[Di, 18.6.2024 – Nordkapreise Tag2, nach Gävle]

Heute fuhren wir dann einmal von der schwedischen Westküste hinauf zur Ostküste bis nach Gävle, etwa 100km nördlich von Stockholm. Eine sechseinhalbstündige Autofahrt. Es ist wesentlich weniger ermüdend, wenn man sich beim Fahren abwechseln kann.

Nach zwei Tagen intensivem Kontakt merke ich vor allem, dass wir ganz unterschiedlich empfinden. Wir fühlen komplett anders und richten auch unser Handeln entsprechend aus. Ich kann es noch nicht ganz verschriftlichen, es war heute nur meine vorherrschende Empfindung. Es muss nicht schlecht sein, wir haben beide Tage im Auto fast durchgehend gequatscht, aber wir fühlen eben völlig anders.

Wenn man in Schweden unterwegs ist, sieht man regelmässig braune Schilder mit einem sogenannten Schleifenquadrat. Dieses Schild deutet auf eine Sehenswürdigkeit hin. Während ich das meinem Vater erklärte, sah ich eines dieser Schleifenquadrate am Horizont auftauchen und in dem Moment fiel mir auf, dass ich eine Pause nehmen könnte und so riss ich das Steuer um und folgte dem Strassenschild.

Es handelte sich in diesem Fall um das alte Silberbergwerk bei Sala. Ich hatte noch nie davon gehört. Es ist eine ziemlich grosse Siedlung mit Arbeits- und Verwaltungshäusern samt Stollentürmen. Die Mine war zwischen dem 15. Jahrhundert und 1908 in Betrieb. Eine ziemlich ästhetische Aneinanderreihung von Holzhäusern und Holztürmen. Die ganze Siedlung wurde in ein Freilichtmuseum umgewandelt, man kann auch Führungen durch die Stollen buchen. Es war ein unerwartet schöner Ort für eine Pause. Zuerst liefen wir etwas planlos über das Gelände und schossen Fotos. Danach setzten uns in den Garten des Museumscafés in die Sonne.

Über grossen Teilen des Binnenlands lag eine schwere dunkle Wolke. An den Enden sah man immer die Sonne, aber die Wolke begleitete uns lange. Der Regen stürzte manchmal herab und man musste die Geschwindigkeit drosseln. Manchmal schien dabei die Sonne.

Am späten Nachmittag kamen wir in Gävle an. Mein Hotelzimmer ist für Hundehalterinnen bestimmt. Es stinkt und der Teppichboden ist schmutzig. Das Zimmer ist sehr klein, es hat den Charme einer Abstellkammer. Mein Vater hat hingegen ein schönes, grosses und sauberes Zimmer bekommen. Die Rezeption ist nicht mehr besetzt, ich muss da einfach durch.

Dann gingen wir in die Stadt, wir besuchten die Altstadt, das sind ein dutzend mit kleinen, bunten Holzhäusern bebauten Gassen. Die Hündin freute sich über die vielen neuen Hundegerüche an den Strassenecken. Danach suchten wir uns etwas zu essen und fanden ein Restaurant, in dem wir varmrökt Lax bestellten. Das ist warmgeräucherter Lachs.

Zu Beginn der Reise hatten wir uns vorgenommen, keinen Alkohol zu trinken. Mein Vater nahm sich auch vor, kein Fleisch zu essen. Da ich selber wenig Fleisch esse, wollte ich mir die Fleischvorgabe eher nicht geben, sondern situativ entscheiden. Dass mein Vater allerdings keinen Alkohol mehr trinkt motivierte mich auf eine ungewohnte Weise, es ihm gleich zu tun. So sassen wir da am Tisch und ich wusste nicht so recht, was für ein Getränk ich bestellen sollte und entschliess mich schliesslich für, naja, Wasser.

Weil es erst sieben Uhr abends war, fuhren wir noch einmal die Stadt hinaus zu einem kleinen Strand an der Ostsee. Um die Ankunft an der Küste mit einem Finger im Wasser zu besiegeln. Mein Vater wusste nicht, dass die Ostsee kein Salzgewässer ist. So führten wir beide den Zungentest durch. Ich kann mich erinnern, dass die Ostsee bei Usedom ziemlich salzarm schmeckt, sich aber trotzdem noch wie Meerwasser anfühlte. Ich hatte gelesen, dass die Ostsee immer salzloser wird, je weiter sie sich von Dänemark und der Nordsee entfernt. Hier schmeckte sie wirklich nur noch wie ein leicht gesalzenes Süsswasser. Am Strand den wir besuchten wuchs teilweise auch das Schilf, als wäre es ein brandenburgischer See.

Es wird hier nicht mehr richtig dunkel. Kurz vor Mitternacht gehen zwar die Strassenlanternen an, aber es würde sie nicht brauchen. Leider kann ich kein Foto von den Lichtverhältnissen schiessen. Vor dem Fenster scheinen die Strassenlaternen und ich bin zu müde, um noch auf die Dachterrasse zu steigen. Ich möchte in den nächsten Tagen aber das Licht realitätsgetreu dokumentieren, sofern mir das gelingt.

[Mo, 17.6.2024 – Nordkappreise Tag 1]

Wir fuhren um acht Uhr los, damit wir die Fähre um 11:15 in Rostock erreichen. Das ist eine Fahrt mit fast einer Stunde Puffer. Man weiss nie, was auf der Strecke passiert und wenn man die Fähre verpasst, dann muss man zwei Stunden warten, deshalb plane ich für die Rostockfähre immer genügend extra Zeit ein. Ich warte immer gerne am Fährhafen, das Warten auf der Fähre weckt bei mir Reisegefühle. Die Möwen, die Autos, die Meerluft, das Wasser, über das ich bald in ein anderes Land gebracht werde.

Ich weiss noch nicht ganz, welche Rolle ich meinem Vater in diesem Reisebericht geben werde. Entweder bin ich stockehrlich und reflektiere auch unsere Beziehung bzw unsere nicht existierende Beziehung, aber dann sollte ich ihm besser verschweigen, dass ich das alles im Internet protokolliere. Er kennt dieses Blog nicht. Bzw hat er schon einmal davon gehört, aber ich glaube nicht, dass er weiss, wie man es findet. Er sucht bei Google immer via Spracheingabe und lässt sich die von Google kuratierte Antwort vorlesen. Wenn sein Sprachbefehl keine vorgelesene Antwort liefert, sondern einen Webbrowser öffnet und die Google Ergebnisliste zeigt, dann sieht er die Suche als missglückt an und ändert seinen Sprachbefehl. Finde ich megasüss.

Alternativ könnte ich ihm einfach seine lustige Rolle zuschreiben, und die Reise mit dieser Perspektive auf ihn erzählen. Und ihn vielleicht auch so darstellen, wie er sich gefallen würde. Dann könnte ich Stories auf Insta mit dem Bloglink versehen und er würde es alles nachlesen. Oder sich vermutlich vorlesen lassen.
Aber das wäre etwas zu oberflächlich.

Oder ich mache eine Mischung aus beidem. Ein bisschen lustig und ein bisschen privat. Aber dann zeige ich es ihm lieber nicht. Ach ich weiss nicht. Ich hatte heute viele Gedanken auf der Fahrt. Wir schnitten viele Themen an, aber gingen nie in die Tiefe, was aber auch okay war. Ich muss wirklich nichts aufarbeiten. So waren die Väter früher halt. Ein bisschen abwesend und ein bisschen zu sehr auf ihre Arbeit und ihr Leben fokussiert, mir sind die vergangenen Fehler eher egal, ich möchte eher sehen, ob uns noch etwas verbindet und dass man ein paar gute Dinge gemeinsam erlebt und vielleicht viele gute Erinnerungen übrig behält. Er ist jetzt 75, ich denke nicht, dass wir noch zwanzig Jahre Zeit haben, eine solche Reise zu unternehmen.

Auf der Fähre nahmen wir Selfies im Wind. Ihm gefällt es, mal in eine ganz andere Richtung zu fahren. Unterwegs im Auto will er Tante Zita anrufen. Tante Zita betet nämlich jeden Abend für mich. Tante Zita spinnt ein bisschen und ist einem religiösen Wahn verfallen, aber sie ist lustig. Als wir sie auf der Freisprechanlage haben erzählt mein Vater mit grosser Geste, wo wir uns gerade befinden, in Dänemark und gleich fahren wir auf die nächste Fähre. Es klingt aus seinem Mund, als würden wir die Weltmeere besegeln.

Danach rufen wir seinen Bruder Onkel Konrad an. Es folgt ein ähnlicher Monolog. Onkel Konrad war aber sehr interessiert und stellte Fragen, bei denen man merkte, dass er sich schon einmal damit auseinandergesetzt hat. Er fragte sich nämlich, warum wir nicht die direkt Fähre nach Schweden genommen hätten, er dachte nämlich, das ginge schneller. Es wunderte mich. Ich glaubte bisher immer, Onkel Konrad hätte das Dorf, in dem er wohnt, noch nie verlassen.

Auf der Fahrt will sich mein Vater alles von mir erklären lassen. Wie man das A mit dem Kringel ausspricht, ob das Ö auf Schwedisch so klingt wie das deutsche Ö, warum die Häuser alle Rotweiss sind, und wie das mit der Isolierung läuft undsoweiter. Ich kann fast alles beantworten.

Wir fahren zu unserem Häuschen im Wald. Das Gras ist mittlerweile kniehoch, es müsste demnächst gemäht werden, aber das mache ich erst im Juli, wenn ich wiederkomme.
Unterwegs hatten wir uns Tagliatelle und Tomatensauce gekauft. Da ist mein Vater wieder voll der Italiener. Danach spazieren wir runter zum Fluss, ich zeige ihm alles, er ist sehr neugierig und aufgeschlossen. Dann werfen wir Ball mit der Hündin. Sie hatte heute wirklich nicht viel Bewegung, ich bin gespannt, wie sie die Reise mitmacht.

Mein Vater schaut immer auf die Uhr und prüft, wo sich die Sonne befindet. Dass die Sonne fast im Norden untergeht, findet er fantastisch. Er textet Freunde in Südtirol an und fragt, wie dunkel es dort ist. Dann schickt er Selfies mit Abendsonne im Gesicht. Er erinnert mich an eine kindliche Version von mir selber. OK, das „kindliche“ kann man vielleicht streichen.

[Fr, 14.6.2024 – Wasservögel, Nationalschiessen]

Heute zum Tierarzt gefahren, um die Hündin zu entwurmen, weil sie einen Stempel in ihrem Ausweis benötigt. Der norwegische Zoll verlangt eine aktuelle Entwurmung und eine Tollwut Impfung. Den Nachweis der Impfung hat sie, das ist wie bei uns Menschen, es gibt Impfpässe für Hunde. Aber Entwurmungen sind dort in der Regel nicht vermerkt. Danach noch mal ins Urbankrankenhaus für eine Nachuntersuchung gefahren. Dann mit der Hündin dort am Ufer spaziert. Schwäne und Enten besucht. Das erregte sie sehr, sie lief am Ufer hin und her und wollte nach den Enten schnappen. Die beiden Enteneltern kamen an sie heran und schnatterten wild. Es klang nicht sehr bedrohlich, aber sie verhielten sich herzerwärmend aufopfernd. Zum Glück ist die Hündin wasserscheu. Im Hintergrund schwammen grosse Schwäne, die mit strengem Blick die Szenerie kontrollierten. Dann brachte ich sie weg vom Wasser und wir setzten uns ein paar Meter weiter oben in die Wiese, wo ich sie zur Beruhigung zwang. Sie kühlte schnell ab und so schauten wir eine ganze Weile den Vögeln zu.

Danach plante ich den Rest der Rückroute aus Norwegen. Die letzten drei Stationen hatte ich noch offengelassen, da ich mich nicht für eine Route entscheiden konnte und mittlerweile auch die meisten Unterkünfte schon ausgebucht sind. Aber heute wählte ich einfach eine Route, die am 26.6. in Malmö enden wird. Die Rückfahrt besteht aus mehreren 8- bis 9-stündigen Fahrten. Die Gegend südlich von Östersund wird als sehr langweilig bezeichnet. Ich freue mich sehr darauf.

Am Abend schalteten wir kurz das Nationalschiessen an. Das Eröffnungsspiel Deutschland gegen Schottland. Da wir schon oft nach Schottland gefahren sind und dieses Land lieben, wäre es offensichtlich gewesen, mit Schottland zu sympathisieren. Aber ich kann mich für dieses affige Duellieren der Reisepässe, Staatsgrenzen und Nationalklischees einfach nicht erwärmen. Erst recht nicht, seitdem die Nationalisten überall erstarken. Die Begeisterung meiner Frau erreichte immerhin 20%, aber als Wirtz das 1:0 schoss und überhaupt der 80-Millionenstaat den 5-Millionenstaat förmlich erdrückte, verflog das Interesse wieder, also schalteten wir aus.

Morgen am Abend wird mein Vater kommen. Es gibt noch viel zu erledigen.

[Do, 13.6.2024 – ich fühle gar nichts, Hundedöner, Junisonne]

Morgen beginnt schon die Europameisterschaft. Ich fühle gar nichts. Nichts regt sich in mir. Meine Frau will das Eröffnungsspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Schottland schauen. Meine Frau will ein Fussballspiel schauen. Ich wundere mich sehr.

Zu Mittag ging ich mit einer Fanclubfreundin und unseren Hunden spazieren. Sie hat eine Dackel-Dame. Unsere Tiere sind friedlich, sie ignorieren einander aber nach Kräften. Die Freundin hat eine alkoholkranke Mutter und wurde ihr ganzes Leben praktisch psychisch missbraucht. Darüber berichtet nun das ZDF in einer Dokureihe über Kinder von alkoholkranken Menschen. Seitdem die Eltern das wissen, haben sie den Kontakt zu ihr abgebrochen. Zwar suchten sie auch vorher nur den Kontakt um sie beschimpfen. Jetzt ist der Faden glücklicherweise gerissen. Sie sagt, dass es ihr seitdem besser geht.

Meine Hündin verschwand auf dem Spaziergang hinter einem Busch und war nicht mehr abrufbar. Das ist kein gutes Zeichen. Als ich sie fand, versuchte sie in Eiltempo einen riesigen Döner zu verschlingen. Sie war so gierig, dass sie versuchte, das ganze Ding zu verarbeiten. Ich konnte ihr das meiste aus dem Mund nehmen. Man weiss nie, was in solchen weggeworfenen Dönern drin ist. Meine Hand roch auf dem ganzen Spaziergang nach Hühnchendöner.

Den Rest des Tages arbeitete ich an dem Hausbesetzertext. Ich merkte allerdings, dass ich in meinem neuen Bürostuhl nicht lange sitzen kann. Er sorgt bei mir für schwere Beine. Vermutlich hat das mit der Sitzfläche zu tun, er ist an einer Stelle etwas halb-vorne zu hart. Ich weiss jetzt nicht, wie ich das kurzfristig lösen kann, aber ich denke, dass ich bald einen anderen Bürostuhl anschaffen werde. Das ist sehr ärgerlich, der Stuhl ist nicht mehr ganz neu, ich kann ihn also nicht mehr zurückgeben, er fühlte sich nie ausnahmslos richtig an, aber jetzt, an langen Sitztagen, fällt mir der Makel deutlich auf.

Am Abend sass ich mit meiner Frau lange auf dem Balkon. Wir öffneten uns ein paar Biere und schauten der sanften Junisonne zu, wie sie sich auf die Sonnenwende zubewegt. In acht Tagen ist es so weit. Zur Sonnenwende werde ich etwas südlich von Jokkmokk stehen und der Sonne zusehen, wie sie um Mitternacht den Horizont streift.

[Mi, 12.6.2024 – Kabel, Kleidung, Klimazonen]

Weiterhin Militärpodcasts gehört. Und ich war wieder shoppen. Diesmal vor allem Elektronik. Am Ende des Shopping-Tages ging ich mit einem Kabel nach Hause. So ist das.

Ich kaufte auch eine Übergangsjacke. Übergangswetter kenne ich so gut wie gar nicht. Wenn der Winter vorbei ist, dann beginnt für mich sofort T-Shirt- und Kurzehosenzeit. Aber für Wetter wie gestern oder heute bin ich nicht wirklich gerüstet. Ich fror etwas, aber es war nicht kühl genug, lange Hosen und Winterjacken hervorzuholen.

In diesem Zusammenhang wurde mir in Bezug auf die bevorstehende Reise etwas bange. Wir werden am Montag in einem 27 Grad warmen Berlin starten und ziemlich alle Klimazonen bis zum Spätwinter durchleben. Am Nordkap misst es aktuell 4 Grad. Nächste Woche sollen es 9 Grad sein. Auch wird Regen prognostiziert. Meine Familie ist sehr wetterleidig. Wenn es regnet, ist der Urlaub praktisch versaut. Manchmal denke ich, dass sie gar nicht mit mir verwandt sind. Meinen Vater habe ich dahingehend vorbereitet. Er braucht eine Mütze, zwei unterschiedliche Jacken und auch lange Hosen, falls er die nicht schon trägt. Und eine Badehose, falls wir in die kühle Ostsee springen wollen. Wir werden schliesslich zwei Tage lang immer die Küste hinaufbrummen, bevor es landeinwärts geht. Auch empfahl ich ihm, einen Schlafsack mitzunehmen. Zwar habe ich uns fast immer kleine Hotelzimmer gebucht, aber in zwei Fällen sind es hüttenartige Appartements für Selbstversorger, es ist besser, auf solche Situationen vorbereitet zu sein.

Deswegen die Übergangsjacke. Ohne Futter, aber zwei Lagen Textiltechnologie. Sie sieht sogar modisch aus und sie hält mir Wind und Regen vom Leib. Das ist sicherlich kein schlecht ausgegebenes Geld.

Neuerdings fällt mir auf, dass sich mein Kleidungsstil etwas verschoben hat. Vor zehn Jahren trug ich noch fast ausschliesslich schwarze Hemden, schwarze Jacketts, schwarze Lederschuhe und schwarze Krawatten. In den letzten Jahren trage ich nur noch enge T-Shirts, enge, sportliche Strickjacken, enge Jogpants und Sneakers. Immerhin auch diese in schwarz. Bis auf die meist weissen Turnschuhe. Oder wenn ich eine dunkelblaue Herthajacke trage. Komische Entwicklung ist das. Ich weiss gar nicht, wie das geschah. Es ist aber okay. Je dicker ich werde, desto besser finde ich mich in engen Sporttextilien wieder. Ich laufe bald wie ein bulliger Clanchef durch den Kiez.

[Di, 11.6.2024 – Sicherheitspolitk, Streunen in Konsumtempeln, Nike]

Wie bereits gestern erwähnt, werden nirgendwo Matratzenspenden angenommen. Kann ich verstehen, kann ich aber auch nicht verstehen. Also fuhr ich zur BSR nach Lichtenberg. Was ich mit der dritten, kleineren Matratze anstelle, weiss ich noch nicht. Vermutlich werde ich auch diese entsorgen und für Gäste eine dünnere, rollbare Matratze kaufen, die sich besser verstauen lässt.

Thinking.

Tagsüber war ich shoppen. Bei Galeria Kaufhof und bei Decathlon. Mit einem Podcast auf den Ohren streunte ich ziemlich planlos durch alle Etagen und liess mich von den schönen Konsumwaren betören. Der Podcast handelte vom Militär, er heisst „Sicherheitshalber“. Ich wusste bisher gar nicht, dass ich mich für Sicherheitspolitik interessiere. Auf den Podcast kam ich wegen einer WRINT-Sendung in der Holgi mit Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations sprach, die unfassbar interessante Einblicke in die gegenwärtige Sicherheitslage gab. Sie ist auch Mitglied des Sicherheitshalber-Podcasts, wo es nur um dieses einschlägige Thema geht. Ich kann kaum noch aufhören, denen zu lauschen.

Nebenher suchte ich ganz lose nach einer dunklen Nike Jacke und nach den weissen Nike Air Force 1 Sneakern. In einem kleinen Sneakerladen fand ich die Schuhe und kaufte sie mir. Die weissen Nike Airs, die ich letzten Sommer in Amsterdam spontan kaufte, als ich in ein Schuhproblem geriet, sind mittlerweile ziemlich abgerockt. Zwar behandle ich sie gut, ich gehe niemals damit auf die Hundewiese, aber ich trage sie sonst wirklich immer und es gab auch mehrere unglückliche Momente, in denen sie überstrapaziert wurden. Ich glaube, solche Turnschuhe sind nur für Innenräume konzipiert. Deswegen kaufte ich mir heute ein neues, schneeweisses Paar für die anstehenden Bewerbungsgespräche. Die bisherigen werde ich verwenden, bis sie schwarz sind.

Interessant fand ich auch, dass es weder bei Galeria Kaufhof noch bei Decathlon am Alex Produkte von Nike gab. Lediglich Adidas, Puma und andere Marken. Fussballbekleidung führten sie daher nur von den Bayern, Dortmund und auch dem Schwurblerverein aus Köpenick. Von Hertha, die von Nike ausgestattet wird, gab es lediglich Schals und Anstecker. Also nur Produkte, die nicht von Nike kamen. Auch in der EM2024 Abteilung im Erdgeschoss wurden ausschliesslich Nationalmannschaften ausgestellt, die von Adidas und Puma ausgestattet werden. Ich witterte patriotische Gründe. Ich dachte an einen enttäuschten Einkaufschef der Warenhauskette, der den zukünftigen Wechsel der Nationalmannschaft vom deutsch-chinesischen Adidas zum amerikanisch-chinesischen Nike als patriotischen Verrat abtat und damit Nike komplett aus dem Sortiment entfernte.

Ich fragte in meinem Fanclubchat nach, ob sich das jemand erklären könne. Jemand vermutete, dass das lediglich Verhandlungsstrategie ist. Es würden vielleicht neue Verträge ausgehandelt. Das sei beispielsweise im Lebensmittel Einzelhandel durchaus üblich. Er verwies mich an den Streit zwischen Edeka und Nestlé, der überall in den Medien auftauchte. Dort nahm man auch Nestlé Produkte aus dem Sortiment, nachdem man sich nicht einig wurde.

Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.

[Mo, 10.6.2024 – Wahlen, Volt, Matratzen]

Das Ergebnis der Europawahl war dann wenigstens nicht überraschend. Aber Macrons Auflösung des französischen Parlaments zog mich einigermassen runter. Damit ist nun der Weg für Marine Le Pen freigeräumt. Andererseits sind die Rechten in Skandinavien erfreulicherweise wieder auf dem Rückmarsch.

Abends hatte ich den Kennenlern-Call mit der Volt-Partei. Der Aufnahmeprozess für Neumitglieder verläuft in mehreren Stufen. Heute waren wir in einer Runde mit zehn Leuten. Alle erzählen sie ihre kurze politische Geschichte. Meine geht so: linksradikaler Background, später eher mit grün sympathisiert, aber nie restlos überzeugt gewesen. Da ich nicht wählte, musste ich mich nie wirklich irgendwo im Parteienspektrum zuordnen. Und dann lobende Worte über Volt über die progressiven und pragmatischen Visionen.

Die anderen im Call kommen aus dem Rest der Republik. Es sind es alles ehemalige Grün- oder SPD-Wählerinnen. Das hatte ich nicht erwartet. Ich hatte gehofft, dass sich auch Abtrünnige aus anderen Parteien bei Volt wiederfinden, gerade wenn es um Wirtschafts- Finanz- oder Verteidigungsthemen geht, ist die rot-grüne Blase ja eher immer ein Kindergartenfeld. Man wird sehen, wohin sich die Partei entwickelt, vielleicht wird man sie in 30 Jahren lediglich mit den Anfängen des Bündnis90/Grüne vergleichen. Die historische Einordnung kennt man immer erst später.
Für die ehemaligen SPD-Mitglieder war Olaf Scholz‘ Ernennung als Kanzler der Grund des Austritts. Die Cum-Ex Geschäfte haben viele nicht akzeptiert. Ehemalige Grünwählerinnen hingegen empfinden ihre vormalige Partei als ideologisch, festgefahren und die Ampel tut ihr übriges. Überhaupt Ampel. Bei allen ein Thema.

Der Call dauerte anderthalb Stunden. In den nächsten Tagen wird sich jemand mit mir für ein Einzelgespräch in Verbindung setzen und dann schauen wir weiter. Dieser Einsatz der Leute. Das mag ich. Es ist sicherlich einfach, wenn eine Partei gerade im Wachstum ist und alle noch sehr euphorisch sind. Es gibt dieses Licht.

Ich werde mich künftig also parteipolitisch beschäftigen. Politische Themen kommen in meinen Tagebucheinträgen kaum vor. Ich wurde schon mehrmals gefragt, warum das so ist. Die Tagespolitik spielt schliesslich eine nicht unwesentliche Rolle in meinem Leben. Die Frage kann ich aber nie gut beantworten. Zum einen geht es hier vornehmlich um die Bewältigung des Alltags. Und über politische Themen zu schreiben liegt mir nicht. Das tat ich früher oft, aber ich komme mir beim Lesen meiner politischen Schriften immer etwas fremd vor. Vor allem sind Entscheidungen im politischen Tagesbetrieb immer sehr volatil, einen Tag später darüber zu schreiben ist oft zu spät, die Dinge sind schon verflossen. In meinem täglichen Leben versuche ich vor allem ein besserer Mensch zu sein. Ja wirklich. Richtige Dinge tun, vorangehen und richtige Dinge tun. Auch eine Gelassenheit zutage bringen. Menschen mögen.

Das gelingt mir zum Glück nicht immer.

Was ist sonst noch passiert. Ich fuhr mit der Matratze zum Recyclinghof. Spannend. Bleiben noch zwei Matratzen zum Entsorgen übrig. Die eine ist morgen dran, die andere übermorgen. Wobei ich die Letzte als Gästematratze einsetzen möchte. Sie ist zwar nur 70cm breit, aber einwandfrei, ich nutzte sie auch bisher als Gästematratze und hatte mit dem alten Bett einen geeigneten Ort, sie aufzubewahren. Mit dem neuen Bett habe ich keinen Platz mehr dafür. Ich brauche kurzfristig eine geniale Stauidee dafür. Sonst kommt sie weg.

Und während ich das schreibe, merke ich, dass ich zusehen sollte, die Matratzen zu spenden. Auch die andere ist noch halbwegs intakt. Sie hat nur leichte Flecken, aber sie ist nicht durchgelegen. Wenn ich oben schon schreibe, dass ich ein guter Mensch sein will, dann kann ich mich schon etwas mehr anstrengen. Auch dafür ist das Tagebuch gut. Mich zu ertappen.

Edit: Matratzen werden nirgendwo angenommen. Ich kanns ein bisschen verstehen. Andererseits: In Hotelbetten schlafen wir ja auch.

[So, 9.6.2024 – in nördlicher Breite]

Am Samstagabend feierte ich mit einer Freundin aus dem Fanclub ihren Geburtstag. Heute schlief ich deswegen lange und ich fand mich nicht in der Stimmung, darüber zu schreiben. Es war ein kurzweiliger Abend im „Biergarten am kleinen Tiergarten“ in Moabit. Der Name dieses Biergartens schreit förmlich nach einem Wortspiel, das Wortspielregister bringt allerdings keine brauchbare Wortschöpfung hervor.

Heute früh um 5 wurde ich von der Morgensonne geweckt. Ich zog das Verdunkelungsrollo herunter, das ich sonst wirklich nie verwende. Ich konnte dadurch wesentlich länger schlafen. Vielleicht sollte ich das öfter mal probieren.
Ich bin gespannt, wie das nächste Woche mit der Mitternachtssonne sein wird. Bisher war ich nur im Winter in den arktischen Gegenden oder eben letzten Spätherbst in Longyearbyen. Die nördlichste Junisonne kenne ich sonst nur von unserem schwedischen Sommerhäuschen, aber das ist aus Sicht der Arktis ja fast Südeuropa. Es wird dort zwar nicht mehr richtig dunkel, am Horizont sieht man die ganze Nacht noch einen hellen Streifen, aber es fühlt sich trotzdem noch nach einer Art Nacht an. Nächste Woche ab Mittwoch, werde ich verschiedenen Stufen der Breitengrade und der Junisonne erleben. Das mit den Breitengraden geht so: 0 Grad ist der Äquator, 90 Grad Nord ist der Nordpol, 90 Grad Süd ist der Südpol. Meine Welt sieht so aus:

00 = Äquator
46 = Südtirol
52 = Berlin
57 = Göteborg
66 = Polarkreis
70 = Nordkap
78 = Longyearbyen/Spitzbergen
90 = Nordpol

Ab Breitengrad 56 fangen die weissen Nächte an. Dort beginnt etwa die nautische Abenddämmerung. So kenne ich das auch von unserem Haus in Schweden (Breitengrad 57), ab 60 beginnt die bürgerliche Dämmerung, das bedeutet, dass man im Freien kein künstliches Licht mehr braucht. Der Name kommt wahrscheinlich daher, dass bei diesen Lichtverhältnissen noch die Bürger unterwegs sind und man mit dem Kiffen also besser aufpasst.

Neu wird für mich der Bereich zwischen 57 und 66 sein, also der Bereich zwischen der nicht ganz dunklen Nacht in Västra Götland (57), und dem Polarkreis (66), wo die Sonne gerade überm Horizont bleibt. Ab Stockholm, also Breitengrad 59, kann man nachts auch draussen lesen. In Göteborg habe ich das einmal versucht, ich konnte die Buchstaben in der Zeitung erkennen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich hätte lesen können, zum einen hatte ich meine Lesebrille nicht dabei und andererseits war möglicherweise auch das Schriftbild zu klein und wenn man nachts schlaftrunken auf einen Text schaut, sind die Augen auch schlichtweg noch zu schwach, vor allem in meinem Alter, ich kann es also nicht mit Sicherheit sagen.

Am Mittwoch werden wir in Gävle sein. Breitengrad 60. Ich werde nachts aufstehen, mir die Lesebrille aufsetzen und ein Buch in die Hand nehmen. Die Nacht darauf schlafen wir in Umea, das ist auf 63 Grad. Ich bin auf den Unterschied gespannt. Eine Nacht später sind wir bereits in Jokkmokk am Polarkreis, dort schauen wir dann der Sonne zu, wie sie den Horizont streift. Und die darauffolgenden Tage werden wir im Tageslicht verbringen.

Hier auch eine schöne Grafik, die die Dämmerungen zur Sommersonnenwende zeigt. Aus Wikipedia.

Und so sieht die Reise nächste Woche ungefähr aus:

[Fr, 7.6.2024 – Volt, Europawahl, Leder 6]

Es fiel mir nicht ganz leicht, einzuschlafen, da ich mehrere Stunden über Bilder, Texte und Landkarten von kleinen Orten und Strassen in Lappland sowie der Finnmark verbracht hatte. Mein Kopf hatte sich mit Googlemaps und Wikipedia vollgesogen und projizierte nun Fragmente von Hotels und Hütten in der Tundra, leicht bewaldeten und bergigen Landschaften und ewigen Strassen auf mein Hirn. Das war durchaus schön. Aber auch etwas aufwühlend. Meine Schlaf-App empfiehlt mir oft, vor dem Schlafengehen keine aufwühlenden Dinge zu tun. Ich dachte dabei immer an Streit oder Diskussionen mit Freunden oder Familienmitgliedern. Urlaubsplanung gehört also auch dazu. Das schreibe ich aber nur auf, weils witzig ist. Ich glaube, ich beschäftige mich vor dem Schlafengehen immer mit aufwühlenden Dingen.

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Weil ich italienischer Staatsbürger bin, werde ich bereits heute für die Europawahl wählen. In Italien wird heute und morgen gewählt, nicht Sonntag.

Es ist das zweite Mal in meinem Leben, dass ich wähle. Das erste Mal war ich achtzehn Jahre alt und ich wählte Rifondazione Communista. Das fand ich damals richtig und wichtig. Heute würde ich die niemals mehr wählen. Danach zog ich in die Niederlande und ich hatte mit der italienischen Politik nichts mehr zu tun. Der Grund, warum ich in Deutschland die Staatsbürgerschaft erlangen will, hat fast ausschliesslich mit dem Wahlrecht zu tun. Ich konnte bisher nie jene Politikerinnen wählen, die über meine lokalen Belange entscheiden. Ausserdem empfinde ich das politische Geschehen schon seit einigen Jahren ziemlich festgefahren und visionslos. Ich bilde mir ein, dass ich das mit einer deutschen Staatsbürgerschaft eher beeinflussen kann. Und natürlich will ich die Rechten verhindern.
Ehrlicherweise gibt es aber keine Partei, der ich mit grosser Freude meine Stimme geben würde. Am nähesten stehen mir vielleicht die Grünen. Aber die Grünen, die eigentlich einem liberalen Geist entsprangen, sind mir zu Konservativ, zu wenig liberal, wie mir eigentlich alle Parteien zu konservativ sind, die SPD sowieso und erst recht alle anderen Parteien. Wenn man die FDP in gewisser Hinsicht aussen vor lässt. Aber die FDP ist auch nur bei Wirtschaftsthemen liberal und bevor ich diese Besservedienerpartei wähle, wähle ich lieber die SPD.

Vor einigen Wochen fing die Partei namens VOLT meine Aufmerksamkeit ein. Sie sind nach eigener Aussage sozialliberal, progressiv und europäisch. Sozialliberal und progressiv sind Schlagworte, die mir im üblichen Parteienspektrum völlig fehlten. Nach dem Lesen ihrer Mission finde mich zu 95% in all dem wieder, wofür sie stehen. Und mir gefällt die Tonalität sowie das Auftreten. Und es ist die einzige, wirklich europäische Partei. Weil ich auch noch nie Mitglied in einer Partei war, registrierte ich mich heute kurzerhand.

So. Ich bin jetzt Mitglied in einer Partei. Ich bin Volt Parteimitglied.

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Um 17Uhr öffnete das Wahllokal der italienischen Botschaft in der Hiroshimastrasse 1 am Tiergarten. Ich war zehn Minuten früher da. Es gab bereits eine sehr lange Schlange. Nach meiner Ankunft wuchs diese Schlange um ein Vielfaches an. Es dauerte etwa 40 Minuten, bis ich an der Reihe war. Drin gab es vor der Urne noch eine kurze Wartezeit. In den Fluren hingen Kopien des Wahlzettels in Postergrösse, damit sich die Wartenden ein letztes Bild machen konnten. Auf dem Poster konnte ich allerdings kein VOLT-Logo erkennen. Ich erkannte lediglich die Meloni Partei, die Berlusconi Partei, die Lega und die Grünen. Auch die Südtiroler Volkspartei stand zur Auswahl. Fand ich lustig. Die hatte ich ganz vergessen. Aber meine Sorge war nun die VOLT Partei. Wie konnte ich die wählen? Natürlich war ich schlecht vorbereitet, ich hätte es mir denken können, dass eine Wahl kompliziert ist. Also schmiss ich Google an und fand heraus, dass Volt Italia nicht unter eigener Flagge zur Wahl antritt, sondern in einem demokratischen Verbund namens „Partito Democratico“. Das fand ich als stolzes, neues Parteimitglied etwas schwach, aber was weiss ich, warum diese Entscheidung so getroffen wurde, es wird schon valide Gründe haben.

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Auf dem Rückweg kehrte ich bei Flaconi in der Leipziger Strasse ein. Das ist der Flagship Store des gleichnamigen Online Parfumhändlers. Ich las, dass man dort die Parfums von Schwarzlose führt. Vor etwa zehn Jahren bestellte ich einmal ein Probierset von einer Berliner Parfümerie namens Schwarzlose. Mir gefiel der Name des Dufthauses und das Design der Flaschen, ausserdem spielt die Marke mit einer nebligen, dunklen Sinnlichkeit, die Berlin als Stadt angedichtet wird. Die einzelnen Düfte tragen Namen wie „Zeitgeist“, „Trance“, „Rausch“ oder „Leder 6“. Damals suchte ich jedoch nach einer anderen Art Duft als die angebotenen, deshalb beliess ich es beim Probierset.

Nun ist es so, dass der Duft, mit dem ich mich in den letzten Jahren meist parfümiere, den Namen „Russian Leather“ trägt. Es ist eine Weiterentwicklung des „Cuir de Russie“ von Chanel durch das Parfümhaus Molton Brown aus London. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine stört mich aber die russische Referenz. Das mag kleinlich oder kindisch klingen, aber wenn ein Staat bzw. ein illiberaler Staatsmann ein Imperium der russischen Kultur mit Gewalt über andere Staaten bringen will, dann sträubt sich alles in mir, dann will ich jegliche Sympathie, die ich sonst für Russland durchaus in Ansätzen hatte, nicht mehr zum Ausdruck bringen. Dann soll das russische Imperium auch keine positive Konnotation mit diesem rauschig-rauchigen Duft, den ich gerne um mich habe, bekommen.
Ich zeige dir, was ich von deiner russischen Überlegenheit halte.
Deswegen wollte ich mir das „Leder 6“ von Schwarzlose anriechen. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie das roch.

Eine grosse, stilvolle, dunkelhäutige Frau bediente mich. Sie war vielleicht Anfang dreissig, hatte aber den Habitus einer Grande Dame. Ihre Barthaare waren erstaunlich schlecht rasiert. Nicht, dass mich das störte, ich fand es nur erstaunlich, weil sie sonst so stilsicher war und eine elegante Grösse ausstrahlte. Vielleicht ist das aber auch so gewollt, oft ist das Spiel mit der Geschlechtszugehörigkeit ja auch die Provokation. Ich fand es lustig, dass es mich irritierte.

Das „Leder 6“ riecht anders als „Russian Leather“. Es enthält keinen Rauch, es ist feiner, weniger schwer, er riecht in den oberen Noten sehr leicht, ich kann diese Note noch nicht ganz erfassen, ich werde ihn erneut riechen müssen, und im Körper hat er dennoch diese ledrige und harzige Tiefe, es ist ein sehr intimer Geruch. Ich hatte ihn gar nicht als solchen in Erinnerung.

Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile. Sie zeigte mir ähnliche Gerüche, die meisten waren mir aber zu nadelbäumig. Was ich an anderen Menschen durchaus mag, aber an mir selbst nicht besonders.

Ich werde zurückkommen und wieder daran riechen. Neue Düften brauchen immer ihre Zeit.