[Do, 19.12.2024 – vor der Reise, Bescherung]

Eigentlich wollten wir heute schon in Richtung Südtirol fahren. Wir nahmen uns diesmal vor, eine kleine Deutschlandtour zu unternehmen, anstatt wieder direkt die A9 hinunter über den Brenner zu brettern. Der Plan sah vor, zuerst nach Marburg zu fahren und dort zu übernachten und dann weiter nach Ulm. Beide Städte sollen ja sehr schön sein. Marburg hat auf den Bildern etwas hexenartiges und Ulm hat einen schönen Dom. Von Ulm aus fahren wir über Allgäu und Liechtenstein, via Davoz über den Reschenpass nach Südtirol. Die Gegend kenne ich überhaupt nicht. Allgäu, Bodensee, Schwaben. Ich hatte mal eine Freundin in Augsburg, deswegen war ich als Achtzehnjähriger ein paar Mal da. Aber ihre Mutter mochte mich nicht, das ging nicht gut. Augsburg ist das Schwäbischste, das ich kenne, sonst ist mir die Gegend sehr fremd. Wobei Augsburg ja fast schon bei München liegt.

Da Marburg doch eine ziemliche Strecke von Berlin aus ist, verschoben wir die Fahrt auf Freitag. Wir wollen früher starten, es wäre schön, die Stadt noch bei Tageslicht zu sehen. Zwar bewegen wir uns auf die Wintersonnenwende zu, es wird tagsüber gar nicht mehr richtig hell, meine Schreibtischlampe leuchtet den ganzen Nachmittag über. Aber Marburg liegt ja weiter südlich und auch geographisch in einer anderen Zone. Vielleicht ist das ja ganz anders. Wir buchten jedenfalls Restaurants in beiden Städten und überall gibt es gute Bier-Bars. Das wird sicherlich nett.

Und sonst verbrachte ich den Tag mit Packen und ich erledigte Einkäufe. Auch holte ich das Fotoalbum der Nordkapreise ab. Es wurde heute bei Rossmann geliefert. Ich finde das Album sehr schön geworden. Allerdings habe ich mich in den beschreibenden Texten mehrmals vertippt, ausserdem schlichen sich zwei blöde Rechtschreibfehler ein. Es ärgert mich, dass ich nicht mehr auf solche Details geachtet habe.

Abends machten wir eine Art Bescherung. Wir zündeten LED Kerzen im Erker an und schlürften dabei am Bier. Meine Frau bekam von mir dieses berühmte vegane Kochbuch „BIG VEGAN FLAVOUR“ von Nisha Vora. Und ich erhielt mein überteuertes, aber heissgeliebtes Duschgel von Molton Brown. Die Hündin bekam einen Kaustick aus Hühnerfleisch, den sie zurückgezogen in ihrem Bettchen zernagte. Sie hat keinen Sinn für Weihnachten.

[Mi, 18.12.2024 – Lucia]

Wir waren mit Freunden auf dem Lucia-Weihnachtsmarkt in der Kulturbrauerei verabredet. Ich ändere ständig meine Meinung zu Weihnachtsmärkten. Manchmal finde ich sie super, manchmal finde ich sie nicht super. Die einzige Konstante bei Weihnachtsmärkten ist die klebrige Zunge, mit der man herumläuft. Die Freundin, mit der wir heute unterwegs waren, sagte, man würde so lange Glühwein trinken, bis man innerlich ausgekleidet sei. Das dauerte genau drei Glühweine. Einer davon war ein isländischer Glögg. Mit Heidelbeersaft. Aber ohne Schuss. Dazu assen wir warmgeräucherten Lachs mit Kartoffeln und verschiedenen Quarksaucen. Und sonst redeten wir über Hunde. Dabei standen wir im Rauch. Überall auf dem Markt gab es Feuerstellen mit einem Kamin. Man brauchte bei 11 Plusgraden allerdings keine Wärmequellen. Optisch ist das natürlich trotzdem schön. Überhaupt finde ich diesen Markt einen der Ästhetischsten und kommt meiner Idee von Weihnachten am Nächsten.

Schön fand ich auch die Beschilderung von Umeå und Nordkapp. Ich schoss davon ein Foto und schickte es meinem Vater. Er wusste aber sofort, dass die Entfernungsangaben nicht stimmten. Die Entfernung nach Berlin ist 2810km und nicht 2158km:

[Di, 17.12.2024 – Auftrag, Whatsapp Profilbild]

Es sitzt eine neue Frau auf dem Boden vor Edeka. Da ich nie Bargeld habe, frage ich die Leute, die dort auf dem Boden sitzen, manchmal, ob ich etwas aus dem Supermarkt mitbringen soll. Die neue Frau ist schon etwas älter. Sie freute sich über mein Angebot und sagte, sie hätte gerne ein Schinken-Käse Croissant und einen Cappuccino mit Hafermilch. Ausserdem ein kleines Fläschchen Gorbatschov Vodka. Ich fand diese Bitte dermassen lustig exzentrisch, dass ich ihr den kompletten Wunsch erfüllen wollte.
Allerdings scheiterte ich bereits beim Croissant. Sie führen nämlich keine Schinken-Käse Variante im Sortiment. Daher entnahm ich ein normales Croissant und fügte zusätzlich ein undefiniertes Schinken-Käse Gebäck hinzu. Auch wurde aus dem Cappuccino mit Hafermilch nichts, da der Automat nur Bargeld nimmt, das ich bekanntlich nicht bei mir hatte. Und schliesslich gab es auch keine kleinen Gorbatschov Vodkaflaschen. Es gab überhaupt keine kleinen Vodkaflaschen.

Als ich zu ihr zurückkam, freute sie sich dennoch über die beiden Backwaren.

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Ausserdem bin ich gerade in Kontakt mit einem Unternehmensgründer, mit dem ich heute wegen einer Position in seiner Firma reden sollte. Wir waren eigentlich gestern verabredet, aber wegen privater Umstände musste er das Gespräch auf heute verschieben. Aber auch heute musste er wieder kurzfristig absagen und so schrieb er mich über Whatsapp an.

Mein Profilbild auf Whatsapp ist nur mittelmässig seriös. Auf dem Bild ist mein Gesicht in eine Schleife für Geschenke gewickelt und wie ich die Krawatte trage, erinnert sie eher an einen Galgen. Es ist das Foto von der „ÜBER„-Seite.

Ich will mich eigentlich nicht verstellen. Es ist mir wichtig, immer authentisch zu sein. Damit bin ich immer gut durch das Leben gekommen. Dazu gehört es auch, ein bisschen unseriös zu sein. Natürlich will ich mich beruflich nicht unseriös geben, aber ich will im Berufsalltag auch authentisch sein, das heisst, auch mal blödeln können. Alle Menschen haben schliesslich ihre privaten Seiten und ich will diese Seiten nicht künstlich abschirmen, das kostet mich nämlich sehr viel unnötige Energie, ich funktioniere am besten, wenn ich ich selbst bin.

Natürlich muss ich davon ausgehen, dass ich gegoogelt werde und die Leute auf dieses Blog stossen. Wenn das ein Grund zur Ablehnung ist, dann ist das auch für mich ein Grund, nicht für jene Leute zu arbeiten. Das mit dem WhatsApp Profilbild nervte mich heute dennoch sehr. Wenn ich mit ihm chatte, habe ich das Gefühl, eine Schleife im Gesicht zu tragen. Ich ändere es jetzt aber nicht mehr. Allerdings hat er auch aufgehört, mir zu antworten.

[Mo, 16.12.2024 – Hexenwetter, Popchor, grauer Bart]

Dieses Hexenwetter heute. Sturm. Elf Grad. Der dunkelgraue Himmel.
Nur der kalte Sprühregen muss nicht sein.

Mit der Superheldengeschichte komme ich nicht so gut voran. Ich habe bereits seit drei Tagen nicht mehr daran geschrieben. Sie liegt mir noch nicht, ich gerate in keinen Flow, um einmal länger am Stück daran zu schreiben. Ich denke zu wissen, woran es liegt. Dem Protagonisten (es ist jetzt doch ein Mann geworden) fehlt eine zweite Figur, eine befreundete Figur oder eine Referenzfigur, mit der er im Alltag interagiert.

Es gibt auch keine Neuigkeiten von der Novelle. Aber jetzt in der Weihnachtszeit schläft ohnehin die ganze Welt. Was ja auch das Schöne an dieser Zeit ist.

Abends waren meine Frau und ich auf einem Chorkonzert der Nachbarin. Sie singt in einem Pop-Chor, der gestern in der Mampe-Destillerie am Tempelhofer Berg sein Repertoire aufführte.
Ich wollte mich ja wieder einem Chor anschliessen. Eigentlich suche ich eher einen Chor, der ernsthaftes Zeug einstudiert. Vor allem Musik aus dem Frühbarock bis zur frühen Klassik. Auch späte Klassik meinetwegen oder italienische Romantik. Aber Pop kam für mich nie infrage. In meinen Teenagerjahren fand ich Popmusik widerlich. Damals hörte ich ausschliesslich Hardrock, Metal, Punkrock und industrielle Musik. Oder gross orchestrierten, symphonischen Rock wie Pink Floyd. Die einzige Pop-Etappe, die ich durchlief, war Madonna, in die ich natürlich verliebt war. Aber da war ich vielleicht 11. Insofern fehlt mir ein ganzes Stück Musikkultur. Manchmal stört mich das. Meistens aber nicht.
Von den vorgetragenen Liedern auf dem Konzert kannte ich lediglich Queens „Don’t stop me now“ und „Take on me“ von A-Ha. Die Schwester meines besten Freundes hörte ständig „Take on me“, daher kenne ich das. Und Queen holte ich nach, als ich dreissig Jahre alt war.

Auf dem Konzert dieses Pop-Chors musste ich allerdings feststellen, dass die Sängerinnen wesentlich mehr Spass zu haben schienen als in den Chören, in denen ich stets sang. Ausserdem waren sie wesentlich jünger bzw. in meinem Alter. In meinen früheren Chören sangen hauptsächlich ernsthafte alte Leute mit, die nie saufen gehen wollten.
Nun bin ich natürlich selber zwanzig Jahre älter als damals in meinem letzten Chor. Meine Frau meinte, dass die Leute in diesem Popchor alle jünger seien als wir. Vielleicht wollen wir ja gar nicht mehr saufen gehen.

Auch so eine Sache: Ich erkenne es immer sehr schlecht, wenn Menschen jünger sind als ich. Ich habe mein eigenes inneres Bild noch nicht korrigiert. Im Spiegel sehe ich aus wie 50, aber aus meinem inneren Spiegel heraus schaut mich immer noch der Mann Mitte dreissig an. Der mit dem schwarzen Gesichtshaar und der glatten Haut.

[So, 15.12.2024 – Trainer, Belfast, Dogday]

Am Samstag lud Hertha die offiziellen Fanclubs auf das Olympiagelände zu einer Weihnachtsfeier ein. Es war eine kühle Angelegenheit bei -1 Grad und Schneeregen. Es gab Stände mit Trinken, Essen und Weihnachtskrams. Die Spieler verteilten Glühwein und Tombola Lose. Die jungen Mitglieder aus meinem Fanclub wollten sich mit den Spielern ablichten. Die Spieler waren sehr geduldig, liessen sich umarmen und schnitten alberne Grimassen in die Kamera. Das war schon sehr nett. Es hätte auch die Möglichkeit gegeben mit denen zu quatschen, möglicherweise hätte man ein paar Infos bekommen, über die sie niemals vor einem Mikrophon reden würden, aber mir ist das unangenehm. Es wundert mich ohnehin, dass die Stimmung nach der Niederlage vom Freitag, die mittlerweile zu einer Krise ausgewachsen ist, so gelassen war.

Der Trainer, der momentan im Zentrum der Kritik steht, war auch da. Fanclubfreundin K schimpfte den halben Abend über den Trainer. Dann liefen wir zufällig an ihm vorbei und ich sagte „Hallo Trainer, meine Freundin möchte ein Foto mit dir“. Er schien sich zu freuen. Die Freundin aus dem Fanclub lächelte in die Kamera und hob den Daumen. Danach war sie stinkesauer auf mich. Aber in Wirklichkeit fand sie das sicherlich super.

Der kalte Wind wurde immer unerträglicher.

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Heute beschlossen wir, den Tag im Wohnzimmer zu verbringen. Wir schauten „Say Nothing“, die Verfilmung der sogenannten „Troubles“ in Belfast, Nordirland. Die Geschichte basiert auf den vertraulich gemeinten, aber später zur Veröffentlichung gezwungenen Interviews mit der hochrangigen IRA Paramilitärin Dolours Price und ihrem Weggefährten Brendan Hughes. Sie erzählen von der Zeit zwischen Ende der Sechziger, als der Konflikt aufflammte, bis in die Neunziger, als Sinn Fein den Waffenstillstand und das Friedensabkommen unterzeichneten.

Leider wird wenig über die gesellschaftlichen Voraussetzungen berichtet, die zur Eskalation führten. Inwiefern die katholische Minderheit unterdrückt wurde, wie sich das im Alltag zeigte. Das wird lediglich in einigen Dialogen erwähnt. Die Serie macht die Gründe des Konfliktes nicht erfahrbar. Sie steigt an jener Stelle ein, wo die beiden Price-Schwestern sich radikalisieren. Es ist aber dennoch eine sehr gut erzählte Geschichte. Wir klebten den ganzen Tag lang am Bildschirm und drückten auf Pause, wenn jemand auf die Toilette ging oder sich ein Brot schmierte.
Die ganze Zeit über erschlich mich dennoch ein unbehagliches Gefühl. Wenn ich zu jener Zeit als neunzehnjähriger junger Mann in einer katholischen Familie in West-Belfast gelebt hätte, würde ich mich möglicherweise auch dem bewaffneten Widerstand angeschlossen haben.

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Die Hündin wurde heute 3 Jahre alt. Sie versteht das Konzept nicht. Aber für eine Fleischtorte macht sie alles:

[Fr, 13.12.2024 – Fotobuch, Niederlage]

Jetzt fällt mir wieder ein, was ich am Mittwochabend tat. Ich fertigte ein Fotobuch für meinen Vater an. In dem Fotobuch dokumentierte ich unsere Reise zum Nordkap von letztem Sommer. Mit Fotos, Kartenausschnitten und Texten. Ich mache so etwas richtig gerne. Während ich das alles zusammenstellte, begab ich mich innerlich erneut auf die Reise. Es ist eine sehr intensive Tätigkeit. Irgendwann weit nach Mitternacht war ich mehr oder weniger fertig und dann legte ich mich mit eindrücklichen Bildern von der Reise ins Bett. Anschliessend träumte ich davon.

Heute ging ich zum letzten Heimspiel des Jahres. Gegen Preussen Münster, dem Aufsteiger aus der dritten Liga, der die ganze Saison schon auf einem Abstiegsplatz stand und vermutlich auch wieder absteigen wird.

Dann verlieren wir 1:2.

Und plötzlich ist die Stimmung gekippt. Die letzten unnötigen Niederlagen wurden irgendwie hingenommen, aber heute erreichte die Mannschaft einen neuen Tiefpunkt. Es war das erste Mal, dass die gesamte Kurve pfiff. Ich habe die Niederlage nicht ganz verstanden, ich muss mir Teile des Spiels noch einmal auf Youtube ansehen. Die Niederlagen folgen aber immer dem gleichen Muster: Zuerst schiesst unsere Mannschaft das erste Tor, und dann bricht die Leistung ein. Es ist immer das gleiche Muster.

Wir blieben alle lange am Stadion. Als hätten wir Gesprächsbedarf gehabt. Zumindest konnten wir die schlechte Laune ertränken.

[Do, 12.12.2024 – Sally Rooney, FinOps, Sportdaten]

Am Mittwoch hatte ich den Termin beim HNO, der mir mit einem kleinen Sauggerät klebriges Material aus beiden Ohrgängen sog.

Im Wartezimmer lud ich mir Sally Rooneys Roman „Normal people“ auf das Telefon und begann ihn zu lesen. Ich wurde erst neulich auf Sally Rooney aufmerksam, und fast alles, was ich über sie und ihre Texte las, begeistert mich. Ausgenommen davon ist ihre offenbar harte Position gegenüber Israel bezüglich des gegenwärtigen Konfliktes in Israel und Palästina. Sie untersagt u.a. den Verkauf ihres Buches in Israel und sie boykottiert israelische Kultureinrichtungen. Ich kenne ihre genauen Positionen nicht, aber derzeit stehen die lauten Israelkritikerinnen immer mit mindestens einer Zehenspitze auf antisemitischen Hoheitsgebiet.

Ich versuchte den Roman unvoreingenommen zu lesen. Die ersten dreissig Seiten bestehen aus Dialogen. Mag ich eigentlich nicht. Aber der Reiz des Textes wird sich sicherlich noch entfalten.

Was ist sonst noch passiert? Wenn ich mir keine Notizen gemacht habe, heisst das üblicherweise, dass es eindrücklich genug war, um es nicht zu vergessen. Heute fällt es mir aber nicht mehr ein. Ich brachte frühmorgens immerhin das Auto in die Werkstatt, um die Winterreifen zu montieren. Nächste Woche fahre ich nach Südtirol. Wir werden auf alle Fälle auf die Alm spazieren und da liegt schon Schnee.

Am Abend fuhr ich mit meinem Schwager auf eine Veranstaltung zu FinOps nach Niederschöneweide. Er hielt einen Vortrag zum Thema. Dazu gab es Bier und Sushi. Nach der Veranstaltung lud uns der Gastgeber auf einen Rundgang in die Firma ein. Eines ihrer Kernthemen ist das Sammeln und Aufarbeiten von Fussballdaten. So arbeiten sie u.a. mit dem 1. FC Scheissunion zusammen, um den Fussballernachwuchs besser zu screenen und monitorieren. Das ist aus datentechnischer Perspektive ein spannendes Geschäft.

Auch wir Besucherinnen durften unsere Fussballskills testen. So gab es eine Art Arena mit einem Projektor und mehreren Bewegungssensoren, in der man mit dem Fussball auf bewegende Toren schiessen musste. Ich meldete mich selbstredend als Freiwilliger. Dabei schnitt ich erstaunlich gut ab. Ich landete punktgleich mit einem FinOps Experten aus Ungarn. Jeder von uns schoss sieben Tore. Nur der Gastgeber schoss mehr als wir, er gab aber auch zu, dass er einmal pro Woche mit seinen Kindern übt.

Auf dem Rückweg sassen wir zu fünft im Auto. Mein Schwager brachte sie alle in ihre Hotels. Ich fahre gerne nachts im Auto durch Berlin.

[Di, 10.12.2024 – poppige Mall, Hörkanal, Knochenschall]

Das verstopfte Ohr schränkt mich ein. Erst jetzt bemerke ich, wie sehr ich mich immer auf mein Gehör verlasse. Ich höre gut und ich höre alles. Sogar meine Hündin nehme ich mit den Ohren wahr, wenn ich unangeleint mit ihr spaziere. Ohne Ohren muss ich ständig nachsehen. Aber auch im Verkehr, auf dem Fahrrad oder auf den Beinen: Ich muss mehr schauen und ich kann Geräusche nicht orten, ich kann sie durch den Filter zwar hören, aber ich weiss nicht, woher sie kommen. Zudem ist mein Gleichgewicht beeinträchtigt.

Ich versuchte mich mit verschiedenen Hausmitteln. Kirschkernkissen und den Tipp mit dem Wasser. Siehe dazu die Kommentare der vergangenen Tage. Das Wasser sorgte kurzzeitig für Linderung. Nach wenigen Minuten verstopfte der Pfropfen aber wieder das Ohr. Ich glaube, es wächst wieder ein Schmalz-Baby heran.
Als ich im Januar wegen der Nasen-OP mehrmals bei meinem HNO-Arzt war, zog er mir einen beeindruckenden Butterwurm aus dem Hörkanal. Er legte es auf die Petrischale und fragte: „Wollen Sie ihm einen Namen geben, Herr Pfeifer?“. Ich antwortete: „Pfropfen Pfeifer“.

Morgen lasse ich wieder die Profis ran.

Am Abend sagte ich deswegen die Hörbuch-Premiere meiner Freundin ab. Es hatte keinen Sinn, mich unter Menschen zu begeben.

Nachmittags ging ich zu Thalia in die East-Side Mall, weil es das Weihnachtsgeschenk für meine Frau nicht mehr online gibt. Bei Amazon ist es frühestens im Januar zu bestellen, laut Thalia Webseite führen sie das Buch aber offenbar im Laden.
Ich mag diese kleine, poppige Mall sehr. Das Thalia ist eher klein, sie hatten das Buch nicht vorrätig, aber in der Filiale im Alexa läge noch ein Exemplar. Da Hunde im Alexa verboten sind, bat ich, das Buch zu reservieren. Die Konversation lief ziemlich schleppend, ich bat den jungen Angestellten, lauter zu reden, dabei hielt ich ihm mein linkes Ohr entgegen, auf dem ich zumindest Teile von Schallwellen aufnehmen kann. Aber wir bekamen es hin und morgen kann ich das Buch im Alexa holen.

Auf dem Rückweg auf der Warschauer Brücke traf ich eine Frau aus dem Hundepark, mit der ich mich sehr gut verstehe. Sie ist so gut wie taub und weil mich das Thema sehr interessiert, reden wir oft darüber. Sie trägt ein Implantat und kann daher ein bisschen hören. Man muss aber die Lippen deutlich bewegen und sie ansehen, wenn man mit ihr spricht. Artikuliertes Sprechen wäre auch vorteilhaft, was mir als Nuschler einiges an Anstrengung kostet. Es traf sich gut, dass wir uns gerade heute über den Weg liefen. In früheren Gesprächen hatte ich ihr von meinen Knochenschall Kopfhörern erzählt und ich fragte mich, ob das bei ihr einen Effekt haben würde. Sie schien sich auch zu interessieren, wobei man bei beiläufigen Kontakten nie weiss, ob hinter Interesse einfach nur Höflichkeit steckt. Weil ich gerade schlecht höre, trug ich tatsächlich die Knochenschallkopfhörer und liess sie gleich probieren. Sie setzte sie sich auf und ich schaffte es noch rechtzeitig „Manowar – Kings of Metal“ zu pausieren und etwas Cooleres auszuwählen. So spielte ich einen Song aus der Filmmusik von Christopher Nolans „Tenet“ und prompt wehte eine stürmische Böe aus Intellekt und Stil von der Brücke her durch mein Haupthaar.

Sie konnte mit ausgeschaltetem Implantat tatsächlich etwas hören. Es klang etwas dumpf bei ihr, aber die Musik übertrug sich tatsächlich über den Knochen zu ihrem Hörorgan.

Die Begeisterung war mittelmässig. Die Erkenntnis geringfügig grösser. Immerhin grösser als mittelmässig.

[Mo, 9.12.2024 – Hörvermögen]

Mittlerweile höre ich auch auf meinem linken Ohr weniger, aber dort hat es noch nicht „FLAP“ gemacht. Rechts ist completamente dicht. Gefühlt besitze ich gerade 20-30% meines Hörvermögens. Morgen Abend werde ich der Vorstellung eines Hörbuches beiwohnen. Das HÖR möchte ich an dieser Stellen gross geschrieben sehen.

Also ging ich zu meiner Hausärztin. Die Empfangsdame reagierte patzig. Sie kanzelte mich mit einem empörten Unterton vor anderen wartenden Patientinnen ab, was ich bitteschön mit einem verstopften Ohr in einer Hausarztpraxis wolle. Damit geht man doch zu einem HNO Arzt. Ich kannte diese Empfangsdame, ich meide sie so gut es geht. Meine Ärztin ist leider super. Und die burschikose Assistentin auch. Die Assistentin machte früher den Empfang nebenher. Mit der kann man immer gut schäkern. Jetzt nimmt sie aber nur noch das Blut ab, oder sie verabreicht Impfdosen. Im kommenden Jahr geht sie in Rente. Die neue Empfangsdame ist hingegen furchtbar. Ich glaube, sie ist schlichtweg inkompetent und überfordert. Gleichzeitig hält sie einen kleinen Machtknüppel zwischen ihren Fingern. Keine gute Mischung.

Da ich nicht ausfällig werden wollte, aber auch keinen freundlichen Ton anzustimmen gedachte, sagte ich schlichtweg: Dann gehe ich.

So fuhr ich mit dem Fahrrad zu einem etwas entfernten Ärztehaus direkt in die HNO Praxis. Dort stellte ich mich an den Empfangsschalter und sagte „Hallogutentag“. Prompt wurde ich angeschnauzt. Sie sei noch beschäftigt, ich solle sie nicht unterbrechen.

Ey, ich weiss nicht, was heute los ist.

Am liebsten hätte ich sofort zurückgepflaumt. Dass sie ihren Stress irgendwo anders abladen soll. Es ist nicht meine Schuld, wenn die Praxis schlecht organisiert ist. Auch wenn ich weiss, dass sie vermutlich am wenigsten für den Stress kann, schliesslich bestand das Praxisteam aus mehreren Menschen. Aber es ist immer das Gleiche. Ärzte laden die Organisation an das Praxiteam ab, beim Praxisteam wird gespart, es wird nur das nötigste gemacht, vermutlich gibt es dort dann Hierarchien, alte Schnepfen (sorry, aber es sind immer alte Schnepfen) die alles delegieren, an den Rangniedrigsten bleibt dann alles haften und es gibt immer diesen Arbeitsberg, dem man vor sich her schiebt und zum Schluss gibt es auch noch Patientinnen, die etwas von einem wollen.

Da ich diesmal aber nicht gehen wollte, geduldete ich mich, bis die junge Frau ihren Papierkram erledigt hatte. Man könnte mich nicht akut behandeln, aber immerhin erhielt ich einen Termin am Mittwochmorgen.

Die Vorstellung des HÖRbuches ist aber schon am Dienstag. Das wird lustig.

[So, 8.12.2024 – Ohrkanal, Panettone]

Nach vielen Jahren mich endlich zu einem Abo der New York Times entschieden. Es werden dunkle Zeiten auf die zukommen.
Diesen Begriff verwende ich neuerdings oft. Dunkle Zeiten. Bisschen unheilvoll. Ich lasse das jetzt trotzdem so.

Apropos Unheil: Heute ging mein rechtes Ohr dicht. Es machte „Flap“ und seitdem blockiert vermutlich ein Pfropfen den Gehörgang. Meine Frau behauptet, dass es im Ohr entzündet aussähe, vielleicht ist es daher gar kein Pfropfen, sondern etwas Schlimmeres. Wenn das morgen nicht besser wird, sollte ich vielleicht zu einem Arzt.
Akute Termine beim Arzt bedeutet immer lange Zeiten des Wartens im Vorzimmer. Seit es Smartphones gibt, sind Zeiten des Wartens allerdings meditative Lebensphasen geworden. Es haben sich in den letzten Tagen ein paar gute Podcasts angehäuft, zum Glück muss ich daher nicht auf Herthapodcasts zurückgreifen und diese schreckliche Niederlage vom Samstag durchnudeln. Vielleicht ist der Hörspass mit einem verstopften Ohr aber sehr limitiert, ich habe das noch nie probiert, andererseits habe ich ja diese Knochenschall-Hörer, die umgehen ja den Hörkanal. Aufregend. Ich freue mich. Ansonsten lese ich gerade wieder Roberto Bolaño, auch damit komme ich gut durch die Wartezeit.

Am Abend kam mein Schwager wieder nach Berlin. Wir kochten ein Chili und assen Panettone. Als Kind mochte ich keinen Panettone, ich mochte nur Pandoro. Beim Panettone musste ich zuerst immer die Rosinen und kandierten Früchte herauspulen. Bis er dadurch essbar wurde, war mir die Lust schon wieder vergangen.
Pandoro hingehen konnte ich direkt von der Packung in die heisse Schokolade eintunken und anschliessend auslöffeln.

Allerdings muss ich einsehen, dass ich Panettone heute ganz OK fand. Die getrockneten Früchte störten mich nicht mehr. Es ist das erste Mal seit sicherlich 40 Jahren, dass ich Panettone ass. Fairerweise ass ich den Panettone heute aber auch nicht in heisser Schokolade.