Nach dem Fitnessstudio ging ich runter zu Thalia, um mir den ersten Band von Karl Ove Knausgårds autobiografischer Reihe zu kaufen. In den Regalen führten sie allerdings nur die letzten drei Romane. Die interessierten mich für einen Einstieg weniger. Ja, ich will jetzt auch wissen, was es mit Knausgård auf sich hat. Deswegen ging ich zur Verkäuferin und fragte sie, ob sie den ersten Band aus diesem sechsteiligen Zyklus vorrätig habe. Sie fragte: „Wie heisst dieses Buch nochmal?“ Ich kann mich nur an den Namen des Zyklusses erinnern, der auf Norwegisch „Min kamp“ heißt, ich kann aber genug Schwedisch, um die Bedeutung des norwegischen „Min Kamp“ zu verstehen, und sagte deswegen in direkter Übersetzung „Mein Kampf“, gleich wissend, dass man in der deutschen Übersetzung aus diesem offensichtlichen Grund einen anderen Titel gewählt hatte. Aber ich konnte den Witz nicht bei mir halten. Die Verkäuferin schien es immerhin lustig zu finden, sie sagte: „Stimmt, da war was.“ Ich sagte: „Ich google das mal“, und sie schaute in ihrem schlauen Computer nach. Der Titel ist „Sterben“. Fängt gut an. Sie hatte von dem Buch nur eine Miniaturausgabe vom BTB Verlag vorrätig. Diese Minibücher im Hardcoverformat. Vor einigen Jahren las ich einmal Murakami in einer solchen Ausgabe. Das fand ich fantastisch, sehr handlich und leicht. Ich mag nämlich keine schweren Bücher. Sie fallen mir ständig aus der Hand und beim Einschlafen ins Gesicht. Das war für mich der Hauptgrund, um auf Ebooks umzusteigen.
Diese Miniaturausgaben sind prima zum Lesen.
Gestern kam auch meine Nachbarin von nebenan vorbei, um ihr Paket abzuholen. Sie ist etwas älter als ich und lebt seit einigen Jahren als Frau. Neulich unterhielten wir uns über katholische Klosterschulen, wodurch wir draufkamen, dass sich durch unsere Biographien durchaus Parallelen ziehen, und so erzählte sie mir von ihrer kürzlich erschienenen Novelle, in der sie über ihre Jugend in der Klosterschule erzählt. Weil der Zufall so lustig war, erwähnte ich natürlich auch meine kürzlich veröffentlichte Novelle.
Normalerweise begegnen wir uns immer nur auf der Strasse. Sie sagte mehrmals: „Lass uns doch mal die Bücher austauschen.“ „Ja, gerne.“ So bot es sich diesmal an. Sie überreichte mir „Fluchttiere„, eine autobiografische Geschichte über sexuellen Missbrauch und über das Coming-out unter schwierigen Bedingungen. Aber es ist auch eine Geschichte über die Liebe. Ich bin sehr gespannt auf das Buch.
Am Abend kam mein Schwager. Wir kochten etwas und tranken ein bisschen was. Danach schauten wir „Living“, einen Film nach dem Drehbuch von Kazuo Ishiguro. Ich verwechsle ihn immer mit der anderen japanischnamigen Berühmtheit Kenzaburō Ōe. Unpraktischerweise sind sie beide auch noch Nobelpreisträger. Während aber nur Kenzaburō Ōe richtiger Japaner ist, ist Kazuo Ishiguro hingegen Brite, nicht gebürtig zwar, aber immerhin seit 65 Jahren. Und zwar ist er der Brite, über den gesagt wird, er schreibe das schönstmögliche Englisch. Ich las vor vielen Jahren „Was vom Tage übrig blieb“. Aber auf Deutsch. Über das schönstmögliche Englisch kann ich daher nichts sagen.
Von Kenzaburō Ōe habe ich hingegen nie etwas gelesen. Allerdings steht ein Buch von ihm im Schrank, es heißt „Tagame. Berlin – Tokyo“ Meine Frau hatte es mir empfohlen. Kenzaburō Ōe ist vorletztes Jahr gestorben. Noch ein Unterschied zu Kazuo Ishiguro. Ein nicht unwesentlicher.
Der Film „Living“ ist ein Remake des japanischen Films „Ikiru“ aus dem Jahr 1952. Es ist ein eindringlicher und berührender Film über einen strengen alten Mann (Bill Nighy). Dieser ist ein hoher Beamter in der Londoner Baubehörde. Ihm wird eine Krebsdiagnose im Endstadium gestellt, die er allerdings niemandem mitteilt, ausser einer jungen Frau, deren Lebensfreude er bewundert. Diese Lebensfreude führt dazu, dass er sich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Energie für den Bau eines Kinderspielplatzes einsetzt. Nach dessen Fertigstellung er schliesslich stirbt.
Es passiert nicht viel in diesem Film. Die Dialoge sind langsam, viel Leerraum. Wir sassen aber bis zur letzten Minute in unseren Sesseln fest.
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