[Mi, 7.5.2025 – weisse Sonne, Rügen]

Es war ja fast zu erwarten, dass ich in diesen Tagen wenig Zeit für Tagebucheinträge haben würde. Ich habe eine gute Zeit mit meiner Schwester, wir sind viel unterwegs, und heute beschlossen wir sogar spontan, nach Rügen an die Ostsee zu fahren. Am Freitag habe ich ein Bewerbungsgespräch, der Plan sah vor, dass wir daher nur einen Tag bleiben können. Nach wenigen Stunden am Meer war meine Schwester aber dermassen begeistert, dass sie gerne noch einen Tag dranhängen wollte. Ich kann das Bewerbungsgespräch theoretisch ja auch von Rügen aus halten, ich brauche nur ein Hemd, weil das für ein Bewerbungsgespräch schlichtweg seriöser aussieht und es das Minimum ist, das ich an Aufwand aufbringen will. Oder zumindest einen anklebbaren, schwarzen Kragen. Wenn ich mit ihr einen Tag länger bleibe, spendiert sie mir ein Hemd, sagte sie.

So kamen wir vom Abendessen zurück und wir verlängerten unseren Aufenthalt um einen Tag bis Freitag.

Es ist hier wirklich sehr schön. Der Himmel ist blau, die Menschen sind freundlich und die Temperatur ist angenehmer, als sie mit ihren 13 Grad auf Papier hergibt. Das Licht ist bereits sehr hell, sehr weiss, wir nähern uns schon der Sonnenwende, In Longyearbyen geht die Sonne schon seit Wochen nicht mehr unter, in Lappland wird es nachts schon nicht mehr richtig dunkel. Ich vergesse immer, wie lange diese Sommersonne eigentlich dauert. Sie beginnt ja schon weit vor dem Sommer. In jener Zeit, die wir Sommer nennen, nimmt die Länge der Tage ja längst wieder ab.

In zehn Tagen fahren wir nach Schweden. Das Thermometer zeigt dort 1 Grad plus. Zugegebenermassen ist es 6:30 Uhr am Morgen, während ich diese Zeilen schreibe. Am Nachmittag wird es dort so warm wie hier auf Rügen, also etwa 13 Grad. Das ist schon in Ordnung.

Sonst habe ich wenig mitzuteilen. Ich habe kaum Notizen gemacht. Dadurch verschwimmen die Eckdaten, an denen ich entlangerzähle. Es ist so früh am Morgen und meine Wahrnehmung der letzten Tage dermassen ausgezoomt, dass ich nur das weite Blickfeld habe. Die Notizen werde ich wieder aufgreifen müssen.

Dafür gehe ich jetzt mit der Hündin runter zum Strand. Sie wird es lieben. Das freut mich jetzt schon. Die Sonne steht schon weit am Himmel.

[So, 4.5.2025 – Oberarme]

Ich weiss gar nicht mehr, was heute so passiert ist, ich habe aber vor allem Zeit damit verbracht, die Wohnung aufzuräumen, da meine Schwester zu Besuch kam. Um 17 Uhr holte ich sie vom Flughafen ab. Sie wird nun einige Tage hier bleiben, vielleicht fahren wir an die Küste, vielleicht hängen wir ein bisschen in der Stadt rum. Wir bleiben ganz spontan. Sie möchte mit mir ins Fitnessstudio. Das wird sicherlich gut.

Neben dem AfD-Shock, dass sie jetzt rechtsextrem ist, schlagzeilte die Bunte, dass Christian Lindner in Charlottenburg den Hund eines Filmschaffenden überfahren hat. Mein erster Reflex war es, Hassgefühle über den Mann der FDP auszuschütten. Hätte er meine Hündin getötet, dann hätte ich ihn in den Oberarm gebissen. Allerdings las ich anschliessend, dass ihn keine Schuld trifft und der Hund unangeleint auf einem Parkplatz stand. Offenbar hat er sich sofort aufopfernd um den Hund gekümmert und er war wohl sehr bestürzt über den Unfall. Es tat mir dann schon leid, welche Hassgefühle ich gegen ihn und seinen Oberarm aufbrachte.

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[Sa, 3.5.2025 – Ewige Jugend, Parfum, gute Ebayer]

Da ich mit meinen 50 Jahren aussehe wie 49 werde ich oft nach dem Geheimnis meiner Jugendlichkeit gefragt. Dafür gibt es zwei Gründe: Ich rauche nicht und ich gehe nicht in die Sonne. Allerdings weiss ich, dass sich die Sache mit der Sonne grundlegend geändert hat. Seit ich nämlich die Hündin habe, bin ich ständig in der Sonne, und wenn sich das so fortsetzt, werde ich auch meine ewige Jugendlichkeit verlieren. Ich trug nie Sonnenschutz auf meine Haut auf. Brauchte ich schlichtweg nicht. Das sollte ich jetzt aber grundlegend überdenken. In Berlin scheint nämlich sehr viel Sonne. Ich weiss, man merkt es dem Gemüt der Bewohnerinnen nicht an, aber Berlin und Brandenburg sind die Gegenden mit dem geringsten Niederschlag der ganzen Republik und es spielt auch bei den Sonnenstunden ganz oben mit.

Das sind die zwei Nachteile dieser Stadt: Das Meer ist zu weit weg und es scheint ständig die Sonne.

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Da meine Frau versehentlich mein neues Lieblingsparfum auf dem Badezimmerboden zerschmetterte, wollte ich es zuerst nachbestellen, allerdings sah ich, dass es von dem Duft eine Neuentwicklung gibt. Die Firma Schwarzlose hat ihr „Leder 6“ nämlich überarbeitet und nun den Duft „Leder 6-9“ herausgegeben. Das ist natürlich ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie nicht ganz zufrieden mit dem ursprünglichen Duft waren. Deswegen ging ich neulich zu Galeria am Alex um das neue Parfum zu testen. Ich verstand sofort, was sie daran geändert haben. Zum einen ist die anfängliche Nuance von verbrannter Milch nicht mehr da. Das mochte ich eigentlich ganz gerne, dieser Beigeruch verschwand aber immer schon nach einer halben Stunde. Und das Parfum ist jetzt in seiner Gesamtheit schwerer, dunkler. Ganz mein Fall. Nun sind die Düfte von Schwarzlose ohnehin Nischenprodukte und deswegen eher hochpreisig. Das neue „Leder 6-9“ gibt es auch nur in großen 100-ml-Fläschchen, der Preis beläuft sich somit auf fast 300 €. Ich habe da lange auf meinen linken Fuss und meinem rechten Fuss hin und her getrippelt und angewogen, Vor- und Nachteile aufgezählt. Und schweren Herzens, aber mit dem Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, schliesslich von einem Kauf abgesehen.

Allerdings kaufte ich jetzt auch nicht mehr das bewährte „Leder 6“. Denn es gibt ja die Weiterentwicklung. Für mich ist es damit ein toter Duft. Da bin ich ganz IT-Mensch.

Zuhause fand ich „Leder 6-9“ auf eBay. Dort verkaufte eine deutsch schreibende Frau mit russischem Namen ein gebrauchtes Fläschchen dieses Parfums. Wir schrieben ein bisschen hin und her und ich konnte die Flasche für die Hälfte des Preises erwerben. Immer noch stolze 150 €, aber immerhin vernünftiger. Zwischen dem verbindlichen Kauf und der eigentlichen Bezahlung wurde ich allerdings skeptisch und begann, nach Betrugsmaschen mit Parfums zu googlen. Und natürlich spielte sich das Angebot, in das ich hier verwickelt war, genau nach diesem Muster ab. Parfüm war gebraucht (aber nur 3 bis 4 Stösse), Hochglanzbilder und auf keinem der Fotos ist die Batchnummer abgebildet.

Also beschloss ich, den Kauf abzubrechen. Das war allerdings nicht ganz einfach, weil ich dem Kauf bereits zugestimmt hatte und ich damit nicht mehr abbrechen konnte. Ebay verlangte, dass ich mich mit der Verkäuferin einigen sollte. Der Verkäuferin schrieb ich, dass meine Frau den Duft nicht mag. Dafür brachte sie sofort Verständnis auf und so kam ich aus der Nummer wieder raus. Wobei ich ja noch nicht bezahlt hatte, ich hätte mich auch einfach weigern können. Aber es ist besser, wenn es gar nicht dazu kommt. Sage ich jetzt mal so. Bin ja ein guter Ebayer. Gernewieder.

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[Fr, 2.5.2025 – Schönwetterradverkehr, Ramenläden]

Den ersten Mai hatten wir ja wieder komplett ausgelassen. Auch Ostern oder die anderen Feiertage. Ich bin ganz froh, dass meine Frau diese Feierlichkeiten nicht interessieren. Dann komme ich selber nicht unter Druck, irgendwas unternehmen zu müssen, weil ein Feiertag ist. Zu Ostern gilt bei uns generell: Bloss nicht an die Ostsee oder an einen anderen See. Weil da alles verstopft ist. Meine Frau interessiert sich glücklicherweise auch nicht für schönes Wetter. Eine Exfreundin von mir hatte bei sonnigem Wetter ständig das Gefühl, dass sie draussen etwas verpasst. Da sie die Dinge aber nicht alleine nicht verpassen wollte, musste ich immer mit. Ich verpasse nicht gerne Dinge, aber ich weiss, dass ich nicht unbedingt etwas verpasse, wenn draussen die Sonne scheint.

Mit der Sonne kommen auch die Amateurradfahrerinnen auf den Strassen zurück. Sie sind langsam und träge und fahren immer mittig. Obwohl ich auf einem Damenrad mit Korb trete, bin ich immer der Schnellste von allen. Nur selten werde ich von behelmten Sportlern links überholt. Meist sind auch diese Herren in Feitschsportbekleidung langsamer als ich.

Heute war ich im Graefekiez verabredet und musste über diesen schrecklich schlechten und langen Fahrradweg durch die Skalitzer Strasse fahren. Diese 80cm breite Holperpiste, die man sich schon im Winter mit zu vielen Menschen teilen muss, aber heute auch noch mit den Schönwetterradelinnern. Horror. Weil ich vom Tempo genervt war, wich ich auf einen Seitenstreifen aus, ich fuhr zu nahe an einen Baum über das Wurzelwerk und vermutlich Metall oder Scherben wasweissich, wonach mein Hinterreifen ein lautes Ploppgeräusch von sich gab. Schliesslich hörte ich die Felgen auf dem Pflaster. Weit weg von zuhause und weit weg von meiner Verabredung.

Ich weiss nicht, was ich früher ohne diese ganzen Leih- und Tretroller gemacht hätte. Ich kam natürlich zu spät.

Jedenfalls assen wir dann Tacos bei El Rey und danach gingen wir in die Pflügerstrasse zum von mir geliebten „LagerLager“. Ein kleines Fachgeschäft für Bier mit dreivier Tischen und zehn Zapfhähnen mit erlesenen Biersorten. Ich war dort einer der ersten Kunden. Vor zehn Jahren war ich immer überglücklich, wenn irgendwo ein Laden eröffnete, der sich dem Bier verschrieben hatte. Zufälligerweise arbeitete ich auch noch dort um die Ecke, ich war dort wirklich sehr oft.

Heute standen wir aber vor geschlossenen Pforten. Auch das „Damensalon“ schräg gegenüber war geschlossen. Immerhin hatte das „Kauz und Kiebitz“ geöffnet, das auch grossen Wert auf eine gute Bierauswahl legt. Die Chefin des Kauz und Kiebitz klärte uns auf, dass sowohl das LagerLager wie auch das Damesalon jetzt dauerhaft geschlossen sind.

Das Schöne an Berlin ist, dass viele Sachen einfach schnell gehen, während manche Sachen sehr langsam passieren. Oft geschieht das aber in einer falschen Gewichtung. Sagen wir so: Meldebestätigungen gehen langsam. Aber schaut man einmal nicht hin, ist plötzlich eine Kneipe weg. Schaut man dann ein zweites Mal nicht hin, ist zum Glück wieder eine Kneipe da. Neuerdings wird es allerdings oft ein Burgerladen. Oder Ferienwohnungen. Oder Ramen. Oder Sushi.

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[Do, 1.5.2025 – Alkoholismus, Zyklen]

Ich ging gestern mit Überzeugung und gerne ins Fitnessstudio. Nach den zwei ausgefallenen Tagen freut mich das. Ich fürchtete den ersten Schlendrian.

Als ich vom Training zurück nach Hause kam, hatte ich ziemlich bald im Anschluss einen Bewerbungscall. Ich schmiss schnell ein schwarzes Hemd über. Darunter die kurze Radlerhose. Immerhin eine Hose. Wie sehr ich das optische Bullshitten vor der Webcam vermisst habe.

Später im Park traf ich eine Bekannte, eine Frau in meinem Alter. Wir drehten ein paar Hunderunden im Park und kamen auf Alkohol zu sprechen. Mich beschäftigt es schon länger, dass wir eigentlich zu wenig über Alkoholismus sprechen. Oder anders gesagt: dass viele Menschen in meinem Umfeld ganz offensichtliche Zeichen von Alkoholismus zeigen, sich in der Selbstwahrnehmung allerdings überhaupt nicht dessen bewusst sind und es abstreiten. Nun ist es eine Eigenschaft von Alkoholikerinnen, den eigenen Alkoholkonsum kleinzureden oder abzustreiten, aber davon abgesehen habe ich tatsächlich den Eindruck, dass die meisten schlichtweg nicht wissen, was Alkoholismus eigentlich ist. Bei Alkoholikerinnen denkt man ja immer an Menschen, die morgens zittern und einen Pegel aufrecht erhalten müssen, um zu funktionieren. Dummerweise ist das nur einer der 5 Alkoholismen. Das ist die Spiegeltrinkerin, die auffälligste von allen, aber auch die seltenste. Es gibt allerdings noch vier weitere Typen. Auch ich kann mich da gut einsortieren. Und es stimmt mich nicht feuchtfröhlich.

Zudem gibt es gute und simple Online-Tests. Ich empfehle sie den vielen vermeintlichen Gelegenheitstrinkerinnen.

Zur Erinnerung: Ich gendere meistens mit dem generischen Femininum.

Mit Alkoholismus ist das aber immer so eine Sache: Bis wo ist es ein obsessives Hobby und ab wann wird es ein Problem? Gesundheitliche Schäden kommen erst im Alter, und solange man nicht den Job oder die Partnerin oder Freunde verliert, ist es ja nicht so schlimm, oder?

Nun.

Die Hündin ist läufig. Es kündigte sich bereits seit einigen Tagen an. Sie liegt schwermütig und antriebslos herum. Und unkastrierte Rüden können nicht mehr die Schnauze von ihrem Hinterteil lassen. Sie ist noch genervt von den Typen. Ich weiss gar nicht, warum man Hündinnen läufig nennt, es sind ja die Rüden, die unkontrolliert über die Strasse rennen oder abhauen, wenn sie eine paarungswillige Hündin riechen. Ich hoffte, dass es noch zwei Wochen dauert, bis ihre Blutungen einsetzen. Da wären wir zwei Wochen lang in Schweden. Dort ist es entspannter für sie, aber vor allem für mich, weil ich mich nicht ständig mit Rüden bzw. Rüdenhalterinnen beschäftigen muss.

Hatte ich eigentlich schon einmal von dem schwulen Hund erzählt? Den treffe ich ab und zu auf der Karl-Marx-Allee. Lustigerweise treffe ich den meistens, wenn meine Hündin läufig ist. Wenn man mit einer läufigen Hündin einen sich nähernden, unangeleinten Hundepenis sieht, spricht man zwangsläufig mit den Besitzerinnen. Läufig und so, Kastriert janein?

Der Besitzer des schwulen Hundes sagte mir, sein Rüde sei schwul, der interessiere sich nicht für Weibchen. Und tatsächlich ist das sogar während der sogenannten Stehtage der Fall. Also an jenen Tagen, an denen unkastrierte Rüden glasige Augen bekommen und die Hündin sich auch empfangsbereit gibt. Das sind immer etwa 4 bis 5 Tage der gesamten Phase. Bei Hunden schaltet während dieser paar Tage alles auf Fortpflanzung um.

Dass der schwule Hund (klingt wie eine Beleidigung) dies völlig ignoriert, fand ich erstaunlich. Ich ging davon aus, dass bei Rüden in diesem Fall ein Notgeilheitsprogramm anspringt und es eigentlich egal ist, wie die Hundedame aussieht. Bzw welches Geschlecht man vorzieht. Jetzt stellt sich mir natürlich die Frage, ob sein Hund sexuelles Interesse an anderen Rüden zeigt. Aber die haben ja keine hormonellen Zyklen, die müssten also immer Triebe haben, das würde auch bedeuten, dass er ständig – nunja. Vielleicht ist das kein Thema, das man mit fremden Menschen auf der Strasse besprechen sollte. Ich gehe aber eher davon aus, dass er asexuell ist und nicht schwul.

Werde ich ihm aber nicht sagen. Er schien sehr stolz darauf.

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Achso und heute war der erste Mai.

[Di, 29.4.2025 – Überqualifikation, Strom, Blase, Und wieder Lotusblüten]

Die beiden Bewerbungsgespräche liefen gut. Allerdings komme ich nur für eine der beiden Firmen infrage. Für die andere bin ich überqualifiziert, wie der Herr meinte. Ich würde mich nur langweilen, sagte er. Überqualifikation finde ich in meinem Fall eine lustige Formulierung. Als Manager oder Führungskraft bin ich in Wahrheit zu inkompetent, um die richtige, fachliche Arbeit durchzuführen. Ich kann aber gute Emails schreiben und die Leute zusammenhalten. Überqualifikation ist natürlich der schönere Begriff. Die andere Firma ist aber super. Für die würde ich gerne arbeiten.

Wegen der beiden Gespräche fiel heute das Fitnessstudio aus. Ich meide es noch, in den Abendstunden zu trainieren. Mir ist es bewusst, dass ich derzeit den Vorteil geniesse, nicht nach Feierabend ins Studio zu müssen, wenn alles überlaufen ist. Sobald ich wieder arbeite, wird sich das ändern, dann werde ich oft an Geräten warten müssen. Gestern hatte ich tagsüber ja auch einen Bewerbungstermin, deswegen war ich gestern auch schon nicht da. Ich muss aufpassen, dass ich nicht schon nach wenigen Wochen nachlässig werde. Ich muss daher unbedingt morgen gehen. Und ich werde auch am Freitag trainieren, um die Woche wenigstens mit zwei Trainings gefüllt zu haben. Allerdings habe ich am Freitag auch wieder zwei Bewerbungsgespräche. Schon verrückt, diese Woche. So viele Angebote gab es noch nie. Dabei ist Freitag sogar ein Brückentag.

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Vor drei Jahren, als Russland die Ukraine angriff und die Gasversorgung in Deutschland in Gefahr geriet, bereiteten wir uns in meiner Firma auf einen Ernstfall im Winter vor. Wir schafften ein kleines Dieselaggregat an, kauften eine Starlink-Station, viele Taschenlampen und tausende Liter Wasser in Flaschen. Die Idee war es, bei einem landesweiten Stromausfall zumindest Mitarbeiterinnen und Familienmitglieder ins Büro bringen zu können, wo wir Internet und Wasser bereitstellen können wollten.

Nun ist es glücklicherweise nie zu diesem Ausfall gekommen. Aber auch zuhause kauften wir Trinkwasser, Taschenlampen und ein kleines, analoges Radio. Ein Radio hat ja kaum noch jemand. Mein Auto kann vielleicht noch Radiowellen empfangen, aber sicher bin ich mir da auch nicht. Wie der Stromausfall in Spanien gestern gezeigt hat, werden alle wichtigen Kommunikationswege ausfallen. Sogar die Handymasten, die eigentlich noch eine Stunde lang auf Akkubetrieb funktionieren sollten, fielen sofort aus. Das normale Volk wird nicht mehr kommunizieren können. Meine Frau und ich sind jetzt wirklich keine Prepper, aber dieses kleine Radio zu besitzen, war schon sehr speziell.

Wovor ich mich aber am meisten fürchte, ist es, in einem Fahrstuhl stecken zu bleiben. Natürlich auch, weil es im Katastrophenfall Tage oder Wochen dauern kann, bis Hilfe kommt. Man muss nur rechnen, wie lange ein paar Dutzend Aufzugsfirmen brauchen, um hunderttausende Menschen im ganzen Land aus Aufzügen zu holen. Die meisten Menschen werden nach drei Tagen schlichtweg verdursten.

Aber dieses Szenario finde ich gar nicht so schlimm. Mehr Angst habe ich davor, dringend aufs Klo zu müssen. Im Aufzug ist das ja immer so. Im Aufzug muss ich plötzlich dringend aufs Klo gehen. Das fängt schon an, wenn ich mich dem Haus nähere: Die Blase beginnt sich zu melden, leichtes Kribbeln. Je näher man der Haustür kommt, desto mehr drückt sie, mit jedem Schritt wird das Bedürfnis urgenter. Im Aufzug kann ich es kaum noch bei mir halten. An der Wohnungstür fallen meine motorischen Komponenten aus und ich stochere wild mit dem Schlüssel am Schlüsselloch herum.

Jetzt will ich mir nicht vorstellen, was passiert, wenn im Aufzug der Strom ausfällt. Davor habe ich Angst.

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Zusammengefaltete Zeitung in der einen Hand, schwarzes Hemd, Sonnenbrille im Ausschnitt, die Frisur wie ein griechischer Gott aus schwarzem Marmor.

Wenn ich jetzt bloss nicht watscheln würde wie eine Ente. Dann wäre mein Look perfekt.

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Am Abend war ich zu einem Drink verabredet. Die Verabredung wurde allerdings abgesagt und nun sass ich wieder etwas hilflos mit geöffneten Rezeptoren für Bier zuhause herum. Das mit den Rezeptoren beschrieb ich bereits vor zwei Wochen. Heute hatte ich den ganzen Tag kaum gegessen, um den Kalorienhaushalt einigermassen im Gleichgewicht zu halten, weil ich mittlerweile weiss, wie viele Kalorieneinheiten ein alkoholisches Getränk in sich führt.

Meine Frau wusste wieder Abhilfe zu schaffen und schlug vor, mit der Hündin eine lange Runde zu drehen und uns irgendwo einen Aperitif zu gönnen. So taten wir es dann auch.

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[Mo, 28.4.2025 – Ärmel, VOffice, Barrowlands]

Komischerweise haben sich in dieser Woche fast so viele Bewerbungsgespräche angehäuft wie im ganzen ersten Quartal dieses Jahres. Dabei ist es sogar eine Brückentagswoche mit dem ersten Mai am Donnerstag. Der erste Termin fand heute statt und es war ein Erstgespräch vor Ort in der Räumlichkeiten der Firma. Es ist bestes Sakko-Wetter und meine Frisur sitzt ungemein gut. Meine Frisur sitzt schon seit Tagen gut, was vermutlich an dieser neuen Pomade liegt. Morgens fahre ich mit den Händen einmal durch die Haare und sie drapieren sich wie eine griechische Gottheit aus Marmor über mein Haupt. 

Nach dem Gespräch fuhr ich zu Zara, weil ich neulich merkte, dass mir für diese Temperaturen die richtige Kleidung fehlt. Morgens ist mir zu kalt und mittags zu warm. Das schwarze Blouson, mit dem ich aussehe wie ein italienischer Clanchef passt am ehesten in diese Jahreszeit, aber seltsamerweise sind die Ärmel leicht gefüttert, was bei mir für ein Ungleichgewicht in meinem Temperaturhaushalt sorgt. Wärme Arme. Wer braucht denn sowas? Bei Zara fand ich einen fast identischen Blouson, aber ohne gefütterte Ärmel. Dafür eine Innentasche, was ich beim anderen Blouson schmerzlich vermisste.

So. Ich jetzt glücklich.

Während ich bei Zara stand, fiel in ganz Spanien und Portugal der Strom aus. Eine beachtliche Sache. Wir hatten uns in der Firma nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine mit der Gefahr von landesweiten Stromausfällen beschäftigt. Mit beachtlichen Erkenntnissen. Vielleicht schreibe ich mal etwas darüber. Das braucht aber mehr Raum.

Um 19 Uhr war ich mit Frau Fragmente für eine Virtual Office Sitzung verabredet. Virtual Office nennt sie ihre Online Meetings mit zB Frau Novemberregen, in denen sie sich via Teams oder Zoom verabreden und an Texten arbeiten. Nicht gemeinsam an einen Text, sondern in einem gemeinsamen virtuellen Raum in dem sie an ihren eigenen Texten schreiben. Als sässe man in einem Gemeinschaftsbüro.

Sie schlug das letzte Woche vor, weil sie meinen Blogbeitrag über Textarbeit las. Sie meinte, man könne dieses Virtual Office ja probieren, ihr helfe das immer sehr gut. Zuerst war ich nur mittelmässig interessiert, was vielleicht an meiner Aversion gegen Online Meetings liegt. Die Pandemie hat mir im Hinblick auf Zoomcalls wirklich sehr viele negative Gefühle beschert. Weil ich aber trotzdem zu erkennen glaubte, wie gut das für den Schreibprozess funktionieren könnte und ich sowieso immer alles ausprobieren will, stimmte ich zu. 

Ich bin ja ein Prokastrinator. Während der Arbeit an der Novelle habe ich verstanden, dass ich mir Zeitfenster setzen muss, innerhalb derer ich nichts anderes mache, als zu arbeiten. Das schliesst auch ein, keine Browsertabs zu öffnen, keine Emails zu lesen und nicht aufs Telefon zu schauen. Das gelang mir im Sommer und im Herbst, als ich an der Novelle schrieb. So ein Bürosetting würde die Konzentration auf alle Fälle unterstützen. Während ich das hier schreibe, sitzt Frau Fragmente in einem kleinen Fenster rechts oben auf meinem Bildschirm und tippt Sachen in ihren Computer. Wir haben uns vorher abgesprochen, worüber wir schreiben. Sie wird einen Blogtext über–

[Pause]

–über Barrowlands verfassen. Gerade hat mich Frau Fragmente unterbrochen, weil sie keine Tippgeräusche mehr von meiner Seite hörte. Deshalb die Pause. Ich gab zu, dass ich das Wort Barrowlands aus unserem Chat suchen musste. Weil ich zum einen nicht wusste, wie man es schreibt und weil ich auch überhaupt keine Ahnung habe, was das ist. Ich war mal in einer Gegend in Westirland, die hiess „Barrowlands“, das war eine unwirtliche und unwirklich schöne Gegend aus Stein, Gebüsch und Geröll. Ich gehe aber davon aus, dass es in ihrem Fall eine Band ist. Oder ein Festival oder ein Film. 

Sie buchstabierte es für mich und als ich fragte, was das überhaupt ist, dieses Barrowlands, sagte sie, ich müsse warten bis ich ihren Blogtext gelesen habe, dort steht alles drin. Sie hielt mir aber eine Videokassete in die Webcam. Darauf stand in ziemlich unleserlicher Schrift „barrowlands“ geschrieben. Wie gesagt, ich gehe davon aus, dass es eine Band ist.

Ich hingegen legte mich zuerst auf den Romantext fest. Zur Zeit arbeite ich an dieser Geschichte die ich Liebesgeschichte nannte, die aber in Wirklichkeit keine Liebesgeschichte ist. Seit gestern trägt sie den Arbeitstitel „Malena“, aber der Titel ist so schlecht, der wird sich sicherlich ändern. Ich verspürte lediglich den Wunsch, der Geschichte einen Namen zu geben, damit ich sie für mich referenzieren und einen Ordner anlegen kann. Zehn Sekunden nachdem ich zu Frau Fragmente sagte, dass ich an dem Romantext schreibe, entschied ich mich doch für einen Blogeintrag. Ich hatte schon am Vormittag an „Malena“ geschrieben. Ist auch mal gut. So geht Arbeit. 

Und jetzt sitze ich hier. 42 Minuten waren das bisher. Frau Fragmente hat schon mehrmals gesagt, sie sei beim letzten Absatz, aber sie hat sich bereits mehrmals korrigiert, sie sei jetzt doch nicht beim letzten Absatz usw.

Für 42 Minuten ist es doch eine beträchtliche Menge an Text geworden. Normalerweise brauche ich dafür länger. Ich habe mich natürlich davor gescheut, aufzustehen und Wasser zu holen. Und natürlich habe ich keine Browsertabs geöffnet. Ich sass fast immer hier, konzentriert. Zweimal haben wir einander unterbrochen bzw. mit einem Gedanken weitergeholfen.

Kein richtiges Ende. Aber ich lese jetzt den Text von Frau Fragmente.

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[Sa, 26.4.2025 – Tramgleise, Remis, Bowle, Ungarn]

Am Freitagmorgen brachte ich die Schwiegereltern zum Flughafen. Direkt danach brachte ich einen gemieteten Rollstuhl zurück nach Mahlsdorf. Wir dachten, ein Rollstuhl sei praktisch, etwas mobiler zu sein, die Schwiemu ist nicht mehr so gut zu Fuss unterwegs. Wir verwendeten ihn nur einmal, als wir mittags zum Griechen gingen. Wir hatten den billigsten Stuhl gemietet, weil wir keine Erfahrung mit Rollstühlen haben und auch nicht wussten, worauf man da achten muss.

Aber es war dann ein wackeliges Teil, mit dem man auch kaum über abgesenkte Bordsteine oder Tramgleise kam. Ich bilde mir ein, dass das ein Qualitätskriterium sein könnte. „Mit diesem Stuhl kommen sie über jedes Tramgleis“. Als wir einmal auf den Gleisen steckenblieben, sagte ich zu meiner Schwiegermutter: „Lass uns einfach hierbleiben. Die Sonne scheint. Hier ist auch schön.“

Das fand sie lustig. Sie findet unerhörte Witze immer lustig.

Am späten Nachmittag fuhr ich ins Olympiastadion zum Heimspiel gegen Magdeburg. Weil wir nur 1:1 spielten, ist der (von mir immer noch blauäugig erhoffte) Aufstieg damit auch rechnerisch nicht mehr möglich. Immerhin haben wir rechnerisch jetzt auch den Abstieg verhindert. Es wird also ein weiteres Jahr zweite Liga. In meinem Fanclub und auch im Verein scheint sich niemand wirklich daran zu stören. Der sportliche Erfolg ist nach den verrückten und verhassten Investorenjahren irgendwie zweitrangig geworden. Solange die Mannschaft Einsatz zeigt und wir sportlich nicht abstürzen, scheint es auch in der zweiten Liga angenehm zu sein, die an vielen Spieltagen einen höheren Zuschauerschnitt hatte als die von Firmen und Investoren gepamperte erste Liga. Nächstes Jahr wird das natürlich anders, wenn der HSV und Köln wieder aufsteigen.

Ach.

Ich weiss oft gar nicht, warum ich überhaupt zum Fussball gehe.

Heute hingen meine Frau und ich ein bisschen rum, schauten fern. Auch konnte ich in den Amazon-Statistiken sehen, dass eine Person die komplette Novelle ausgelesen hat. Das freute mich natürlich. Aber sonst passierte wenig. Ich war natürlich gespannt, ob sich der Abdruck in der Jungle World bemerkbar machte. Tat er nicht. Vielleicht hängt das aber auch mit dem Publikum dieser Zeitung zusammen. Amazon trägt mittlerweile schliesslich Hörner und hält eine Heugabel in der Form eines Hakenkreuzes in der Hand.

Ich finde es dennoch erstaunlich, wie wenig es sich auf die Verkäufe auswirkt. Das war beim Abdruck im ND auch schon so. Immerhin sind mir die Einkünfte nicht wichtig. Ich frage mich allerdings, was das medientechnisch bedeutet, wenn Zeitungen mit 16.000 Exemplaren keinen einzigen Verkauf generieren. Es kann natürlich auch am Text liegen bzw. an dem Thema. Und ich will mich auch nicht beklagen. Ich denke nur laut.

Am Abend waren wir bei der Traveling Lady verabredet. Sie hatte zu einem Frühlingsfest geladen und Bowle gemacht. Einige meiner Freunde waren anwesend und viele ihrer Gäste kamen aus einem internationalen Umfeld. Menschen aus England, Frankreich und Südamerika. Eine Frau, mit der ich mich unterhielt, hatte einen ungarischen Akzent. Ihr Zungenschlag glich dem der Menschen, die in Sisi-Filmen Ungarn spielen. Ich habe zu Ungarn durchaus positive Gefühle. Unser langjähriger ehemaliger Fussballtrainer ist Ungar, zudem mag ich Gulasch und überhaupt. Der Diktator Orban ist natürlich keine gute Sache, aber es beeinflusst meine positiven Gefühle wenig. Also riet ich ihre Herkunft und sagte: Ungarn. Ein Raunen ging durch die Runde. Sie war Polin. Ungarn kam nicht gut an. Wir tranken dennoch Bowle zusammen.

Es war ein guter Abend mit lauter guten Menschen.

[Do, 24.4.2025 – Jungle]

BREAKING NEEEEWS: In der Jungle.World wurden die ersten 25 Seiten meiner Novelle abgedruckt. Die Ausgabe kam heute raus. Ich wollte sie natürlich sofort holen. Nach meiner Session im Fitnessstudio klapperte ich verschiedene Zeitungskioske ab. Die erste Schwierigkeit bestand darin, einen Zeitungskiosk zu finden. Auch wenn es in dieser Stadt tausende Kioske gibt, sind sie fast immer Bierkioske, oder Vape-Kioske, aber nur noch selten Zeitungskioske. „Zeitungen? Nee, hamwa schon seit 12 Jahren nicht mehr.“ Immerhin hatten sie am Ostbahnhof die Jungle.World. Allerdings noch die Ausgabe der letzten Woche. Bei der neuen Ausgabe gab es offenbar Schwierigkeiten bei der Auslieferung. So war das auch an der Storkower und im Ring Center.

Und die meisten Zeitungskioske, die bei Maps als solche angezeigt wurden, hatten nur Blätter von der Springerpresse oder eine der drei grossen Berliner Tageszeitungen. Manchmal hatten sie noch die Junge Welt, aber die Jungle.World ist ja eine abtrünnige Neugründung, die aus einem Arbeitskampf bei der Jungen Welt hervorkam. Auf die Junge Welt blicke ich deshalb mit Verachtung. Zumindest bis sie mein Buch bewirbt. Ein Abdruck von 25 Seiten ist aber schon ein Mega Ding. Und die haben ja immer noch 16.000 Abonnenten.

Nach zwei Stunden gab ich auf. Eine Stunde pumpen, zwei Stunden Radfahren. Den Rest des Abends war mein Körper auf eine sehr angenehme Weise müde.

[Mi, 23.4.2025 – Holzbauweise]

Gerade sind die Schwiegereltern zu Besuch. Die Stille im Blog hängt eher damit zusammen und nicht mit der Verlagerung des Schreibpensums.

Am Abend hatten wir Besuch aus Schweden. Eine Cousine meiner Frau und ihr Ehemann sind gerade in Berlin, weil sie ihren Geburtstag feiern. Das letzte Mal, als wir sie sahen, war zu unserer Hochzeit in Zweitausenduuuuuuund– Dreizehn. Wobei das nicht ganz stimmt. Ein Jahr später im Sommer luden sie uns zu sich nach Hause ein, in einem schönen, grossen Holzhaus nahe Falsterbo am südlichsten Zipfel Schwedens. Als sie das erste Mal bei uns in Berlin waren, machte die Cousine eine für mich interessante Bemerkung, indem sie sich laut zu einer Erkenntnis äusserte. Sie sagte: „Aha, ihr lebt hier alle in diesen steinernen Häusern“. Das war nicht wertend gemeint, es war nur eine interessierte Feststellung. Aha, ihr lebt hier alle in diesen steinernen Häusern. An diesen Satz musste ich oft denken. In Falsterbo leben die Menschen tatsächlich in Holzhäusern. In Schweden eigentlich fast überall, mit Ausnahme der Innenstädte in den grossen Metropolen, wobei selbst da nicht überall. Mit Holzhäusern meine ich jetzt gar nicht rot-weisse Märchenhütten, sondern Gebäude, die wie ganz normale Häuser aussehen. Nur halt aus Holz. Wie auch in den Vereinigten Staaten. Diese Einfamilienhäuser sind dort ja auch alle aus Holz. Aus Holz und Pappe. Eine schnelle Suche ergibt: ist schlichtweg einfacher und schneller zu bauen. Tja. Auch irgendwie eine Erkenntnis.

Das würde bedeuten, dass Häuser aus Stein „schwieriger und langsamer zu bauen“ sind. In Europa macht man sich eben gerne das Leben schwer. Aber das ist natürlich Quatsch. Ich weiss schon: Langlebigkeit, Energieeffizient und Brandschutz. Ich mäandere nur ein bisschen.