Gegen 11:30 wollte ich am Samstag im Stadion sein. Wegen der immer noch anhaltenden Bauarbeiten auf der Stadtbahn musste ich mit der U2 durch die Stadt gurken und kam erst um 12 Uhr an. Dummerweise war ich mit zwei mir fremden Menschen verabredet, die ich nun warten liess. Die zwei Menschen waren eine 23 jährige Frau, die als Neumitglied in unserem Fanclub Anschluss suchte und zum ersten Mal in die Kurve kommen würde. Sie kennt noch niemanden, also hatten wir vereinbart, dass ich sie mitnehme und den Leuten vorstelle. Wir haben eine Chatgruppe, in der sie sehr aktiv ist, sie kennt daher bereits einige Mitglieder. Da unser Fanclub mittlerweile so gross und unübersichtlich geworden ist, haben wir ein sogenanntes Buddysystem eingeführt. Das bedeutet, dass sich neue Mitglieder einen Buddy wünschen können, der sie den Leuten, Orten und Tools einführt. Das Fanleben ist nicht mehr ganz so einfach. Eigentlich wurde Jan als ihr Buddy ausgelost, aber weil er heute Dienst im Stadion hatte, bat er mich, die Neue mitzunehmen.
Zusätzlich zu dem Neumitglied sollte ich mich mit einer weiteren Frau treffen, der ich eine Dauerkarte überreichen musste. Diese war etwas älter, Anfang dreissig, sie wohnt in Hamburg und ist Karlsruhe-Fan, aber weil Karlsruhe und Hertha eine intensive Fanfreundschaft pflegen, sucht sie über Facebookgruppen regelmässig nach Tickets für die Ostkurve und mittlerweile kommt sie einmal im Monat zu Heimspielen nach Berlin, um ihren neuen Lieblingsclub zu sehen.
Da sie noch nicht viele Bekannte in der Stadt hat, fragte sie, ob sie zu uns in den Block kommen könne.
Die Frau aus Hamburg zu treffen, war einfach. Sie hatte auf dem Parkplatz vor dem Stadion gewartet und auf Whatsapp ihren Standort eingeschaltet. Das Neumitglied zu treffen war hingegen schwieriger. Jedes Mal, wenn ich ihr schrieb, war sie irgendwo anders. Zuerst auf dem Parkplatz, dann beim Mitgliedereingang, dann dahinter, dann auf dem Vorfeld, dann in der Kurve. Sie hatte sich an zwei älteren Herren angehängt, mit denen sie einfach mitfloss. Möglicherweise fürchtete sie schlichtweg, alleingelassen zu werden und blieb deswegen nicht stehen. Das ist im Grunde kein Problem, aber sie wollte sich ständig mit mir treffen, weil sie unbedingt runter in den Block zu den anderen wollte, zu den Menschen, die sie in den Chatgruppen kennengelernt hatte.
Am Ende fanden wir aber zueinander.
Es war ein furchtbar heisser Tag bei 33 Grad. Ich stand zehn Minuten für ein Glas Wasser an. Als ich an der Reihe war, sagte mir die Bedienung, dass sie nur Bier hätten. Weil ich schon so lange angestanden hatte, nahm ich stattdessen das Bier, was für meinen Wasserhaushalt natürlich nicht die beste Wahl war. Unten im Block hatten wir zum Anpfiff noch Schatten, aber ich sah die Klinge des brennenden Sonnenschwertes stets näher über die Nordseite her zu uns kommen. Bei Minute dreissig brannte das Zentralgestirn auf mich nieder.
Unser Block befindet sich weit unten und dort weht nur selten ein Lüftchen. Ich kann mich an ein Spiel im April erinnern. Es war ein sonniger, aber kalter Tag. Unten staute sich die Wärme. Einige hatten sich der Oberkörperbekleidung entledigt. Die meistens trugen ein T-Shirt. Sobald man sich aber in den Schatten begab, um Getränke zu holen, brauchte man noch eine Winterjacke.
Der Effekt war heute ähnlich. Allerdings bei einer Schattentemperatur von 33 Grad. Unten im Block konnte man Schweinehälften sieden. Singen war sehr schlecht für meinen Kreislauf. Zu Beginn der zweiten Halbzeit wurde „Ich bin wieder hier“ angestimmt und da verlor ich das Gleichgewicht. Ich mag dieses Lied wirklich gerne und ich gebe mein Bestes, mich nicht dafür zu schämen. Es ist eine Umdichtung des Müller-Westernhagen Liedes mit dem gleichen Titel. Wenn wir mit zwanzigtausend Menschen dieses Lied im Stadion singen, werde ich ganz weich und ich johle inbrünstig mit, bis mir die Luft ausgeht.
Heute wurde mir allerdings schummrig vor Augen. Ich merkte, dass irgendwas nicht mit mir stimmte. Mitten im Refrain sagte ich, ich ginge Bier holen. Ich stieg etwas schwankend die Treppe hinauf bis zum Umlauf, und lief hinaus auf die Wiese, wo ich mich in den Schatten setzte. Das half ein bisschen. Dann suchte ich einen der Getränkestände, an dem sie Wasser verkauften. Glücklicherweise sind die Schlangen während des Spiels kürzer, ich kam also schnell an Wasser. Nach fünf Minuten ging es mir wieder besser.
Später erging es der 23-Jährigen nicht viel anders. Das war allerdings bereits nach Abpfiff. Sie signalisierte mir, dass es ihr nicht gut ginge. Also holte ich Leitungswasser bei einem der Stände. Sie hatte vor allem einen heissen Kopf, deswegen kippte sie sich die Hälfte des Wassers über den Kopf und die andere Hälfte schüttete sie sich einfach unters Trikot.
Zur Feier des Tages gewannen wir immerhin mit zwei Last Minute Toren in der Nachspielzeit 2:0. Das Spiel begann sehr offensiv, meine Mannschaft drehte fünfzehn Minuten lang richtig auf, eroberte sofort die Bälle und befand sich immer im Angriff. Aber nach fünfzehn Minuten dampften auch auf dem Spielfeld die Waden. Eigentlich sollte man bei diesen Temperaturen keinen Sport betreiben.
Die Laune war dennoch spitze.