[Dienstag, 20.4.2021]

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Diese Serien oder Filme über Viruspandemien aus Präcorona-Zeiten. Ich kann solche Geschichten nicht mehr ernst nehmen. Nie wurden Bewegungen wie Coronaspinner berücksichtigt. Oder in freundlichen Worten formuliert: Menschen, die sich in ihren Freiheitsrechten beschnitten sehen. Kann man sich ja nicht ausdenken, sowas.

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Ich bin ja ein ausgesprochener Fan von Weisskohl. Zu Weihnachten essen wir meist schwedischen Brunkål, das ist Kohl, der in Scheiben geschnitten, 4 Stunden lang mit etwas Ahornsirup in einem Topf gegart wird. Wir kochen immer so viel davon, dass ich danach noch Tage lang essen kann.
Oder Southern Cabbage, dieses simple texanische Gericht mit Bacon, Zwiebeln, Butter und Weisskohlstreifen. Southern Cabbage nannte ich fälschlicherweise immer Southern Comfort, wie dieser klebrige Whiskylikör aus den Südstaaten. Das muss ein Reflex sein, ich kenne Southern Comfort aus meiner Jugend, ich habe ihn damals als süß abgestempelt und danach nie wieder getrunken. Er blieb aber immer als Begriff präsent. Als Begriff für klebrigen Whiskylikör. Und vermutlich liegt diese reflexhafte Verwechselung auch in der Ähnlichkeit in der Melodie: Sou-thern Com-fort / Sou-thern Cab-bage. Sogar die Silbenzahl ist gleich.

Meine Frau hat mir vor einigen Monaten die Zubereitung von Southern Comfort Cabbage beigebracht und in diesen kalorienarmen Zeiten hat sie es für mich etwas abgeändert. Keine Butter und keinen fetten Bacon. Dabei schmeckt er immer noch phantastisch und es ist einfach zuzubereiten und man kann es prima mit ins Büro nehmen.
Weil meine Frau Schwedin ist, nenne ich es Northern Comfort.

Northern Comfort:
Einen halben Weisskohlkopf in Scheiben schneiden. Die Scheiben halbieren, damit sie nicht so lang werden.
Die leichten Speckwürfelchen von Edeka (Lidl hat die auch) in eine Pfanne geben und erhitzen bis sie anfangen zu brutzeln. Sie brutzeln natürlich nur ganz leise, weil sie im kaum vorhandenen Eigenfett brutzeln. Dann den Kohl dazugeben und sofort rühren. Die ersten 3 bis 5 Minuten sollten man ständig umrühren bis der Kohl genug Feuchtigkeit abgegeben hat und nicht mehr am Pfannenboden ankleben kann. Danach eine Stunde lang köcheln lassen und immer wieder umrühren. Ich glaube sogar, dass ich es länger als eine Stunde lang auf der Hitze lassen. Das nächste Mal überprüfe ich das mit der Zeit etwas genauer.

Ich verwende nie Salz. Und das sage ich als Salzfan. Kann man aber sicher verwenden.

Am Ende muss der Kohl weich geworden sein und bräunlich, er wird geschmacklich leicht süß und etwas karamellisiert.

[Mittwoch, 21.4.2021]

Mein wichtigster Mitarbeiter hat gekündigt 🙁
Das hat mir den ganzen Tag vermiest und wird mir wahrscheinlich noch den Rest des Tages vermiesen. Und morgen und übermorgen.
Er hat zum Glück nicht wegen mir gekündigt. Sondern sucht nach den vielen Jahren einfach etwas anderes. Er hat bei uns als Junior begonnen und möchte was anderes sehen. Ich kann das alles sehr nachvollziehen.
Dabei hatte ich ihn gerade vor einem halben Jahr befördert und er hat in seiner Rolle mehrere strukturelle Probleme gelöst, die jetzt wieder alle auftreten werden. Wie gesagt, es wird mir jetzt viele Tage vermiesen.

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Im Nachhinein ist mir eingefallen, dass ich meine Glückwunschkarte an Rune Jarstein gar nicht signiert habe. Es wird ihm egal sein. Wenn man von wildfremden Menschen haufenweise Karten bekommt, dann schaut man ohnehin nicht ob da ein Name dran steht, sondern man freut sich vermutlich eher über die Menge. Fanliebe ist ja selten individuell. Bei dieser Aktion habe ich die ganze Zeit daran gedacht, dass es wichtig ist, viele Karten zu verschicken. Würde ich das küchenpsychologisch analysieren, würde ich sagen, ich sei dermaßen auf die Geste und auf die Menge ausgelegt gewesen, dass ich meine eigene Persönlichkeit dahinter zurückgesteckt habe.
Das klingt schön. Aber wahrscheinlich habe ich es einfach, wie man so schön sagt: vergessen. Ich bin außerdem keine routinierte Glückwunschkartenschreiberin.

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Am Abend war ich mit meinem Freund Benny verabredet. Letztes Jahr hatten wir uns oft gesehen, aber in letzter Zeit ist es eher seltener geworden. Das hat sicherlich auch mit der Coronamüdigkeit zu tun, mit dieser eigenartigen Eingeigeltheit, dieses Leben mit Handbremse.
Ich frage mich wie wir irgendwann auf diese Coronamüdigkeit zurückschauen. Dieses eigenartige Jahr der Müdigkeit, dieses, mäh, ist es nicht bald vorbei, dieses permanente Seufzen über die wieder steigenden Fallzahlen, dieses Gefühl, dass wir eigentlich einfach mal wieder alles zumachen müssten, diese Lähmung in der Lebensplanung. Es stört mich nicht so sehr, dass ich daran verzweifeln würde. Ich sehe ja Menschen in meinen sozialen Medien und auch in meinem Freundeskreis, für die sich der ganze Zustand regelrecht apokalyptisch anfühlt und von der Angst geplagt werden. Für mich ist es einfach eine seltsame Gelähmheit. Wie Weihnachten eben, das öffentliche Leben fährt sich herunter, nur ohne Geschenke und Lichter. Und das alles als ein permanenter Zustand.

Wir spazierten lange durch den Park am Gleisdreieck, er zeigte mir den Ostteil des Parks, den ich bisher gar nicht kannte, ich war bisher nur im nördlichen Teil und blieb immer bei der Brauerei am Parkanfang hängen und bin sonst nie recht weit gekommen.

Wir reden natürlich über Corona. Das Thema, das mittlerweile in jedem Gespräch immer ein Thema mit viel Gewicht ist. Wir reden aber auch über all die Dinge, über die wir in den letzten Monaten nicht geredet haben.

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Am Abend wollte ich auf einen Kommentar im Eintrag von gestern antworten. Ein Leser namens Anton fragte nach dem Brunkal Rezept. Nichts einfacher als das, dachte ich, und begann einfach aufzuschreiben, wie ich den schwedischen Brunkal zubereite. Da ich nebenher auch nach Brunkal Rezepten googelte, fielen mir allerdings mehrere Inkonsistenzen zur Namensgebung und zu meiner Art der Zubereitung auf. Die meisten Brunkal Rezepte, die ich ergoogelte sagen, dass man den Kohl im Ofen backen soll. Das wird dann aber ein ganz anderes Gericht, als jenes Gericht, das traditionell in meiner Schwiegerfamilie zubereitet wird. Ich finde ein einziges Gericht, das so ähnlich klingt wie bei mir. Ich habe mich jetzt auf die Suche begeben und bei meiner Schwiegermutter liegt eine Anfrage vor. Möglicherweise weiss ich morgen mehr.

[Donnerstag, 22.4.2021]

Am Abend war ich eigentlich mit einer Freundin verabredet, bzw. mit einer Ex-Kollegin. Das Wetter war seltsam kalt. Sonnig, mit einem Frühlingsversprechen, aber mit einer hinterlistigen Kälte. Sie schrieb mir, dass sie sich zu leicht angezogen habe und fröstle. Genau so ging es mir auch. Es sah nach Frühling aus, aber ein ständiges leichtes Frösteln. Als zöge der hinterlistige Eiswind durch Mauern und Ritzen. Das alles bei 11 Grad.

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Deswegen hatte ich einen freien Abend. Was mache ich an einem freien Abend? Ich bleibe länger im Büro.

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Später am Abend bin ich nochmal zu Edeka gegangen und habe meinen Squeezer mitgenommen um zwei FCU Schriftzüge zu übermalen. Letztes Mal ist die Bedienung des Squeezers ja gehörig schiefgegangen, aber jetzt kenne ich die Funktionsweise besser, und in der Tat, es ist so einfach: ein bisschen squeezen und losschreiben.
Meine Hand war dann doch wieder voller Flecken.

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Die Sache mit dem Brunkål. Wie ich gestern bereits schrieb, gab es einen Leser namens Anton, der nach dem Rezept für schwedischen Brunkål fragte. Das zu beantworten war eine Kleinigkeit, dachte ich. Um Unterstützung für die genaueren Zeitangaben zu finden, googelte ich danach, ich fand im Netz aber nur Brunkål-Varianten, die im Ofen zubereitet werden. Das ist ein ganz anderes Gericht.
Ich fand ein einziges Rezept für ein Gericht, wie ich es kenne. Das hat mich aber schon etwas gewundert, ich wollte daher verstehen, warum das so ist.

Zuerst fragte ich meine Frau. Die sagte, dass es möglicherweise regionale Unterschiede gibt. Ihre Familien kommen aus der Gegend um Göteborg oder aus der Gegend um Trelleborg, Skåne, also Schonen. Ich fragte daher bei meiner Schwiegermutter nach. Diese bestätigte, dass es regionale Unterschiede gibt und, dass ihre Schwiegermutter diesen kochte. Ihre Schwiegermutter kam zwar aus Göteborg, war aber nach Skåne gezogen und bereitete den Kål natürlich auf die Schonensche Art zu.

Meine Frau fand unter Brunkål viele Rezepte nach der mir bekannten Art und fragte mich, ob ich nicht einfach schlecht gegoogelt hätte. Aber wie sich herausstellte, bekommen wir aufgrund der unterschiedlichen Spracheinstellungen im Browser einfach andere Brunkål-Rezepte.

Ich mache ihn so:

  • 1 ganzen Kohlkopf
  • 2 Esslöffel (oder mehr) Butter
  • 2 Esslöffel Ahornsirup
  • Brühe (Gemüse oder Fleisch, ich finde, dass man hier nehmen kann, was man will. Eigentlich verwendet man die Marinade bzw den Abguss des Weihnachtsschinkens, aber der Effekt ist der selbe und wird auch so in den Internetrezepten verwendet)

Zubereitung:
Den Kohl in 1 bis 2cm breite Scheiben schneiden. Diesen in einer großen Pfanne oder Topf braun anbraten. Etwa 10 Minuten lang und dabei fleißig rühren.

Nach zehn Minuten Ahornsirup und die Brühe dazugeben. Und dann bei schwacher Hitze mit Deckel zwei Stunden lang braten. Die Bratdauer variiert laut Rezepten zwischen 1 und 6 Stunden. Eine Stunde finde ich zu wenig. Sechs ist vielleicht ein bisschen lang. Ich kann mich erinnern, dass wir den Kohl vor zehn Jahren etwa vier Stunden lang gebraten haben. Mittlerweile braten wir nur noch zwei Stunden lang.

[Freitag, 23.4.2021]

Weil wir schon beim Essen sind. Wir hatten ja neulich diese vegane Fehllieferung von Bringmeister erhalten. Es muss der Einkauf von sehr umweltbewussten bzw. veganen Menschen gewesen sein. Neben diversen Soja- und Kichererbsenprodukten lagen auch Packungen mit Körnern in den Tüten. Zum Beispiel Haferkörner. Ich hatte keine Ahnung, was man mit Haferkörner anstellen konnte. Die erste Idee, die mir kam, war, sie zu Flocken zu zerstampfen und sie mit Joghurt zu verspeisen. Weil ich Hafer halt in Form von Flocken kenne. Aber das schien mir seltsam ineffizient und etwas nutzlos. Warum sollte man ganze Körner kaufen um sie zu plätten. Vorgeplättete Körner gibt es ja genau so gut im Laden und ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass es eine besonders haferfreundliche Variante gab, den Hafer zu plätten.

Meine Frau hat in ihrer Jugend als geübte Vegetarierin alles durchprobiert, was mit Körnern zu tun hat. So wusste sie, dass sich Hafer sehr gut wie Reis verarbeiten ließ. Tatsächlich fand ich im Internet zahlreiche Haferrezepte, die sich lasen wie Reisspeisen. Ich dachte, nette Idee, aber sicherlich eine dieser netten Ideen aus einer Hippiekommune mit Demeterstempel, die in der Realität nach [irgendeine müde Referenz hier] riecht.

Meine Frau machte das trotzdem. Sie kochte das Haferkorn wie Reis und machte dazu Gemüse. Und jetzt bin ich ein bisschen überrascht. Das war so! gut! Wir fanden außerdem zahlreiche Rezepte, in denen mit Haferkorn Risotto gemacht wird. Ich frage mich, warum dem Haferkorn in der europäischen Küche keine Rolle zukommt, wie sie etwa Kartoffeln, Nudeln oder Reis inne haben.

So verbrachte ich den ganzen Abend damit, das zu verstehen. Ganz verstanden habe ich es nicht, aber Hafer war in früheren Jahrhunderten tatsächlich ein Nahrungsmittel, es war allerdings nie ein wichtiges Nahrungsmittel. Er schien irgendwann an Bedeutung zu verlieren. Den genauen Zeitraum konnte ich nicht finden, aber ich nehme an, dass der Siegeszug der Kartoffel eine Rolle darin spielte. Hafer ließ sich, anders als Weizen oder Roggen aufgrund der fehlenden Klebeeiweisse nicht gut zu Brot verarbeiten und so wurde es schließlich vornehmlich als Tierfutter verwendet.
Mich erstaunt das sehr. Gerade wenn ich auf den Nährwert des Hafers schaue, der als das nährstoffreichste Getreide dasteht, dann mag ich nur schwer glauben, dass weisser Reis oder die Kartoffel oder auch Weizennudeln eine weitere Verbreitung fanden.

Ganz nüchtern betrachtet: aus Sicht der lokalen Verfügbarkeit, der Nährhaftigkeit, der Anbaufähigkeit müsste das Haferkorn in der europäischen Küchentradition eigentlich einen höheren Stellenwert als Reis haben. Stattdessen verwendet man es als Tierfutter und für schleimigen Haferbrei. Das finde ich faszinierend.

Womöglich lag es an der Mode oder eben am Image von Haferkorn, wenn man damit aufwächst, dass man es den Tieren verfüttert, erhält es einen niedrigeren Stellenwert als der weisse, reinliche Reis. Man kann das sicherlich auch mit dem Vorzug des Weissbrotes gegenüber dunklem Vollkorndinkelbrot vergleichen.

Gut, der Hafer erlebt seit einigem Jahren schon so etwas wie eine Wiedergeburt, weil man es als Superfood wiederentdeckt hat, aber über Porridge Varianten, Müsli oder Hafermilch scheint es mir dennoch nicht hinausgekommen zu sein.

Jetzt weiss ich, was ich meinen Gästen mal kochen werde, wenn die Pandemie vorbei ist. Irgendwann wird man mich möglicherweise dafür hassen.


Außerdem sind heute meine neuen Keycaps angekommen. Ich baute sie sofort in meine Tastatur ein. Nur die Buchstaben und das Komma sowie den Punkt. Und die Cursortasten. Alle anderen Tasten habe ich so gelassen, wie sie sind, weil ich keine entsprechenden deutschen Tasten finden konnte und ich es auch wieder so spartanisch mag. Dieser Fokus auf den Buchstaben.

Und sie tippen sich, wie erwartet. Zum einen merke ich immer mehr, wie gut taktil der Anschlag dieser Tastatur ist und jetzt mit den weichen Kanten und dem schmalen Anschlagsfeld dieser neu gekauften Tastenkappen ist es wirklich wie [Kunstpause].

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Die Aktion von Jan Josef Liefers und seinen Leidensgenossen werde ich jetzt nicht tiefergehend kommentieren. Neben dem üblichen Stellungsbeziehen auf Twitter gab es sehr wenige Beiträge, die wirklich erklärten, warum die Aktion große Scheisse ist. Der beste Beitrag kam von Marina Weisband.

[Samstag, 24.4.2021]

Weil andere das auch machen, habe ich nach achtzehn Jahren beschlossen, mehr Medien in meinem Blog zu verwenden. Ich neige dazu, dieses Blog sehr spartanisch zu halten. Weil ich das schön finde. Schwarzer Text auf weissem Hintergrund.
Andererseits sind Fotos eben auch schön. So einfach ist das manchmal mit den Entscheidungen.

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Zur Zeit höre ich wieder Pink Floyd. Ich hörte als Dreizehnjähriger sehr viel Pink Floyd. Und mit sehr viel meine ich sehr, sehr viel. Eine der unterschätztesten Platten ist wahrscheinlich Atomic Heart Mother. Die A-Seite. Das Meddley mit Chor und den Bläsern. Dieses lange, wabernde Balgen von Trompeten, Schlagzeug und Chor. Ich fand diese Stimmung immer romantisch. Romantisch mit einer gewissen Aufgeregtheit, mit einer gewissen Erwartung, vielleicht wie die Romantik im Sinne eines romantischen Initiationsritus.

Und die Kuh auf dem Cover. Es gibt diese Geschichte dazu, dass man nicht wusste, was man auf das Cover setzen sollte, bis einer die Idee hatte, eine Kuh zu fotografieren. Dann sind sie losgezogen und haben eine Kuh fotografiert. Etwas belanglos von seitlich hinten, wie sie in die Kamera guckt. Es sollte kein Text drauf, nur die Kuh und die Weide. Ich fand das als Teenie und Kuhhirte in meinem Alpendorf so genial.

Eine Kuh werde ich mir auch auf meinen Oberarm tätowieren lassen. Eine schwarz-weiss gefleckte. Im Berliner Tierpark wird diese Art Kuh als Hochleistungsrind bezeichnet. Hochleistungsrind. Ein Wort, so monumental, dass man es in Stein meisseln möchte.

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Am Nachmittag waren wir auf einem sehr langen Spaziergang. Wir hatten viel zu besprechen. Normalerweise denke ich mir vorher eine Route aus, die laufen wir dann ab. Dabei versuche ich viel Variation und Thematik mit reinzubekommen. Wenn der Schwerpunkt eher Wasser liegen soll oder eher modern urban, oder eher kiezig, oder auch in Ostplatten-Optik. Wald wäre schön, aber für richtigen und verwilderten Wald müsste man ins Auto steigen und ins Auto steigen wir so gut wie nie. Das Auto hat sich bei uns nicht für den Alltagsweck bewährt.

Diesmal spazierten wir einfach im Volkspark Friedrichsain. Als wir durch den Park liefen und am Ende angelangten, beschloss ich, einfach rechts abzubiegen und so drehten wir mehrere runde Kreise in dem nördlichen, offenen Teil des Parks. Nach einigen Runden wurde mir tatsächlich schwindlig. Mental. Ich hatte die Orientierung verloren. Ich erkannte die Gebäude am Horizont wieder, ich sah auch die Bunkerberge und die Achsen, und die breite Kuhle für die Skateboards, aber dieses Laufen im Kreis hatte meine innere Kompassnadel zum Erliegen gebracht. Dieser Teil Berlins aus dem neunzehnten Jahrhundert ist ja sehr systematisch angelegt, mit den Achsen, mit den Kiezen in Trapezform, diese klare Stadtstruktur, ich mag sie sehr. Aber wenn man hier im Kreis läuft, bringt das sämtliche Kalibrierungen aus dem Lot. Irre.

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Ich suche ja schon länger nach Motiven von alten Damen. Als Motiv für Hertha-Sticker. Dass mein Verein den Beinamen „Alte Dame“ trägt, sollte sich wesentlich mehr in der ästhetischen Kultur von Hertha wiederspiegeln, es ist schließlich eine Steilvorlage für richtig gute Motive. Das selbe gilt auch für Schiffe, da Hertha ja nach einem Haveldampfer benannt ist. Ich versuchte mich den ganzen Abend an Motiven und habe eines ganz okay ausgearbeitet. Ich kann aber überhaupt nicht mit Bildbearbeitungsprogrammen umgehen. Ich kann ein bisschen zeichnen, aber für den professionellen Schliff mit Software fehlt es mir an Geduld und schlichtweg auch an Wissen oder besser gesagt, die Geduld, mir dieses Wissen anzueignen. Mich frustriert diese motorische Einschränkung bei der digitalen Behandlung von Bildern total. Wenn man ein Bild drehen will, dreht man es nicht einfach mit den Fingern, sondern muss das richtige Werkzeug und den richtigen Auswahlmodus und den richtigen Griff kennen. Das alles während ich vor einem zweidimensionalen Bildschirm sitze.
Es liegt mir nicht.

[Sonntag, 25.4.2021 – Markustag]

Ich habe heute Namenstag. Es ist Markustag. In meiner Kindheit spielte dieser Tag durchaus eine Rolle, da er oft als Referenz für eine Zeitangabe galt, ich glaube das bezog sich immer auf die Bewirtschaftung der Felder auf den Bauernhöfen. Man musste etwas vor dem Markustag erledigt haben oder man durfte erst nach dem Markustag damit beginnen. Bis vor Kurzem wusste ich gar nicht genau, was der Markustag bedeutet, außer, dass es der Tag ist, an dem der heilige Markus im Kalender vermerkt ist. Aber jeder Tag hat einen Heiligen, so ist der 24.4. der Theodortag und der 26.4. der Cletus-Tag. Und so weiter.
Mittlerweile weiss ich, dass der 25.4. den Rang eines christlichen Festes hat und, dass der Markustag in Libyen sogar ein Hochfest ist. Außerdem ist es der letztmögliche Ostertag. Das ist eine typische Millionenfrage bei Günther Jauch. Sollte man sich vielleicht merken. Außerdem ist der Markustag in Italien ein Staatsfeiertag. Allerdings nicht wegen San Marco, sondern wegen der Befreiung von den Faschisten. Als ich noch in Südtirol wohnte, hatte ich am Markustag immer frei. Deswegen ist der Markustag bei mir so präsent. Außerdem bekam ich zum 25. April jahrelang immer eine Postkarte von meiner verrückten Tante. Egal wo ich wohnte, ich bekam immer eine Karte von ihr. Eigentlich total lieb, aber im Umgang war sie eher sehr anstrengend. Verrückt war sie nur im medizinischen Sinne. Weil sie aber einen Wahn hatte, einen regelrechten Liebeswahn mit der Heiligen Maria, fiel das nie so auf und liess sich immer ganz gut verstecken. So hatte man wenigstens jemanden, die in der Kirche putzte und ständig alle möglichen Dinge tat, die sonst niemand machen wollte. Sie wurde aber von Jahr zu Jahr verrückter und war ständig mit wechselnden Teilen der Verwandtschaft zerstritten. Auch wenn ihre Postkarten zu meinem Namenstag immer lieb waren, und sie mich, im Gegensatz zu meinen Schwestern, auch immer bevorzugt behandelte (was mir aber sehr unangenehm war), kümmerte ich mich sehr wenig um eine Bindung zu ihr. Oder wenn es unter uns bleibt: ich mied sie, wenn es ging.
Während ich es jetzt hier aufschreibe, tut es mir schon leid.
Irgendwann muss sie dann aktiv beschlossen haben: nein, dem Markus schreibe ich keine Karten mehr zum Namenstag. Und dann hörte es mit den Karten auf. Ich weiss gar nicht mehr, wann das war. Vielleicht vor zehn Jahren.

So viel zum Heiligen Markus und seinem Jahrestag. Als Kind war das schon ein kleiner Geburtstag. Man bekam Glückwünsche, allerdings keine Geschenke. Also eher ein sehr, sehr (sehr, sehr) kleiner Geburtstag. Meine Eltern rufen mich immer noch an. Sonst aber niemand mehr. Nur meine Frau beglückwünscht mich. Die macht das aber weil sie es schrullig findet.

[Montag, 26.4.2021]

Also falls sich jemand wundert: über Hertha rede ich gerade nicht. Ich versuche mir gerade eine gute Laune einzureden während um meinem Herthadorf herum die Flammen brodeln. Die Luft riecht brenzlig. Ich sitze auf meinem Stuhl. It’s all fine.

Nächste Woche Montag geht es weiter. Das erste Spiel nach der coronabedingten Zwangsunbterbrechung. Erst dann schaue ich in meinem Cockpit nach, ob es über einen Panikknopf verfügt.

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In einem der Calls dauerte es fünf Minuten, bis alle Teilnehmerinnen answesend waren. Währenddessen begann ich über Hafer reden. Irre spannendes Thema. Ich musste mich sehr bremsen, aber die Leute schien es zu interessieren. Und immer wieder die sich mir so aufdrängende Frage: warum haben unsere Vorfahren nicht Haferreis erfunden? Und die andere Frage: warum ist Hafer nicht Bestandteil der europäischen Küche?

Während wir so über Nahrung reden und auch über vegane Ernährung, reden wir über Sojageschnetzeltes und dass es sich immer falsch anfühlt, Fleisch zu ersetzen, vor allem wenn man es mit Soja ersetzt. Ich erzählte, dass wir einmal Bolognese mit Sojabrocken zubereitet hatten und das ganz OK schmeckte, aber dieses Gefühl, etwas nachzustellen, bleibt. Dann lieber nur mit Gemüse – und während ich das so sagte, kam der Gedanken in mir auf: oder durch Hafer!

Das muss auch funktionieren. Hackfleisch durch ganze Haferkörner zu ersetzen. Der Proteinanteil ist der Gleiche, es hat zwar mehr Kohlenhydrate und ein paar mehr Kalorien, aber das ist ja egal.
Ich schlug das gleich in Google auf, ich wollte wissen, ob ich der erste war, der an sowas dachte, Patzbumm, natürlich nicht. Es gibt sehr viele Rezepte mit Bolognese aus Hafer.
Ich bin immer glücklich, wenn ich entdecke, dass ich nicht der erste bin. Auch wenn es sicherlich mal cool wäre, der erste mit einer Idee zu sein, so überwiegt aber dennoch die Freude darüber, Ideen mit dermaßen viel Hand und Fuss zu haben, dass es auch andere Menschen gibt, die sie hatten. Es fühlt sich immer an, wie der Beginn einer Bewegung.

Ja, ich neige dazu, Obsessionen zu entwickeln.

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Meine Gewichtsabnahme stagniert ziemlich. Ich hänge seit Februar bei ungefähr -15 Kilo fest. Mit Schwankungen zwischen 1 und 2 Kilos. Vielleicht ist das auch normal. Dass der Metabolismus sich versucht an die neuen Umstände zu gewöhnen, oder so. Wenn man über sowas nachdenkt, dann sprudeln die hahnebüchernen Theorien ja direkt aus einem heraus. Bei Nahrung kann man sich alles immer irgendwie esoterisch zusammenreimen. Deswegen gibt es vermutlich so viele Diätratgeber.

Inzwischen versuche ich mich mit Sport zuhause. Bauchmuskeltraining, Rücken, Beine, Oberarme, Youtube ist voll davon.
Die Haut ist einigermaßen strapaziert, von den vielen Jahren Übergewicht. Es geht noch, aber ich merke, dass die Haut nicht mehr so straff ist, wie in den Zeiten, als ich ein muskulöser Jüngling war. Aber wenn ich am Bauch nochmal fünfzehn Kilo abnehmen sollte, dann muss ich vielleicht mal bei Korsettläden vorbeischauen um zu sehen ob es welche gibt, die zu meiner Augenfarbe passen.

Also Sport. Möglicherweise kann ich das ja ein bisschen durch Sport abfangen. Ich habe jetzt zusätzlich mit einer täglichen Plankchallenge begonnen. 1 Minute Plank. Jeden Tag eine andere Variante. Ich kann Plank ganz gut. Ich mache oft 40 Sekunden. Ich hasse es jedes mal. Aber seit ich gelesen habe, dass Plank so etwas wie eine rumdum-super-Übung ist, muss ich es immer wieder tun.

In der Einleitung der Übung wird gesagt: Planks werden durch Übungen nicht leichter.
Ich sehe schon, das wird eine lange Hassbeziehung.

[Dienstag, 27.4.2021 -Königstag]

Heute ist niederländischer Königstag. Als ich in den Niederlanden wohnte, hiess der Königstag noch Königinnentag. Und Königinnentag war der 30. April. Aber jetzt ist Willem Alexander König und der hat am 27. April Geburtstag.

Ich erwähne das auch um die Besucherinnen dieses Blogs auf Millionenfragen vorzubereiten.

Aber vor allem habe ich heute keine Calls mit meinen Kolleginnen aus Amsterdam. Es entfallen 80% meiner Calls, die Hälfte meiner Kontakte in Slack sind dunkel, Mails die ich an Dienstleister schicke, kommen mit automatischen Nachrichten zurück.

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Heute war ich früher zuhause, nicht wegen des Königstages, sondern weil ich Lebensmittel bestellt und dabei ein ungünstiges Zeitfenster ausgewählt hatte. Natürlich kam die Lieferung nicht am Anfang, sondern ziemlich am Ende des Zeitfensters.
Eigentlich hatte ich viel vor, ich wollte mit meiner Schwester telefonieren, dann wollte ich einen alten Text überarbeiten und sobald es dunkel sein würde, wollte ich noch runter auf die Strasse gehen um mit meinem blauen Squeezer einen Unioner Vandalen unschädlich machen.

Ich habe schon länger nicht mehr über meine Auseinandersetzung mit dem Unioner berichtet. Der hat ja die Telekomkästen in meiner Strasse rot und weiss angesprüht. Und ein FCU drangemalt. Das geht natürlich nicht. Ich habe das FCU über Monate hinweg konsequent mit Hertha-Stickern überklebt. Da der Unioner ein bisschen lahm ist, dauert es immer mehrere Tage, bis er die Sticker entfernte. Wenn sie weg sind, klebe ich aber sofort wieder Herthasticker dran. Ein Kampf, den er verliert, ich bin zu schnell und ich halte meine Strasse sauber. Da ich mich radikalisiert habe, bin ich jetzt im Besitz von größerem Geschütz. Ich habe Profimaterial gekauft, Stifte, die dicke Farbe auftragen. Seitdem, ist das FCU schlichtweg eine blaue Fläche geworden. Und auf der weissen Fläche steht HERTHA bzw auf anderen steht 4:0 oder 3:1. Das ist das Spielergebnis der letzten Siege. Union spielt zwar gerade wesentlich besser und Hertha ist in einem ganz miesen Zustand. Das ändert aber nichts daran, dass meine Strasse sauber bleiben muss.

Vor drei Tagen war der Unioner wieder in der Strasse und hat jetzt alle meine Korrekturen auf den Kästen grossflächig übersprüht. Das kann ich natürlich nicht so stehen lassen.

Aber dann kam der Lieferdienst so spät und wie schauten das sehr amüsante „Schitt’s Creek“ und plötzlich war es Zubettgehzeit.

So ist das manchmal.

[Mittwoch, 28.4.2021 – Anita Lane, mit Fussballfreundinnen]

Es trifft mich immer sehr, wenn jemand stirbt, dessen Musik mich über viele Jahre begleitet hat.
Anita Lane ist gestorben. Diese mysteriöse, poetische Schönheit, die sich immer im Schatten der Badseeds und der Neubauten aufzuhalten schien, mit Gudrun Gut, Mick Harvey Lydia Lunch, in diesem Kreuzberg der Achtzigerjahre, wo sie neben anderem auch Stranger than Kindness schrieb.
Als Anfang der Neunziger Dirty Pearl rauskam, war das für mich gleichbedeutend als würde es ein neues Bad Seeds Album geben. Ich glaube, ich war immer ein bisschen verliebt in sie.

Der Spiegel schreibt zu ihrem Tod.

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Nach der Arbeit treffe ich mich mit meinen Fussballfreundinnen im Tiergarten am Potsdamer Platz. Eigentlich dürfen sich zur Zeit ja gar nicht mehr als zwei Haushalte treffen. Das hatten wir erst später herausgefunden. Ich schaue so selten nach den Regeln, ich habe ohnehin immer das Gefühl, mich in der Pandemie besser zu verhalten, als die Regeln es mir vorschreiben. Irgendwie habe ich auch das Gefühl von Menschen umgeben zu sein, die das genau so handhaben.

Es ist schön in der Sonne. Die große Wiese an der westlichen Seite ist von riesigen Nebelkrähen bevölkert, die Fressbares aus den Mülleimern ziehen.

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Als ich nach Hause komme höre ich Anita Lane. Seltsam, dass sie keinen deutschen Wikipedia Eintrag hat.

Jesus almost got me

Four Days (aus: der Krieger und die Kaiserin)

The Worlds’s A Girl

Harley Davidson (Gainsbourg Cover)

I Love You Nor Do I.
Mit Nick Cave. Ich mag diese Version lieber als das französische Original.

Do The Kamasutra
„I turn the lights off and turn the city on“

[Donnerstag, 29.4.2021]

Einer der Mitarbeiter ist heute das erste Mal mit dem Fahrrad in den Regen geraten. Er kommt aus den USA und es ist sein erstes Fahrrad in Berlin. Er will jetzt den Arbeitsweg mit dem Fahrrad bewältigen, aber es ist ein Rennrad und es hat kein Schutzblech. Seine Jacke und seine Hose sind mit Schlammflecken übersät.
Ich erzähle ihm von meiner Fahrradwerkstatt, in der mir empfohlen wurde, Schutzbleche durch eine Plastikflasche zu ersetzen. Das war natürlich nur für Notfälle gedacht. Ihm gefällt die Idee. Er holt sein Fahrrad hoch in die Büroküche und wir schneiden gemeinsam zwei Plastikflaschen zu einem Schutzblech zurecht. Er ritzt sich sogar kleine Haken in die Seite, damit er sich das Plastikflaschenschutzblech in den Sattel einklemmen kann.

Nach einer Probefahrt muss er feststellen: klappt nicht.
Man müsste fünf oder sechs solche Flaschen aneinanderstecken und das hält sicherlich nicht.

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Der CEO und ich laufen heute bei unserem wöchentlichen Gespräch durch den Park am Gleisdreieck. Die Sonne scheint, ich trage nur eine leichte Jacke mit T-Shirt. Als ich rein gehe, tippe ich. Ich tippe weiter. Ich bin in eine Datei vertieft, in der ich versuche die großen Tech-Themen auszuformulieren, es sind die Notizen, die ich in den letzten Tagen mit den Teams zusammengetragen habe, ich versuche mir ein Bild zu machen, die Abhängigkeiten zu skizzieren, ich bringe sie in einer Matrix unter um sie vorläufig zu priorisieren. Es ist diese Art von Arbeit in die man sich vertieft, die man nicht flockig nebenher abträgt, wo man Dinge umstellt, wieder umstellt, löscht. Und plötzlich denke ich: es ist schon dunkel. Haben wir nicht gleich Mai? Ist es schon nach acht Uhr? Wie kann das sein, dass schon Nacht ist? War ich so sehr in der Arbeit vertieft, kaum möglich. Ich schaue aus dem Fenster. Alles finster. In dem Moment stürzt Wasser und Hagel vom Himmel.

Nur zehn Minuten lang. Zehn Minuten später scheint wieder die Sonne.

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Weil ich gestern Anita Lane gehört habe, bin ich nicht mehr rausgegangen um den rot-weiss gesprühten Telekomkasten mit blauer Farbe zu säubern. Das habe ich dann heute erledigt. Es ist nicht schön geworden. Aber die Farbe zählt.

Anita Lane war die letzten Jahre übrigens mit einem Journalisten liiert. Das stand in ihrem englischen Wikipedia Artikel. Mit Link zum Wikipedia Eintrag ihres Mannes. Bei ihrem Mann gibt es keine Erwähnung dazu. Auch so ein Ding. Ich habe öfters beobachtet, dass in Wikipediaeinträgen von Frauen so gut wie immer der Partner erwähnt wird, sowie auch die Anzahl der Kinder. Bei Männern: eher nicht.