Der Kater hält an.
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Ich möchte meiner Frau diese Geschichte aus Ferdinand von Schirachs Verbrechen zu Ende vorlesen, aber sie schläft immer nach wenigen Sätzen ein und ich beginne dann jedes Mal von vorn. Mittlerweile habe ich sie mehrmals gelesen und finde sie so eindrücklich, dass ich sie daran teilhaben lassen muss. Die Geschichte heißt „Das Cello“ und handelt von einer zwanzigjährigen Frau namens Therea, die Cello spielt. Es ist die Tochter eines vermögenden Bauunternehmers aus Frankfurt, der sich aber nicht für sie und ihren kleinen Bruder Leonhard interessiert, weil er sie zu weich findet. Die Mutter starb, als Theresa und Leonhard im Kinderalter waren, und danach gab es keine feste Mutter mehr in ihrem Leben. Die beiden Geschwister hatten immer nur sich. Als Theresa zwanzig Jahre alt ist, beschließen sie und Leonhard, den Vater zu verlassen, und ziehen um die Welt. Theresa gibt Cello-Konzerte und Leonhard blättert die Noten um. Sie haben nur sich. Nach mehreren Jahren sind sie für einige Tage auf Sizilien, dort fahren sie auf einer Vespa, mit dieser stürzen sie und Leonhards Kopf platzt auf. Im Krankenhaus können die Ärztinnen immerhin sein Leben retten, die Prognosen sind aber schlecht, Leonhard wird nicht lange leben können. Nun schaltet sich auch der Vater ein und lässt den Sohn in die Charité nach Berlin bringen, wo sie weitere Operationen an ihm durchführen. Leonhards Gehirn und Körper sind schwerbeschädigt, er kann sich nichts länger als 4 Minuten merken und sein Körper ist von Urin durchtränkt, es bilden sich ständig Nekrosen und es müssen ihm nach und nach Körperteile entfernt werden. Bald vergisst Leonhard auch, dass er vergesslich ist, vergisst seine Schwester, es gibt für ihn nur diese schöne Frau, die ihn pflegt und ihm mit dem Cello vorspielt. Währenddessen will er masturbieren. Die Schwester soll während des Spielens unbekleidet sein. Abend für Abend. Sein Zustand verschlechtert sich, Theresa bleibt ihm aber zur Seite. Sie haben nur sich. Mittlerweile kommt auch der Vater wieder, einmal im Monat. An einem Tag lässt Theresa ein Bad ein, sie gibt ihrem Bruder Barbiturate und sie gehen gemeinsam in die Wanne, wie früher, als sie Kinder waren, das waren sie gewohnt. Er schläft ein und wacht nicht mehr auf. Theresa wird des Mordes angeklagt, gibt alles zu, kommt ins Gefängnis. Dort nimmt sie sich das Leben. Als der Vater von ihrem Tod erfährt, holt er einen Revolver aus dem Tresor, steckt ihn in den Mund und drückt ab.
Ich schlug meiner Frau vor, dass ich ihr die Geschichte am Tag vorlese, sie sagte, sie werde aber schon müde, wenn sie den Umschlag dieses Buches nur sehe. Und mittlerweile kennt sie ja schon die Geschichte, weil ich ihr so oft gesagt hatte, was für eine eindrückliche Geschichte sie da verpasst. Eine Geschichte, wo sie am Ende alle tot sind. Na super.
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Am Nachmittag bereiteten wir Pepperkakan zu. Schwedischen Lebkuchen. Ich gab einen Block Butter in die Schüssel, eine Unmenge Zucker und viel Sirup. Danach zählte ich jede einzelne Kalorie, die ich in dem Topf verrührte. Es waren drei Millionen fünfhundersiebenunddreissigtausend vierhundertzweiunddreissig.
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