Felix findet meine (fast) täglichen Audiobeiträge sehr freundlich und nennt das, was ich mache, „lakonisch und salbungsvoll, professionell und unperfekt“. Finde ich sehr nett. Aber: salbungsvoll – ich merkte sofort, dass dieser Begriff nicht in meinem aktiven Vokabular vorkommt. Um das zu bestätigen, suchte ich nach dem Wort hier im Blog. Weil sich hier mittlerweile über eine Million Wörter angehäuft haben, müsste das Blog meinen Wortschatz also ziemlich gut abbilden, und tatsächlich: Die Suche nach ’salbungsvoll‘ ergab 0 Treffer. Ich habe das Wort in diesen 22 Jahren wirklich nie geschrieben.
Das beschäftigte mich.
Vor allem regte es mich jedoch an, am Wortschatzzähler weiterzuarbeiten. Ich hatte nämlich das Gefühl, dass er nicht richtig zählt. Daher ließ ich von Claude eine einfache Lemmatisierung einbauen, außerdem die Möglichkeit, alle gefundenen Wörter zu sortieren und als Textdatei herunterzuladen, um mir den Output etwas genauer ansehen zu können. Ein paar Dinge konnte ich verbessern. Einige Dinge sind aber noch ungenau, Bindestriche werden unter gewissen Umständen nicht rausgenommen und seltsam geschriebene Wörter wie „18km“ auch nicht. Außerdem ist die Lemmatisierung sehr einfach, sie erfasst nicht alle Wörter richtig. Um das zu verbessern, müsste ich ein lokales Wörterbuch einbauen, das ist mir aber gerade zu umständlich. Man muss beim Ergebnis also sicherlich 10% abziehen.
Auch Samstag und Sonntag hatten wir uns Chilltage verordnet. Ich nahm das als Anlass, Samanta Schweblins neuen Erzählband zu lesen, eine argentinische Autorin, von der ich später herausfand, dass sie in Neukölln lebt. Sie hat zahlreiche spanische Preise gewonnen und ihre Texte wurden als albtraumhafte Version von Murakami beschrieben. Mit so etwas kriegt man mich natürlich. Die ersten beiden Geschichten fand ich eher belanglos, aber die dritte und vierte Erzählung sind wirklich seltsam. Seltsam steht an dieser Stelle für ein überaus positives Adjektiv.
Obwohl ich gestern und heute viel Zeit hatte, schaffte ich es nicht, meine abschließenden Gedanken zu Grönland niederzuschreiben. Ich habe diese Gedanken, die mich seitdem sehr beschäftigen, bereits einigen Menschen erzählt, aber immer wenn ich sie niederschreibe, gefällt mir der Ton nicht. Ich klinge wie ein preußischer Protokollant.
Dafür hat Hertha am Samstag tatsächlich gewonnen. Wie ich berichtete, hatten wir uns vorgenommen, nicht ins Stadion zu gehen, weil die Mannschaft in unserer Anwesenheit in der bisherigen Saison noch kein Tor geschossen hat. In Wahrheit hatten wir wohl keine Lust auf den kalten Regen. Dieser Umstand und die vielen deprimierenden Niederlagen. Jetzt blieben wir weg und unsere Mannschaft gewann. Nächstes Mal gehen wir aber wieder hin. Wir wollen ja nicht esoterisch werden.
Noch Dutzende Tabs mit Island- und Grönland-Dingen offen gehabt. Ich finde es immer noch schade, dass die kulinarische Tour gestrichen wurde, aber sonst waren drei Tage Nuuk und Umgebung völlig ausreichend. Sicherlich hätten wir noch weiter Grönland erkunden können, aber dafür müsste man schon mit Flugzeugen weiterreisen, z. B. nach Ilulissat, dem sogenannten Eisbergdorf. Aber Ilulissat hat den Ruf, eine Eis-Fantasie für reiche Menschen zu sein, ein Ort, der sich mit seinem breiten Fine-Dining-Angebot und teuren Hotels ganz einem Publikum verschrieben hat, das am liebsten zum Mars fliegen würde, sich aber nur eine Jachtfahrt in die Arktis leisten kann. Auch wenn ich einer Eisberg-Fantasie durchaus etwas abgewinnen kann, zogen wir es vor, nach Nuuk zu fahren.
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Dieses fantastische Úlfrún-Bier. Ich interpretierte den Namen als „Ul Frun“, was ich mit meinem angeheirateten Skandinavisch als „Eulen-Frau“ übersetzte. Allerdings ließ ich mich nach zwei Tagen vom Barmann desillusionieren, der es für mich als „Ulf Run“ berichtigte, was auf Isländisch „Wolfsrune“ bedeutet. Das Bier schmeckte vorher wesentlich besser.
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In Nuuk fiel mir plötzlich auf, wie klein die Typo meines Blogs eigentlich ist. Ich kriegte das nicht mehr aus meinem Kopf und ging dafür noch einmal spät am Abend aus dem Bett. Jetzt kommt sie mir wiederum riesig groß vor.
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Jedenfalls zurück in Berlin. Was ist in den letzten beiden Tagen passiert? Im Mittelpunkt stand: Chillen! Wir schauten „Wayward“, diese neue Serie mit Toni Collette als Sektenführerin. Nach acht Folgen war die Serie aber schon fertig, dabei hätte ich Toni Collette noch ewig zuschauen können. Ich wollte gerade schreiben, dass Toni Collette auch eine dieser Schauspielerinnen ist, die erst im Alter so richtig schön geworden ist. Zur Sicherheit googelte ich nach jungen Fotos von ihr und sah, dass sie auch in jungen Jahren schon gut aussah, aber irgendwie fiel sie mir damals nicht wirklich auf.
Die Serie kriegt online entweder 5 Sterne, weil die Leute begeistert sind, oder 1 Stern, weil sich die Horsts über die zwei lesbischen Beziehungen aufregen, während heterosexuelle Beziehungen zu kurz kommen. Ich bin da eher bei 5 Sternen. Mit einem + für Toni Collette.
Am Donnerstagabend traf ich noch zwei Fußballfreundinnen im Zosch, wo wir hauptsächlich über Fußball und Hertha redeten und uns einig waren, dass wir diesen Samstag vielleicht nicht zum Spiel gehen sollten, weil Hertha immer dann nicht gewann, wenn wir im Stadion waren. In anderen Worten: Es wurde in dieser Saison noch kein Heimspiel gewonnen.
Gestern Abend waren meine Frau und ich mit der Nachbarin und einer anderen Freundin bei einer gemeinsamen Freundin eingeladen (was für ein Satz). Drinks und Snacks und quatschen. Dabei sollten die Nachbarin und ich auch Fotos von unseren Reisen zeigen. Mit USB-Stick auf dem Fernseher. Die Nachbarin war ja 3 Wochen lang auf Wanderung in Lapland und auf den Lofoten. Aber wir waren schlecht vorbereitet, was sicherlich daran lag, dass niemand von uns je eine Diashow vorgeführt hatte. Man muss das wahrscheinlich dramaturgisch anders aufziehen. Also mit zeitlich sortierten Fotos und einer Storyline. Unsere Fotos waren alle ein bisschen durcheinandergewürfelt. War aber dennoch lustig.
Ich weiß gar nicht mehr, was ich gestern noch über Nuuk berichten wollte. Mir kam nur vor, dass um mich herum so vieles von Bedeutung passiert. Wenn aber ein Tag vorbeigegangen ist und ich keine Notizen genommen habe, dann sind die Dinge oft nicht mehr aufrufbar. Ein Fazit, oder so etwas, das ein Fazit über Grönland und das koloniale Erbe sein wird, schreibe ich erst in Berlin auf. An jenem Nachmittag in Nuuk verbrachten wir die Zeit nur noch ein wenig schlendernd, setzten uns ins Café Esmeralda und wir gingen noch an diesem Tattoostudio vorbei, das an dem Tag allerdings geschlossen hatte. Mir kam nämlich eine spontane Tattoo-Idee, von der ich es ungemein charmant gefunden hätte, wenn sie mir in Grönland gestochen worden wäre. Wer weiß, vielleicht hätten sie ein spontanes Slot frei gehabt. Aber am Montag war das Studio zu.
Was ich noch erwähnen möchte: Grönland ist gar nicht so teuer, wie man erwarten würde, vor allem, wenn man gerade von Island angereist kommt. Bestimmte Dinge sind zwar etwas teurer, aber Pizza (die auch okay schmeckt) kostet etwa ab 15€. Und Pizza ist ja der internationale Richtwert, wenn man Preise vergleichen muss. Isn’t it?
Im Nachhinein bereue ich, kein grönländisches Fernsehen geschaut zu haben. Keine Ahnung, warum ich nicht auf diesen Gedanken gekommen bin, dabei hatte ich vor einigen Tagen den Kapitän und seine Begleiterin auf dem Boot gefragt, ob es so etwas wie Grönland TV gäbe, weil ich wissen wollte, in welcher Sprache das Fernsehen ausgestrahlt wird. Es wird jedenfalls auf Westgrönländisch gesendet, falls es jemanden interessiert. Es gibt Thule-Grönländisch im fernen Nordwesten, das allerdings mehr mit den kanadischen Inuit-Sprachen gemeinsam hat als mit West- sowie Ostgrönländisch. Aber Westgrönländisch lernen alle Kinder in der Schule und das wird somit auch im Fernsehen gesprochen. Ich habs aber nicht gesehen. Erst zurück in Island fiel mir das Fernsehen ein, deswegen schaltete ich sofort ein, aber da zeigten sie nur ein paar verschiedene BBC-Kanäle.
In Grönland kann man übrigens ganz gut den Effekt des Golfstroms erkennen. Nuuk liegt etwa auf demselben Breitengrad wie Reykjavik, ist aber jetzt schon fast zehn Grad kühler. Allerdings ist es auch fast windstill und trocken, während in Island ständig die Winde peitschen und der Regen niedergeht. Seltsamerweise sah ich in Island nirgendwo Windräder. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man in Island keine Windräder aufstellt. Es fühlt sich wie Ressourcenverschwendung an. Tatsächlich wird der Strom nur aus Wasserkraft und Geothermie gewonnen. Windkraft ist überhaupt kein Thema. Man hat es offenbar nicht nötig, die politische Flanke der Windkraft zu öffnen, denn es gab schon die ersten Windkraftgegner, die von der Verschantelung der Landschaft sprachen. Da kann man ruhigen Gewissens auf Geothermie setzen. Wobei ich finde, dass auch diese Geothermie-Anlagen wie total dystopische Industrieanlagen aussehen. Man erkennt sie schon von Weitem. Zuerst nur dichte Dampfwolken aus der Ferne. Nähert man sich ihnen, sieht man weit verzweigte und dampfende Röhrensysteme, die mich an die Welt von Skynet erinnerte, diese kaputte Maschinenwelt, in der Roboter alle Ressourcen für sich beanspruchen.
Ich finde es aber dennoch ungemein ästhetisch.
Heute, wieder zurück in Island, mieteten wir ein Auto. Eigentlich wollten wir von Keflavik aus in den Süden der Insel, nach Vik, zu den schwarzen Stränden und den Basaltformationen fahren. Das wären 3,5 Stunden pro Richtung gewesen. Nach einer Stunde Fahrt hatten wir allerdings keine Lust mehr. Der Gedanke daran, noch so viele Stunden im Auto zu verbringen, verdarb uns beiden etwas die Laune. In Ermangelung an guten Ideen fuhren wir aber erst einmal weiter. Als wir 10 Minuten später durch Selfoss fuhren, sah meine Frau ein nett aussehendes Café am Straßenrand, also drehten wir um und kehrten dort ein. Das war wieder eines dieser Buchcafés, wie es auch in Reykjavik eines gab, also eine Buchhandlung mit Café, allerdings nicht eine Buchhandlung mit einem Sofa, sondern ein vollwertiges Café und ein vollwertiger Buchladen. Ich kam mit der Händlerin ins Gespräch. Eine gut gelaunte Frau Ende fünfzig mit wilden, grauen Haaren. Ich hoffte, diesmal meine Fragen über den isländischen Literaturbetrieb loszuwerden. Aber auch diese Buchhändlerin gab mir keine zufriedenstellenden Antworten. Ich zeigte mich wieder erstaunt, wie viele Buchpublikationen es in Island gab, und sie sagte ganz stolz „Yes“. Als ich fragte, ob das subventioniert wird, sagte sie „Ja, die Lyriker müssen sogar selber zahlen um publiziert zu werden.“ Das war komplett an meiner Frage vorbeigeantwortet. Als ich wissen wollte, warum sie denkt, dass so viele Bücher auf Isländisch geschrieben werden, sagte sie: „We Icelanders are just crazy people“. Dann gab ich auf. Deswegen fragte ich sie nach Ásta Sigurðardóttir, ob sie eine andere Ausgabe als die etwas lieblose Taschenbuchedition, die man überall in den Läden fände, habe. Sie sagte, dass sie sicherlich ein paar verschiedene Ausgaben hat, und suchte daraufhin etwa 10 Minuten lang in ihren Regalen. Als sie nicht fündig wurde, rief sie ihren Mann an, der ihr die Bücher aus dem Archiv heraussuchen sollte. Er würde in einer Stunde im Laden sein und sie bei sich haben.
In der Zwischenzeit fuhren wir zu einem Woll-Laden eine Viertelstunde ostwärts. Das war ein einsames Haus mitten in einer leeren Landschaft. Meine Frau hatte es ergoogelt. Dort gab es diesen Woll-Laden und einen Töpferladen. Meine Frau suchte nach einem schönen Islandpullover. Wir fanden aber nichts. Zurück im Buchcafé war der Mann der Händlerin mittlerweile gekommen und hatte zwei Ausgaben mitgebracht. Eine gebrauchte, ältere Hardcoverausgabe für 30€ und eine Erstausgabe für 70€. Ich beließ es beim Hardcoverexemplar, schließlich möchte ich nicht bibliophil werden. Das liegt mir wirklich nicht. Ich habe generell wenig Bezug zu Gegenständen. Zudem entledigte ich mich vor einigen wenigen Jahren im großen Stil von Büchern, um diese deprimierende Schwere von Bücherschrank-Optik loszuwerden. Aber ein isländisches Buch, mit diesen Akzenten und seltsamen Buchstaben, von dieser etwas tragischen Autorin, mit der ich mich auf die Islandreise eingestimmt hatte, rundete die Reise für mich erst so richtig ab.
In Selfoss gibt es übrigens ein Skyr-Museum, das ich besuchen wollte, aber sie verlangten 20€ Eintritt, das war mir für ein kleines Skyrmuseum dann doch nicht wert.
In Selfoss beschlossen wir schließlich, unsere Reise ostwärts nicht mehr weiter zu verfolgen und stattdessen zurück nach Keflavik zu fahren. Wir hätten noch Zeit, in die Vulkangegend nahe Grindavik abzubiegen und ein paar Fotos in den Lavafeldern zu machen. Island ist, wie auch Grönland, so gut wie baumlos. In Island versucht man derzeit vereinzelt, wieder Bäume zu pflanzen. Sie werden allerdings nicht sehr groß. Manchmal sieht man an der Südküste bei kleinen Siedlungen ein paar Bäume stehen. Es sind Birken und Nadelbäume. Ich habe Bäume aber nicht vermisst, ich vermisse Bäume nie. Diese schönen, nackten Weiten. Felsen, Moose, Gras, Sträuche. Bäume versperren immer die Sicht. Auch wenn ich einem Wald durchaus etwas abgewinnen kann, lösen diese weiten nackten Landschaften ganz andere Gefühle der Ruhe in mir aus.
Unser Hotel befand sich direkt am Flughafen und war die ganze vorige Nacht einem Sturm ausgesetzt. Dieses Heulen. Die ganze Nacht lang. Wie habe ich das geliebt. Auch die zweite Nacht war so. Unser Flugzeug startete heute um 7:20 Uhr. Wir standen also mitten in der Nacht auf, latschten die 3 Minuten zum Terminal und fanden dort Unmengen an Menschen vor. Gestern ist die isländische Fluggesellschaft „Play“ in die Insolvenz gegangen und hat alle Flüge gestrichen. Ich nehme an, es gab damit einen Zusammenhang. Aber trotzdem ist Keflavik ein sehr geschäftiger Flughafen. Das war vor 12 Jahren auch schon so. Frühmorgens und spätabends gibt es einen ungewöhnlich hohen Betrieb. Auch als Drehkreuz zwischen Europa und Nordamerika. Vor allem auch nach Berlin, das ja sehr schlecht mit Direktflügen ausgestattet ist. Bei uns im Flieger saßen viele Menschen, die in Keflavik umgestiegen waren.
Gegen 13 Uhr landeten wir in Schönefeld, wo sie immer noch mit der Cyberattacke zu kämpfen haben. Lange Schlangen und die ständig gleichen, automatisierten Durchsagen, dass aufgrund der blabla.
Heute erwischte es dann uns: Unser Gepäck wurde verschlunzt. Es lag nicht auf dem Band der Ausgabe und so mussten wir uns in eine lange Schlange einreihen, um den Vorfall zu melden. Gefühlt bestand der ganze Flughafen aus Menschen, die beim Baggageclaim in der Schlange standen, oder Menschen, die enttäuscht auf leere Gepäckausgaben starrten. Mit zwei Stunden Verspätung kamen wir dann zuhause an. Wir gingen als Erstes zu den Nachbarn, um unsere Hündin zu holen. Schon auf dem Rückweg hatten wir ständig Fotos von ihr angesehen und waren ganz aufgeregt, sie wiederzusehen. Acht Tage war sie noch nie ohne uns.
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Parking lot gameÚlfrún Session IPA, bestes Bier IslandsGeothermie aus der FernePfützenTattoosudioSo.
Wir lagen schon im Bett, als das Telefon meiner Frau bimmelte. Es war die Aurora-App, die wieder wegen Polarlichtern über Nuuk alarmierte. Das macht die App immer, wenn man sie entsprechend einstellt und die Stärke der Lichter die 30-%-Grenze (von was auch immer) überschreitet.
Nun ist das mit den Polarlichtern ja so: Es gibt jede Nacht Polarlichter. Oft werden sie von Wolken verdeckt. Wenn die Wolken sie nicht verdecken, sind die Lichter aber meist ganz unspektakulär und lediglich als graue Schleier am Himmel erkennbar. Man verwechselt sie im Alltag tatsächlich mit gewöhnlichen Wolken. Erst wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass sie sich ein bisschen anders bewegen. Sie erscheinen für das menschliche Auge grau, weil unsere Augen bei Dunkelheit in einen Modus umschalten, der nicht mehr das gesamte Farbspektrum einfangen kann. Hält man das Telefon auf diese Wolken, dann sieht man erst das ganze Spektrum. Immer grün oder gelb, meist auch violett und rot.
Je stärker die Sonnenaktivität wird, desto erkennbarer und damit auch bunter werden die Lichter am Himmel auch für das bloße Auge. Die Aurora von gestern war beispielsweise wirklich nur ein leichter, grauer Schleier am Himmel. Die Aurora von heute war etwas stärker und hatte bereits einen leichten Grünstich, aber eher grau-dunkelgrün als grungrau und ganz sicher nicht leuchtend grün wie auf dem Foto. Leider sind unsere Augen in der Dunkelheit nicht so gut.
Es gibt sie aber schon, diese Polarlichter, die auch mit bloßem Auge richtig spektakulär sind, aber nur einfarbig, entweder grün oder rot. Die haben wir aber nicht gesehen, die gibt es auch nicht täglich. Wir haben nur Alltagsauroras gesehen, also die, die immer da sind. Die, nach denen kein Hahn kräht. Außer so aufgeregten Südländern wie wir. War dennoch cool.
Ich glaube nur, dass Polarlichter überschätzt werden.
Für heute hatten wir eine kulinarische Tour unten am Kolonialhafen von Nuuk gebucht. Wir wussten nicht genau, was uns erwartete, aber wir waren ungemein gespannt darauf. Grönland und Kulinarik brachten wir vor allem mit Robben, Rentieren und Moschusochsen in Verbindung. Es wachsen auch Steckrüben, und in der Tundra wachsen wilde Blaubeeren, die wir auf unserer kleinen Wanderung probierten, die allerdings wässrig und etwas säuerlich schmeckten. Und natürlich verschiedene Arten von Fisch. Aber sonst hatten wir in den letzten Tagen nicht viel über Essensgewohnheiten erfahren. Dummerweise fiel die Tour aus Krankheitsgründen aus. Ich schrieb den Tourveranstalter an, ob er mir wenigstens den Namen der Locations schicken konnte, damit wir uns auf eigene Faust auf den Weg machen können. Er nannte ein Thai-Restaurant, das Sushis mit Grönlandfischen zubereitet, dann das Braettet, ein kleines Marktgebäude, in dem die Fischer ihren täglichen Fang einbringen. Da wir gerade gefrühstückt hatten, verzichteten wir auf das Sushi. Dafür gingen wir zum Braettet, wo tatsächlich gerade Tiere in Stücke zerteilt wurden und haufenweise Fleisch herumlag. Wir erkannten vornehmlich Robbenfleisch, das auf Englisch Blubber genannt wird. Auf Deutsch fällt mir kein geeigneter Begriff ein, der so lustig klingt, aber es ist schlichtweg Fettmasse, die nach meinem Verständnis blubbert, wenn man sie bewegt. Es ist nachvollziehbar, warum Eisbären vorzugsweise Robben verspeisen. Deren Blubber hält den Metabolismus lange aufrecht.
Leider war das Fotografieren im Braettet untersagt.
Ich werde den Bericht an dieser Stelle abbrechen. Nach dem Besuch des Grönländischen Staatsmuseums kamen mir viele Gedanken zu diesem Land, das ich nun ein kleines bisschen besser verstehe oder zumindest besser einordnen kann. Warum es lange so rückständig war und sich immer noch ein bisschen unterentwickelt anfühlt, verglichen mit beispielsweise Island oder auch Spitzbergen. Ich werde versuchen, das morgen oder übermorgen einmal für mich zu ordnen. Am Abend flogen wir nämlich wieder zurück nach Reykjavik. Es ist jetzt halb zwei, wir sind gerade im Hotel am Flughafen angekommen. Morgen nehmen wir uns noch einen Tag auf Island, weil die Verbindungen so unmöglich waren. Wir werden mit dem Auto an die Südküste fahren und die schwarzen Strände besichtigen.
Meine Frau versucht wöchentlich, immer mindestens 30 verschiedene Pflanzen zu essen. In Berlin ist das kein Problem. In Island war es schon etwas schwieriger. Zum Frühstück gab es beispielsweise nur noch 3 Arten Obst, zudem blasse und wässrige Tomaten mit ein paar geschnittenen Gurken. Heute zum Frühstück in Nuuk gab es Käse und Wurst. Außerdem Haferflocken und Joghurt. Haferflocken zählen als Pflanze.
Ich hatte nicht bedacht, dass Grönland außerhalb der EU liegt und sich damit außerhalb der Roaming-Regelung meines Telefonanbieters befindet. Zwar befinden sich auch Norwegen und Island außerhalb der EU, aber mit denen gibt es eine spezielle Vereinbarung. Mit Grönland hingegen nicht. Am Flughafen verschickte ich zwei Fotos und schon erhielt ich die Nachricht, dass mein Auslandsguthaben von 49€ aufgebraucht sei. Im Hotel gab es natürlich WLAN, so konnte ich immerhin herausfinden, wie ich jetzt am besten weitermache. Der Support meines Anbieters hat keine Verträge mit Grönland und keinerlei Plan, wie er mit meiner Situation umzugehen hat. Auf dem Schreibtisch des Zimmers liegt aber ein Werbeprospekt von Tusass, das ist die lokale Telekom, die mit zeitlich begrenzten eSIMs wirbt. Ich ahne ein gutes Geschäftsmodell mit den vielen überraschten Touristen. Das Prospekt liegt nicht umsonst im Hotelzimmer auf. Ich überwies der Tusass 40 € und erwarb damit eine 7 Tage gültige eSIM.
Um 9 Uhr sollten wir am Hafen sein, weil wir eine Bootstour durch den Nuukfjord gebucht hatten. Unser Kapitän war ein junger Grönländer Ende zwanzig. Ihm zur Seite stand eine junge Grönländerin, die kurz vorher mit einem dicken Geländewagen im Hafen vorgefahren wurde. Sie entstieg dem Auto wie ein Alien. Sie trug langes blondes Haar und war in einem türkisfarbenen Jumpsuit aus Samt gekleidet. Darüber eine offene, glänzende Winterjacke von Boss und an den Füßen Sneakers, die auch in Science-Fiction-Filmen getragen werden. Dazu eine auffällige Sonnenbrille von Dolce & Gabbana und eine schicke Tasche, deren Marke ich nicht erkennen konnte. Sie setzte sich im Boot eine Reihe vor uns und wickelte uns in Gespräche ein. Man konnte sie alles fragen, sie wusste alles über Restaurants in Nuuk und auch über Grönland im Allgemeinen. Wenn sie etwas nicht wusste, zog sie ein pinkfarbenes iPhone heraus und recherchierte mit ihren langen, pinken Fingernägeln danach. Während der ganzen Fahrt wurde mir ihre Rolle nicht ganz klar. War sie ein Love-Interest des jungen Kapitäns, oder war sie die Tochter des Besitzers? Während wir Touris zwei Mal an Land gingen, blieben die beiden auf dem Boot. Einmal fuhren sie ein Stück in die Bucht hinaus und warfen dort den Anker aus. Als sie eine Stunde später ans Ufer zurückkamen, hörten sie noch lauten dänischen HipHop auf einer Bluetoothbox. Wir lachten. Wie sich später herausstellte, ging sie noch zur Schule, würde später aber im Grönlandtourismus arbeiten.
Wir fuhren jedenfalls zuerst zwei Stunden in Richtung Norden und gingen in einem kleinen Ort namens Kapisillit an Land. Kapisillit heißt übersetzt „Lachs“, weil – genau – es dort viel Lachs gibt. Um genau zu sein, sind die beiden dort endenden Flüsse die einzigen Orte in Grönland, an denen die Lachse noch natürlich laichen. Das Dorf liegt auf einer schönen, offenen und sonnigen Landzunge. Die Häuser sind auch hier wahllos charmant durch die Gegend gewürfelt. Es gibt einen Laden und eine Kirche sowie eine Grundschule. Der Laden schließt um 12 Uhr mittags und öffnet erst später am Nachmittag. Er hält für unser Boot nicht die Tore offen. Wir sehen noch jemanden aus dem Laden kommen, aber hinein darf niemand mehr. 12 ist 12. Wir spazierten durch den Ort und machten Fotos. Unten auf einer offenen Fläche auf Tundraboden sitzen 5 grönländische Männer zusammen auf einer Holzbank vor etwa einem Dutzend Bierdosen und scheinen eine gute Zeit zu haben. Sie winken uns Touristen zu und lächeln. Wir winken zurück und lächeln auch. Nach einer Stunde gehen wir zurück ins Boot und ich frage den Kapitän, was die Kinder eigentlich machen, wenn sie aus der Grundschule raus sind. Er sagt, dass sie nach Nuuk müssen, und ich frage, was die Eltern dann tun. Schließlich sind die grönländischen Dörfer und Städte nicht durch Straßen miteinander verbunden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kinder jeden Tag 4 Stunden mit dem Schiff nach Nuuk pendeln. Er sagt mir, dass die Eltern dann eigentlich immer mit den Kindern nach Nuuk umziehen und auch dort bleiben. Dörfer wie Kapisillit werden bald aussterben. Wir hätten ja sicherlich die vielen verlassenen Häuser gesehen.
Danach fuhren wir den Fjord weiter nördlich. Es häuft sich die Anzahl kleiner Eisberge, die immer größer werden. Dann biegen wir in den Eisfjord ein, einen breiten Wasserarm, der mit kleinen und großen Eisbergen übersät ist. Wir machen viele Fotos und hängen dort an verschiedenen Stellen mit dem Boot herum. Der Kapitän fischt uns ein kleines Stück schwimmendes Eis aus dem Wasser und reicht es mir. Es ist so klar und sauber wie ein Stück Glas. Er sagt, das sei schwarzes Eis. Sehr gefährlich für kleine Boote, vor allem für Segelschiffe, weil man sie nicht gut sieht. Es gibt weißes Eis, blaues Eis und schwarzes Eis. Schwarzes Eis ist fast durchsichtig. Und sehr alt. Das Stück, das ich jetzt in der Hand halte, ist mehrere tausend Jahre alt und wird demnächst zu Wasser verschmelzen.
Nach dem Eisfjord legen wir auf Qoornoq Island an. Das ist eine kleine Insel mit etwa 40 Häusern. Die Häuser sind alle seit den Sechzigerjahren verlassen. Damals hatte der Kabeljauwbestand einen Tiefpunkt erreicht und in Nuuk gab es gerade einen wirtschaftlichen Aufschwung. Es wurden große Fischfabriken gebaut und die Regierung förderte den Umzug der Bewohner ins nahegelegene Nuuk. Der letzte Bewohner verließ das Dorf in ’72. Die Frauen kamen in Nuuk prima zurecht. Sie erhielten Jobs in den Fabriken, die Männer hingegen taten sich schwerer und verfielen dem Alkohol. Der Kapitän erzählte von den Frauen, die in Nuuk auf einmal Kleider kaufen konnten und nach Hause gingen, um sie ihren Männern zu zeigen, die den ganzen Tag mit Bier und Wodka auf dem Sofa saßen. Die Geschichte kommt mir ein bisschen zu klischeehaft vor, aber sie bringt den Inhalt rüber.
Qoornoq ist wieder so ein unglaublich schönes Dorf, in dem Holzhäuser mit spitzen Dächern in die Tundra gewürfelt wurden. Qoornoq liegt zudem auf einer schmalen Landzunge und ist von zwei Seiten von Wasser umgeben, in dem sich die Eisberge stapeln. Das Dorf ist nicht ganz so verlassen, wie es scheint. Offenbar wurden einige Häuser von den Nuukern als Sommerhäuser wiederbelebt. Wir liefen an drei Häusern vorbei, auf deren Verandas Menschen mit einer Tasse Kaffee in der Sonne saßen und uns zuwinkten. Bei einem Paar blieb ich kurz stehen. Die Frau war eine Inuit und der Mann ein Europäer, vermutlich Däne. Die Frau sagte: „Welcome to Qoornoq.“ Zwischen dem ersten „Q“ und dem Rest des Wortes legen die Grönländerinnen eine kurze Pause ein. Es klingt, als würde sie das „Q“ an das voranstehende Wort hängen. Sie sagt daher „Welcome toq Oornoq“
In dem Moment fühlte ich, dass ich irgendwas sagen muss, und sagte etwas unvermittelt: „This is a place of happiness.“ Nachdem ich das ausgesprochen hatte, kam ich mir total verstrahlt vor. Aber sie nickten beide verständnisvoll.
Gegen 18 Uhr waren wir wieder zurück in Nuuk. Um 19 Uhr hatten wir einen Tisch im Nivi, einem Restaurant mit grönländischen Tapas, reserviert. Besonders beeindruckend fanden wir den „Seared Tuna“, also angebratenen Thunfisch, was jetzt sehr unspektakulär klingt, aber der Bratvorgang muss höchstens eine halbe Sekunde gedauert haben, weil nichts daran angebraten aussah. Jedoch war der noch rohe Fisch von einer seltsam milchigen Patina umgeben, die himmlische Dinge auf der Zunge tat. Neben dem Thunfisch muss ich auch das Moschusochsen-Tartar erwähnen und in der zweiten Runde gab es noch kleine Miniburger mit Moschusochsen-Pattys. Hatte ich noch nie und fand ich erstaunlich gut. Wesentlich saftiger als Rentierfleisch.
Nun.
Nach dem Essen und zwei großen Bieren von der lokalen Qajaq-Brauerei wurden wir müde und gingen zurück ins Hotel. Auf dem Rückweg sahen wir, dass unsere Aurora-App eine leicht erhöhte Polarlichter-Aktivität anzeigte. Also standen wir eine Weile vor unserem Hotel herum und sahen ein paar ganz schwache Erscheinungen am Himmel. Das Foto unten gibt es stärker wieder, als es in Wirklichkeit aussah. Diese schwachen Lichter sind mit bloßem Auge nicht sehr spektakulär. Aber das wusste ich vorher schon.
Tag 2.
Für heute hatten wir eine dreistündige, geführte Wanderung auf die Lille Malene gebucht. Das ist der kleine Hausberg östlich in der Bucht von Nuuk. Unser Führer war ein 27-jähriger Mann aus dem Süden von Grönland. Wir sind die einzigen Teilnehmer, was ich gut finde. So kann ich mich mit dem jungen Mann unterhalten und alle meine Fragen loswerden. Wir kommen unweigerlich auch auf das Thema Trump und USA zu sprechen. Während die beiden jungen Leute gestern auf dem Boot Trump und seine Annexionsfantasien ganz furchtbar fanden, wich der heutige Mann meiner Frage etwas aus. Er sagte, die Meinungen dazu seien in Grönland ja sehr gespalten. Die eine Hälfte möge Trump und die andere nicht. Er möchte nicht über Politik reden, aber er stellt halt schon fest, dass, seit Trump das Thema auf den Tisch gebracht habe, der Tourismus boomen würde. Menschen aus aller Welt kämen plötzlich ins Land und das sei ja schon gut für seinen Beruf und seine Familie. Spontan wollte ich sagen, dass der Tourismusboom vielleicht eher mit dem neuen Flughafen zu tun hat, der im April dieses Jahres geöffnet hat. Sogleich beschließe ich aber, das Thema abzubrechen. Ich habe keine Ahnung, ich habe wirklich keine Ahnung. Ich sollte als dahergekommener weißer Europäer wirklich nicht herkommen und Einheimische belehren.
Stattdessen erfasste mich plötzlich eine Angst vor Eisbären. Auf einmal merkte ich, dass jeden Moment ein Eisbär auftauchen könnte, und morgen würde der Tagesspiegel titeln, dass ein Berliner Touristenpaar in Grönland von einem Eisbären gefressen worden ist. Unser Führer trug kein Gewehr. Ich weiß, dass in der Gegend von Nuuk Gewehre nicht üblich sind, da in diesem Teil des Landes eigentlich nie Eisbären gesichtet werden. Allerdings lief letztes Jahr ein Eisbär über den Runway des Flughafens. Ich habe viel über Eisbären gelesen, wirklich viel. Was ich von Eisbären weiß, ist, dass sie immer aus dem Nichts auftauchen. Und plötzlich wird man gefressen. Über Bären im Allgemeinen habe ich gelernt:
* ist der Bär schwarz, mach dich groß
* ist der Bär braun, mach dich klein
* ist der Bär weiß, ist es vorbei
Da er kein Gewehr bei sich hatte, bedeutete es für mich: Wir können heute sterben. Ich wollte ihn fragen, wie er sich verhalten würde, wenn jetzt in diesem Moment ein Eisbär vor uns auftauchen würde. Allerdings traute ich mich nicht, ihm die Frage zu stellen, weil ich fürchtete, dass er kein Konzept hat. Als wir aber am Ende der Wanderung angekommen waren, fast unten bei den Containern, war ich jedoch mutig genug.
Seine Antwort fiel recht einfach aus. Er sagte, wir müssten uns groß machen und beobachten, wie er sich verhält. Groß machen. Soso. Ich war froh, dass ich ihm die Frage erst am Ende der Wanderung stellte. So konnte ich mich unterwegs den Fantasien hingeben, wie ich den Bären mit Steinen in die Flucht zu jagen versuchte.
Andere Sache: die Raben. Die sind hier unglaublich groß – und auch laut. Wenn sie auf dem Dach dieser 12-stöckigen Hochhäuser thronen und ihre Rabenlaute von sich stoßen. Oder wenn sie über die Stadt fliegen. Man sieht sie und hört sie ständig. Als ich gestern dem Kapitän davon berichtete, wie sehr mich die Raben in Grönland beeindruckten, nannte er sie „die Bringer des Lichts“. In der Mythologie der Inuit waren die Raben vor den Menschen auf der Welt und brachten das Licht.
Zurück in Nuuk besuchten wir noch das Einkaufszentrum, in dem sich einige Läden mit grönländischen Waren befanden. Vermutlich werde ich mir eine kleine Tasche aus Robbenfell kaufen. Die ganz kleinen für Telefon und Hundekacktüten. Die sehen sehr schön aus und kosten gar nicht viel. Oder ein paar Handschuhe fürs Radfahren bei eisigen Temperaturen. Ganz sicher bin ich mir aber noch nicht, weil ich mich in Berlin sicherlich die ganze Zeit dafür rechtfertigen muss und erklären, dass die durch Inuit erfolgte Robbenverwertung ökologisch sowie sozial nachhaltig ist und blabla. Robbenfell zu kaufen ist unbedenklicher, als ein Steak zu essen.
Aber will ich diese Diskussion ständig führen?
Danach waren wir platt. Wir ruhten uns ein paar Stunden im Hotel aus, liefen später aber noch einmal zurück ins Zentrum, um eine Pizza zu essen. Nach dem Essen wollte ich unbedingt noch ins Daddys, das ist der Pub, in dem sich die jungen Leute treffen. So sagte es mir die junge Frau auf dem Boot. Wir sollten aber nicht ins Maximut gegenüber, weil sich da nur die alten Grönländer betranken und es ständig Schlägereien gäbe. Das war ein guter Hinweis. Das Maximut stand nämlich auch auf meiner Liste. Nach der Pizza und dem Bier schwand aber unsere Energie. Wir schafften es immerhin noch, die zwanzig Minuten hinunter ins Hotel.
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Nuuk KolonialhafenGletschereisQoornoqKapisillitKomisches KühllochFriedhof KapisillitFortbewegungsmittel KapisillitEisbergEisschollenFischQoornoqKapisillitEisfjordBootQoornoqUnser Hotel zwischen Containern und Wellblech.SnowmobilesGlücklich bei den EisbergenGewürfeltes Nuuk
Isländerinnen trinken morgens zum Frühstück einen Shot Lebertran vom Kabeljau. Neugierig, wie wir sind, machen wir das natürlich auch. Es schmeckt unaufgeregt, wie Rapsöl, mit einem ganz leichten Hauch von Fischgeruch. Kann man gut machen. Davon wird man offenbar 100 Jahre alt, oder es schützt vor Krebs, kann mich nicht mehr genau erinnern, vermutlich beides.
Vormittags musste meine Frau arbeiten. Da ich um 11 Uhr auszuchecken hatte und es draußen regnete, hing ich im Hotelzimmer ab und nach dem Checkout unten in der Lobby auf irre bequemen Ledersofas.
Für morgen in Nuuk hatten wir eine Bootstour mit einer Wanderung über die Tundra zu einem verlassenen, aber traumhaft schönen Fischerdorf gebucht. Heute schrieb mir ein Mann namens Ivik, dass wir die einzigen seien, die diese Tour gebucht hätten, und er uns deswegen kostenlos auf die doppelt so teure und doppelt so lange Fjordtour upgraden möchte. Ich sagte natürlich zu. Das Fischerdorf wird auch Teil der Tour sein, aber zusätzlich werden wir zwischen Eisbergen und Gletschern herumschippern. Das ist sicherlich toll, auch wenn wir viel Zeit auf einem dieser Boote verbringen werden, was ich ja eher so mittelmäßig spannend finde.
Vom prognostizierten Regen haben wir in Island wenig abbekommen. Auf der Wanderung vom Mittwoch wurden wir von spektakulärem Wetter begleitet. Dramatische Wolken und nicht zu viel Sonne.
Der Reiseplan sah jetzt vor, dass wir unsere Handgepäckkoffer vom Gewicht befreien, damit wir von 10kg runter auf 6kg pro Gepäckstück kommen. Der Flug nach Grönland ist speziell, es gibt dafür besondere Regeln. Den Grund dafür habe ich noch nicht verstanden, er wird sich mir aber sicherlich erschließen. Beim Online-Check-in stellte sich allerdings heraus, dass wir den Flug mit einem extra Koffer gebucht hatten. Das war im Januar passiert. Daran konnte sich keiner von uns beiden mehr erinnern. Heute waren wir dankbar dafür. Zwar gilt nach wie vor die 6-kg-Regel für das Handgepäck, aber unter diesen Umständen können wir einfach alles, was Gewicht hat, in der größeren Koffer stopfen.
Das Flugzeug nach Nuuk war dann eine ganz gewöhnliche 767 mit viel Platz. Unser Handgepäck wurde auch nicht gewogen. Keine Ahnung, was es mit den Sonderregelungen für das Gepäck auf sich hat. Eventuell stammt die Vorgabe noch aus früheren Zeiten. Der Lufthafen in Nuuk wurde schließlich erst letztes Jahr zu einem internationalen Airport ausgebaut. Bis vor kurzem konnten hier nur kleinere Flugzeuge landen. Das ist meine Theorie. Aber es gab niemanden, den ich als kompetent genug erachtete, um mir eine solche Frage zu beantworten.
Der Flug dauert 2 Stunden und ein bisschen. Man fliegt die ganze Zeit über das Nordmeer und irgendwann tauchen in der Ferne die ersten Gletscher auf. Ich wunderte mich über die vielen Schiffe vor der Küste. Als meine Frau mit dem Telefon einzoomte, konnte man allerdings erkennen, dass es sich um Eisberge handelte. Das fand ich schön. Danach fliegt man eine ganze Zeit lang über den Eispanzer, gegen Ende hin wird es steiniger und dann sinkt man hinab, um in Nuuk zu landen. Jetzt haben wir 3 Stunden Zeitunterschied mit Berlin. Es gibt am Flughafen wenige Beschilderungen und auch keine Infostände. Man merkt, dass der Betrieb hier noch nicht so lange läuft. Aber alle sind freundlich und scheinen gut gelaunt. Als wir die Busse nicht finden konnten, war ich etwas verloren. Am Ende der Halle erblickte ich eine Grönländerin in Uniform, die ich um Hilfe bat. Sie sprach sehr einfaches Englisch und rief auf ihrem Telefon den Busplan auf. Der letzte Bus war bereits um 17 Uhr losgefahren. Jetzt war es aber schon halb 20:30. Wir wichen also auf ein Taxi aus.
Nuuk hat eine seltsame Siedlungsstruktur. Die Stadt ist auf einer sehr felsigen Halbinsel gebaut. Die Häuser wirken, als hätte man sie wahllos über die Insel gewürfelt, das wirkt irgendwie sympathisch. Dabei handelt es sich um interessante, moderne Wohngebäude, einen Stil, den man in Amsterdam und Kopenhagen auch sieht. Zwischendrin immer wieder auch grau bemalte Holzhäuser. Unser Hotel befindet sich in einem Gewerbegebiet am südlichen Ende der Halbinsel, oder zumindest müssen wir durch ein Gebiet von Autowerkstätten und Wellblechscheunen fahren. Hier erinnert es mich wiederum an Alaska, dem nicht-so-nicem Alaska, also dort, wo eine perspektivlose Jugend sich dem Alkohol hingibt. Das ist nur die Assoziation, die ich habe, ich schaue zu viel fern. Die Leute sind hier alle so gut gelaunt. Auch die junge Hotelangestellte an der Rezeption. Sehr freundlich. Sehr freundlich, aber langsam. Langsam im Aufnehmen meines Anliegens und langsam im Formulieren einer Antwort. Das fiel mir bereits bei der Flughafenangestellten auf. Freundlich, aber langsam.
Irgendwie verstrahlt. Das ist durchaus angenehm. Zumindest so lange ich nicht von der Ungeduld befallen bin. Und das kommt bei mir schon mal vor.
Obwohl wir schon seit 3 Tagen mit zwei Stunden Zeitverschiebung leben, merken wir diese zusätzliche Stunde heute an unserer fehlenden Energie. Wir beschließen, früh ins Bett zu gehen.
Vormittags ging ich mit meiner Frau in ein paar Islandshops, vor allem wegen dieser Islandpullover, die den Norwegerpullis ähneln, aber ein anderes Muster haben. Sie findet, dass mir solche Pullis stehen müssten, ich bezweifle das aber. Ich probierte einige an und sollte schließlich recht behalten. In diesen Pullis wirke ich etwas aufgeblasen. Außerdem ist dieses kreisförmige Muster für meine Schultern nicht sehr vorteilhaft. Ich wirke darin buckelig und schmalschultig. Dabei habe ich keine schmalen Schultern, die dadurch vielleicht betont würden, daher muss es eigentlich alle Menschen betreffen, die solche Kleidungsstücke tragen. Es ist seltsam.
Nachher setzen wir uns in ein ungemein schönes Café namens IDA, ein Buchcafé nach eigener Aussage. Es ist luftig, groß, gleichzeitig skandinavisch kleinteilig. Überall stehen Bücherschränke, Leute lesen Bücher am Fenster oder schreiben. So ein Lokal würde ich mir in Berlin auch wünschen. Ein bisschen ähnelt es dem „Shakespeare and Sons“ in der Warschauer, aber das ist immer so überlaufen, dass man sich nicht in Ruhe unterhalten, geschweige denn lesen kann.
Gegen Mittag bringe ich meine Frau ins Kongresszentrum und ich mache einen kleinen Spaziergang durch die Laugavegur. Bis hinauf zum Hotel, in dem wir vor 13 Jahren waren. Reykjavik fühlt sich wesentlich lebendiger an, als damals. Das sagte ich gestern auch unserem Tourleiter. Der bestätigte mir diese Beobachtung, die er auf die Bankenkrise von 2008 zurückführte. Damals sind viele Menschen in Island in die Armut gerutscht. Die Krise hatte viele Firmen und auch den Handel mit in die Pleite gerissen. Seit etwa 10 Jahren gehe es aber wieder bergauf und damit sei auch das Leben auf den Straßen zurückgekehrt.
Das Personal in Geschäften, Bars, Hotels und Restaurants besteht übrigens hauptsächlich aus Immigranten. Vor allem aus Südamerika, aber auch Ost- und Südeuropa sowie Indien. Wie auch überall sonst in Europa. Einheimische arbeiten nicht mehr als „Personal“. Unser Tourleiter Leifur sagte gestern, die zweitgrößte Minderheit Islands seien neuerdings die Katholiken. Ich wollte zuerst lachen, dann war ich mir aber nicht mehr sicher, ob das lustig ist.
Da mein Haar unmöglich lang geworden ist, suchte ich einen Friseurladen in der Skólavörðustígur auf, die sogenannte Regenbogenstraße, die hinauf auf den Berg zur Reykjaviker Kathedrale führt. Der Friseurladen hatte aber keinen freien Slot für mich. Also verwarf ich den Plan wieder und ging weiter hinauf zu diesem Buchladen mit dem komplizierten Namen. Da war ich schon vor 12 Jahren. Damals entdeckten wir genau dort diese Comics mit den lustigen und geschmacklosen Strichmännchen. Seitdem sind wir Fans von Hugleikur Dagsson. Ihm ist immer noch ein halbes Regal gewidmet. Es gibt eine Neuausgabe mit 500 Seiten für 40€.
Ich checkte die Auswahl an Übersetzungen. Es dürfte finanziell nicht sehr attraktiv sein, für 300.000 Menschen Bücher auf den Markt zu bringen. Es gibt vor allem Thriller und Krimis, Ann Cleeves und einige Stephen-King-Bände. Auch Sally Rooney. Sonst finde ich wenig Zeitgenössisches. Übersetzungen aus dem Deutschen gibt es nur von Klassikern. Goethe natürlich und Effi Briest, die auf Isländisch Effì Briest mit einem Akzent auf dem i geschrieben wird. Übersetzt wurde auch Coetzees „Waiting for the Barbarians“, aber wiederum nicht das wesentlich bekanntere „Disgrace“ Dafür viele English Books. So gut wie alles von Murakami und vieles wieder von Stephen King. Eine der Verkäuferinnen sprach mich an und fragte, ob ich etwas Bestimmtes suchte, was ich gleich als Gelegenheit nutzte, zu sagen, dass ich mich über die vielen Übersetzungen ins Isländische wunderte, dass das ein Gedanke war, der mir vorher nie gekommen war. Sie fragte mich, was mich daran wunderte. Ich sagte, dass ich mich halt wunderte, ob es denn lukrativ sei, für ein Volk von 300.000 Menschen Bücher zu übersetzen. Ich strengte mich an, nicht wie ein schnöseliger Naseweis zu klingen, sondern mein echtes Interesse zu zeigen. Sie sagte: „Wir sind 400.000 Menschen und nicht 300.000.“ Sie war freundlich, aber kurz angebunden, möglicherweise gefiel ihr mein Kommentar nicht, doch sie fügte hinzu, dass es sich für manche Bücher durchaus auszahle. Sally Rooney zum Beispiel. Dann ging sie weiter ihrer Arbeit nach. Ich sah aber auch keine Übersetzungen von zeitgenössischen skandinavischen Größen wie Knausgård oder Jonas Hassen Khemiri. Isländerinnen sprechen ja nicht Norwegisch oder Schwedisch, was bedeutet, dass sie zeitgenössische Literatur aus ihrem eigenen Kulturraum (zumindest gehe ich davon aus, dass sie sich dem skandinavischen Kulturraum zugehörig fühlen) nicht lesen können oder auf englische Übersetzungen zurückgreifen müssen. Das beschäftigte mich total. Oder was ist mit isländischen Autorinnen. Ich meine, wer macht sich die Mühe, ein Buch auf Isländisch zu schreiben. Bei einem Markt von wesentlich weniger als 400.000 Menschen ist es nicht schwer, zu erraten, wie wenig lukrativ das sein wird. Ich kann mir wiederum auch nicht vorstellen, dass isländische Autorinnen ihre Texte auf Englisch verfassen. Was macht das mit der lokalen Kultur. Die Frau war jetzt aber bei den Regalen in ihre Arbeit vertieft. Ich wurde meine Fragen nicht mehr los. Überhaupt renne ich hier ständig mit tausenden Fragen herum, und es gibt niemanden, der sie mir beantworten kann. Gestern beim Tourenleiter kam ich mir irgendwann wie ein eifriger Schüler vor, der ständig mit Fragen löchert. Immerhin weiß ich jetzt, dass Deutschland der größte Abnehmer isländischen Aluminiums ist, weil Strom hier so unfassbar günstig ist und gleichzeitig zu 100% aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Allerdings sah ich bisher keine Windräder. Bei diesem ständigen Wind, – und mit ständigem Wind meine ich wirklich ständigen Wind – fühlt es sich an wie eine verspielte Chance, aber das hat vielleicht andere Gründe.
Im Buchladen fand ich auch das Buch von Ásta Sigurðardóttir. Besser gesagt, ich fand es nicht beiläufig, sondern suchte explizit danach. Ich hatte gehofft, eine besondere Geschenkausgabe zu finden, stattdessen gab es nur ein etwas lieblos gestaltetes Taschenbuch.
Schließlich ging ich den Weg hinauf zur Kathedrale. Dieser von weitem sichtbare expressionistische Sakralbau. Wegen ihrer Ästhetik lässt mich die Kirche eher an eine Pilgerstätte für Tolkienfans denken, tatsächlich zitiert sie aber Basaltformationen und Gletscher. Von innen ist sie der Neugotik nachempfunden, allerdings ganz in Weiß. Überhaupt ist die Kirche hell, angenehm, leicht, nicht nur wegen des hohen Innenschiffs. Außerdem sind die Kirchenstühle gepolstert, ich hätte ewig sitzenbleiben können. Ich saß eine ganze Weile auf einer der Bänke und driftete mit meinen Gedanken ziemlich ab.
Um 17 Uhr traf ich meine Frau. Heute wollten wir früh essen und vielleicht auch früh ins Bett. Wir aßen wieder einen Burger für 30 Euro. Ah, das hatte ich noch gar nicht erwähnt. Speisen in Island kosten unfassbar viel Geld. Vor 12 Jahren schon kostete eine kleine und ziemlich schlechte Pizza 27€. Wir hatten aus einer naiven Annahme heraus gedacht, dass sich das mittlerweile geändert haben dürfte, aber das Preisniveau hat sich seitdem nicht geändert. Eine Pasta kostet 30 Euro, der günstigste Burger auch. Ein Glas Bier: 13 Euro. Den Preis für einen Cappuccino habe ich vergessen. Ich schaue gar nicht mehr hin.
Um zehn Uhr brachte ich die Hündin zur Nachbarin. Als ich mich verabschiedete, winselte und weinte mein Lieblingstier. Nachdem ich weg war, schrieb mir die Nachbarin aber, dass sie mittlerweile spielte und ganz entspannt sei. Sie weiß vermutlich, wie sie an meinen Gefühlsknöpfen schrauben muss. Die Hündin meine ich.
Meine Frau und ich fuhren direkt zum Flughafen. Sie wollte drei Stunden vor Abflug da sein. Ich finde das viel zu früh, aber meine Frau sitzt lieber länger am Flughafen herum und schlägt sich dort die Zeit tot, als in Stress zu geraten. Zudem hatte es am Sonntag ja diese Cyberattacke am BER gegeben, wer weiß, ob das schon alles gelöst ist. Da wir einen großen Koffer aufgeben mussten, stellte sich meine Frau an den Check-in-Schaltern an, während ich an der Seite wartete. Wir wurden über die Lautsprecher informiert, dass es wegen einer Cyberattacke am Wochenende zu Verzögerungen kommen wird.
Um es ein wenig abzukürzen: Jede einzelne Passagierin wurde mit Stift und Papier abgefertigt. Die Computersysteme funktionierten offenbar immer noch nicht. Eine Viertelstunde später kamen die Mitarbeiterinnen meiner Frau. Dazwischen war die Schlange bereits zu einem beeindruckenden Reptil angewachsen. Bis meine Frau an die Reihe kam, waren 2 Stunden vergangen. Immerhin schienen die Sicherheitsschleusen weniger stark von der Attacke betroffen sein, dort stauten sich die Menschenmassen zwar auch, aber in einer halben Stunde kamen wir durch. Mittlerweile hatte das Boarding unseres Fluges begonnen, also gab es keine Zeit mehr für einen Kaffee und ein Mittagessen. Wir würden gegen 17 Uhr in Reykjavik sein, das würde ich schon durchhalten. Auf dem Flieger trinke ich einzwei Biere und am Abend belohne ich mich mit einem Burger.
Allerdings wurde auch das Boarding mit Stift und Papier erledigt. Pünktlich zur Abflugzeit saßen wir in einem ziemlich leeren Flugzeug. Meine Frau erhielt ständig Updates von ihren Mitarbeiterinnen. Der eine stand noch beim Check-in, die andere immerhin schon bei der Sicherheitsschleuse. Um auch das ein wenig abzukürzen: Wir saßen zwei Stunden lang in einem sich erwärmenden Flieger ohne Klimaanlage, um auf alle Passagiere zu warten. Vom langen Stehen und dem mittlerweile auch langen und beengten Sitzen war ich mittlerweile erschöpft. Jetzt kam noch die Hitze dazu. Aber nach zwei Stunden gingen der Motor und auch die Kühlung an. Bis ich selbst einigermaßen heruntergekühlt war, flogen wir längst überm Nordmeer hinter den Färöern.
Mit zwei Stunden Verspätung landeten wir schließlich in Keflavik.
Um das Flughafenpech abzurunden, sollte ich noch erwähnen, dass die Airline das Gepäck verschlunzt hat. Nicht unser Gepäck, unser Koffer lag auf dem Band, aber nach der dritten Kofferrunde und vielen fragenden Gesichtern dämmerte uns langsam, dass das Gepäck der Mitarbeiterinnen nicht dabei war. Mussten wir uns also auch noch kümmern.
Dadurch verpassten wir zwei Shuttlebusse, aber der Tag würde hier noch zwei Stunden länger dauern und ich würde mich weiterhin mit einem Burger belohnen. Es ist alles nicht so schlimm, wenn man es sich einredet. Im Shuttle setzten wir uns vorne in die erste Reihe. Wir hatten die große Sicht auf die Straße und das Land. Wir ließen den Regen, die Straße und das Vulkangestein eine Stunde lang auf uns einwirken.
Gegen 22 Uhr Berliner Zeit kamen wir im Hotel an. Ziemlich genau 10 Stunden nachdem wir von zuhause los sind. In Reykjavik war es erst 20 Uhr. Wir verließen gleich das Hotel und gingen hinunter in die Altstadt, setzten uns in ein Lokal, das wir vorher ausgesucht hatten, ich aß einen Burger und trank dazu ein Bier. Meine Frau nahm eine Lachspeise. Nach dem letzten Bissen setzte das Futterkoma ein und ich beendete diesen sehr anstrengenden Tag-
Tag 2
In Berlin wache ich üblicherweise zwischen 6:30 und 6:35 ohne äußeres Zutun auf. Heute schaute ich auf die Uhr und es war: 4:33. Mein Berliner Schlaf verfolgt mich bis nach Island.
Skyr. Fürs Protokoll: Es gab am Frühstücksbuffet keinen Joghurt zur Auswahl, nur diesen trockenen Skyr.
Eigentlich wollte meine Frau heute arbeiten. Wir haben aufgrund der Wetterprognose für Donnerstag (starker Regen) unsere Exkursion um einen Tag nach vorne schieben können. Also nahmen wir heute gleich an einer Tour auf die Halbinsel Reykjanes teil, wo wir die Gegend der jüngsten Vulkanausbrüche besuchen würden. Wir kannten die Gegend aus unserem Besuch von vor 13 Jahren. Das kleine Hafenstädtchen Grindavik ähnelt heute einer Kulisse aus „The Walking Dead“, mit seinen verlassenen Häusern, die alle noch intakt scheinen. Nur der Rasen in den Vorgärten ist ungewöhnlich ungemäht. Manche Häuser stehen wegen des verrutschten Bodens schief, die meisten sind jedoch völlig intakt. Aber der Untergrund ist halt nicht mehr gut. Es kann sich eigentlich jeden Moment ein Spalt öffnen. Unser Tourenleiter Leifur erzählte, dass sich die geologischen Aktivitäten an dieser Bruchlinie jedoch etwas mehr nach Norden verschoben hätten. Eventuell würde sich in Grindavik die Lage wieder entspannen. Aus diesem Grund sind einige Bewohner wieder in ihre Häuser zurückgekehrt. Ein Hotel hat sogar wieder eröffnet. Aber die meisten Menschen sind weggezogen und werden nie wiederkommen. Auch ein Fish&Chips Restaurant hat wieder eröffnet. Dort kehrten wir ein und aßen etwas. Wir waren nur eine kleine Gruppe aus 8 Menschen. Ein Paar aus Spanien, ein anderes Paar aus Quebec und zwei alleinreisende Männer. Einer kam aus Chicago, der andere schwieg die ganze Reise lang.
Nördlich am Ortseingang hatte man einen riesigen Damm gebaut, um die nähernde Lava nach Westen hin abzuleiten. Dummerweise öffnete sich der Boden aber auch diesseits des Dammes, also baute man einen neuen Damm. Nach sechs Wochen hörte der Alptraum auf. Dafür öffnete sich 2 Kilometer nördlich der Boden, nahe des Kurbades „Blue Lagoon“. Auch dort fuhren wir hin und wir liefen auf einem frisch versteinerten Lavafeld aus dem März dieses Jahres herum. Ich machte Fotos davon, es ist aber schwer, die Wirkung eines solchen Feldes als Bild festzuhalten.
In der Exkursion war auch eine etwa zweistündige Wanderung über den Bergrücken eines alten, mittlerweile erloschenen Vulkans unweit von Grindavik inbegriffen. Von dort aus hatte man einen großartigen Blick über die Ausbrüche von 2021 und 2022, die eigentlich die Vorboten für die Zustände in Grindavik gelten. Aber das konnte man damals noch nicht voraussehen. Diese Ausbrüche fanden in höhergelegenen Gegenden statt, sodass die Lava sich wie Schokolade an Hängen von den Bergen hinunter ins Tal ihren Weg bewegte. Von unserer Sichtwarte aus, sah es aus, wie Schokoladekuchen.
Es ist langweilig, Landschaften zu beschreiben. Vor allem, wenn die Landschaft für so viel Reizüberflutung sorgt wie hier. Ein Detail gefiel mir jedoch gut. Das fiel mir erst auf, als ich ein bisschen auszoomte. Als wir von Grindavik über die Autobahn zurück nach Reykjavik fuhren. Diese extrem weite Steinlandschaft mit unzähligen moosbewachsenen Lavaformationen. Wenn man auszoomt, sieht man diese unglaublich weite, baumlose Fläche. Man kann bereits die 30km entfernten Vororte von Reykjavik sehen. Sonst ist alles eine weite Fläche, aber mit dutzenden einzelnen Vulkankegeln gespickt, manche sehr hoch, manche weniger. Manche 50 Kilometer entfernt, manche aber auch näher. Sie sind wahrscheinlich sehr alt. Tausend Jahre, vielleicht Zweitausend. Oder älter.
Zurück in Reykjavik regnete es. Wir hatten einen unerwartet trockenen Ausflug. Eigentlich war Nieselregen vorausgesagt, aber es schien den ganzen Tag die Sonne.
Um 17 Uhr waren wir zurück im Hotel. Meine Frau musste zu einer beruflichen Veranstaltung. Ich ging unter die Dusche und legte die Beine hoch. Um 20 Uhr traf ich sie und ihre Mitarbeiterinnen auf ein paar Drinks.
Heute sollte ich am Hafen von Follonica, in der Toscana, sein, weil alte Freunde mich zum Segeln nach Sardinien eingeladen hatten. Ich erhielt Selfies, auf denen sie mit T-Shirt und Sonnenbrille vor dem Segelboot sitzen. Sie wissen, wohin ich morgen fahre. Ich habe ab morgen auch T-Shirt-Wetter. Nur trage ich das T-Shirt unter der Winterjacke. Sonnenbrille hätte ich auch. Brauche ich aber nie.
Die Hündin findet das Packen suspekt. Sie findet es immer suspekt, wenn wir packen. Sie läuft mir den ganzen Tag hinterher. Sie wird bei der Nachbarin aber gut versorgt sein. Sie weiß es nur noch nicht.
Am Abend setzten wir uns bei 12 Grad auf den Balkon und öffneten uns ein Bier, um uns auf die Reise einzustimmen.