhwerk nicht besonders glücklich. Zum einen besitze ich Wanderschuhe. Das sind feste Schuhe in Outdoor-Ästethik, die ich mir für ein langes Wochenende auf Norderney gekauft hatte. Da Outdoor-Ästhetik aber meinen Augen schadet, trug ich sie in den darauffolgenden Jahren nur selten. Wandern kann ich in Turnschuhen genau so gut, ich habe einen stabilen Tritt und unwegsames Gelände hat mir nie Schwierigkeiten bereitet.
Dennoch bin ich als Arktisbesucher und Gassigeher immer auf der Suche nach einem technisch verbesserten Schuh. Nächste Woche fahren wir ins finnische Lappland, ich werde zwar meistens in meinen Nike Air herumlaufen, aber ich möchte nicht davon abhängig sein. Auf der anderen Seite gehe ich mit den schicken Turnschuhen nicht mit der Hündin in den Park, denn auf diese Weise habe ich mir bereits zwei Schuhpaare ruiniert. Ausserdem brauche ich einen Schuh, mit dem man bei Minustemperaturen im Stadion stehen kann. Ich suchte also nach einem Schuh, der gut mit Kälte und Wasser umgeht, mit dem man gleichzeitig auch in einem Café oder Restaurant sitzen kann, ohne den Eindruck zu erwecken, Outdoortourist zu sein.

So kaufte ich einen niedrig geschnittenen Winterstiefel von Keen mit dem Namen Anchorage III. Ein schicker Chelsea-Stiefel in der Farbe „Black/Raven“, der für Temperaturen bis zu -32 Grad ausgelegt ist genau das, was ich suchte. Spätestens nachdem ich sah, dass der Schuh nach der grössten Stadt Alaskas benannt ist, waren das Schuhpaar und ich verkauft.

Problematischer wird es mit der Auswahl der Jacken. Das Geschäft führt keine Jacken, deswegen werde ich am Montag oder Dienstag zu Camp4 in die Schillingstrasse gehen. Ich habe eine wirklich warme Winterjacke. Bei minus 10 hält sie mich warm und wahrscheinlich performt sie auch noch bei wesentlich tieferen Temperaturen. Aber ich sehe darin aus wie ein Schneemann, der von der Waldarbeit zurückkommt. So sehe ich immer aus, wenn ich mit meinem Vater im Wald Holz herunterarbeite. Zwar werde ich nicht müde zu sagen, dass man für einen richtigen Winter das ästhetische Empfinden einfrieren muss und seit mir das Aussehen egal geworden ist, friere ich im Winter auch nicht mehr. Das war eine erhellende Erkenntnis. Aber in schwachen Momenten will ich nicht so recht dran glauben. Ich lese immer wieder von Textilien-Tech, das Erstaunliches leistet. Beispielsweise die Jacken von Bergson oder Arcteryx, die wirken so dünn und teilweise auch gut geschnitten, ich kann mir aber nur schwer vorstellen, wie sie das Versprechen von Wärme halten wollen. Ich muss mich nächste Woche mit Profis darüber unterhalten.

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Demos. Die ganze Republik geht auf die Strasse. Am Sonntag auch Berlin. Meine Dauerkarte wäre frei geworden, ich könnte vielleicht wieder zum Spiel, und direkt danach, um 16Uhr, auf die Demo am Bundestag, andererseits meinte der HNO-Arzt, ich müsse meine Atemwege schonen, wenn wir nächste Woche ins eisige Finnland fliegen wollen. Ich bin ein bisschen hin und her. Traue mich nicht so recht. Mein Körper steckt eigentlich alles weg, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.

[Fr, 19.1.2024 – deutsche Staatsbürgerschaft]

Es dreht sich momentan alles um meine Nasenwunden und dem Tod Kay Bernsteins. Es finden gerade verschiedene Gedenken an den verstorbenen Hertha-Präsidenten statt. Beim Spiel am Sonntag wird ein Trauermarsch stattfinden und im Stadion wird es entsprechende Choreografien geben. Auch mein Fanclub bereitet etwas vor. Gerade jetzt würde ich am Sonntag gerne zum Spiel gehen, vielleicht wären meine Atemwege bis dahin auch wieder fit genug, um mich ins kalte Stadion zu begeben. Weil ich aber bereits seit Wochen von der OP wusste, gab ich meine Dauerkarte jemand anderem. Es ist jetzt natürlich nicht fair, sie zurückzuverlangen.

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Wenn die nächsten Wahlen anstehen, möchte ich deutscher Staatsbürger sein. Es ärgert mich immer, dass ich nicht wählen darf. Immer wenn die Wahlen anstehen, will ich deutscher Staatsbürger sein, aber dann verpasse ich immer alle Zeitfenster und wenn die Wahlen geschehen sind, ist mir die Staatsbürgerschaft wieder 5 Jahre lang egal.

Dieses Mal will ich vorsorgen. Vor allem mit den Rechtsradikalen am Horizont. Ich füllte also das Formular aus. Dabei musste ich feststellen, dass mir zwei wichtige Zertifikate fehlen: der Nachweis, dass ich deutsch sprechen kann und der Nachweis, dass ich weiss, wie man in Deutschland zusammenlebt.

Mein Deutsch ist vermutlich besser als das Deutsch des durchschnittlichen Neonazis. Und ich bezweifle, dass der durchschnittliche deutsche Neonazi über das Zusammenleben in Deutschland Bescheid weiss. Ich fühle mich ein bisschen genötigt, vor allem, weil der nächste freie Platz für diesen Test erst im März ist, ich wäre aber gerne jetzt und heute deutscher Staatsbürger, das ist immer so.
Nur darf ich es diesmal nicht auf die lange Bank schieben.

[Do, 18.1.2024 – rechte Trolle]

Und sonstso: Ich leide gerade dahin. Über den Mittwoch hatte ich nichts zu berichten. Ich kann nicht lange am Bildschirm sitzen, weil meine Augen schnell anfangen zu brennen. Das hängt wahrscheinlich mit den Wunden im Nasentrakt zusammen. Ausserdem schlafe ich schlecht, weil ich nicht durch die Nase atmen kann. Ich hoffe, das legt sich bald.

Gestern diskutierte ich auch im Internet. Das tat ich schon lange nicht mehr. Auf der Nachbarschaftsplattform nebenan.de postete jemand eine Ankündigung der Anti-AFD Demo vorm Roten Rathaus. Darunter gab es zwei trollige Kommentare, die von „Antifa sind Verfassungsfeinde“ und „Warum immer gegen rechtsextrem? Linksextrem ist genau so schlimm“ faselten. Typische Kommentare aus der braunen Ecke. Ich habe so lange ihre Unwahrheiten enttarnt, bis sie aufgaben. Man muss mit diesen Trollen einfach die Bühne nehmen. Die Unwahrheiten bleiben sonst ewig im Netz verstreut.

[Di, 16.1.2024 – Nasen-OP, Kay Bernstein, Björn Höcke]

Die OP im Nasentrakt war die unangenehmste körperliche Erfahrung, die ich bisher je erlebte. Eine Stunde lang Druck, Stechen, Brennen in der Mitte meines Kopfes. Zwar handelte sich nur um Arbeit mit dem Laser, aber es hätte genau so gut ein Bolzenschneider gewesen sein können, ich hätte den Unterschied nicht gemerkt.

Ich bin wirklich hart im Nehmen. Sachen wie Männerschnupfen kenne ich nicht. Wenn ich krank bin, brauche ich keine Pflege. Aber heute war ich sehr wehleidig. So kannte ich mich gar nicht. Der Arzt und seine Helferin waren immerhin lustig.

Um 12 Uhr durfte ich raus, wo meine Frau auf mich wartete. Man sollte sich in Begleitung befinden. Wir nahmen ein Taxi nach Hause. Bereits am Vormittag gab es aus meinem Hertha-Umfeld das Gerücht, dass unser Präsident gestorben sei. Ich nahm das nicht ganz ernst, ausserdem sass ich im Wartezimmer kurz vor der OP. Im Taxi las ich dann aber die offizielle Mail von Hertha: Kay Bernstein ist tot. Er wurde 43 Jahre alt.

Das hinterliess mich ziemlich entsetzt. Auch meine Frau war sprachlos, obwohl sie sonst mit Hertha und Fussball wenig zu tun hat. Kurz darauf erschienen die ersten Meldungen in verschiedenen Medien. In meinem Fanclub trauerten die Menschen. Später am Nachmittag erschienen die ersten Nachrufe. Am Abend versammelten sich einige meiner Freunde an der Geschäftsstelle am Olympiastadion und legten Blumen ab oder zündeten Kerzen an. Viele weinten. Das ist wirklich ein trauriger Tag für den Verein.

Vor anderthalb Jahren hatten wir als Fanclub uns sehr stark für seine Wahl engagiert. Dann schrieb er die Geschichte des Ex-Ultras, der zum Präsidenten seines Clubs wurde. In diesen anderthalb Jahren hat er Hertha wieder zu einem People’s Club gemacht. Aber wir stehen gerade am Anfang dieses Weges. Ich bin mir nicht sicher, ob jemand anders diesen Weg jetzt so konsequent fortführen wird. Ausserdem fürchte ich mich ja davor, dass die ganzen gedemütigten Bonzen jetzt wieder ihre Chance wittern.

Musste gerade googlen, was Bonze noch mal genau bedeutet. Ob das nicht nur ein etwas verfremdeter Kampfbegriff ist, aber so sieht es aus:
Bonze. abwertend -jemand, der die Vorteile seiner Stellung genießt [und sich nicht um die Belange anderer kümmert]; höherer, dem Volk entfremdeter Funktionär.“

Genau.

Den Rest des Tages war ich sehr wehleidig. Ich konnte nicht durch die Nase atmen, alles war geschwollen, das Zentrum meines Kopfes ist eine Wunde, Schlucken kratzt und währenddessen begleitet mich immer dieser Gedanke an Bernsteins Tod. In den Chats meines Fanclubs gibt es kein anderes Thema. Ich finde keine richtigen Worte.

Nachruf in der 11Freunde

Nachruf von Stephan Uersfeld

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Am Abend setze ich mich mit meiner Frau in den Erker. Sie liest mir den Text einer Petition vor, in dem Björn Höcke die Grundrechte entzogen werden sollen. Durch den Entzug der Grundrechte würde Höcke unwählbar.

Grundrechte sind nicht zu verwechseln mit den Menschenrechten. Das Interessante an dem Entzug der Grundrechte ist, dass die Handhabung dieser Rechte nach dem Niedergang des Naziregimes bewusst ins Grundgesetz geschrieben wurde, um eine Wiederholung des Geschehenen zu verhindern. Also wenn jetzt jemand mit Cancel-Culture kommt, dann möge man genüsslich auf die Mütter und Väter der Bundesrepublik verweisen. Es hat schon seinen guten Grund, warum man das damals gemacht hat.

Die Petition hat bereits über 1,2 Millionen Unterschriften. Gerne teilnehmen und verbreiten.

[Mo, 15.1.2024 – Trraktorr, pre-OP]

Mein letzter Tag vor der OP. Ich musste ins Büro, es gab noch so viele Sachen zu erledigen. Da ich die Hündin hatte und gleichzeitig auch Stress, nahm ich das Auto. Ich hörte aus der Ferne bedrohlich klingendes Tröten. Erst, als ich losgefahren war fiel mir ein, woran mich das Tröten erinnerte. Es waren die Traktoren, die bereits vor einigen Jahren am Potsdamer Platz den ganzen Tag lang tröteten. Ich schaute auf das Navi und sah die vielen roten und orangenen Linien, die die verstopften Strassen wie verstopfte Venen anzeigten. Da mir das Navi dennoch eine akzeptable Reisezeit anzeigte, folgte ich der Route.

Ich stand nur an wenigen Stellen im Stau. Ein Mal überquerte ein Traktor langsam eine Kreuzung. Er wurde von einem LKW hinter mir akustisch unterstützt. Ich hätte dem Traktor gerne zugerufen, er solle mal arbeiten gehen.
Das sind ja die gleichen Leute, die das von den Klimaklebern und FFF verlangten. Aber wer Revolution spielen kann, will natürlich nicht arbeiten.

Meine Eltern sind Bauernkinder und ich bin zwischen Bauern aufgewachsen. Ich fand das Bauernwesen schon Scheisse bevor es von den Rechtsradikalen vereinnahmt wurde. Die Bauern bestimmten bei uns immer die Geschicke des Dorfes, waren immer dicke mit den Leuten in den wichtigen Ämtern, grenzten uneheliche Kinder und geschiedene Frauen aus. Oder Kiffer wie mich.

Jaja, alles über einen Kamm geschoren. In Wirklichkeit habe ich gar nichts gegen Bauern. Es ist nur so dumm, sich von den Rechten einspannen zu lassen, die sich ins Programm geschrieben haben, dass sie Subventionen abschaffen werden. Redet man da schon von Bauernopfer?

Aber ich möchte heute nicht schimpfen, ich muss auf meine Karmapunkte achten, morgen liege ich schliesslich auf dem OP-Tisch. Auf dem Merkblatt des Arztes steht:
BITTE FRÜHSTÜCKEN SIE AUSREICHEND.
Das klingt wie eine Drohung. Ich kann aber so viel frühstücken wie ein halbes Bauerndorf, das lasse ich mir nicht zweimal sagen.

[So, 14.1.2024 – Lage]

Den Vormittag verbrachten wir wieder einmal damit, die Weltlage zu besprechen. Wir lagen auf dem Bett und meine Frau las mir Mely Kiyaks Kolumne mit dem Titel „Es ist alles gesagt“ und „Werden sie uns mit dem Flixbus deportieren?“ vor sowie Herta Müllers Essay „Die Freiheit könnte uns gestohlen werden„.

„Ich weiß, dass wir gerade Zeitzeugen sind. Wir erleben die Faschisten an die Regierungsmacht kommen. Maximal zwei Bundestagswahlen, dann haben sie die Kontrolle. Ich habe dazu alles, wirklich alles, geschrieben.“

Vor dem gegenwärtigen politischen Hintergrund sind das deprimierende Texte. Heute zog mich das ganz besonders runter. Ich schreibe hier wenig über das aktuelle politische Geschehen. Das ist, weil mir Texte über aktuelle Politik selten gut gelingen. Aber ich scanne den ganzen Tag über, was da draussen passiert. Mir fehlen gerade die Instrumente, etwas gegen diese einschleichende Faschistisierung zu unternehmen. Der demokratische Diskurs mit Durchschnittsbürgern, die sich irgendwie benachteiligt fühlen und von gekauften und linksradikalen Medien schwafeln und ihr Deutschtum zurückhaben wollen, ist vorbei. Es gibt keinen Diskurs mehr.

Am Nachmittag gingen wir auf einen langen Spaziergang. Zurück zu Hause sah ich in diversen Socialmediabeiträgen Bilder von einer Demo am Brandenburger Tor. Mehrere Freunde von uns waren da. Ich fragte einen Freund, warum ich davon nichts wusste. Gerade diese Demo hätte uns heute etwas von einem Kampfgeist zurückgegeben.

[Sa, 13.1.2024 – Edvard Munch, Pasta alla Wodka]

Endlich schafften wir es zur Munch-Ausstellung in der Berlinischen Galerie.

Sie liess mich aber etwas enttäuscht zurück. Um es in Frau Fragmentes Worten zu sagen: die Bilder sprachen nicht mit mir.
Irgendwann näherte ich mich willkürlichen Gemälden, weil ich fürchtete, die Ausstellung ohne grössere Erkenntnisse wieder zu verlassen.
Während die Gemälde alle mit interessanten Details gefüllt waren, fehlte mir immer etwas in der Gesamtbetrachtung der einzelnen Exponate. Beginnend mit der ersten und zweiten Wirkung, die überhaupt erst ein Interesse erwecken sollten. Es gab nur wenige Bilder, denen ich mich spontan nähern wollte.
Das einzige Bild, das mir wirklich umfänglich gefiel, war „Winternacht“. Ich kannte bisher ein paar andere Winterlandschaften von Munch, die mir allesamt gut gefielen. Mit Ausnahme „Sternenhimmel“, in dem mich die leuchtende Bebauung im Hintergrund stört, weil sie aussieht wie eine Tankstelle. Aber das ist nur persönlicher Bezug. Vielleicht sind seine Landschaftsbilder, die gegenwärtig im Potsdamer Barberini ausgestellt sind, auch mehr etwas für meinen Geschmack.

Andererseits kenne ich ja all die grossartigen Darstellungen wie „Angst“ oder „Der Tod im Krankenzimmer“ oder auch „Golgatha“ und die Madonnenbilder. Aber die waren allesamt nicht ausgestellt. Nur eine Variante der „Madonna“. Allerdings eine grossartige Variante, die Munch mit einem gemalten Rahmen aus Spermien umgab und links unten mit einem etwas deplatziert wirkenden Fötus versah.
Ausserdem war eine Variante des „Kuss“ ausgestellt. Den Kuss finde ich gut. Von dem Kuss gibt es ja auch unzählige Varianten. Die ausgestellte Version fand ich zwar eine der schwächer wirkenden, jedoch amüsieren mich an diesem Motiv seine Versuche, diese Verschmelzung zu perfektionieren. Ich konnte keine Zahl dazu finden, wie oft er den Kuss gemalt, gezeichnet oder radiert hat. Wenn ich nach dem Kuss google, finde ich auch nicht jenen Kuss wieder, der in der Berlinischen Galerie ausgestellt ist.
Die Versuche, diese Verschmelzung darzustellen, bei gleichzeitiger Aufgabe der eigenen Existenz. Dieses Versuchen. Dass er offenbar nie ganz damit zufrieden war. Das begeistert mich.

Die ausgestellten Radierungen und Kupferstiche sind aber gut, vor allem die Porträts mit ihrer seltsam wilden Düsterkeit.

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Wir hatten die Hündin bei der Nachbarsfamilie abgegeben. Es ist die Familie, die manchmal mit ihr Gassi geht und die sie auch während unserer Reise nach Finnland für einen Tag zu sich nehmen wird. Es fühlte sich seltsam erwachsen an, ohne Hund unterwegs zu sein und ins Museum zu gehen. So muss sich kinderfrei anfühlen.

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Nachdem wir gestern eine Pasta mit reduziertem Gin zubereiteten, blieben wir davon fasziniert, hochprozentigen Alkohol zu reduzieren und in Saucen zu verarbeiten. Also kochten wir uns heute Penne alla Wodka. Das Ergebnis ist gut geworden, sie hätte allerdings etwas Wodkahaftiger sein können. Nächstes Mal werden wir etwas am Verhältnis der Zutaten schrauben.

[Fr, 12.1.2024 – Teleportiermaschine, Dirty Martini Pasta]

Als ich abends nach Hause kam, hatte ich es eilig. Ich musste gleich wieder los. Allerdings hatte ich die Hündin dabei, weil sie den ganzen Tag mit mir im Büro war. Statt mit der Hündin mit dem Fahrstuhl nach oben zu fahren, bat ich meine Frau, oben auf sie zu warten. Ich würde sie in den Fahrstuhl setzen und hinaufschicken.

Als das Tier im Fahrstuhl stand, sagte ich: bleib.
Und ich ging zurück ins Treppenhaus. Sie blieb. Die Tür verschloss sich. Und oben hörte ich wenig später meine Frau. Also ging ich.

Offenbar rannte die Hündin sofort in die Wohnung und suchte nach mir. Als sie mich nicht fand, winselte sie. Sie wirkte verstört und unruhig. Meine Frau gab ihr zu essen, sie ass aber nicht.

Ich frage mich manchmal, was sie sich beim Fahrstuhlfahren denkt. Es muss für sie so etwas wie eine Teleportiermaschine sein. Hunde verstehen ja nicht einmal das Konzept von Etagen. Wenn sie mir beispielsweise hinterherschaut, wie ich die Treppe runtergehe, dann glaubt sie, dass ich jeden Moment von der oberen Treppe wieder herunterkomme. Schlichtweg, weil das die Richtung ist, in der ich verschwunden bin. Oder wenn wir die Treppen zu Fuss laufen, läuft sie nur von Halbtreppe zu Halbtreppe, sie weiss aber nie, wann wir uns vor unserer Wohnung befinden. Das finde ich bei ihrem Geruchsinn erstaunlich.

Der Fahrstuhl teleportiert sie immer zu dem gleichen Ort. Wir machen das seit fast zwei Jahren mindestens drei Mal täglich. Das waren ungefähr zweitausend Mal. Sie wird immer an dieselbe Stelle hinportiert.

Heute sagte ihr Herrchen aber „bleib“, die Tür verschloss sich. Und danach ward Herrchen nicht mehr wiedergesehen.

Bis er vom Supermarkt zurückkam und alles wieder gut war.

Ich hatte Zutaten für Dirty Martini Pasta gekauft. Und so gaben wir uns dem Kochen hin. Eine Sauce mit reduziertem Gin, Oliven und Blauschimmelkäse. Das ist ein richtig gutes Gericht.