[Mo, 1.12.2025 – Abstand, Royal Kludge, Slim Fit]

Mit dem Freund von der Hundewiese geriet ich wieder in Streit. Wir besprechen immer die politische Weltlage. Weil wir immer schnell in einen Streit geraten, haben wir mittlerweile eine Liste an Themen, denen wir auf unseren Spaziergängen ausweichen wollen. Sogar die Hündinnen halten uns schon für peinlich, wenn wir wieder zunehmend lauter zueinander werden. Es kommen bei jedem Spaziergang neue Themen auf diese Liste. Er wirft mir vor, zu negativ zu sein, und ich werfe ihm vor, zu blauäugig zu sein. Ich komme mit dem Vorwurf, zu negativ zu sein, wirklich nicht gut klar. Der Rest der Welt wirft mir vor, zu optimistisch zu sein, da kann er nicht einfach daherkommen und mir ständig Negativismus vorwerfen. Meine Frau, die unsere fortwährenden Streits mittlerweile kennt, sagt, ich täte mich nur schwer, seine Meinung zu akzeptieren. Das mag sein. Ich bin aber überzeugt, dass er seine Meinung nicht zu Ende gedacht hat und er anders darüber denken würde, wenn er das Problem richtig verstünde.

Es ist vielleicht ganz gut, dass ich mich gerade in Hamburg aufhalte. Wir brauchen ein bisschen Abstand. Oder ich brauche ihn.

Immerhin habe ich jetzt eine neue mechanische Tastatur. Wieder eine Royal Kludge. Sie wurde in einer Discord-Gruppe als die beste Tastatur für Vieltipper 2025 gepriesen. Sie hat eine noch bessere Haptik als meine alte Royal Kludge R75 in Berlin. Diese neue habe ich mir für Hamburg angeschafft, weil ich hier wesentlich mehr tippen werde als in Berlin. Für Hamburg hatte ich ursprünglich meine alte mechanische Redragon mit roten Schaltern mitgenommen. Die Redragon nehme ich oft auf Reisen mit, vor allem nach Schweden, sie hat aber rote Schalter, also ohne taktilen Klickpunkt, außerdem gab sie mir ein merkwürdiges, hohles Tippgefühl, mit dem ich mich nie anfreunden konnte. Das Tippgefühl dieser neuen Royal Kludge C87 ist hingegen dermaßen warm, dass ich den Text wie mit einem feinen Fingerspiel liebkose.

Dumm ist nur, dass es die C87 nur im US-QWERTY-Layout gibt. Das hatte ich in der Eile übersehen. Bevor ich nach Deutschland kam, tippte ich ausschließlich auf QWERTY-Tastaturen, aber damals tippte ich auch keine Umlaute. In Deutschland gewöhnte ich mich dann schnell an das deutsche QWERTZ-Layout. Mit der C87 habe ich jetzt QWERTY-Tasten, aber darunter wird ein QWERTZ wiedergegeben. Das ist weniger schlimm als gedacht, schließlich weiß ich, wo die Tasten liegen, aber die ENTER-Taste macht mir zu schaffen. Die ist im amerikanischen Layout wesentlich schmaler und ich greife deswegen noch ziemlich oft daneben. Da ich sie aber wegen der anderen Vorzüge behalten will, will ich mich aber daran gewöhnen, gewöhnen müssen, und ich bin mir sehr sicher, dass ich mich daran gewöhnen werde.

Und sonst so.

Ich war shoppen. Weil es mich letzte Woche nervte, dass eine Krawatte zu meinen Hemden sehr onkelig aussah, beschloss ich, mich nach engeren Slim-Fit-Hemden umzusehen. Dafür fuhr ich mit der Bahn zum Jungfernstieg. Ich war wirklich lange nicht mehr da. Vor zwanzig Jahren ging ich immer vom Jungfernstieg bis zum Hauptbahnhof, wenn ich ein Hemd brauchte. So machte ich das heute wieder. Allerdings verlief ich mich heute und plötzlich stand ich vorm Alsterhaus. Das ist das KaDeWe des Nordens! fiel mir ein. Also ging ich hinein, fand es aber außergewöhnlich klein, verglichen mit dem KaDeWe. Deswegen fragte ich die KI, ob das auch wirklich das KaDeWe Hamburgs ist. Die KI sagte: „Ja.“

Hemd fand ich da trotzdem keines. Ich mag diese prominent ausgestellten Marken nicht so. Dafür wurde ich später bei Uniqlo fündig. Die sind so smart mit ihren unprätentiösen, aber ausgeklügelten Kleidungslinien. Ich war das erste Mal in einem Uniqlo in London, als es das in Deutschland noch gar nicht gab. Ich fühle mich sehr avantgardistisch, dort einzukaufen. Zwei Wochen später öffnete das erste Uniqlo in Deutschland am Berliner Tauentzien. Ging ich natürlich sofort hin und rümpfte die Nase. Hatte ich alles schon einmal gesehen. Alter Hut.

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Tag 1:

[Sa, 29.11.2025 – Berge, Nachkochen, Winterbeleuchtung]

Die Autobahnstrecke zwischen Berlin und Hamburg kenne ich eigentlich nur im Dunkeln. Ich steige ins Auto, fahre die Prenzlauer hinaus, danach beginnt eine 300 Kilometer lange Asphaltpiste durch die Dunkelheit. Letztens fiel mir auf, dass ich mich in meiner Vorstellung nicht durch eine ebene Landschaft bewege. In Wirklichkeit fahre ich ja durch die norddeutsche Tiefebene, ich wähne mich aber ständig von Bergen umgeben. Sie sind weit entfernt. Es ist, als würde ich durch ein breites Tal fahren. So breit wie das Adventdalen bei Longyearbyen, eine mehrere Kilometer breite Talsohle, die von dramatischen Erhebungen flankiert wird, solche Täler, wie man sie auch aus Filmen, die in Montana oder Wyoming spielen, kennt. Mein Gehirn will sich offenbar etwas Schönes vorstellen, während ich anderen Gedanken nachhänge.

Heute kochten meine Frau und ich erneut das vegane Kohlgericht nach, bei dem wir uns neulich so verstritten. Diesmal kochten wir es so, dass wir die Streitpunkte unserer letzten Kochaktion zuerst in Ruhe ausdiskutierten und erst dann zur Tat schritten. Funktionierte prima. Wir sind ja gar nicht streitsüchtig. Der Erkenntnisgewinn war allerdings gering. Das Essen schmeckte auch nicht besser.

Das Blog war den halben Tag kaputt und ich habe es nicht bemerkt. Ein Plugin meldete, dass es ein Update braucht, also schmiss ich das Update an und verließ das Pensèezimmer. Erst später am Abend sah ich, dass es kaum Zugriffe auf das Blog gegeben hatte, also rief ich die Seite auf und alles war weiß. Das Plugin hatte alles zerschossen. Ich konnte es aber schnell fixen.

Was ist sonst noch passiert? Wir liefen mittags eine lange Runde mit der Hündin. Danach schaute ich Hertha gegen Kiel, was Hertha im fünften Spiel hintereinander gewann. Unfassbar. So muss es sich anfühlen, Bayernfan zu sein. Gerade jetzt kann ich nicht ins Stadion gehen, aber vermutlich ändert es sich bei mir beruflich ab Januar wieder ein wenig, dann bin ich wieder etwas mehr in Berlin. Dann war ich auch beim Friseur. Die Chefin war heute nicht zugegen, deswegen schnitt mir ein junger Mann aus Spanien die Haare. Am Telefon sprach er einwandfreies Deutsch mit Akzent. Als ich bei ihm ankam, fragte er mich, ob ich auch Englisch könne. Ich bejahte. Und dann redete er schlechtes Englisch mit mir. Nach einer Weile wollte ich ihm vorschlagen, Deutsch zu sprechen, aber ich wollte ihn nicht auf sein schlechtes Englisch hinweisen.

Am Abend aktivierten wir wieder die Winterbeleuchtung:

[Do, 27.11.2025 – Mit der A., Firnis]

Heute traf ich meine Freundin Amelie. Es war das erste Mal, dass ich abends wegging, seit ich in Hamburg bin. Das sollte ich auf alle Fälle öfter machen, ich hänge nämlich wirklich ein wenig fest in dieser unwirtlichen Gewerbegegend im Norden der Stadt, und mein Hamburg-Bild verengt sich gerade zu einem verregneten und dunklen halben Quadratkilometer, dessen Ausweg immer der Freitagabend und die Autobahn nach Berlin ist. Ich könnte mich hier auch einfach auf dem Mond befinden, so wenig Hamburg ist das. Dummerweise komme ich von hier auch nicht besonders gut weg. Die nächste U-Bahn ist ein fast halbstündiger Fußmarsch entfernt, und dann muss ich noch hunderttausendmal umsteigen, wenn ich nach St. Pauli oder in die Innenstadt will. Deshalb nahm ich heute einfach ein Taxi.

Wir waren im Hummel & Quiddje verabredet, also ließ ich mich gleich vorn an der Ecke zur Stresemannstraße rauswerfen, das Stück die Bernstorffstraße wollte ich laufen, damit ich an der 166 vorbeikomme, wo ich 4 Jahre lang wohnte. Im Erdgeschoss wohnt jetzt eine andere Künstlerin. Auch sie hat dort ihr Wohnatelier, es ist aber nicht die gleiche Frau. Die ganze Straße ist etwas belebter als vor zwanzig Jahren. Ich kann mich auch nicht an das Hummel & Quiddje erinnern. Es sieht von innen so aus, als wäre sie immer schon da gewesen.

Amelie sagte sehr schöne Sachen über meine Novelle. Allerdings brachte sie einen Punkt auf, der mich vermutlich noch eine Weile beschäftigen wird. Sie sagte nämlich, sie würde den Erzähler der Geschichte nicht mit mir in Verbindung bringen. Sie konnte die Erzählfigur nicht richtig erfassen. Ich tat es zuerst scherzhaft ab, aber in dem Moment hatte mich der Kern ihrer Aussage bereits getroffen und ich verstand sofort, was sie meinte. Für einen autobiografischen Text ist das durchaus seltsam. Das traf mich, weil die Erzählfigur so nah an mir dran ist. Andererseits bietet eine Erzählfigur, die man schlecht erfassen kann, natürlich auch viel Raum, um sich in deren Cockpit zu setzen und die Geschichte zu erleben.

Nach drei Stunden, in denen wir über ihr Piano, das Klavierspielen, das Chorsingen, Komposttoiletten und das veränderte Hamburg sprachen, verabschiedeten wir uns und ich ging wieder einmal die Bernstorffstraße hoch bis zur Stresemannstraße. Ich bin mir sicher, dass es früher unbelebter war, aber früher war ja auch die ganze Welt unbelebter. Ich erinnere mich an die Welt immer in Lagen zurück, Lagen von Zeit, graue Erinnerungen, die alle paar Jahre mit einer neuen Lage Firnis aufgefrischt werden. In meiner Erinnerung ist aber immer noch die Blässe da.

[Mi, 26.11.2025 – Tusche, Raucher, Zeruya Shalev]

Noch nachgereicht vom Abend in der Bademeisterbar: die Zeichnungen von Vanessa Karré. Unten auf Instagram verlinkt. Vanessa sprach mich nach der Lesung noch an und sagte, ich sei ein dankbares Motiv zum Zeichnen. Das schmeichelte mir ungemein. Ich verstehe aber schon, was sie meint, ich habe dicke Augenbrauen und dunkles Haar, sowohl auf dem Kopf als auch am Kinn, das mittlerweile von grauen Strähnen durchzogen ist. Damit kann man viel anfangen, vor allem, wenn man wie sie, diesen expressiven Tuschestil anwendet. Manchmal sehe ich auf ihren Zeichnungen aus wie eine männliche Morticia Addams. Ich glaube, ich bin innerlich wirklich eine männliche Morticia Addams. Weiß ich erst jetzt.

Ich hatte mich gegen eine Krawatte entschieden, weil meine verbliebenen sauberen Hemden aufgrund des Gewichtsverlustes nicht mehr gut sitzen und, wenn ich eine Krawatte darüber knotete, sah das sehr onkelig an mir aus. Also legte ich ein weißes Hemd an, dem ich eine schwarze Anzugsweste drüberzog. Dem Hausbesetzertext total würdig. Der Look verstärkte natürlich meine Morticia-Adams-Haftigkeit.

Heute ging ich wieder ins Fitnessstudio. Oberarme, Rücken, Arsch. Ein Stück die Straße hoch, auf dem Weg zu Fittix, gibt es ein Billighotel, vor dem immer Leute stehen, die ins Telefon schauen und dabei einen Joint rauchen. Nicht wie wir früher, die wir immer konspirativ in Gruppen in dunklen Ecken zusammenstanden und uns den Joint teilten. Diese Leute stehen alleine vorn an der Straße beim Hotel, als wären sie in der Mittagspause. Sie stehen einzeln, alle etwa drei oder vier Meter auseinander, lehnen am Zaun, schauen ins Telefon und rauchen einen Joint. Mindestens einer steht da immer. Meist zwei oder drei. Heute waren es fünf.

Zurück in der Firmenwohnung fiel mir ein, dass ich doch ein Buch eingepackt hatte, und zwar Zeruya Shalevs Liebesleben. Das Buch steht schon seit fast 20 Jahren in meinem Bücherschrank. Wenige Jahre, nachdem das Buch herauskam, wurde es mir ungefähr von jeder Frau, deren Meinung mir etwas bedeutet, empfohlen. Ich habe es dann gekauft und ins Regal gestellt. Gestern hatte ich große Lust, das Buch zu lesen. Ich weiß nicht, was es über mich aussagt, dass ich es zwanzig Jahre lang im Regal stehen ließ. Ich könnte einen persönlichen Reifeprozess hineindichten, aber das ist es nicht.

[Di, 25.11.2025 – in der Bademeisterbar]

Jetzt habe ich drei Tage lang nichts geschrieben. Nachdem ich gestern noch zu jemandem sagte, wie wichtig dieses Blog für meine tägliche Routine ist und der tägliche Versuch, dem Geschehenen eine Stimme zu geben. Stilmittel finden, Sound finden. Heute, am Tag nach der Lesung fühlte ich mich ungewöhnlich verkatert. Dabei hatte ich gar nicht so viel getrunken. Drei Biere vielleicht oder waren es vier? Nach der Lesung unterhielt ich mich länger mit einem Mann, der jede Woche eine Literaturveranstaltung besucht. Er tut dies zusammen mit einem Freund. Unterjährig klappt das relativ gut, aber zwischen Mitte Dezember bis etwa mitte Januar ist das aufgrund der stark zurückgefahrenen Veranstaltungsaktivitäten ein sehr schweres Unterfangen. Auch Ende August gibt es seltsamerweise ein Loch.

Hm.

Wir waren fast die letzten Besucher der Lesung, die das Lokal am Ende des Abends verließen. Unbewusst hatte ich mich auf einen langen Abend eingestellt, und so war ich doch ziemlich überrascht, dass viele Menschen unmittelbar nach den Vorträgen sich wieder auf den Heimweg machten, aber natürlich, es war ja ein Montag, die meisten Menschen müssen am nächsten Tag wieder früh aus dem Bett. Nur ich hatte mir zwei Tage freigenommen, weil ich zurzeit aus Hamburg anreise.

Peinlich ist mir übrigens mein gestriger Diss. Zumindest ist es bisher noch nicht geklärt, ob das wirklich ein Diss war. Offenbar habe ich auf der Bühne Berlin runtergemacht. Es gab mehrere Menschen, die mich später darauf ansprachen. Ich bin jedoch im Glauben, dass sich mein Diss auf die Hausbesetzerszene bezog. Der Moderator Klaus stellte mir die Frage, in welchen Städten ich das Hausbesetzen am wenigsten mochte und da antwortete ich: ganz deutlich Berlin.
Jetzt muss herausfinden, ob er Berlin als Stadt meinte, oder Berlin als Szene. Ich gehe davon aus, er meinte die Szene, das Publikum schien das aber anders aufgefasst zu haben. Vielleicht haben die Menschen im Saal aber nur unaufmerksam zugehört. Das Publikum war sonst super. Es lachte bei den morbiden Stellen richtig laut. Ich brauchte nur Leichenwasser oder verbrennenden Menschen aufzuzählen und der ganze Saal lachte auf. Das ist mir noch nicht passiert.

Mein Vortrag ging gut. Ich stolperte ein wenig am Anfang, aber nach zwei oder drei Minuten floss der Text. Im Vergleich zur letzten Lesung ließ ich diesmal mehrere längere Passagen weg, damit sich der Text schneller in die Geschichte einfindet. Auch funktionieren manche Absätze nicht so gut, wenn man sie einem Publikum vorliest, mein Vorleseexemplar sieht deswegen mittlerweile wie ein Schmierbuch aus. Durchgestrichene Absätze, Kreuze, Totenköpfe und viele gewellte Linien.

Zuvor wurden Isa und ich von den beiden Veranstaltern Daniel und Klaus für ihren Podcast interviewt. Das Gespräch wird in den nächsten Tagen irgendwann veröffentlicht, ich werde es verlinken, wenn es so weit ist. Überhaupt waren Daniel und Klaus ganz wunderbare Gastgeber, die sich richtig viel Mühe gaben, uns wohlfühlen zu machen. Außerdem posteten sie bereits seit Tagen schön gemachte Storys auf Insta mit Fotos und Zitaten von uns. Es würde mich freuen, wenn die Veranstaltungsreihe ein Erfolg wird.

Weil ich aus Friedrichshain anreiste, fuhr ich mit dem Fahrrad an der Kindl-Brauerei vorbei, anstatt über die Greifswalder. Ich möchte unbedingt erwähnen, wie gut es dort nach siedendem Malz riecht.

Und sonst so.

Was ist sonst noch passiert? Ich hatte meiner Frau wieder untersagt, zur Lesung zu kommen. Mich macht das nur nervös. Sie zeigt meistens Verständnis dafür. Diesmal weniger. Dafür las ich ihr an fast allen Abenden aus Ferdinand von Schirachs Verbrechen vor, weil ich sie unbedingt an dieser traurigen Geschichte mit den beiden Geschwistern teilhaben lassen wollte. Eigentlich haben wir ja TC Boyle als Vorleseprojekt, aber im Bett funktioniert das nicht. Wenn ich ihr im Bett etwas vorlese, dann schläft sie nach einer halben Seite ein. Das bedeutet wenig Gutes für meine Vorlesequalitäten. Sie findet im Allgemeinen, dass ich zu monoton vorlese. Aber wenn es ihr beim Einschlafen hilft, beschwert sie sich nicht. Auf der Fahrt nach Hamburg hörte ich Murakami weiter. In der Firmenwohnung habe ich allerdings nur Knausgård liegen, die anderen Bücher hatte ich in Berlin vergessen. Ich kann aber nicht Knausgård lesen, während ich an dem großen Text schreibe, das beeinflusst total meinen Sound. Ich werde es daher mit Eva Baltasar versuchen, einer katalanischen Autorin, die im dem Literaturpodcast Schwarzblau Berlin besprochen wurde. Ich verfalle ständig den Buchempfehlungen von Maria-Christina Piwowarski aus dem genannten Podcast. AUs der letzten Sendung notierte ich mir den Namen Eva Baltasar, ich kann mich nicht mehr an die Details der Besprechung erinnern, das Adjektiv „intensiv“ blieb aber an mir hängen und so kaufte ich mir das Ebook, damit ich wenigstens etwas auf dem Telefon lesen kann.

[Sa, 22.11.2025 – Hrvat, Velodrom]

Wegen der Lesung am Montag fahre ich erst am Dienstagabend wieder nach Hamburg. Ein langes Wochenende zu Hause.

Bisher hatte ich mir wenige Gedanken zur Kleidung bei meinem Auftritt gemacht. Ich ging davon aus, dass ich ein schwarzes Hemd, eine schwarze Hose und schwarze Schuhe trage. Allerdings stellte ich heute, beim Screenen des Insta-Accounts der Lesebühne fest, dass die dort vorlesenden Männer immer schwarze Hemden trugen. Früher trugen vorlesende Männer immer Cord-Sakkos, mittlerweile sind es offenbar schwarze Hemden. Ich werde jedenfalls eine Krawatte tragen. Mein Hausbesetzertext braucht definitiv eine Krawatte.

Heute war ich mit meiner Hundefreundin S verabredet. Wir drehten eine lange Runde zum Velodrom und redeten über die Einsamkeit. Oder über die Angst vor der Einsamkeit. Ich komme immer wieder zu derselben Erkenntnis zurück, dass man Freundschaften ganz pragmatisch erarbeiten muss und sie nicht eine universelle Fügung der Liebe sind. Einfordern. Nicht als gegeben hinnehmen, sondern einfordern. Ich bin nach wie vor nicht gut darin. Eine Freundin, zu der ich gerne mehr Kontakt hätte, habe ich wieder lange nicht kontaktiert. Dabei wäre es so einfach. „Hey, lass uns nen Kaffee trinken“. Man muss ja nicht immer etwas unternehmen.

[Fr, 21.11.2025 – Autobahn, Home]

Es ist immer ein Moment von sehr viel Glück, wenn ich Freitagabend den Zündschlüssel im Auto umdrehe und mich auf den Weg nach Berlin mache.

Ich nahm also doch das Auto. Nachdem ich den ganzen Tag googelte und Kolleginnen danach fragte, wie sicher es sei, bei Minusgraden mit Sommerreifen über die Autobahn zu schlendern, erhielt ich dermaßen viele unterschiedliche Antworten, dass ich mich dazu entschied, selbst zu fahren. Jenen Menschen, die optimistisch waren und meinten, dass ich mir deswegen nicht so einen Kopf machen und einfach fahren sollte, sprach ich Dank aus, das sei nämlich der Optimismus, den ich in diesem Moment brauchte. Ich fügte auch hinzu, dass sie keine Schuld auf sich laden sollten, falls ich auf der Autobahn verunglücke.

Unterwegs fuhr ich dann konsequent 120 km/h, niemals schneller. Auch nicht, wenn ich überholt wurde und hinter mir ein aufblinkender Schnellfahrer drängte. Ich nahm mir die Zeit und überholte in meinem Tempo. Ist mir doch wurscht, es gibt kein Recht auf schnelles Fahren. Erst recht nicht, andere Leute dazu zu drängen. Als ich mich nach dem Überholvorgang wieder einreihte, gab ich den Dränglern stets eine Lichthupe hinterher. Es sind immer SUVs mit Kennzeichen HH oder Autos aus Polen. Bei den Polen lichthupte ich aber nicht. Das machte ich nur bei den Hamburger SUVs.

Dabei hörte ich Murakamis 1Q84. Jetzt weiß ich auch, warum das Buch so dick ist. Die Geschichte geht unfassbar langsam voran. Szenen, Dialoge und Gedanken werden ausgiebig beschrieben und ständig wird alles von allen Seiten betrachtet und wiederholt. Ich ertappe mich dabei, dass ich gedanklich manchmal abschweife. Wenn ich mich nach einigen Minuten wieder fange, ist der Text immer noch im gleichen Bild hängengeblieben. Das stört aber nicht. Wie bei Murakami üblich liegt man sanft in einem weichen Kissen und die Dinge geschehen irgendwie von selbst.

Das ist perfekt, wenn man mit 120 km/h überholt.

Zu Hause empfingen mich meine Frau und meine Hündin. Es gab kaltes Bier. Im Auto war es kalt gewesen, ich hatte nicht auf die Temperatur geachtet. Jetzt fror ich. Meine Frau gab mir eine Mütze und ihren Isländerpulli mit dieser speziellen Islandschafwolle, die auch etwas Regen abhält. So wurde mir wieder warm.

[Do, 20.11.2025 – Nass, Eis, Zaire]

Weil ich gestern, während des Schreibens des Blogeintrages merkte, dass nicht meine Wohnumstände mich vom Schreiben an dem großen Text abhielten, sondern jene bestimmte Textstelle mich blockierte, zwang ich mich heute einfach dazu, die besagte Passage auszuformulieren. Innerlich weiß ich jetzt auch genau, warum ich da nicht weiterkam, die Stelle tat ein wenig weh, ich wollte aber fast zwei Monate lang nicht hinsehen. Erstaunlicher Selbstbetrug. Jetzt bin ich einfach mit der Tastatur durch den Text gefahren, eiskalt und ohne Emotion, und habe die Stelle hinter mich gebracht. Tagespensum heute immerhin 3 Seiten.

Morgen fahre ich zurück nach Berlin. Es hat jetzt Minusgrade und mein Auto ist noch mit Sommerreifen ausgestattet. Den Termin zum Reifenwechsel habe ich erst am Nikolaustag. Ich werde morgen die Wetterbedingungen genau checken müssen. Neben Minusgraden soll es morgen ab dem frühen Abend auch etwas nass werden, und wenn es wirklich dazu kommt, muss ich eventuell auf die Bahn umsatteln. Wegen der Baustelle dauert die Bahnfahrt aber Ewigkeiten. Deswegen nehme ich zurzeit lieber das Auto. Sollte die Strecke für meine Reifen zu ungünstig sein, fahre ich vielleicht trotzdem mit dem Auto, aber einfach mit achtzig km/h. Ich habe ein gutes Hörbuch mit einer Gesamtdauer von 16 Stunden. Mir wird sicherlich nicht langweilig. Bei 16 Stunden Hörvergnügen kann ich sogar mit 50 oder 30 über die Autobahn schleichen, falls das Wetter wirklich widrig wird. Sollte das Hörbuch nicht reichen, habe ich auch noch Martin Suter oder eben „Heart of Darkness“. Apropos Kongo. Als ich neulich wieder über Heart of Darkness schrieb, fiel mir Freddy ein, der Ehemann einer Freundin in den Niederlanden. Freddy kam aus dem damals so genannten Zaire und sprach fließend Niederländisch. Zwar mit einem weichen Akzent, der dem Brabants oder dem Flämisch ähnelte, aber syntaktisch sprach er einwandfrei.

Das mit Freddy war eine komische Geschichte. Die beste Freundin meiner damaligen Freundin war schon über dreißig Jahre alt und hatte noch nie in ihrem Leben einen Freund gehabt. Sie gehörte einer dieser strengen apostolischen Freikirchen an, von denen es in den Niederlanden so viele gibt. Von außen sah diese Freundin ganz normal aus, wie eine moderne Niederländerin, aber die Gemeinde war ihr Ankerpunkt. Meine damalige streng atheistische Freundin war dennoch ihre beste Freundin aus Kindertagen und die Kirche hatte nie einen Keil zwischen die beiden bekommen. In ihrer Gemeinde begegnete diese beste Freundin eines Tages vier jungen Männern aus Zaire, die angaben, in Zaire dieser spezifischen apostolischen Kirche anzugehören. Einen von den vieren lächelte sie sich an, er hieß Freddy, sie wurde nach kurzer Zeit schwanger und ein paar Monate später standen sie glücklich lächelnd vor dem Traualtar. Das war notwendig, denn ohne Heirat wäre er abgeschoben worden. Wenige Tage nach der Hochzeit verschwand er für mehrere Tage mit seinen Kumpels. Als er zurückkam, sagte er, dass er dicke Frauen ziemlich eklig fände und sie abnehmen solle. Sie tat zuerst, wie er wünschte, schaffte es aber nicht, Gewicht zu verlieren. Dennoch blieb sie natürlich mit ihm zusammen, weil er sonst nach Zaire hätte ausreisen müssen und ihr Sohn ohne Vater aufwachsen würde.

Bald danach wurde Zaire in Kongo umbenannt. Und jetzt, wo ich Heart of Darkness gelesen habe, oder es zumindest versuchte, ziehe ich auf einmal die Parallele zwischen seinem einwandfreien Niederländisch und dem Kongo, der zur Zeit von Heart of Darkness ja eine belgische Kolonie war, und damit Niederländisch auch eine der Amtssprachen war. Ich weiß nicht, warum ich diese Verbindung nie legte.

Die Geschichte mit Freddy ging nicht gut aus, ich weiß aber nur, dass er nicht mehr eine Rolle im Leben dieser Freundin spielt. Wie das aber genau ausging, weiß ich nicht. Ich würde jetzt gerne meine Ex-Freundin fragen, sie und ihre beste Freundin reden aber seit Jahren nicht mehr miteinander. Sie weiß nicht genau, warum. Sie vermutet, es habe etwas mit der Kirche zu tun. Der Abbruch der Freundschaft ging von ihrer Freundin aus. Die Freundin hat sie zuerst einfach geghostet und das Ghosten ging so lange, dass jetzt auch die Freundschaft einfach mal vorbei ist.

So ist das manchmal.

[Mi, 19.11.2025 – Im Text hängengeblieben, auch keine Bücher, auch keine Wasserflasche]

Weder am großen Text weitergeschrieben, noch das Hörbuch eingelesen, noch ein Buch gelesen. Dafür saß ich fast den ganzen Abend lang vor dem großen Text am Schreibtisch, hatte aber das Telefon in der Hand und scrollte durch lustige Reels auf Instagram. Pest. Eigentlich dachte ich ja, dass ich hier in Hamburg viel Zeit mit dem Text verbringen werde. Tagsüber arbeiten, abends schreiben. Bei einem angedachten Tagespensum von vier Normseiten. In den 13 Tagen, die ich mittlerweile hier lebe, habe ich genau zwei Seiten verfasst. Ich bin mir nicht sicher, ob es an meiner geistigen Verfassung liegt, weil mir tagsüber viel geistige Betätigung abverlangt wird, oder ob ich einfach in der Geschichte stecken geblieben bin. Wenn ich mir die Statistik ansehe, dann erkenne ich, dass ich bereits seit der Grönlandreise Ende September kaum noch daran geschrieben habe. Nach der Rückkehr verschob ich die Textarbeit auf meinen Aufenthalt in Hamburg und hier gab ich der Lohnarbeit die Schuld. Aber in Wirklichkeit ist es wohl die Geschichte, wie ich jetzt zwei Monate später feststellen muss.

Dafür war ich heute bei Lidl. Ich wollte nur eine Flasche Sprudelwasser kaufen. Zurück kam ich mit Hafermilch und einem Tütensalat. Nachdem ich den Salat gegessen hatte und etwas trinken wollte, fiel mir auf, dass ich das Wasser vergessen hatte. Das passiert mir aber öfter. Es ist also nicht schlimm.

Zudem habe ich nichts Gescheites zu lesen dabei. Auf dem Nachttisch liegen Ferdinand von Schirach und Murakamis „Kafka am Strand“. Murakami will ich aber gerade nicht lesen, weil ich freitags und sonntags das Hörbuch von seinem 1Q84-Roman höre. Mir kommt vor, dass sich das nicht verträgt. Beide Bücher sind sehr umfangreich und sie haben diesen Murakami-Vibe. Ich fürchte, dass sich die Figuren und Geschichten zu einem Brei vermischen. Bei Ferdinand von Schirach habe ich hingegen andere Hemmungen. Als ich das Buch „Verbrechen“ in Berlin begann, las ich die Geschichte von dem Einbruch bei diesem japanischen Diplomaten, bei dem schließlich eine mafiöse Organisation die Einbrecher ausfindig machte und brutalst folterte. Mit dicken Holzpflöcken in die Nase usw. Üblicherweise schockt mich in Film und Buch kaum etwas. Aber diese Geschichte hat mich nachhaltig verstört. Das lag möglicherweise daran, dass sie zum einen wahr ist und in Berlin spielt, aber auch daran, wie amateurhaft sich die Einbrecherbande anstellte und in welches Grauen die Beteiligten unwissentlich hineinliefen.

Daher traue ich mich nicht ganz, dieses Buch in die Hand zu nehmen. Man muss wissen, dass sich meine Firmenwohnung in einem düsteren Gewerbegebiet im Norden Hamburgs befindet. Der Zugang verläuft über einen unbeleuchteten Schotterweg hinter einem Parkplatz. Das Gebäude ist eine Fabrikhalle. In der Wohnung befand sich früher vermutlich die Verwaltung. Ich bin hier nachts weit und breit der einzige Mensch. Geschichten über Verbrecherbanden will ich da eher nicht lesen.

Mittwochs wird die Wohnung immer gereinigt. Als ich heute nach Hause kam, hatte mir die Reinigungskraft neue, verpackte Badezimmerlatschen hingestellt. Adrett neben meinen Hanteln, fast so, als wäre es eine Botschaft. Ich konnte aber nichts daraus herauslesen:

[Di, 18.11.2025 – Apokalypse Now, Conditioner]

Heute das nächste Sechstel der Novelle als Hörbuch eingelesen. Dabei fiel mir ein, dass ich „Herz der Finsternis“ als Hörbuch vorlesen könnte. Nur für mich. Mit Mikro und Fokus. Das würde mir vermutlich helfen, mich auf den Text zu konzentrieren. Ich habe das Projekt „Heart of Darkness“ nämlich noch nicht aufgegeben, weil ich fürchte, es ist meine Schuld, dass mir der Text nicht zusagt. So bin ich. Zuerst suche ich die Schuld bei den anderen, nur um dann das Gefühl zu kriegen, selbst Schuld zu haben. Am Wochenende war ich kurz davor, die Verfilmung des Textes zu schauen, also „Apocalypse Now“, das allerdings nach Vietnam in die Sechzigerjahre verpflanzt wurde und nicht in der belgischen Kolonie Kongo spielt. Sie hatte aber keine Lust auf verrückte Soldaten mit Maschinengewehren. Sie hat das Buch bereits in jungen Jahren gelesen, aber kaum noch Erinnerungen daran. Eine Idee wäre, dass ich es ihr vorlese, aber wir haben ja noch T. C. Boyle als Vorleseprojekt. Da ich jetzt unter der Woche in Hamburg wohne, kommen wir mit dem Vorlesen nicht so schnell voran.

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Noch so eine Sache: Duschgel, Shampoo und Conditioner in Hotelbadezimmern. Meine Firmenwohnung ist vollumfänglich eingerichtet wie ein Hotelzimmer. Entsprechend gibt es auch Seifen und Kosmetikware in der Dusche. Ich weiß ja nicht, ob es anderen auch so geht, aber seit ich eine Lesebrille brauche, stehe ich in Hotelzimmern ständig unter der Dusche und kann nicht erkennen, was ich mir da in die Handinnenfläche drücke. Immer sind die Buchstaben dermaßen klein aufgedruckt, dass ich nichts erkennen kann, und die Brille ist unter der Dusche natürlich niemals griffbereit. Immer greife ich zuerst zum Conditioner, der sich auf der Haut ganz merkwürdig anfühlt. Immer.