[Sa,25.5.2024 – Verwahrlosung, Zurück]

Seit ich so viel Zeit im Wald verbringe, kommt Verständnis für Rednecks in mir auf. Nach zwei Tagen im Wald habe ich Kratzer an Beinen und Händen, ich trage weite und schmutzige T-Shirts, mein Bart und meine Haare verstruppen, ich laufe in Gummistiefeln oder Croqs herum und trage nur noch selten eine Hose. Zwar trage ich eine Unterhose, aber eben keine Hose mehr drüber. Das liegt zum einen daran, dass mir an den Beinen schnell warm wird und zum anderen liegt es daran, dass ich es kann. Ausser meinem Hund und meiner Frau sieht mich dort niemand. Mit Ausnahme dem ehemaligen Pächter, der hinterm Haus seine Honigbienen hält oder Max. Aber die kündigen sich meistens vorher an oder man hört sie schon zwei Minuten vorher am Autogeräusch, das sich nähert.
Ganz selten kreuzen nichts ahnende Wanderer unsere Pfade. Letztes Jahr spazierte ein älteres Ehepaar mit zwei Bordercollies durch unseren Wald oder letzte Woche fuhr beispielsweise ein junger Mann auf dem Fahrrad bei uns vorbei. Als er uns sah, entschuldigte er sich schnell und drehte sofort um. Zwei Minuten später sahen wir ihn hinterm Spukhaus die Strasse hochradeln. Wahrscheinlich ist der Weg über unser Haus eine Abkürzung für ihn, die er in den kühleren Monaten benutzt, wenn niemand da ist. Oder in 2018 diese Joggerin mit den Bauchmuskeln, die aus dem Nichts auftauchte.

Gestern lief ich komplett nackt über die Wiese vorm Haus. Ich lag schon im Bett, dann fiel mir ein, dass ich das Ladegerät im Auto vergessen hatte, also musste ich noch einmal raus. Nackt und nur mit Gummistiefeln über eine Wiese zu laufen ist ein nicht alltägliches Gefühl. Es war elf Uhr abends, da ist es draussen zwar noch hell, aber auch unwahrscheinlich, dass eine Joggerin mit Bauchmuskeln vorbeirennt.

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Die Fahrt ging gut. Nichts Besonderes darüber zu berichten.

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Zurück in Berlin hat jemand meine Herthasticker mir Unionstickern überklebt. Ich werde meine Hunderunde morgen zeitlich um eine Stunde vorziehen, um die Strasse zu säubern.

[Fr, 24.5.2024 – gelbweiss, rotweiss]

Später fuhren wir zu Max, um seine Downhill Fahrradbahn zu besichtigen.

Max wohnt etwa 15 Minuten von uns entfernt in einem kleinen Häuschen an einem Hang. Zu ihm zu gelangen ist sehr verwirrend, man fährt einen Hang hoch, findet sich dann plötzlich in einem Tal wieder und fährt eigentlich immer durch lange Schotterstrassen im Wald in die Richtung, aus der man eigentlich gekommen ist. Ich verliere selten die Orientierung, zumindest habe ich immer eine ungefähre Ahnung, wo ich mich befinde. Jetzt bin ich aber das zweite Mal bei ihm, aber ich habe immer noch nicht ganz verstanden, wo das ist. Googlemaps navigiert uns aber zuverlässig hin. Auf der Karte erschliesst sich mir die Struktur der Täler und Hügel aber nicht.

Nun.

Max wohnt mittlerweile fast alleine dort auf dem Hang. Er ist Anfang vierzig und ist ein sportlicher, gut aussehender Mann. Es befinden sich dort mehrere Gebäude. Drei kleinere rotweisse Häuser und ein grösseres gelbweisses Holzhaus, zu dem ein Stall und eine Scheune gehört. Etwas weiter unten steht noch eine verfallene Hütte. Nur Max wohnt dort permanent. Eines der Häuser steht leer und das andere ist ein Wochenendhaus eines Mannes aus Länghem.
Etwa ein Kilometer vorher gibt es einen grösseren Bauernhof, über dessen Gelände man fahren muss, um zu Max zu kommen. Wir trafen den jungen Bauern, der uns mit einem Bagger entgegenkam und freundlich grüsste. Er wusste offenbar, wer wir sind. Max hatte eine Stunde vorher mit ihm ein Entwässerungsrohr neben der Strasse entstopft, als er von uns erzählte.
Der Vater des Bauern heisst Bertil. Dieser Bertil ist schon ein alter Mann, aber er geht jeden Abend hinauf zu Max, weil er von Max Jägermeister bekommt.
Der Mann aus Länghem, der das Haus nebenan an Wochenenden benutzt, trinkt auch viel. Der kommt immer freitags an und trinkt bis Sonntag. Der Mann trinkt aber immer alleine. Er hat Frau und Kind in Länghem. Die kommen allerdings nie mit.

Das gelbweisse Haus gehört seinem Vermieter und Kumpel. Sein Kumpel heisst auch Bertil. Dieser interessiert sich aber nicht für das Haus, sondern nur für den Wald. Er hat es Max erlaubt, diese Downhill Bahn durch den Wald zu bauen und auch damit Geld zu verdienen. Bertil wird das gelbweisse Haus samt dem rotweissen Haus, das Max jetzt bewohnt, an ihn verkaufen. Wenn Max die Downhill Bahn fertig gebaut hat, möchte er das kleine Haus an Besuchern und Benutzern der Bahn vermieten. Am unteren Ende der Bahn möchte er auch eine Ess- und Trinkmöglichkeit schaffen, aber er weiss, dass das noch ein langer Weg ist. Zuerst will er die Bahn bauen.
Er zeigt sie uns. Wir laufen die Bahn einmal zu Fuss ab. Sie führt fast einen Kilometer durch den Wald. Er hat sie schon zu einem Drittel aufwendig mit Sand, Erde, Beton und Kies zu einem Parcours mit Sprungschanzen und scharfen Kurven ausgebaut. Die letzten beiden Drittel hat er erst mit einem kleinen Bagger und einer Schubkarre geräumt und vorbereitet. Es wird sicherlich noch ein Jahr dauern, bis sie fertig ist. Er stand den ganzen Winter im Wald bei Minus 15 Grad und bewegte Erde. Das wird er im nächsten Winter auch so tun.

Er zeigt uns auch das grosse, leer stehende gelbweisse Bauernhaus, in das er ziehen wird. Es hat auf der Unterseite einen Anbau mit vielen grossen Fenstern und einer fantastischen Aussicht über das Tal. Man kann es sich gut vorstellen, dort morgens zu sitzen und den ersten Kaffee zu trinken. Danach gehen wir in sein Haus, wo er Kaffee und mit Schokolade überzogenen Haferkekse auftischt.

Am Abend packten wir. Morgen werden wir erst mal nach Berlin fahren. Mitte Juni komme ich wieder zurück.

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Die Hündin mag die Nachbarn nicht.

[Do, 23.5.2024 – Ufer, Prüfung, Spökhus, Horrorfilm]

Es kamen die Ergebnisse der Sprachprüfung. Ich habe bestanden. Mit „sehr gut“ für die Module lesen, schreiben und sprechen, aber nur „gut“ für das Modul „hören“, immerhin besser als erwartet, bei hören hätte genau so gut eine „0“ sein können, weil ich mich äusserst unkonzentriert an die Aufgaben dieses Moduls gesetzt hatte.
Jetzt kann ich mich mit dem Deutschnachweis an die Einbürgerung begeben. Leider gibt es immer noch keine Termine.

Wir malerten noch den kleinen Flur im Obergeschoss, vorher beschlossen wir aber, mit Abschluss des Obergeschosses die Malertätigkeiten für diese Woche zu beenden.

Am Nachmittag ging ich mit der Hündin hinunter zum Fluss, um die Badestellen freizumähen. Es ist besser, dies vor dem Sommer zu tun, damit die Stellen nicht zu sehr verstruppen. Diesmal suchte ich noch zwei weitere Stellen am Fluss aus. Meine Schwiegermutter erzählte mir, dass sie als Kind immer ein Stück flussabwärts in den Fluss sprangen. Hinter einer Kurve bei einer grossen Erle gab es damals eine Sandbank und nur wenig Strömung. Diese Stelle wollte ich mir heute ansehen, im Juli wird das Gras und das Gestrüpp dort bereits zu hoch und dicht sein. Aber Ende Mai komme ich mit meinem kleinen Rasentrimmer noch einigermassen durch. Es ist eine schöne Stelle mit einem Baum. Die Strömung ist dort weniger stark. Von der Sandbank ist nach den Jahrzehnten natürlich nichts mehr übrig, aber der Einstieg ins Wasser ist flacher als an vielen anderen Stellen. Dort kann ich im Juli vielleicht den Steg bauen.
Die Hündin liebt es, wenn ich dort am Ufer beschäftigt mit. Ich weiss nicht, was sie sich dabei denkt, aber sie tut so als würde sie mich unterstützen. Meistens steht sie mir aber im Weg.

Sie erhebt dieses Jahr ausserdem stärkere territoriale Ansprüche. In 200 Metern Entfernung und in direkter Sichtweite gibt es ein verlassenes rotweisses Holzhaus. Das Haus hiess schon zu Jugendzeiten meiner Schwiegermutter „Spökhus“, also Spukhaus, weil nie jemand darin wohnte. Das Haus wurde in den Neunzigerjahren von einem Mann aus dem nahen Dorf gekauft, der es für seine Tochter renovierte. Seine Tochter interessierte sich jedoch nie für das Haus. Irgendwann in den Nullerjahren wurde das Haus einem Finnen verkauft, der das Haus mutmasslich aber nur als schwedische Adresse verwendete. Zwei Sommer lang vermietete der Finne die Wiese vor dem Spökhus als Auslauf für Pferde. Aber nach zwei Sommern war das auch wieder vorbei. Das Spukhaus blieb also weiterhin ein Spukhaus.

Dieses Jahr sehen wir aber täglich Betrieb. Schon früh am Morgen kommen zwei Autos, aus denen zwei Menschen aussteigen, die daraufhin hämmern, sägen und schleifen. Wir wissen aber nicht genau, was das bedeutet. Auch der ehemalige Pächter wusste nicht genau, was die da machen. Ich finde es nicht schlimm. Aber die Hündin mag das gar nicht. Sie knurrt oder bellt, wenn sie dort Menschen oder sie etwas sich bewegen sieht. Die Hündin hat Gene einer Mitarbeiterin des Ordnungsamtes.
Dummerweise macht ihr das Spass. Und je mehr ich es ihr verbiete, desto lauter bellt sie. Sie interpretiert mein Schimpfen natürlich als Bestätigung ihrer guten Arbeit.
Es gibt Methoden, das auf andere Weise zu unterbinden. Man soll ruhig bleiben, sie herbeirufen und ablenken. Das ist aber anstrengender und es gelingt uns nur mittelmässig gut.

Abends beschlossen wir, einen Film auf Disneyplus zu schauen. Meine Frau schlug „Cabin in the woods“ vor. Ein Horrorfilm über ein Paar, das in einem Holzhaus im Wald lebt. Das schien mir kein gutes Thema für diese Woche. Das können wir gerne nächste Woche schauen, wenn wir ein Paar sind, das in einem Steinhaus in der Grossstadt lebt. Also schauten wir „Fresh“. Einen Film über einen Mann, der Frauen entführt und ihnen Fleisch vom Körper schneidet, das er schliesslich an reiche Menschen verkauft. Ich hasse Filme, in denen Frauen in Kellerverliesen gefangengehalten werden, das weiss meine Frau auch, aber sie dachte, es sei eine Vampirkomödie. Der Film hatte dennoch komödiantische Komponenten und einen spannenden Geschichtsaufbau. Zu dem Zeitpunkt, an dem ich also verstand, dass es ein Film über Frauen ist, die in einem Kellerverlies gefangengehalten werden, war ich aus anderen Gründen an den Film gefesselt.
Und fand ihn trotzdem sehr unterhaltsam.

[Mi, 22.5.2024 – Sonne, Boa]

Morgens nach dem Aufstehen läuft die Hündin täglich direkt zur Haustür und schaut mich erwartungsfroh an. Wir gehen beide hinaus. Zwischen sechs und sieben ist es draussen noch frisch, aber die Sonnenstrahlen scheinen über die Wiese. Die Luft hat sich noch nicht aufgewärmt, aber die direkten Sonnenstrahlen sind stark genug. Jeden Tag stelle ich mich mit dem Rücken zur Sonne auf die Wiese und lasse mir den Rücken wärmen.
Dabei schaue ich meinem Schatten nach und stehe einfach nur da.

Wir malerten heute weiter. Das Treppenhaus war dran. Zu Beginn des Urlaubs hatten wir keinen festen Plan, wie viel wir eigentlich streichen wollten. Aber wir sind in einem guten Flow, wir hören Podcasts und sind sehr miteinander in Sync.
Das Treppenhaus ist komplizierter, weil es aus vielen kleinen, unregelmässigen Flächen besteht. Treppenhaus klingt nach einem grossen Raum in einem Palast, in unserem Fall ist es das natürlich nicht. Es handelt sich um einen Vorraum, in dem man die Jacken hängt und eine Holztreppe zum Obergeschoss, die sich auf Zweidrittelhöhe nach rechts wegdreht. Um das Treppenhaus mit Tape und Plane zu verkleben, benötigten wir mehrere Stunden. Malern ging etwas schneller.

Währenddessen hörten wir auch den Podcast über Kasia Lenhardt und Jerome Boateng. Es ist erstaunlich, welches Scheissleben manche Menschen mit sehr viel Geld sich bauen. In seltenen Fällen habe ich Mitleid mit Jerome. Dort blitzt dieser unreife Teenager heraus, der wahrscheinlich nie gelernt hat, über sich selbst nachzudenken. Er konnte immer alles mit Geld erschlagen.
Nach dem fünfteiligen Podcast hören wir wieder True Crime. Das ist weniger deprimierend.

Am Samstag fahren wir wieder. Wir waren bisher nur einmal im Dorf einkaufen. Diesmal führen wir ein sehr einfaches Leben. Wir verbrauchen sehr wenig, nur Wasser, etwas Bier und wir kochen uns einfache Speisen aus wenigen Zutaten, beispielsweise eine Pasta mit tiefgekühlten Broccoli und etwas Parmesankäse. Am Abend liegen wir schon im Bett, bevor die Sonne untergegangen ist und lesen. Die Sonne scheint ins Schlafzimmer, sie geht hier um 21:50 unter und schon um 4:30 wieder auf. Die Nacht ist bereits eine Stunde kürzer als in Berlin.

[Di, 21.5.2024 – Wege Wege Wege]

Über Nacht hatten wir die sogenannte Malerbaustelle nicht mehr abgebaut. Wir liessen Malertape, Folien, Zeitungen, Möbel und Farbe einfach liegen.
Heute wollten wir nämlich im Treppenhaus weitermalern, die meisten Gegenstände würden wir also trotzdem wieder verwenden. AM Vormittag wollte meine Frau gleich loslegen, ich schlug aber vor, zuerst alles abzubauen und die Möbel zurückzustellen. Als wir damit fertig waren, war es 15 Uhr und wir beschlossen in verfrühten Feierabend zu gehen. Ich finde nicht, dass wir ineffizient waren, es ist nur schlichtweg mehr Arbeit, ein Bild, eine Gardine oder ein Rollo wieder an die Wand zu hängen, als es abzunehmen. Nur als Beispiel. Einen nicht unbedeutenden Teil der Zeit nahmen die Diskussionen bezüglich neuer Standorte der Möbel ein. Wir hätten am liebsten 80% der Einrichtung entsorgt, aber das können wir natürlich nicht machen. In einem Monat kommen die Schwiegereltern. Zwar gehört uns das Haus jetzt formell, aber die Hauptnutzer sind immer noch die Schwiegereltern. Also alles langsam anhgehen. Die weissen Wände waren allerdings überfällig. Das ganze Wohnzimmer ist wesentlich heller und freundlicher geworden. Ein paar Bilder und Gegenstände haben wir entfernt, das gibt dem Raum zudem etwas Ruhe.

Am Nachmittag besuchte uns Max, der Sohn des ehemaligen Pächters. Er stieg aus und sagte, er hätte „Gerüchte“ gehört, dass wir hier seien und sei deswegen vorbeigekommen. Das war sehr nett. Die Gerüchte waren natürlich keine Gerüchte, das hatte ihm sicherlich sein Vater erzählt, der gestern kurz bei uns war. Der Vater ist der ehemalige Pächter und Förster, der im Winter ab und zu bei uns nach dem Rechten schaut. Max erzählte uns von seiner 2 Kilometer langen Downhill Fahrradbahn, dessen Bau er letzten Sommer begonnen hatte und wie er gedenkt, diese zu monetarisieren. Auch wird er demnächst sein Haus und das Nachbarhaus kaufen. Er würde dann in das Nachbarhaus ziehen und sein jetziges Haus würde er den Besuchern der Downhill-Bahn vermieten. Ich fragte ihn, was so ein Haus eigentlich koste. Er nannte 45.000€. Das sei aber das kleine Haus mit etwa 100 Quadratmeter Wohnfläche und da gehöre kein Wald dazu. Ich staunte über den niedrigen Preis. Wir haben unser Haus ja nicht gekauft, sonder nur umgeschrieben.

Sein Vater hatte uns gestern vom Bauern erzählt, der unsere Wiesen pachtet. Er hat jetzt seine Beschäftigung als Bauer zurückgefahren und ist nur noch nebenberuflich Landwirt. Früher hielt er Milchkühe, aber das würde sich nicht mehr rentieren, weshalb er sich nur noch die Haltung von Stieren aufrechterhält. Stiere seien wesentlich wartungsärmer. Die stellt man aufs Feld und dann kann man arbeiten gehen. Offensichtlich kümmert er sich aber immer noch um die beiden kleinen Wiesen, die er bei uns für jährliche 140€ pachtet. Sie werden gemäht und auch der Waldweg dahin scheint sehr zu meiner Freude unterhalten zu werden. Mit dem Bauern haben wir aber nicht viel zu tun. Meine Frau und er hatten ein paarmal kurzen Mailkontakt wegen des Wasserkraftwerks, das flussabwärts gebaut werden sollte, aber sonst haben wir nicht viel miteinander zu tun. So lange er den Weg unterhält, ist auch alles gut. Aber wer weiss, wie lange er noch Bauer sein will. Wenn er sein Gewerbe beendet, werden wir auch niemanden für den Weg und den beiden Wiesen finden. Die nächsten Bauernhöfe befinden sich zu weit weg. Die Wiesen werden verstruppen und verwachsen.
Aber gut.
Warum auch nicht.

Mich interessiert eigentlich nur der Weg. Uns fehlen die Mittel, Waldwege zu bauen oder zu pflegen. Sei es den 2 Kilometer langen Weg, den der Bauer jetzt unterhält oder auch der kürzere, aber sehr heruntergekommene Weg im Nordosten. Es gäbe allerdings eine kürzere Alternative, dafür müsste man aber ein Stück Wald ankaufen und viele Bäume roden. Vielleicht ist das die geeignete langfristige Lösung. Ich muss zugeben, solche Probleme durchaus zu mögen. Meine Waldwege. Ich fühle mich so erwachsen. Ich könnte mich stundenlang damit beschäftigen.

Aber ich muss malern.

[Mo, 20.5.2024 – Weissmalen]

Der Flusspegel steht noch sehr hoch. Das ist zu dieser Jahreszeit üblich, weil das Schmelzwasser noch wochenlang nachfliesst. Wir sitzen nicht weit von der Quelle entfernt, der Fluss hat gerade einmal 40 Kilometer geflossen, bis er an unserem Häuschen vorbeifliesst, aber natürlich speist er sich aus zahlreichen Nebenflüssen und Bächen und Rinnsalen, die allemal aufgetautes Wasser mitführen. Der Fluss bleibt auch im Hochsommer eher kühl. In den umliegenden Seen, in denen das Wasser weitgehend steht und weniger Frischwasser zugeführt wird, ist das Baden daher etwas angenehmer, aber es hält hier niemanden davon ab, sich im Flusswasser zu waschen. Nur die Hündin und ich springen nicht so gerne in den Fluss.

Die letzten beiden Tage malten wir die Wände weiss. Wir wollen das Wohnzimmer etwas aufhellen. In dem Haus hat sich über die letzten zehn Jahrzehnte ziemlich viel Unhyggeligkeit angesammelt. Das wollen wir in den nächsten Jahren Schritt für Schritt ändern. Die Wände wurden in den Fünfzigern oder Sechzigern grau gestrichen. Wir dachten immer, dass es sich dabei um Russ handelt, der vom offenen Kamin stammt, aber der Schwiegervater eröffnete uns neulich, dass das absichtlich so gemalt wurde. Die Wände weiss zu streichen ist ein erster grundlegender Schritt.
Wohnzimmer und Küche sehen jetzt aufgrund der verschobenen Möbel aus wie eine Baustelle. Wir haben daher wenig Raum für Gemütlichkeit. Eigentlich nur die Schlafzimmer im Obergeschoss. Aber das Wetter ist trocken, der Himmel blau und bei Temperaturen um die 25 Grad lässt es sich vortrefflich draussen pausieren.

[Sa, 18.5.2024 – Nach dem Winter]

Wir fuhren heute also nach Schweden. Wir nahmen die Rostockfähre um 11:15 und kamen noch vor der Dämmerung an. Das Abendgrau zieht sich jetzt aber bereits bis nach Mitternacht, das Licht ist schon sommerlich, fast wie zur Sonnenwende.

Es ist immer etwas aufregend, das Haus nach dem Winter aufzuschliessen. Man weiss nie, was einen erwartet. Es gab den Winter mit der landweiten Mäuseplage, wo auch wir ein verlassenes, aber vollgekotetes Mäusenest im Sofa vorfanden. Das Sofa konnte man danach natürlich entsorgen. Oder dieser Vogel, der im Winter durch den Schornstein ins Haus gelangt war und schliesslich auf dem Sofa verendete. Damals war das ganze Wohnzimmer verwüstet und voller Federn. Man hätte es natürlich verhindern können, indem man den Schornstein für den Winter verschliesst. Machen wir jetzt auch.
Aber es trifft immer das Sofa. Ich würde mich im Winter aber auch auf das Sofa legen. Vor allem zum Sterben.

Dieses Jahr ist fast alles in Ordnung. Nur auf der Westseite der Küche haben sich Ameisen durch die Küchenwand vorgearbeitet. Möglicherweise wohnt jetzt eine Kolonie in dem Teil der hölzernen Aussenwand. Auf der Innenseite sieht man einen kleinen Spalt, unter dem eine halbe Handvoll Holzstaub liegt, um den etwa zwei Dutzend Ameisen ihrer Ameisenarbeit nachgehen. Ich entfernte den Holzstaub und meine Frau bestaubte das Loch mit Myra, das ist ein Mittel, mit dem man Ameisen vertreibt. Am Montag werden wir ins Dorf fahren und flüssige Holzmasse kaufen, um das Loch zu stopfen.

Sonst gab es keine bösen Überraschungen und bis auf den obligatorischen getrockneten Mäusekot war auch alles sauber geblieben. Der Kot ist schnell aufgesaugt. Der Strom lief auf Anhieb, den Brunnen hatte unser Elektriker bereits letzte Woche aktiviert.
Es ist aber ein seltsam sinnliches Gefühl, das Haus aus dem Winterschlaf zu wecken. Wir sind die ersten, die wieder die Fenster bewegen. Eine dünne Staubschicht gerät in Bewegung, wie ist kaum zu sehen, es ist eher eine Patina, ein Winterschleier, der sich sofort in Luft auflöst.

Morgen werde ich über mit der Hündin das Gelände ablaufen, nach Schaden von Wildschweinen und grossen Tieren suchen und auch die Ufer inspizieren. Der Fluss ist in diesem Winter zwei Mal über die Ufer getreten, schrieb uns der Cousin meiner Frau, der zwei Kilometer flussaufwärts lebt. Das passiert jeden Winter und ist weiter nicht schlimm, ich frage mich nur, ob das auf Dauer nicht den Weg zerstört. Wenn man den Weg nämlich nicht mehr mit dem Auto befahren kann, ist man hier ziemlich abgeschottet. Es gibt zwar in östlicher Richtung noch einen Weg, der auch wesentlich kürzer ist als der lange gute Weg, aber der kurze Weg ist in einem sehr schlechten Zustand und ich weiss nicht, ob wir langfristig die Mittel haben, diesen Weg zu unterhalten. Der lange Weg wird hingegen von einem Bauer genutzt, der 3 Kilometer flussabwärts wohnt und untersteht theoretisch der Wegevereinigung, die für ein gewisses Mass an Benutzbarkeit der Wege zuständig ist, aber wie sehr man sich auf die Wegevereinigung verlassen kann, dazu gibt es von den Bauern und Förstern eine übereinstimmende Ansicht: nämlich gar nicht. Wege würden regelmässig umgewidmet, wenn sich der Aufwand nicht mehr lohne. Wenn ich hier bin, befahre ich mit dem Auto also immer den kurzen, schlechten Weg, der ist lediglich 400 Meter lang, bis er in einen besseren Waldweg mündet. Ich finde es nachhaltiger, langfristig diesen Weg zu nutzen, da er höher liegt und daher nicht von Überschwemmungen betroffen ist, aber auch, weil er schlichtweg kürzer ist, und man schneller auf die Asphaltstrasse gelangt. Aber dieser Weg ist sehr holprig und verwachsen. Ich hoffe, dass ich ihn durch ständiges Befahren immerhin von Bewachsung freihalten kann. Eschen spriessen überall aus dem Boden, wenn man diese ungestört lässt, sind sie in zwei Jahren zu Bäumen herangewachsen.

[Fr, 17.5.2024 – Deutschtest]

Heute fand der Deutschtest statt, mit dem ich mich für die Einbürgerung in Deutschland qualifizieren muss. Ich wählte die niedrigst nötige Stufe: B2. Ich muss es mir nicht unnötig schwer machen, ich springe bei solchen Gelegenheiten nur so hoch, wie es erforderlich ist. Vor Ort im Goethe Institut fand ich dann heraus, dass B1 für eine Einbürgerung ausgereicht hätte.

Natürlich kam ich völlig unvorbereitet. Ursprünglich dachte ich, der Test würde vielleicht zwei Stunden dauern. Er ging aber von 10:30 bis 17:00 Uhr. Mit so viel Zeit hatte ich nicht gerechnet. Hätte ich aber meine Unterlagen genauer in Augenschein genommen, hättehättehätte ich.

Im Vorzimmer unterhielt ich mich mit einer Japanerin, die mir für das Modul „Sprechen“ zugeteilt wurde. Wir würden gleich vor einer zweiköpfigen Jury eine Konversation über zwei Themen führen müssen. Ich wollte ein wenig das Eis brechen, sie war schwanger und schien sehr angespannt. Als sie merkte, dass sich mein Deutsch auf muttersprachlichem Niveau bewegte, wurde ihr sichtlich unwohl, ich versuchte sie aber zu beruhigen, ich sagte, wir würden das gleich ganz locker angehen, ich würde langsam sprechen und viel gestikulieren. Dann wurden wir aufgerufen und es ging wirklich gut.

Schwer tat ich mich allerdings mit dem Modul „Hören“. Ich hatte in der Nacht nur wenig geschlafen und mir brannte das rechte Auge, deswegen konnte ich mich nur schwer aufs Zuhören konzentrieren. Vor allem, weil die Fragen danach durchaus kompliziert waren und man ganz offensichtlich auf Feinheiten im vorgelesenen Text hätte achten sollen, wobei man den gesprochenen Text sich nicht ein zweites Mal anhören durfte. Möglicherweise habe ich bei diesem Modul alles falsch angegeben.

Das Modul „Schreiben“ lag mir hingegen. Das Modul bestand aus zwei Teilen. Man sollte einen Text für ein Forum über Stadtverkehr verfassen. Es gab verschiedene Bedingungen, wie man die Themen aufschlüsseln sollte und welche Gliederungen man dem Text geben sollte. Der Text sollte 150 Wörter beinhalten. Im anderen Teil sollte man eine gebuchte Museumsführung stornieren und dabei verschiedene Dinge aufführen, beispielsweise einen Grund nennen, sich entschuldigen und neue Termine vorschlagen. Auch dieser Text sollte aus 150 Wörtern bestehen.
Für diese beiden Texte bekam man ganze 90 Minuten. Ich war in acht Minuten fertig, beide Texte enthielten wesentlich mehr als 150 Wörter. Acht Minuten fand ich dann schon etwas übertrieben, also baute ich beide Texte etwas aus. Vor allem die Absage an den Museumsdirektor bereitete mir Spass. Ich schrieb einen sehr freundlichen und sonnigen Brief, in dem ich mich über die unverhofften Absagen aus meiner Deutschgruppe beklagte, das rühre daher, dass wir nicht mit dem Pfingstwochenende gerechnet hatten, wo nun kurzfristig fünfzig Prozent der Gruppe es vorzogen, spontan in ein verlängertes Wochenende zu verreisen, dass ich aber schon etwas nachsichtig sei, da eigentlich alle Menschen aus der Gruppe aus nicht-christlichen Ländern kämen und mit der deutschen Feiertags-Systematik noch nicht so vertraut wären. Ich lobte sein kleines, aber feines Museum und ich würde mich über ein Entgegenkommen bei eventuellen Stornogebühren freuen, so überliess ich es ihm, mir ein paar Tage im Juni zu nennen, vorzugsweise Donnerstage am späten Nachmittag, ab etwa 16:00 Uhr. Freitage lieber nicht. Den Brief unterschrieb ich mit Mario Fontanelli, zweiter Vorsitzender der Klempner-Innung Westfalen-Lippe.

So kam ich immerhin auf dreissig Minuten. Dann gab ich aber ab, ging zum Hackeschen Markt und holte mir einen Kaffee.

[gg]

Vor drei Tagen starb ein alter Freund. Ich würde sagen, wir waren für ein paar Jahre beste Freunde. Zumindest für mich war er das, für ihn war ich das vielleicht nicht, aber vielleicht auch schon, ich bin mir nicht ganz sicher, wie es um sein Gefühlsleben stand, wenn es um Kategorien wie Freundschaft ging.
Wir kannten uns aus Südtirol. Dort gehörte er zu meinem engeren Freundeskreis, wir waren zwischen 16 und 20 Jahre alt und wilde Anarchos, wir taten aber abgefuckter, als es unser Sozialstatus hergab, schliesslich ist Südtirol ein reicher Fleck Erde, sein Vater war Lehrer und meine Eltern waren Rettungssanitäter, aber wir schlugen dennoch destruktive Pfade ein, wir tranken und kifften ständig und hatten generell wenig Lust auf Zukunft. Allerdings schrieben wir Texte, literarische Texte wie auch politische Texte, wir verstanden uns als Bauern- und Bürgerschrecks, er veröffentlichte einen fragmentierten Roman im Eigenverlag und wir schrieben zusammen mit anderen für ein kleines politisches Blatt, das von unserem Freundeskreis herausgegeben wurde, daneben versuchten wir Bands zu gründen, daraus wurde aber nie was. Wir waren so etwas wie eine Subkultur im kleinen Südtirol, auch wenn wir nicht sonderlich produktiv waren und auch für keinen wirklich kulturellen Impakt sorgten.

Mit 19 zog ich in die Niederlande, weil ich es in Südtirol nicht mehr aushielt. Und er zog in ein kleines Dorf, wo er vor allem schrieb. Unser Freundeskreis, der sich damals zwischen Wien, Meran, Bozen, Trento und Bologna aufzuteilen begann, hielt in den ersten Jahren noch intensiven Kontakt, soweit das ohne Email und Messengers möglich war, aber immer, wenn ich nach Südtirol reiste, und das geschah mindestens einmal im Jahr, traf ich alle meine damaligen Freunde wieder und wurde sofort in alle Themen und Projekten eingeweiht, als wäre ich nie weggewesen, meist feierten wir ausgiebig und da meine Familie damals noch auf dem Berg wohnte, blieb ich auch meist bei meinen alten Freunden schlafen, oft bei ihm, Georg hiess er, weil man bei ihm in seinem elterlichen Haus immer willkommen war.

Ein paar Jahre später zog er zu mir nach Utrecht. Nicht wegen mir, sondern wegen eines Geologiestudiums. Aber ich war happy darüber, einen alten Freund in meiner neuen Heimat begrüssen zu dürfen. Ich kümmerte mich darum, dass er weich in den Niederlanden landete, ich weihte ihn in alles ein, wir gründeten zusammen mit einem anderen Freund eine Internetwerkstatt in einem besetzten Haus und ja, eigentlich war er mein bester Freund in jener Zeit.

Er blieb drei Jahre. Es war eine gute Zeit. Er wohnte in einem Hausboot drei Strassen weiter, auf dem Kanal an der Leidsekade. Dort bezog er das Steuerhaus eines kleinen Frachters, den eine gemeinsame Bekannte vermietete. Wir unternahmen viel. Es gibt wenige Männer in meinem Leben. Ich hatte nie wirklich männliche Freunde. Georg kam dem, was ich mir unter einem männlichen Freund vorstelle, aber sehr nahe.
Ich fand ihn anregend. Wir hatten immer etwas zu tun, zu besprechen, er hatte immer Ideen und umgekehrt war auch er immer offen für Ideen. Beinahe vergessen hätte ich, dass wir mehrere Kurse für mittelalterliche Instrumente besuchten. Er lernte die Drehleiher zu bespielen und ich den Dudelsack. Er hörte aber damit auf, während ich das noch ein paar Jahre weiterverfolgte.

In dieser Zeit erhöhte sich auch der Konsum. Wir waren ja älter geworden. Wir tranken mehr als früher und auch öfter. Und er kiffte schon morgens, damit er klarer denken konnte, es beruhigte ihn. Ohne Kiffen war er nervöser, aufgekratzter. Mir machte es nichts aus, selber hatte ich mit dem Kiffen zwar längst aufgehört, aber ich urteilte selten über den Drogenkonsum anderer Leute. Vor allem nicht, wenn es den Leuten danach –nunja– besser ging. Und ich konnte immer vortrefflich mit ihm trinken.
Aber er war immer schon ein Eigenbrötler. Pflegte eine Abneigung gegen Menschen im Allgemeinen und dem, was man „die Gesellschaft“ nennt. Er verliebte sich einmal kurz in eine schöne Frau namens Merle. Das ging aber nicht lange gut. Er fand es anstrengend.

In unserem letzten gemeinsamen halben Jahr passte es aber nicht mehr zwischen uns. Ich weiss nicht genau, woran es lag. Es ging nicht von mir aus, sondern von ihm. Ich hatte mich von meiner Freundin getrennt und führte gerade eine sehr promiskuitive Lebensphase. Ich glaube, das störte ihn. Vielleicht aber auch nicht. Wir redeten nie darüber. Er wollte öfter seine Ruhe, ich hatte den Eindruck, dass er mich nicht sehen wollte.
Dann zog er zurück nach Südtirol, in ein kleines Dorf, er würde sein Studium als Fernstudium weiterführen. Das war vor ziemlich genau 22 Jahren.
Er brach den Kontakt ab, er brach auch den Kontakt zu den anderen Freunden ab, er tauschte sich nur noch sporadisch mit einem einzigen Freund aus.

Daraufhin wollte ich ihn erst mal in Ruhe lassen. Irgendwann würden wir sicherlich wieder quatschen. Dieses Irgendwann streckte sich aber immer weiter, zuerst wurde ein Jahr daraus, dann eine Mehrzahl von Jahren und irgendwann waren zweiundzwanzig Jahre vergangen. Ich dachte immer, wir würden uns in Meran schon über den Weg laufen. Er wohnte unweit von meiner Mutter, es wären zehn Minuten zu Fuss gewesen. Ich lief aber nie hinüber.
Manchmal befragte ich diesen gemeinsamen Freund. Der sagte, er habe sich zurückgezogen, würde viel trinken und sei ein bisschen „pesantuccio“. Das Wort kommt von „pesante“, also schwer, nicht auf das Gewicht bezogen, sondern auf das Gemüt und „uccio“ ist eine Art der Verniedlichung.

Es ging ihm wahrscheinlich schon lange nicht mehr gut. Ein bisschen düster war er immer, aber das waren wir ja alle irgendwie. Er vielleicht etwas mehr. Vielleicht kam er aus irgendwas nicht mehr aus eigener Kraft heraus.

Vorgestern kam dann die Nachricht von seinem Suizid. Auch wenn es bei näherer Betrachtung offensichtlich scheint, denkt man ja immer: Ach er doch nicht.
Er also doch.
Ciao Georg.
Warum auch immer es so kam.

[Di, 14.5.2024 – Bauchfummeln, Jungvogel, Asia Fusion]

In unserem Fanclub ist eine Freundin zu einer Frau transitioniert. Es war ein langer Prozess, der jetzt im letzten Jahr eine erstaunliche Geschwindigkeit aufgenommen hat. Wir haben uns sicherlich ein halbes Jahr nicht mehr gesehen. Am Samstag begrüsste ich sie wie immer. Ich begrüsste sie früher meist ein bisschen „touchy“, wie nennt man das auf deutsch, „fummelig“ vielleicht, ich bin bei manchen Männern hin und wieder „fummelig“, vor allem bei verklemmten Männern, da in meinem Charakterkeller ein provozierender Zwerg sitzt, der sich schnell langweilt und immer auf seine Gelegenheit wartet. Am liebsten fasse ich Bäuche an. Ich weiss nicht, warum. So tat ich es auch oft bei ihr, bevor sie zur Frau wurde. Nun war sie sicherlich nie verklemmt, aber der kleine Zwerg in mir handelt irrational, ich kenne seine Muster nicht.
Das war bisher immer okay. Als ich am Samstag aber ihren Bauch anfasste, fühlte es sich plötzlich falsch an. Da wurde mir klar, dass ich eine Frau nie an ihrem Bauch anfassen würde.

Ich schrieb ihr später eine Message. Es täte mir leid, es sei nicht mehr angebracht, sie so zu begrüssen wie früher, ich würde das ab sofort unterbinden. Sie antwortete, dass es ihr auch aufgefallen sei und entsprechend überrascht gewesen. Aber es sei alles gut.

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Vorhin im Park schlug meine Hündin plötzlich eine verdächtige Richtung ein. Meine Sensoren fahren mittlerweile verlässlich hoch, wenn sich ungewohnte Situationen anbahnen. Die Hündin drehte abrupt ab und bewegte sich auf eine Brandmauer zu. Ich folgte ihr unauffällig, aber zügig. Sie witterte an jener Mauer etwas im hohen Gras. Auf einmal flatterte ein Vogel aus einem der Grasbüschel hervor, er flog auf einem Meter Höhe über den Fussgängerweg in den Park hinein, direkt auf mich zu. Er schien nicht richtig fliegen zu können, er gewann nicht an Höhe und auch die Steuerung beherrschte er nicht. So landete der Vogel direkt auf meiner Brust. Das fliegende Tier war ein junger Spatz, er setzte seine Krallen in meinem Tshirt fest und flatterte einfach weiter. Er wirkte nicht besonders glücklich damit, auf mir gelandet zu sein. Genau so wenig war ich glücklich darüber und ich reagierte deshalb panisch und schüttelte das Federtier von mir ab, woraufhin es ins Gras fiel.

Ich war gerade mit einer Bekannten aus dem Park unterwegs. Eine junge Russin mit einem ungestümen Australian Shepherd. Beide unsere Hündinnen kamen angerannt und interessierten sich für das Tier im Gras. Ich hob es sofort auf, hielt es schützend in meiner Hand und versuchte es zu beruhigen.

Ich schaute meine Begleiterin an: what now?
Sie wusste es auch nicht. Meine rechte Hand war belegt, daher bat ich sie zu googlen, wie man mit einem verletzten Vogel am besten umgeht. Sie googelte, aber sie war keine gute Googlerin, ausserdem spricht sie kaum deutsch, sie würde die Hilfsanleitungen von deutschen Tierschutzseiten ohnehin nicht verstehen und ich konnte ohne meine Lesebrille nichts auf ihrem Display erkennen. Also beschloss ich, den Vogel zu einem Grünstreifen zu bringen, wo keine Hunde vorbeikämen und legte ihn in hohes Gras.

Dann ging ich zurück zu meiner Begleitung und googelte. Es kam auch die Friseurin mit ihrem Dackel dazu. Sie wusste ebensowenig, was zu tun sei, sie rief aber eine Freundin an, die immer Antworten auf solche Probleme hätte. In der Zwischenzeit fand ich heraus, dass man am besten gar nichts tut. Entweder man bringt den Vogel zum Tierarzt und pflegt ihn dann selber gesund, oder man überlässt alles der Natur. In beiden Fällen würde es allerdings bedeuten, dass das Tier wahrscheinlich nicht überlebensfähig sein wird. Ich hatte wenig Lust, mit einem verletzten Spatzenkind beim Tierarzt im Wartezimmer zu sitzen und ihn danach wochenlang zu Hause zu pflegen, ausserdem fahre ich Ende der Woche nach Schweden, die Reise würde er wohl kaum überleben. Ich weiss aber auch, dass ich mich in so etwas reinversetzen kann, aber ich versuchte, keine Gefühle für das Tier aufkommen zu lassen. Die Natur ist hart, so ist der Vogel zum Vogel geworden und der Mensch zum Mensch.

Ohne eine Entscheidung getroffen zu haben ging zurück zu dem Ort, an dem ich den Vogel ins Gras gelegt hatte. In unmittelbarer Nähe befand sich ein erwachsener Spatz, vielleicht das Muttertier. Er flog weg, als ich kam. Den jungen Vogel fand ich aber nicht wieder. Vielleicht ging ja doch alles gut. Bilde ich mir ein.

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Am späten Nachmittag kam mein Schwager. Er wird bis Freitag in Berlin bleiben. Am Abend gingen wir in den Kiez, tranken ein paar Biere und assen Asia Fusion. Zum Aussprechen ist das ein furchtbares Wort. Asia Fusion.