Die Billyregale stellte ich dann für 30Euro auf Kleinanzeigen.de. Zuerst meldeten sich verschiedene Menschen, die nur Teile davon haben wollten, ich wollte aber nur das Gesamtpaket loswerden. Schliesslich meldete sich eine Frau, die würde es heute Abend abholen. Die Frau schrieb knappe, sehr zielgerichtete Sätze. Ich habe öfter schon Möbel über Kleinenzeigen angeboten. Immer, wenn eine Frau sich mit deutschem Namen meldete und dabei kurze Sätze schrieb, kamen schliesslich zwei oder drei kräftige und wortkarge, männliche Osteuropäer. Zumindest wenn ich Möbel anbot oder Elektrowaren. Sie sehen immer wie Schlägertypen aus. Immer. Und lächeln nie. Nie.
Am Nachmittag war die Mitgliederersammlung von Hertha BSC. Der wichtige Teil war die Nachwahl für das Präsidium. Sie dauerte wieder tausend Stunden. Immerhin wurden zwei meiner Favoriten gewählt.
Am Abend kamen dann zwei glatzköpfige Osteuropäer und holten das Billysystem ab. Einer beäugte die Regale, bemängelte die Hinterseite, die sich gelöst hatte, ich sagte, das sei normal wenn sich der Schrank bewegt. Muss man einfach wieder festnageln. Er sagte OK und liess den anderen 30 Euro an mich aushändigen. Dann schleppten sie die Teile runter. Kein Hallo kein Tschüss. Ich glaube diese Typen kann man aus dem Katalog bestellen.
Am Freitag ist nicht viel geschehen. Nur Arbeitsbezogenes. Und darüber berichte ich ja nicht.
Der Samstag hingegen begann mit einem Anruf von Ikea, dass sie gegen 11 Uhr das Regal bringen würden. Wir wollten das langjährige Billyregal durch ein kleineres, tiefes Kallax Regal ersetzen. Ich habe nicht genau verstanden warum meine Frau das machen will, aber ihre Ideen sind in der Regel gut und wenn es das Ziel ist, unsere Bücherschränke zu reduzieren, dann findet sie bei mir immer Anklang. Mir sind Bücherschränke mittlerweile zuwider. Es sind Staubfänger und altmodische Angebergegenstände, ausserdem sorgen sie für eine unruhige Oberfläche an den Wänden.
Wir haben nur noch zweieinhalb größere Buchregale, diesmal war das Regal im Wohnzimmer an der Reihe. Zuerst räumten wir alle Bücher aus und verteilten sie auf Ablageflächen in der Wohnung. Die Bücher waren grösstenteils doppelt gereiht. Vorne die schönen Bücher, die hässlichen oder peinlichen dahinter. Es kamen immer mehr Bücher zum Vorschein, das Wohnzimmer, der Flur und Teile der Küche waren danach kaum noch benutzbar. Alles lag voll mit Büchern.
Es kam viel Staub ans Tageslicht, aber auch lange vergessene Bücher, u.a. die niederländische Version von Hugo Claus‘ „De Geruchten“, ich las damals noch auf niederländisch. Ich dachte immer, Hugo Claus hätte den Nobelpreis für Literatur gewonnen, eine kurze Googlesuche ergab aber, dass dem nicht so ist. Dann fand ich auch das verschollen geglaubte Exemplar von Stephen Kings „Es“. Dieses Buch taucht lustigerweise sehr oft in diesem Blog auf. Vor allem, weil ich es vor 13 Jahren las und danach in regelmässigen Abständen vom verschollenen Buch „Es“ schrieb.
Wir nahmen uns vor, viele Bücher auszusortieren. Das war eine Bedingung von mir. Zwar sind die Kallax Regale tiefer, also kann man die Bücher auch dreifach reihen, aber mir war wichtig, dass wir auch aussortieren. Mir fällt das leichter als meiner Frau. Meine Frau rettet ständig meine Bücher. Ihre eigenen sowieso. Ihre Bücher haben aber öfter einen Wert als meine, sie besitzt richtig alte, englische und schwedische Bücher, die oft mit Widmungen ihrer Grosseltern versehen sind.
Irgendwann zückte sie das Telefon und zeigte mir eine App namens Momox. Momox ist eine Firma, die gebrauchte Bücher, DVDs, Cds und Spiele aufkauft. Mit der App scant man schlichtweg die Strichcodes, dann wird einem der Einkaufswert angezeigt. Das fanden wir aussergewöhnlich spannend und wir scannten einfach mal wild drauflos.
Bei einem Wert von 0 kaufen sie es nicht. Uwe Tellkamp hatte Wert „0“. Immerhin die gebundene Ausgabe des Turms. Auch Judith Hermann hatte 0. Thomas Glavinic auch, undsoweiter.
Die erste Preiskategorie schien mir 15 Cent zu sein. Ich glaube die 15 Cent sind der Einstiegspreis, bei dem ein gewisses Interesse ermittelt wurde, man sich aber nicht viel Gewinn erwartet. Darunter fallen gar nicht so viele, wie man erwarten würde, aber immerhin viele Bücher von Paul Auster, Murakami, Coetzee und ähnliche Bücher aus dieser Kategorie. Auch John von Düffel, zumindest die gebundenen Versionen.
Sachbücher sind hingegen sehr populär. Für die erhält man oft zwischen 5 und 9 Euro. Bücher über Architektur oder Geschichte. Aber auch die Erstausgaben von Rainald Goetz. Für „Dekonspiratione“, „Rave“ oder „Irre“ wird jeweils 9 Euro geboten. Aber die verkaufe ich natürlich nicht.
So begannen wir zunächst nach Buchwert zu sortieren. Architektur der Nachkriegszeit, Design, Innenarchitektur, Ernährung, Geschichte. Diejenigen die uns was bedeuten, behielten wir, diejenigen, die einen Wert hatten, legten wir auf den Momox Stapel, und diejenige, die keines von beiden hatten, kamen weg.
Später machten wir weiter mit Romanen, die man mal gelesen hat aber nicht mehr weiter in Erinnerung geblieben sind. Diese Kategorie fiel mir sehr leicht.
Seltsamerweise gibt es doch noch viele Bücher, von denen ich mich nicht trennen kann, beispielsweise das irische Tagebuch von Flenn O’Brien oder auch alle Bücher von Agota Kristof. Im ersten Jahr unserer Beziehung lasen meine Frau und ich einander die ersten drei ihrer Bücher vor. Das war eine sehr eindringliche Zeit mit drei sehr eindringlichen Büchern.
Auch von Thomas Pletzingers Bestattung eines Hundes kann ich mich nicht trennen. Ich hatte zuerst seine Reportage über den Basketbalclub Alba gelesen und ausserordentlich gut gefunden, daraufhin kaufte ich seinen Roman „Bestattung eines Hundes“. Zwei Wochen später lernte ich ihn zufällig auf einer Lesung von Isa Bogdan kennen und wir hatten noch ein langes und anregendes Gespräch, das wir später mit Isa und anderen in einer Aftershow-Kneipe fortführten. Als ich ihn heute googelte, sah ich, dass er kaum noch Texte veröffentlicht. Das ist sehr schade.
Und dann gibt es natürlich die ungelesenen Bücher, die mir einen grossen Penis verleihen, wenn ich sie im Regal stehen habe, wie zB Ulysses von James Joyce (zehn Seiten gelesen), Thomas Mann, Hans Fallada. Oder auch die Blechtrommel von Grass. Wobei ich Mann und Grass vielleicht noch weggebe. Momox gibt 15 Cent dafür.
Den Grossteil der aussortierten Bücher müssen wir nach wie vor selber entsorgen, weil sich Momox nicht dafür interessiert. Vielleicht bringt es was, sie in einem Karton auf die Strasse zu stellen. Das sieht man hier im Kiez ja ständig und die Kartons werden immer schnell geleert.
Der Momox Stapel hat mittlerweile einen Wert von 93 Euro. Und wir sind noch lange nicht fertig.
Am Nachmittag schlossen wir ein Mitglied aus unserem Fanclub aus. Weil das Mitglied sich antisemitisch auf Social Media äusserte. Wir hätten nicht gedacht, dass das in unserem Fanclub einmal geschehen würde. Es gab bereits vor einem Jahr ein Gespräch mit dem Mitglied, weil es sich bereits damals so äusserste. Damals hatte das Mitglied kein Einsehen, hörte aber mit den Äusserungen auf und deswegen versandete es wieder. Jetzt mit dem Angriff der Hamas brach alles wieder auf.
Es ist nicht der klassische westliche Antisemitismus von rechts, sondern die Free Palestine Fraktion. Sie kommt aus der linksradikalen Ecke. Ich kenne das aus meiner Jugend, ich hatte auch immer Sympathien für die unterdrückten, steinewerfenden Palästinenser, die vom bösen israelischen Staat mit Panzern beschossen wurden. Die Geschichte verfängt, und die Erzählung des illegitimen Staates Israel lugt gleich um die Ecke hervor. Die Themen vermischen sich, und das ist das gefährliche daran.
Wir liessen die Äusserungen von offiziellen Organisationen für uns einordnen, was dann recht eindeutig ausfiel. Das ganze Prozedere nahm viele Leute aus meinem Fanclub ziemlich mit.
Abends ging ich mit Kollegen zum Israeli. Das war Zufall. Als ich den ersten Schluck vom Bier nahm, bemerkte ich den Zufall erst. Ich fands lustig.
Wir assen gebackenen Blumenkohl und Sabich. Das Hummus teilten wir uns. Ich könnte das immer essen.
Durch meine Gleitsichtbrille fühlt sich die Welt ein bisschen wie aus einem Aquarium heraus an. Das fiel mir besonders in Spitzbergen auf. Erst als ich eine Stunde ohne Brille herumlief, näherte ich mich der Realität. Vorher betrachtete ich alles aus einer gewissen Distanz, wie aus ein Aquarium eben. Ohne Brille sehe ich die Realität nicht mehr ganz scharf, aber ich erfasse davon mehr, also das Raumgefühl, die Perspektive ist weiter.
Vermutlich gewöhnt man sich daran. Es wird ja nicht so sein, dass Menschen mit Brille realitätsfremd werden.
Am Abend las ich T’s Text. Ich schaltete in LibreOffice den Korrekturmodus an, um Änderungen, Korrekturen und Vorschläge mit einzuarbeiten. Ich fremdle etwas mit dem neuen Korrekturmodus in LibreOffice/OpenOffice. Zum einen erkennt man die Änderungen im Text optisch nicht mehr gut, da die Korrekturfarbe hell-orange ist und am Schriftbildrand gibt es für Änderungen keine Möglichkeit mehr, die Änderung abzulehnen oder zu akzeptieren. Man erledigt das jetzt irgendwie in einem Batchmodus, aber verstanden habe ich das noch nicht. Es kann sein, dass das die Zukunft des Lektorats ist, aber für mich fühlt es sich sehr falsch an.
In diesem Zuge ist mir auch aufgefallen, dass OpenOffice nur noch träge weiterentwickelt wird und dem abtrünnigen LibreOffice hinterherhinkt. Nach dem langen Streit um die Lizensierung und den Namensrechten um OpenOffice finde ich das beachtlich, dass man da keine bessere Lösung findet. LibreOffice empfinde ich übrigens als einen doofen Namen, das „Libre“ weiss doch niemand, wie es ausgesprochen gehört, ausser im frankophonen Kulturkreis. Librö, Lyber, Lieber. Es fühlt sich ungelenk an. Man sollten sich bemühen, das vormalige „OpenOffice“ zurückzubekommen. Ich hätte auch OffenOffice gut gefunden. Das klingt fast wie ein Wortspiel und OpenOffice wurde ursprünglich ja von einer deutschen Firma in Hamburg entwickelt, damals als es noch StarOffice hiess, bis es durch SUN aufgekauft wurde, es wäre also auch eine Ode an die Wurzeln des Programms. Aber man kommt natürlich nicht auf die Idee, deutsche Wörter in internationalem Kontext zu verwenden.
Liest sich ein bisschen jammerig. Ist nicht so gemeint.
Ich hatte ein Meeting um 09:30. Für die anderen beiden Teilnehmer schien die Uhrzeit normal zu sein. Ich hatte seit Jahren kein Meeting mehr vor 11 Uhr. So fühlte es sich jedenfalls an, aber es stimmt natürlich nicht. Wegen der frühen Uhrzeit blieb ich gleich zuhause. Danach sass ich durchgehend in Meetings bis 17 Uhr.
Heute wäre Podcastaufnahmetag gewesen, weil meine Frau aber einen langen beruflichen Abendtermin hatte, sass ich heute mit der Hündin fest. Auf dem Olympiagelände darf man nämlich keine Hunde mitnehmen und die Geschäftststelle ist ja Teil dieses Geländes. Das ist eine Vorschrift des Senats, dem das Olympiagelände gehört. Aber Inis, Sabine und Saskia kriegen das auch ohne mich hin. Es ist für sie zwar weniger stressig wenn ich dabei bin, weil sie sich dann nicht um die Technik kümmern müssen, aber sie wissen, wie es geht, letztendlich muss man nur einen Soundcheck machen und darauf achten, dass die Anzeigebalken immer ein bisschen ausschlagen. Ich würde nach der Aufnahme die Audiodateien erhalten und sie dann zuhause zu einer Folge zusammenschneiden.
Als ich am frühen Abend mit der Hündin spazieren ging, sah ich eine Nachricht von T auf meinem Telefon. Wir wollten uns bereits vor einigen Wochen treffen, er hätte gerne über ein Textprojekt gesprochen, aber aus terminlichen Gründen war es nicht zu einerm Treffen gekommen. Ich antwortete ihm, dass ich heute spontan Zeit hätte, also trafen wir uns kurzfristig auf ein Bierchen im Brewdog.
Wir kennen uns eigentlich kaum. T is ein Herthafan um die 60 mit einem sehr aussergewöhnlichen Leben. Er war mal Mitglied in meinem Fanclub, hat sich dann aber aus verschiedenen Gründen, die ich hier nicht öffentlich ausbreiten möchte, dazu entschlossen, wieder auszutreten. Dennoch sind wir in Kontakt geblieben, weil ich ihn, nunja, mag. Er läuft schon seit längerer Zeit mit einer semifiktiven, autobiographischen Geschichte herum, die er in Teilen bereits auf Papier gebracht hat. Ich empfehle, die Arbeit an so einem langen Text immer durch andere Menschen begleiten zu lassen, vor allem, wenn man noch nicht viel Erfahrung mit Textarbeit hat. Man kann sich beispielsweise einer Schreibgruppe anschliessen, in der man die Texte der jeweils anderen bespricht. Mir hat das immer sehr geholfen, vor allem in handwerklicher Hinsicht und wir wissen alle, dass das Schreiben fast ausschliesslich Handwerk ist. Es hat mir auch sehr geholfen, mich von Passagen zu trennen, von denen ich mich alleine nicht trennen konnte.
Wir reden über die Neunzigerjahre, über Lebensläufe, Lebensentwürfe, er erzählt mir von Punk in Westberlin der Achtzigerjahre. Es ist ein netter Abend. Meine Hündin liegt unter dem Tisch und schläft.
Ich biete ihm an, die ersten beiden fertigen Kapitel zu lesen und Feedback zu geben. So verbleiben wir dann erstmal.
Gegen halb zehn Uhr gehe ich nach Hause, füttere sehr verspätet mein Tier und dann erhalte ich die Nachricht, dass die Podcastaufnahme im Kasten und downloadbereit ist. Also setze ich mich ans Schneiden. Leider ist die Qualität der Aufnahme in weiten Teilen sehr schlecht, einige Stimmen sind kaum hörbar, ich muss daher viel an den einzelnen Spuren arbeiten. Gegen Mitternacht bin ich aber fertig und bringe die Folge online.
Heute dann Twitter gelöscht. Nicht, dass ich auf Twitter je sonderlich aktiv gewesen wäre, aber die Platform stösst mich immer mehr ab. Ich achte sehr darauf, mich nicht in einer Blase zu befinden, die Massnahmen seit der Übernahme von Elon Musk haben aber nur alle möglichen, anonymen und destruktiven Kettenhunde losgelassen. Das hat nur noch wenig mit dem zu tun, was ich unter freier Meinungsäusserung verstehe.
Sonst war heute wieder der erste Arbeitstag nach dem Urlaub. Mental war ich noch nicht ganz da. Der Stapel an Themen ist schon wieder gross.
Abends las ich dafür mit einiger Verspätung die Texte von der Arktisreise ein. Das sind 47 Minuten Sprachaufnahme. Danach hatte ich lange keine Lust mehr zu reden. Kann man jetzt unten bei den einzelnen Einträgen, oder auch im Podcastplayer nachholen.
Beim Einsprechen der Einträge fiel mir auch auf, dass ich offenbar nie die vielen Kinderwagen erwähnte. Ganz Longyearbyen ist voll mit Kinderwägen. Oft auch auf einsamen Strecken, bei denen ich nur an Eisbären denken könnte. Zum Beispiel auch auf dieser einsamen Strecke im Schnee, die wir uns damals nicht getraut hatten zu laufen. Da spazierte einfach ein unbewaffneter Papa, seelenruhig mit seinem Kinderagen durch die Landschaft. Wollte ich nur gesagt haben.
Auf der morgendlichen Hunderunde das Frauchen von Paula getroffen. Es ist eine Frau etwa in meinem Alter, unsere beiden Hündinnen verstehen sich gut. Sie und ihr Mann kommen aus Israel. Als sie sich nähert begrüssen wir uns, ich frage sie, wie es ihr ginge, mit der Nachrichtenlage seit gestern. Sie sagt, sie könne gerade an nichts anderes denken, es sei furchtbar, sie sei froh, mit dem Hund aus dem Haus zu können um auf andere Gedanken zu kommen. Immerhin seien ihre beiden Familien nicht in Gefahr. Ich frage, ob wir über etwas anderes reden sollen, dann sagt sie: ja bitte. Dann reden wir aus Spass über das Wetter. Das funktioniert nur so mittelmässig. Wir reden auf englisch. Früher sprach sie oft deutsch, aber ihr deutsch ist sehr holprig, irgendwann schalteten wir immer auf englisch um. Mittlerweile reden wir von vorneherein englisch. Heute hat sie ihre beiden Töchter dabei. Die eine ist sieben oder acht, die andere ist sicherlich unter fünf. Die Ältere hat einen Zeichenblock dabei und zeichnet meine Hündin. Sie zeichnet auch die anderen Hunde auf der Wiese. Die Töchter reden deutsch wie berliner Gören. Das finde ich bei Eltern von ausländischen Menschen immer so lustig. Auch die Tochter eines iranischen Mitarbeiters. Als sie vor zwei Jahren nach Deutschland kamen, fand die fünfjährige Tochter keinen Anschluss bei anderen Kindern, weil sie kein deutsch sprach. Ein Jahr später traf ich sie im Büro wieder und sie klagte in perfektem und akzentfreiem deutsch darüber, dass sie ihrem Vater immer alles übersetzen müsse.
Ich glaube der Trick ist schlichtweg, dass Kinder sich keinen Kopf um Grammatik und Satzbau machen, sie reden einfach drauflos und machen die ganze Zeit Fehler aber durch das Drauflosreden machen sie irgendwann einfach alles richtig. Erwachsene Menschen trauen sich erst zu reden, wenn sie meinen, dass sie alles richtig beherrschen. Das ist natürlich quatsch. Und die Leute haben so Angst vor Artikeln. Das ist so unfassbar. Ich sage immer, dass sie sich keine Gedanken um Artikel machen sollen. Einfach den falschen Artikel verwenden, ein bisschen wie Lottospielen, man weiss immer was gemeint ist.
Aber Erwachsene und Fehler.
Ich verstehe die Lage in Israel immer noch nicht genau. Ich verstehe nicht, warum man es mit 9/11 vergleicht und es Zeitenwende nennt. Mir war als würde sich Israel vielen Staaten angenähert haben. Ich muss das noch weiterlesen.
Am Abend dann die ersten Hochrechnungen der Wahlen aus Bayern und Hessen. Die AFD ist überall zweistärkste Kraft.
Heute der erste routinierte Tag: aufstehen, mit der Hündin raus, zurück, frühstücken, Horrorfilm geschaut, dann ein Käsebrötchen mit Paprika gegessen und die ganze Zeit das Bedürfnis gehabt zu schlafen. Bei Horrorfilmen sind ja immer die ersten 20 Minuten die Besten. Die Nichtsahnenheit der Leute. Das Dahinplätschern des normalen Lebens. Wir haben vorher natürlich gelesen, dass da Horrorfilm drauf steht. Aber wenn das Monster kommt, wird es meistens langweilig.
Und plötzlich war Abend. Pesto gekocht, eine lustige Serie über eine Welt voller Superheldinnen geschaut. Extraordinary auf Disney+. Die Grundlage der Geschichte geht so: mit dem Erreichen der Volljährigkeit bekommen die meisten Menschen eine Superkraft. Mal nützlicher, mal weniger nützlich. Nur Jen ist Spätzünderin. Sie ist 25 Jahre alt und hat immer noch keine Superkräfte. Sie findet das nicht so schlimm, nur ein bisschen vielleicht, aber alle um sie herum finden es schlimm. Dann stellt sich heraus, dass ihre Katze eigentlich ein Mensch ist, der sich in eine Katze verwandeln kann. Er weiss aber nicht, wer er ist und wie man Mensch ist, dafür war er schlichtweg zu lange eine Katze. Undsoweiter.
So richtig happy war ich heute nicht. Zum einen liegt es an Berlin, aber vielleicht mehr noch allgemein an Deutschland, oder Mitteleuropa, oder Europa überhaupt, ach was weiss ich, ich habe einfach überhaupt keine Lust hier zu sein. Es wird vermutlich ein paar Tage dauern, es geht sicherlich wieder vorbei. Ich habe den Berlinblues ja schon länger. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ein Highlight gab es allerdings. Wir trafen unsere Hündin wieder. Gegen elf Uhr gingen meine Frau und ich die Hündin abholen. Wir waren die ganze Fahrt hin freudig erregt. Und sie freute sich unbändig.
Während der Arktisreise habe ich meine Socialmedia Kanäle sehr intensiv bespielt. Das war mir neu, aber eine lustige Erfahrung. Seitdem sind die Zugriffszahlen hier im Blog auch deutlich gestiegen. Ich fahre das aber alles wieder herunter, wenn man das Tagebuch also weiterlesen will, ist es ratsam, sich entweder das Weblog zu bookmarken (oldschool), oder einen Feedreader wie zB Feedly zu nutzen (praktisch, aber nur wenn man ihn auch für andere Seiten nutzt), oder als Email abonnieren, siehe rechts oder weiter unten.
Eigentlich wäre eine Integration in Socialmedia hilfreich, aber da gefiel mir bisher keine der Lösungen, ich muss mich nochmal aufschlauen.
Und sonst so:
Es gibt noch ein paar Dinge aus der Arktis, die ich mir notiert hatte. So muss ich korrigieren, dass Menschen aus Thailand die zweitgrösste ethnische Gruppe ausmacht. Das stimmt nämlich nicht. Es sind Menschen aus den Philippinen. Thailänder sind die drittgrösste Gruppe.
Dann hatte ich noch den irischen Kellner im Barentzpub notiert. Ich weiss aber nicht mehr, was ich darüber schreiben wollte. Er bereitete den zwei Frauen vor mir an der Bar zwei Cocktails zu und er erzählte dabei seine halbe Lebensgeschichte. Weil er aber so unfassbar langsam dabei vorging, dachte ich immer nur „du bist so unfassbar langsam, du bist so unfassbar langsam“, dass ich mich nur bruchstückhaft an seine Geschichte erinnern kann. Er wohnte jedenfalls seit zwei Jahren in Longyearbyen. Er kam zufällig hierher wegen eines Jobangebotes eines Freundes und jetzt ist er geblieben. Er überlegt, eine Cocktailbar zu öffnen.
Eine der beiden Frauen an der Bar war eine junge Frau aus Bayern mit auffällig roten Haaren. Ich traf sie zwei Tage später im Stationen, als ich am Tresen stand und auf die Rechnung wartete. Weil auch sie wartete und wir etwas unbeholfen voreinander standen, sprach ich sie an, dass ich sie im Barentzpub gesehen hatte, und neben ihr stand als der Kellner so unfassbar langsam Cocktails mixte. Sie sagte auch: „Unfassbar langsam!“. Das war lustig. Sie war gerade seit drei Tagen hier, sie würde morgen zusammen mit einer Frau und weiteren fünf Männern von der Uni auf eine Expeditionsfahrt an die Nordküste Spitzbergens fahren. Sie erklärte aber keine näheren Details. Sie sagte nur, dass sie das schon das dritte Mal mache. Dann kam auch schon der Kellner.
Was ich sehr auffällig fand, waren die vielen einzeln reisenden Frauen. Neben der kürzlich erwähnten Frau in Rosa, sah man sehr oft einzelne Frauen, entweder am Frühstückstisch im Hotel oder in Bars oder abends im Restaurant. Ich weiss nicht ob das ein Ding ist. Oder auch reine Frauengruppen. Drei oder vier Frauen, die gemeinsam auf Reise zu sein schienen. Männer nie. Männer waren nur im Paar- oder Familienverbund da.
Und dann die Hilfsbereitschaft der Leute. Sowohl bei Visit Svalbard oder die Expeditionshotline bei Hurtigruten, wie auch im Hotel oder überhaupt: die Leute machen schienen nie Dienst nach Vorschrift zu machen. Die Frau namens Rimante von Visit Svalbard kümmerte sich darum, dass meine Buchung der Bootstour umgebucht werden konnte obwohl die Leute in Oslo sie bereits storniert hatten und musste dafür einigen Aufwand betreiben, dann ging es darum, dass wir aufgrund der Verschiebung zwei Dinge an einem Tag hatten, also die Bootstour und den Abend in Camp Barentz. Das Boot würde um 19Uhr im Hafen anlegen, der Shuttle für Camp Barentz würde uns aber um 19Uhr schon im Hotel abholen. Sie kümmerte sich darum, dass der Shuttle einfach eine Extrarunde zum Hafen fahren würde um uns abzuholen. Mit Rimante schrieb ich noch eine Weile hinundher, dann rief sie mich auch noch einmal an, dass dies und das klappen würde.
Schon klar, die Shuttles in Longyearbyen sind nicht die BVG oder die Deutsche Bahn, aber Hurtigruten ist ein grosser, norwegischer Postschiff- und Touristikkonzern, so einen Service kriegt in Berlin nicht einmal eine Reederei hin, die sich nur um einen einzelnen Spreedampfer kümmern muss.
Das letzte Mal aufwachen mit Blick auf den Adventfjord.
Wir haben heute nicht mehr viel vor. Wir dachten noch ins Svalbard Museum zu gehen, das soll richtig gut sein, es hat sogar einen Preis gewonnen, aber ich weiss nicht wofür. Nach dem Frühstück packen wir und um elf Uhr checken wir aus. Das Gepäck verstauen wir, der Flughafenshuttle kommt um 12:30, bis dahin haben wir noch ein bisschen Zeit, für das Museum ist es zu stressig, wir hätten dafür gerne einen ruhigen Kopf, daher schlendern wir einmal ins Zentrum hoch, es ist heute eher warm, um die 0 Grad herum und so fühlt es sich auch an, ich laufe mit der dünnen Steppjacke, die ich in Oslo kaufte. Wir gingen noch in dieses Kunstcafè ein Stück die Strasse hinauf auf der linken Seite. Weil sich das Café im Obergeschoss befindet und man sich dort auch die Schuhe ausziehen muss, gingen wir da nie hinein. Meine Frau weigert sich mittlerweile in Lokale zu gehen, wo sie ihre schweren Wanderschuhe ausziehen muss. Aber heute taten wir es dann doch. Es ist ein nettes, kleines Café mit einem Kino und einem Shop, in dem lokale Künstlerinnen ihre Dinge zum Verkauf ausgelegt haben. Vor allem Prints von arktischen Landschaften, gemalt sowie fotografiert und auch Lyrikbücher und arktisbezogenes Kunsthandwerk.
Wir hatten uns gegen dieses Foodfestival, in dem wir um 11:15 Tacos essen könnten, entschieden, da wir gerade vom Frühstück kamen. Essen lag mir wirklich fern. Für das Foodfestival hatten sie ein grösseres Zelt neben Lompen aufgestellt. Es wird den ganzen Monat Oktober stehen. Wiggo nannte es das jährliche Oktoberfest, da könne man viel Bier trinken und freute sich schon darauf. Die Frau von den Tacos nannte es hingegen Foodfestival. Jetzt weiss ich nicht.
Dann war es auch schon 12:00 und wir gingen wieder runter zum Hotel. Als wir an Lompen vorbeigingen, sahen wir Cecilias Mann und ihren Hund Grimm davor auf einer Bank sitzen. Ihr Mann war mit einem anderen Mann im Gespräch. Meine Hündin kennt Grimm auch aus dem Fernseher, aber sie findet ihn nicht übermässig spannend. Ich sage das nur, weil ich meine Hündin vermisse. Eigentlich alle Tage schon. Wir reden ganz oft über sie. Seltsam ist das. Ich wusste nicht, dass man sich so sehr an einen Hund hängen kann. Frau Casino schickt uns täglich einiger Updates, am liebsten würden wir sie ständig darum betteln, aber wir halten uns zurück.
Der Flughafen von Longyearbyen ist eine zweigeteilte Halle, die wie ein überdimensioniertes Vereinsheim wirkt. Alles ist sehr mini. Aber natürlich mit riesigen Fenstern, die eine Aussicht auf den Adventfjord und Teile des Eisfjordes ermöglichen. Über den Bildschirmen wir gerade die Verleihung des Literaturpreises verkündet. Diesmal geht der Preis an den Norweger Jon Foss. Ich habe den Namen nie gehört, aber ich ahne, dass wir in 4 Stunden, wenn wir in Oslo sind der Name überall prangen wird.
Dann heben wir ab. Ich bin etwas wehmütig, schiesse die letzten eiligen Fotos. Ich kann die Wehmut noch nicht ganz einordnen.
Es waren fünf sehr intensive Tage. Ich weiss, dass ich wieder zurückkehren werde, vor allem auch, um verschiedene Jahreszeiten zu erleben, natürlich die Mitternachtssone im Sommer, oder auch die Mitternachtssone im späten Winter, oder in der blauen Jahreszeit, oder die orangene Jahreszeit im September und Oktober. Für Oktober war es diesmal offenbar ungewöhnlich kalt. Normalerweise liegt noch kein Schnee und die untergehende Sonne taucht die braunen Berge in ein permanentes, orangegoldenes Licht. Nunja. Es ist nicht so weit.
Byebye-Byen.
Wir landen in Tromsö zwischen. Eine sogenannte technische Zwischenlandung. Das liegt offenbar daran, weil Spitsbergen eine Sonderzone ist, die zwar unter norwegischer Verwaltung steht, aber technisch Ausland ist. Man steigt einmal aus, muss alles mitnehmen, sogar die eingecheckten Koffer und muss nochmal durch die Pass- und Sicherheitskontrollen. Auch die grossen Koffer. Dann kommt man aus diesem kleinen Spezialterminal wieder raus und steigt in den gleichen Flieger wieder ein. Teilweise aber mit anderen Passagieren und mit neuem Bordpersonal.
In Oslo haben wir nur ein sehr kleines Zeitfenster von 40 Minuten. Wir rennen von einem Terminal zum nächsten und erwischen den Flieger nach Berlin. Es geht so schnell, dass ich Nachrichten üüber Jon Foss nicht mitbekommen habe, falls es sie gegeben hat.
Spät am Abend landen wir in Berlin, dem fernen Süden.
Ich habe in den letzten Tagen keine Texte eingesprochen, weil das zu aufwändig war. Dennoch musste ich einen Audio-Platzhalter einfügen, sonst würde der Feed nicht funktionieren. Ich werde die Texte aber heute oder morgen nachsprechen.