[Montag, 19.12.2022 – aus Krankheit zurück, online buchhändler aus Seattle]

Heute ging ich wieder ins Büro. Mit der Hündin. Sie freute es. Mich eigentlich auch. Es ist immer ein Gefühl der Erneuerung, wenn man nach einer Woche Krankheit wieder ins Büro zurückkehrt. Es ist anders als eine Woche Urlaub. Nach zehn Tagen Krankheit wird man ein bisschen gefeiert, als hätte man über etwas gesiegt, dass es schön sei wieder da zu sein, es ist nicht so, dass man auf einem Siegertreppchen steht, aber vielleicht vergleichbar mit einem Trostpreis. Ich habe mich auch immer über Trostpreise gefreut. Der vorletzte Platz war immer doof, aber als letzter bekam man manchmal ein Gefühl, das damit vergleichbar ist, aus Krankheit zurückzukommen.

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Heute habe ich ein Buch bestellt. Über Amazon. Ein Buch zum Anfassen, aus Papier. Amazon. Das ist doch dieser online Buchhändler aus Seattle.

[Dienstag, 20.12.2022 – über das Lesen]

Ich will wieder Fiction lesen. Ich habe seit längerer Zeit keine Romane mehr gelesen. Mir fällt es seit Jahren schwer, mich auf eine erfundene Geschichte in Schriftform einzulassen. Die Tatsache, dass Geschichten erfunden sind, scheint mir bei Serien oder Filmen nichts auszumachen, es ist nur in Büchern so, ich glaube es hat also eher mit der Nähe zu tun, in die mich eine geschriebene Geschichte zwingt. Dieses Wort für Wort aufgedrückte. Ich lese jeden Satz und weiss, dass er erfunden ist. Buchstabe für Buchstabe, wie die Wörter aneinandergereiht sind, es ist alles erfunden. Ich kann mich nur schwer davon lösen, das meine ich mit Nähe, die Wörter die ich da sehe, die Sätze, die zwingen mich, wesentlich näher an der Erfundenheit der Dinge zu sitzen, als in einem Film. Vielleicht, weil mir das Handwerk des Schreibens nahe liegt, weswegen ich immer das Gefühl habe, ich durchschaue die Dinge, die Tricks, das Handwerk. Filme passieren einfach, sie gehen über mich hinweg, schütten alles aus, sobald ich im Film das Handwerk erkenne, ist schon die nächste Szene da, der nächste Dialog.

Jetzt habe ich wieder angefangen zu lesen. Ich lese Ray Bradburys „Illustrierter Mann“. Es fällt mir leichter, in diese Geschichte hineinzufinden, als mit einem zeitgenössischen Text, vielleicht weil das Handwerk in den Fünfzigern anders war. Es scheint sich eine Lage dazwischenzuschieben, ich achte weniger auf Details. Ich wollte eigentlich Brabdburys „Dandelionwine“ lesen. Das Buch wurde neulich von der Pornodarstellerin und Podcasterin Bettie Bondage in einer ihrer Insta Storys besprochen. Es ist eine gefühlvolle Coming-of-Age Geschichte ohne eine Coming-of-Age Geschichte zu sein. Ich weiss den Inhalt ihrer Besprechung nicht mehr im Detail, aber weil ich Bradburys „Fahrenheit 451“ und die „Mars Chroniken“ gelesen hatte (wobei mir vor allem zweiteres eindrücklich in Erinnerung geblieben ist), hat mich Bettie B’s Besprechung sehr eingefangen. Dandelionwine wurde auf deutsch unter dem Titel „Löwenzahnwein“ veröffentlicht. Das gibt es leider nicht als Ebook und auch die papierne Version ist vergriffen. Ich finde online zwei gebrauchte Exemplare, eines wird für 40€ zum Kauf angeboten, das andere für 80€. In Originalsprache will ich es nicht lesen. Auch wenn mein englisch mehr oder weniger einwandfrei ist, bleibt mir beim Lesen von englischsprachiger Literatur immer ein Gefühl übrig, dass über dem Text ein Filter liegt, dass ich nicht richtig an den Text herankomme, dass irgendwas sich mir nicht ganz erschliesst. Das hat sicherlich damit zu tun, dass es nicht meine erste Sprache ist und ich den Text dadurch mit einer gewissen Verkrampftheit und auch Skepsis lese. Auf niederländisch oder italienisch habe ich diese Verkrampftheit seltsamerweise nicht. Auch wenn ich behaupten würde, dass mein englisch über die Jahre hinweg wesentlich besser ist, als mein italienisch.

Ich kaufte stattdessen also „Illustrierter Mann“ und auch „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“. Ersteres ist strenggenommen kein Roman, sondern eine Sammlung lose miteinander verbundener Kurzgeschichten. Es gilt aber als Höhepunkt Bradburys Werk. Das andere Buch spielt auf einem Jahrmarkt der zwanziger Jahre und kann dem Genre „Dark Fantasy“ zugeschrieben werden. Kann ich keinem sagen, dass ich Dark Fantasie lese, aber wenn man Ray Bradbury erwähnt, dann kriegt es einen intellektuellen und poetischen Anstrich.

[Mittwoch, 21.12.2022 – Schlaf, Wintersonne]

Miserabel geschlafen. Nach drei Stunden schlaf lag ich zwei Stunden wach. Dann beschloss ich aufzustehen und mir einen Kaffee zu machen. da war es vier Uhr. Die Hündin ging mit mir in die Küche mit und ich konnte ein halbes dutzend Fragezeichen über ihrem Kopf erkennen. Als ich mich an den Schreibtisch setzte und anfing zu tippen, merkte sie, dass da irgendwas nicht stimmt und sie ging zurück ins Schlafzimmer in ihr Bettchen.

Nach zwei Stunden ging ich auch wieder ins Bett, konnte aber trotzdem nicht schlafen. Oder halb. Oder wasweissich. Meine Smartwatch zeichnete allerdings zwischen sechs und acht Uhr noch eine Stunde Schlaf auf. Die muss es ja wissen.

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Es ist Wintersonnenwende. Um 12:05 wird die Sonne in Berlin den niedrigstmöglichen Höchststand erreicht haben. Aber sie kam gar nicht raus, eine dicke Wolkendecke hängt über das winterliche Berlin. Es ist Zeit, es sich drinnen kuschelig zu machen. Winter. Ich schrieb die Kollegen im Chat an, dass ich Lust auf einen Feierabenddrink habe. Es ist der kürzeste Tag des Jahres, ich möchte ein paar Stunden in einer warmen Bar verbringen und an einem Drink nippen. Es war aber kaum jemand im Büro, es gab nur zwei maybe-Zusagen, nach ein paar Stunden warten, blies ich es ab.

Daraufhin schrieb mich ein Ex-Kollege an, der gerade in der Stadt ist. So verabredeten wir uns im Brewdog.

[Do/Fr, 22./23.12.2022 – Parfüm, Weihnachtsvorbereitungen]

Bei einer Lieferung von Parfumedreams gab es heute ein Probefläschchen von einem Parfüm namens Fuoco Infernale. Das bedeutet Höllenfeuer und ist sicherlich etwas aufgesetzt, meine Frau roch daran und kam sofort auf mich zu. Sie wusste, dass ich den Geruch mögen würde. Tatsächlich ist das ein ungemein unanständiger und betörender Geruch, der mit nebligen Zedernholz- und Moschusaromen daherkommt.

Ich muss ständig den Unterarm, auf dem das Parfüm aufgeträufelt wurde, an meine Nase halten, der Geruch löst immer so etwas wie Überraschung in mir aus. Das Parfüm ist wirklich gut.
Die Parfümerie heisst Linari, ich google die, sie kommt überraschenderweise aus Hamburg. Das finde ich zuerst überraschend, aber nicht schlimm, eigentlich freut es mich, wenn gute Gerüche nicht immer aus Paris oder Mailand kommen, mein Hausparfüm kommt aus London, was ja auch nur eine mittelmässige Parfümstadt ist. Aber dann hätte ich mir vielleicht lieber ein deutsches Branding gewünscht. Linari klingt ja schon sehr nach Mailand, es schwindelt ein wenig, ich mag ja beispielsweise den Namen der berliner Parfümmarke „Schwarzlose“, leider mag ich deren Gerüche weniger, aber der Name klingt schon nach einem Statement, auch deren Gerüche, die heissen „Leder“, „Rausch“ oder „Zeitgeist“.
Aber egal. Es ist ein wirklich toller Geruch.

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Am Donnerstag kochten wir den Weihnachtsschinken vor. Das ist ein schwedisches Weihnachtsgericht. Das tote Tier wird in Wasser mit Gemüse und Salz aufgekocht und bleibt danach einen ganzen Tag in seinem Wasser liegen. Mit dem Wasser kochen wir am Weihnachtstag den braunen Kohl, also den Brunkal.

Als der Schinken auf der Kochplatte stand, fuhr ich in den Winskiez in eine Schwulenbar, dort war ich mit Fussballfreundinnen verabredet. Es gab keinen wirklichen Anlass für das Treffen, aber es fühlte sich an, wie ein spontaner vorweihnachtlicher Drink. Wir haben viel Spass.

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Am Freitag habe ich dann keine Zeit den Tagebucheintrag zu vervollständigen. Ich arbeite von zuhause aus, dann bereiten wir die Wohnung für Weihnachten auf, fahren ins Centro Italia an der Greifswalder um einige Besorgungen zu machen, dann gehen wir auf einen langen Spaziergang mit der Hündin und landen schliesslich im Brewdog für ein Bierchen. Und dann ist es schon spät.

[Samstag, 24.12.2022 – Fettweg]

Ich kam nicht so richtig in Weihnachtsstimmung. Zum einen war mein ganzer Dezember schon so undezembrig, was sicherlich mit den zehn Krankheitstagen zusammenhängt, aber ich habe mich auch zu wenig um die Weihnachtsdinge gekümmer, also LED Ketten aufhängen und mir Gedanken zu machen, wie wir die Tage gestalten. Ich werde nächste Woche ausserdem arbeiten, auch das trägt kaum zu diesem schönen, dunklen, langsamen und heruntergefahrenen Weihnachten bei.

Heute konnte ich mich dann auch nicht auf den Abend freuen. Unser Weihnachten ist immer sehr schön, es ist sehr schlicht, es besteht im Wesentlichen darin, dass wir uns gut kleiden und etwas Gutes essen. Gutgekleidet am Essenstisch zu sitzen ist schon 80% der Freude. Wenn man dann noch gutes Essen verspeist und etwas geschenkt bekommt, übersteigt es die hundert Prozent ziemlich schnell.

Ich bin aber so dick geworden, dass ich gar keine Lust habe, mich gut zu kleiden. Die zwanzig Kilo, die ich vor anderthalb Jahren verloren habe, trage ich alle wieder auf meinen Rippen. Ich hasse es, es zieht mich so runter, nicht nur schwerkraftsmässig. Am Nachmittag machen wir einen langen Spaziergang und es fühlt sich an wie ein gewöhnlicher Samstag. Ich habe keine Vorfreude für den Abend, ich möchte mich nur betrinken und einen blöden Film schauen.

Aber dann beginnen wir mit dem Kochen und es steigt der Spass in mir auf. Ich bin hauptsächlich für den Brunkål und die Köttbullar verantwortlich. Bei den Fleischbällchen folge ich ausnahmsweise sklavisch den Anweisungen, sie gelingen wirklich gut.

Am meisten Spass hatte die Hündin. Vom Weihnachtsschinken musste ich etwa einen halben Kilo fett abschneiden. Diesen gab ich ihn in den Biomüll. Den Biomüll liess ich dann eine Weile achtlos und offen bei der Wohnungstür stehen.

Auf einmal hörte man dieses laute Schmatzen aus dem Hausflur. Es klang als gäbe es ein Leck in einem Fallrohr. Ich ahnte, was los war und lief in den Flur. Keine Befehle funktionierten, das Tier musste physisch von der Beute getrennt werden.

So. Jetzt bräuchte ich noch einen Schlusssatz, der diesen Tagebucheintrag würdig beendet.

[Sonntag, 25.12.2022 – Hafer, Weihnachtstag, Stillenachtheiligenacht]

Ich las, dass man Köttbullar auch mit Haferflocken machen kann anstatt mit Brotbrösel. Davon werden sie fester und fallen nicht so leicht auseinander. Werde ich das nächste Mal unbedingt probieren. Hafer gebe ich überall hinzu wo ich Hafer hinzugeben kann.

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Der Fünfungszwanzigste fühlt sich für mich nie wirklich wie ein Weihnachtstag an. Eher wie ein Neujahrstag. Wie ein leichtes Katergefühl. Der ganze Zauber passiert am Abend davor. Der Weihnachtstag selber ist entsprechend langsam, es gibt die Reste von gestern, wir schauen die Serie weiter, das graue Wetter tut sein Übriges. Ich liebe das.

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Ich habe sehr viel unnützes Wissen. Ich kann zu jeder Situation irgendein Wissen hervorziehen, das niemandem was bringt. Allerdings lernte ich heute, dass ich dieses Wissen auch einmal falsch abspeichere. Ich dachte jahrzehntelang, dass Stillenachtheiligenacht in Osttirol komponiert worden sei. Heute fanden meine Frau und ich uns in einer Diskussion wieder, in der die Geschichte dieses Liedes aufgearbeitet werden musste und so stiess ich auf die Tatsache, dass das Lied im Bundesland Salzburg entstanden ist. Osttirol spielt überhaupt keine Rolle. Weder sind Dichter oder Komponist in jenem Bundesland geboren oder tätig gewesen, noch sind sie dort gestorben.

[Montag, 26.12.2022 – auf den Kopf gepinkelt, Resteessentag]

Ein Rüde pinkelte heute meiner Hündin auf den Kopf. Wir standen in einer Gruppe zusammen und redeten über die Dinge, ich erzählte gerade etwas über meine Hündin, als sie zu mir kam. Ich sagte „Oh sie hat da was auf dem Kopf“. Also bückte ich mich und fuhr mit meiner Hand durch ihr Fell. In jenem Moment kam ein Mann angerannt und rief: mein Hund hat ihr gerade auf den Kopf gepinkelt, sorry.

Da stand ich also, gebückt zwischen den Leuten, meine Hand im Fell des Kopfes meines Tieres und alle Menschen dieser Welt starrten auf mich.

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Resteessentag. Köttbullar, Weihnachtsschinken auf Brot mit Senf und Zwiebeln, Brunkal aus dem Topf. Das Kartoffelpure ist aber schon hart. Dazu Aperolspritz und diese Serie mit Josh Brolin, Outer Range, ein Mystery Western mit einer eindringlichen Stimmung, die mich komplett einsaugt. Zuweilen nervt mich der anstrengende Starrsinn der Hauptfigur. Aber das muss vermutlich so.

[Dienstag, 27.12.2022 – Handschuhe, Leere]

Handschuhe von Roeckl gekauft.

Ich laufe schon seit Wochen mit zwei unterschiedlichen Handschuhen herum. Ich besass ein Paar Lederhandschuhe und ein Paar Handschuhe mit einer künstlichen Wollkonsistenz, die den Anspruch erheben besonders warm zu sein, wobei man immer noch Telefondisplays damit bedienen kann. Ein Feature, das ich in der Praxis nicht anwende.

Von jedem der zwei Paare verlor ich einen. Einmal den Rechten und einmal den Linken. So hatte ich immerhin ein ungleiches Paar mit dem ich Radfahren konnte.

Ich wollte mir mindestens die Lederhandschuhe ersetzen. Sie müssen dünn sein und glänzend schwarz, und sich der Hand anpassen. Ich fühle mich mit solchen Handschuhen wie ein Edelkiller, also einer der edel aussieht, nicht einer, der edle Leute killt, wobei, mir wäre es ziemlich egal, wen ich killen müsste, ich kille auch edle Leute, wenn ich geile Handschuhe trage. Mit edel meine ich die Killer in Filmen, oft sind es Deutsche, sie tragen das Haar nach hinten gefettet und eine Waffe aus blitzendem Metall. Und eben glatte, schwarze Lederhandschuhe. Von Roeckl meinetwegen.

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Heute war ich wieder im Büro. Absichtlich. Ich mag diese Leere im Büro. Ich mag überhaupt diese Leere zwischen den Jahren. Ich mochte auch die Leere während Corona. Ich mag Leere. Leider mag ich auch Menschen. Eine blöde Kombi.

[Mittwoch, 28.12.2022 – Unter Hundehalterinnen]

Dem Frauchen von Paule geht es nicht gut. Ich traf sie heute in der Strasse. Ohne Paule. Sie war auf dem Weg zum Arzt. Paules Frauchen ist eine alte, schwerhörige Frau. Wenn ich mit ihr rede, rede ich immer sehr laut und langsam und artikuliere meine Wörter. Meine Hündin verehrt sie, weil sie immer grosse Truthahnleckerlis bei sich hat und diese grosszügig an die Hunde in der Nachbarschaft verteilt.

Ich frage sie, was denn los sei.
Sie sagte, sie habe starke Gliederschmerzen und könne nur schlecht atmen.
Ich frage natürlich nach Covid, aber das verneint sie, sie sei in all den beiden Jahren immer negativ geblieben.
Sie vermute eher, dass sie zu wenig esse, sie nähme ja gerade ab, vielleicht ist das in ihrem Alter einfach nicht mehr so gut.
Ich sage, das stimmt sicherlich, aber sie brauchen doch gar nicht abnehmen, Sie sind ja nicht dick.
Darauf reagiert sich aber nicht. Vielleicht habe ich es nicht laut genug gesagt. Ich frage sie: trinken Sie denn genug? Auf das Trinken kommt es ja immer an.
Sie lacht auf. Ha. Natürlich trinke ich genug. Bei mir im Wohnzimmer sieht es aus wie in einer Kneipe.
Nein, sage ich, das meine ich nicht, eher Wasser.
Achso, ja, eine Bekannte hat mir zwölf Flaschen Selters und Apfelsaft gebracht. Das mische ich jetzt und trinke es.
Das ist sicher gut, sage ich, man soll ja zwei Liter pro Tag trinken, sagt man. Ich bin mir nicht sicher ob sie das hört oder eh schon weiss.
Sie schaut auf meine Hündin, die die ganze Zeit vor ihr sitzt und sie anhimmelt. Sie sagt zu meinem Tier, dass sie heute keine Leckerlis habe, sie sei auf dem Weg zum Arzt. Das Tier himmelt sie trotzdem an und leckt sich aufgeregt über die Schnauze.

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Am Nachmittag machte ich einen längeren Spaziergang mit einer jungen Frau. Unsere Hunde mochten einander, aber wie es immer so ist: wenn ich stehenbleibe, dann bewegt sich auch meine Hündin nicht mehr. Also fragte ich die junge Frau, ob sie eine Runde drehen wolle. Das ist unter Hundehalterinnen durchaus üblich, weil die meisten Hunde inaktiv werden, wenn der dazugehörige Mensch inaktiv ist. Wir drehten vier lange Runden im Park. Sie war dreissig Jahre alt und hatte kürzlich beschlossen, bewusst als Kellnerin zu arbeiten. Sie hatte Soziologie studiert, konnte sich aber nicht vorstellen, in einem Büro zu arbeiten, sie hätte auch etwas pädagogisches probiert, aber alles verworfen. Jetzt arbeite sie in der Kneipe. Sie sei ohnehin nachtaktiv und dort fühle sie sich gebraucht, sie hat eine Rolle, lernt viele Menschen kennen und kann Musik auflegen, die ihr gefällt. Mich überrascht es, da ich sie sehr klug finde und ein Job als Kellnerin wirkt auf mich unter ihrer Würde. Bevor ich das aber ausspreche, schäme ich mich für diese klassistische Betrachtungsweise. Als wäre es nur erstrebenswert, würdevolle Jobs auszuüben und als wären damit jene Leute, die solche Jobs ausüben, automatisch unter irgendeiner Würde. Ich finde die Begeisterung mit der sie über ihren Job redet aber ungemein sympathisch. Ich sagte, für mich wäre Kellner immer ein möglicher Plan B. Falls die Wirtschaft am Boden liegt und ich nicht mehr in meinem Beruf arbeiten kann, dann wäre eine Arbeit als Kellnerin immer eine gute Alternative. Mein einziges Problem sei der Alkohol. Ich glaube, ein Job als Kellner würde für mein Trinkverhalten nicht sehr förderlich sein. Sie sagte, für sie sei das kein Problem. Sie trinke nicht.

[Donnerstag, 29.12.2022 – eccetera eccetera, Preisselbeermarmelade, Eierlikör]

Am Nachmittag fuhren wir ins Centroitalia an der Greifswalder, um Zutaten für Silvester einzukaufen.

Ich bestelle selten auf italienisch. Erst recht nicht im Restaurant. Ich finde das affig. Vor allem gegenüber den Mitmenschen an meinem Tisch, wenn ich auf italienisch loslege, sehet her, parlo so flüssig wie olio d’oliva, ausserdem finde ich es überheblich, die anderen verstehen es nicht und das Personal spricht auch deutsch, es gibt keinen Grund, auf italienisch zu bestellen, ausser um fuckable zu sein. Ich bin zwar gerne fuckable, aber dafür gibt es subtilere Wege.

Heute im Centro Italia an der Fleischtheke bestellte ich auf italienisch. Ich stand da in einer Herthajacke, vermutlich fühlte ich mich nicht sehr fuckable, ich bestellte quattrocento grammi di prosciutto, quattrocento grammi di Salame con finocchio, quello con quei cosi bianchi piu grossi, si si, quello li. USW. ECC. ECC.

Ich gab so viel Geld aus, dass ich eine vakuumierte Packung mit eine Variation von geräucherten Fleischwaren dazugeschenkt bekam. Am Ende fragte mich der Mann hinter der Theke, wo ich denn so gut italienisch gelernt hätte. Ich spräche ja fast akzentfrei.
Fast akzentfrei. Das kränkte mich dann doch. Aber es geschieht mir recht. So offensiv unitalienisch wie ich mich immer gebe, habe ich auch kein Recht darauf, mich mit akzentfreiem Italienisch zu sonnen wenn mir danach ist. Ich hätte es nicht tun sollen. Ich sagte, ich käme aus Bozen, das sei ein bisschen Italien, aber nur ein bisschen. Er fragte, was man in Bozen denn sonst spräche, ich sagte, da spräche man zum einen Ladinisch und eine Art österreichisches deutsch. Das wusste er nicht. Und das ärgerte mich. Es ist genau diese seltsame Nationalberauschtheit, die mich an in Italien immer so nervt. Dabei kam er aus Perugia, das ist nicht der entfernte und abgehängte Süden, von wo aus alles nördlich von Napoli wie ein anderer Kulturkreis aussieht.

Danach fuhren wir zu Ikea, weil ich noch Preisselbeermarmelade für die Köttbullar am Samstag brauchte. Lingonsylt heisst das. Es ist nicht das Gleiche wie Marmelade, Sylt ist etwas flüssiger als Marmelad (das es in Schweden auch gibt) und kommt nicht aufs Brot. Den Unterschied lernte ich erst heute kennen. Wieder was gelernt.

Sylt hin oder her. In Wirklichkeit hatte ich vor allem Lust auf Hotdogs.

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Bald kommt Silvester. Wir hatten uns vorgenommen, die Insta Storiy von unserer Hundetrainerin zu dem Thema zu schauen. Die Story hat sie in ihren Highlights, man kann sie also immer abrufen. Wir setzten uns also dienstbeflissen ans Telefon und schauen gespannt auf die Tipps. Dann empfiehlt sie doch tatsächlich, dem Tier Eierlikör zu geben. Anfangs verarbeite ich diese Info einigermassen amüsiert, wie man beispielsweise eine Satire schaut, aber es wird mir schnell bewusst, dass das ernst gemeint ist. Ich bin nicht empört, auch wenn ich gerade so klinge, ich bin nur belustigt und etwas ungläubig. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das tun werde. Meine Frau findet das lustig. Später bei Edeka schmeisst sie eine kleine Flasche Eierlikör auf das Band. Wir wissen aber noch nicht, ob wir ihr das geben. Zur Not trinken wir es einfach selbst.