Nicht, dass ich etwas Vernünftiges zum Wahlergebnis in Brandenburg zu sagen hätte.
Abends hätte ich einen Call mit VOLT-Leuten gehabt. Der Call war immer noch Teil des Onboardings. Ich mag es, wie ernst die Partei den Prozess des Onboardings nimmt. Es wirkt alles sehr strukturiert, man erhält Ansprechpartner, es gibt ein Organigramm, man wird wirklich an Bord geholt und dann liegt es an einem selbst, wie man es annimmt und wie aktiv man darin sein will. Neuerdings frage ich mich jedoch, ob die Voltpartei die richtige Partei ist, um den Rechtsrutsch und andere autoritäre Parteien zu entzaubern oder zu entlarven. Ich bezweifle es. Aber andere Parteien kommen für mich nicht infrage. Ich sagte den Termin jedoch ab. Der Call findet jeden letzten Dienstag im Monat statt, ich kann ihn also nachholen.
Es war mir wichtig, an der Novelle weiterzuarbeiten. Die Arbeit an diesem Text stellt sich anstrengender dar, als ich ursprünglich dachte. Es fühlt sich an, als würde ich den gesamten Text neu schreiben. Weil ich den Text nun an sein Ende bringen will, beschloss ich, mich weiterhin darauf zu fokussieren. Ich fände es gut, wenn ich ihn zum Sonntag abschliessen kann. Am Wochenende ist schliesslich wieder Fussball, zudem ist meine Cousine in der Stadt, die will ich auch noch treffen.
1) “Wollie Nadeln”. Ich hätte fast meine Hündin getötet. Ich kaufte wegen der Hochzeit ja ein neues Hemd. Oft sind neue Hemden mit Stecknadeln fixiert, um sie schöner zu präsentieren. Es ist eigentlich ein unsäglicher Brauch. Manche Marken sind auf Plastikclips umgestiegen. Die Marke, die ich kaufte, allerdings nicht. Ich weiss nie wo hin mit den Nadeln. Also gab ich sie vorübergehend in ein kleines, verschraubbares Glas, womit wir früher das Futter für die Hündin dosierten. Wir haben 7 solcher Gläser und verwenden die eigentlich nicht mehr. Deswegen schien es mir eine gute Lösung, die Nadeln dort temporär abzulegen.
Da wir die Hündin für zwei Tage an die Nachbarn übergeben würden, bereiteten wir schliesslich alles vor. Ihr Bettchen, ihr Spielzeug und natürlich auch das Futter. Das Futter kam in ein grosses Marmeladeglas, als meine Frau allerdings die Menge nachzählte, merkte sie, dass es ein bisschen zu wenig ist, also nahm sie ein kleineres Gefäss, in dem sie eine weitere Portion Futter füllte. Und natürlich nahm sie das kleine verschliessbare Glas, das auf dem Küchentisch stand. Weil da genau eine Portion hineinpasst und das Glas verschliessbar ist. Sie rief mir noch zu, dass sie ein zusätzliches Glas nähme, um extra Futter mitzugeben. Ich sass da im Arbeitszimmer und rief zurück “Okay”.
Freitagabend, als wir in dem unsäglichen Brauhof Villach sassen, schickte mir der Nachbar ein Foto von Stecknadeln. Gefolgt von einer entsetzten Nachricht. Ich verstand sofort den Zusammenhang und das Blut rutschte mir in die Kniekehlen. Die kleine Tochter des Nachbarn hatte die Nadeln gefunden, weil sie glücklicherweise sehr bedächtig das Futter auf dem Küchentisch portionierte. Eine routinierte Person hätte einfach das Glas in den Fressnapf geleert und vermutlich nichts davon gemerkt.
Es dauerte eine Weile, bis der Schock richtig bei mir ankam. Danach telefonierte ich noch mit dem Nachbarn, der seinerseits ebenso geschockt war. Hätte die Hündin die Nadeln geschluckt, wäre sie schlichtweg gestorben. Vor dem Einschlafen kamen mir sogar Weinkrämpfe. Der Gedanke daran, wie sehr mir dieses Tier vertraut, das ich leichtsinnig getötet hätte, ist schier unerträglich.
Wir brachten der kleinen Tochter eine grosse Schachtel Pralinen mit.
#
2) “Abstandstempomat”. Noch bevor ich wusste, dass ich meine Hündin fast getötet hätte, überkamen mich Liebesgefühle bei der Autofahrt. Das Mietauto verfügte über einen Abstandstempomaten und dieser löste sehr starke Emotionalität in mir aus. Der Begriff Liebesgefühle ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber das, was ich fühlte, war schon sehr stark. Diese Automatik, mit der sich das Auto dem fahrenden Fluss anpasst, selbstständig abbremst, den Abstand vergrössert und verkürzt, das begeisterte mich dermassen, dass ich meiner Freude ständig laut Ausdruck verleihen musste. Meine Frau sagte, ich solle aufpassen, mich nicht zu sehr auf die Technik zu verlassen. Da hat sie natürlich recht. Aber darum geht es ja nicht. Gefahrenlagen erkennt man trotzdem. Man kann aber weitgehend aufhören, sich mit der Geschwindigkeit zu beschäftigen. Das Geschwindigkeitsmanagement empfinde ich immer als eine unnötige Ablenkung des Wesentlichen. Ich muss unbedingt herausfinden, ob ich das nachträglich in mein eigenes Auto einbauen lassen kann.
#
3) “Enzo”. Enzo ist ein italienischer Künstler, der in Berlin in einer Pizzeria arbeitet. Letzte Woche erfuhr er, dass ich aus Bozen komme, daraufhin nannte er mir mit grosser Begeisterung die Namen von zwei Männern aus Bozen, die er zu seinen wichtigsten Freunden zählte. Hermann und Marco. Beide sind ziemlich bekannte Künstler in Bozen. Als ich noch dort wohnte, unterhielt ich vor allem zu Hermann einen innigen Kontakt. Mit Marco etwas weniger. Hermann Permann ist ein grosser Künstler, der wie üblich im Ausland mehr Beachtung findet als in Südtirol. Und Marco war sein Schüler. Auch Enzo war sein Schüler.
Enzo bat mich, Grüsse auszurichten. Da ich Hermann allerdings schon seit 15 Jahren nicht mehr gesehen habe, wusste ich, dass dies ein schwieriges Versprechen werden würde. Daher bat ich Enzo um ein Selfie von uns beiden. Ich würde das den beiden schicken. Das wäre sicherlich lustig.
Am nächsten Tag fand ich nur das Instagramprofil von Marco. Hermann ist mittlerweile ein älterer Herr, der hat vermutlich kein Internet. Also schrieb ich Marco an und schickte ihm das Foto von Enzo und mir. Ich schrieb kurz dazu, wer ich bin, schliesslich hatte ich Marco noch länger nicht gesehen, fast dreissig Jahre. Aber ich wusste, dass er sich an mich erinnern würde.
Dem war aber nicht so. Er hatte keine Ahnung, wer ich bin. Nun hat sich im Insta-Messenger ein seltsamer Gesprächsverlauf entwickelt, in dem ich im erkläre, woher wir uns kennen und er keine Erinnerung daran hat. Mittlerweile wirkt er sogar ein bisschen genervt von mir. Deswegen schreibe ich auch nicht weiter.
Am Freitag brachte ich die Hündin zu den Nachbarn und dann fuhren meine Frau und ich zum Flughafen nach Schönefeld. Gegen zwei Uhr startete der Flieger nach Graz, wo wir ein Mietauto ausliehen und zwei Stunden nach Villach fuhren.
Ich habe Verwandtschaft in Graz. Einen fernen Onkel, der mittlerweile nicht mehr lebt. Allerdings besteht zu seinen Nachfahren kein Kontakt mehr. Das war der Familienstrang, der nach der Machtübernahme von Mussolini aus Südtirol flüchtete. Viele Südtiroler kamen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zurück. Dieser Onkel aber nicht. Als ich Kind war, schwang bei seinen Besuchen immer etwas Konspiratives mit. Als bestünde ständig die Gefahr, dass Carabinieri vor der Haustür auftauchten. Neulich fragte ich meine Mutter, ob dieser Onkel in antifaschistische Tätigkeiten involviert gewesen ist. Das hätte mich stolz gemacht. In meinen beiden Familien kommen nämlich ausschliesslich unmusische, ungebildete und unpolitische, aber dafür trinkende Bauern vor. Mit einem Antifaschist, der Mussolini bekämpfte, hätte ich mich brüsten können. Meine Mutter wusste aber nichts davon.
In Villach bezogen wir ein günstiges Hotel an einer grösseren Strasse unweit des Krankenhauses. Unser Hotelzimmer war einem LIDL Parkplatz zugewandt. Später konnte ich mir das Wortspiel “lidyllisch” nicht verkneifen und musste das jedem unter die Nase reiben. Nach dem Einchecken gingen wir aber nicht zu Lidl, sondern zu Billa, der sich auf der anderen Seite des Hotels befand. Österreich ist für mich Billa und nicht Lidl.
Auch unsere Freunde aus Minden hatten sich in dem Hotel eingemietet, sie kamen aber wesentlich später, da sie mit dem Auto anreisten und die ganze Bundesrepublik Deutschland aus Baustellen bestand. Meine Frau und ich gingen daher schon vor. Wir hatten einen Tisch im Villacher Brauhof reserviert. Als die Freunde vermeldeten, sie würden erst um halb neun ankommen, beschlossen wir, bereits etwas zu essen. Ich ass Teigtaschen mit Käse und meine Frau einen Salat mit Putenfilets. Das Lokal war aber ganz furchtbar. Die Einrichtung lieblos, das Licht zu grell, die Stimmung existierte nicht, das Publikum war eine Mischung aus asiatischen Grossgruppen und Touristen, die offenbar den Schildern gefolgt waren. Während des Essens sattelte zudem eine Musikkapelle ihre Instrumente auf und spielte diese unsägliche, nervöse Volksmusik, mit der ich aufgewachsen bin. Nach dem Essen schrieben wir unseren Freunden, dass wir aufgrund der Fürchterlichkeit in ein anderes Lokal ziehen würden und zwar ins Turmstüberl. Das war dann richtig nett. Bisschen klein, aber nett.
Samstag.
Die Hochzeit würde erst gegen 15 Uhr beginnen, deswegen wollten wir am ersten Teil des Tages etwas von Villach sehen. Am Frühstückstisch googelten wir alle vier nach “Was kann man in Villach tun”. Da gab es eine Top10. Die erste Sehenswürdigkeit war die Altstadt, die in Prinzip aus einer Strasse mit zwei Kirchen besteht. Das hatten wir aber bereits die Nacht davor schon alles gesehen. In der Top10 kamen auch beide Kirchen vor. Alle anderen Empfehlungen bezogen sich auf das Umland. Irgendeine mautpflichtige Alpenstrasse und verschiedene Aussichtspunkte. Wir hatten aber keine Lust, weite Strecken mit dem Auto zu fahren. Also spazierten wir ein halbes Stündchen an der Flusspromenade entlang und gingen danach in die Altstadt, wo wir einen Kaffee tranken.
Als wir über die Altstadtbrücke liefen, verstand ich, dass die Brücke sich über die Drau spannt. Ich wusste gar nicht, dass die Drau durch Kärnten fliesst. Dazu muss man wissen, dass die Drau der einzige Südtiroler Fluss ist, der in Südtirol entspringt, aber nicht im Mittelmeer mündet, sondern im Schwarzen Meer. Das weiss bei uns jedes Kind. Ein italienischer, pre-faschistischer Nationalgedanke, der sogenannte “Irredentismo” folgt dem Bestreben, dass alle Flüsse, die im italientischen Mittelmeer münden, bis hinauf zur Quelle auch italienisches Staatsgebiet sein müssen. Aus diesem Grund wurde Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg Italien zugeschlagen. Das gilt auch für das schweizerische Tessin sowie Graubünden und den kroatischen Teil Istriens. Für italienische Faschisten ist der italienische Staat deswegen auch noch nicht vollständig, weil sie damals nicht alles erhalten haben, was von ihnen verlangt wurde. Dieser Umstand ist in gewissen italienischen Gesellschaftsschichten durchaus immer noch ein Thema.
Warum die Quelle der Drau allerdings auch Italien zugeschlagen wurde, konnte ich nicht herausfinden.
Um 15 Uhr stiessen wir zur Hochzeitsgesellschaft, die sich vor einer Kirche in einem Villacher Vorort versammelt hatte. Sicherlich hundert Menschen. Kinder, Paare, teils in Trachten, aber nicht zu viel, ein paar alte Menschen, die Feuerwehr war auch mit einem Wagen vor Ort, weil der Bräutigam bei der Freiwilligen Feuerwehr ist. Das gehört sich so, das kenne ich aus meiner Kindheit. Und irgendwie finde ich das auch wieder süss.
Wir trafen die Eltern der Braut. Ich hatte sie seit 14 Jahren nicht mehr gesehen. Die Mutter begrüsste mich mit meinem Namen, das freute mich ungemein. Mit dem Vater redete ich über die Drau. Auch er wusste, dass die Drau in Südtirol entspringt. Er erklärte mir, dass sie hinter Kärnten durch Slowenien fliesst, danach bildet sie eine ganze Weile den Grenzfluss zwischen Ungarn und Kroatien, bis sie letztendlich an der Grenze zu Serbien in die Donau einfliesst. Das wusste ich gar nicht. Mein kleiner Südtiroler Fluss. So weit in die Welt hinaus.
Nach der Segnung der Ringe in der Kirche gab es Bier und Sekt. Die Schnittchen waren leider sehr schnell fertig, weswegen ich den Hunger mit Gösser Bier auffangen musste. Zum Glück fuhr unsere Freundin aus Minden mit dem Auto. Danach wurden Fotos geschossen und als alles im Kasten eingefangen war, fuhren wir hinauf zu einem Schloss mit einer daran angeschlossenen Golfanlage, wo es wieder Alkohol gab. Vorerst gab es kein Bier, sondern nur Prosecco. Weil Weine immer so stark sind, versuche ich das eigentlich zu vermeiden, aber hey, es war Hochzeit, ich nahm gleich drei Gläser davon.
Es war eine sehr schöne Feier. Allerdings fiel mir auf, dass es keine Tanten gab, die ich neulich noch so anpreiste. Der Grund ist der, dass es vermutlich schlichtweg keine Tanten mehr gibt. Weil sie entweder verstorben sind oder sie nicht mehr die Kraft haben, sich abends auf eine Feier zu begeben. Oder um es deprimierender auszudrücken: Die Onkel und Tanten sind jetzt wir.
Um zehn Uhr abends war ich schliesslich altersgerecht müde. Wir hatten zu Achtzigerjahremusik getanzt. Und viel gegessen sowie getrunken. Es dauerte aber noch zwei weitere Stunden, bis wir tatsächlich gingen. Neben mir am Tisch sass ein Mann aus Kroatien, der am Vortag seine Stimme verloren hatte. Ich ahne, warum die Braut uns nebeneinandergesetzt hat. Er war ein unterhaltsamer Kerl, aber er tat sich schwer, sich ohne Stimme bei dem Lärmpegel zu unterhalten. Praktischerweise waren er und seine Frau sowie die Tochter in diesem Schlosshotel einquartiert, somit legte er sich in den oberen Etagen ins Bett, ohne sich dramatisch verabschieden zu müssen.
Um halb eins riefen wir dann ein Taxi und liessen uns ins Hotel bringen. Dort stürzte ich ins Bett und fiel in einen tiefen Schlaf. Nachts wachte ich allerdings auf, weil mir viel zu warm war. Ich drehte mich und wälzte mich. Davon wachte wiederum meine Frau auf und unsere alten Schlafkonflikte kochten wieder hoch. Ich wollte das Fenster aufreissen, das verschob allerdings den Vorhang, wodurch ein kleiner Lichtstrahl ins Zimmer schien, was meine Frau nicht ertrug. Ich hingegen ertrug gar nichts mehr. Die Bettdecke nicht, die warme Matratze nicht, das viel zu kleine Bett nicht und gar nichts. Am Ende legte ich mich auf den Boden unters Fenster. Dort schlief ich dann tatsächlich ein.
Es ist jetzt schon spät. Ich bin mit der Einarbeitung der Notizen nicht sehr weit gekommen, obwohl ich mehrere Stunden am Text sass. Es öffnen sich ständig neue Details, die auch erzählt werden wollen. Ich hoffe, die gesamte Erzählung bleibt auf diese Weise noch einigermassen stimmig. Das werde ich im letzten Schliff herausfinden.
Ansonsten begab ich mich auf einen sehr langen Spaziergang mit der Hündin durch ein Plattenbaugebiet in Lichtenberg. Und uff, ich weiss nicht. Neuerdings ergeben sich ich in dem, was ich jetzt klassisches Ostberlin nennen möchte, nur noch negative Begegnungen. Heute dieses ältere Ehepaar. Ich wollte eigentlich in einen Park, allerdings war dieser abgezäunt. Dann sah ich dieses Ehepaar herankommen, das ich befragen wollte, ob der Park auch weiter oben noch abgezäunt sei. Deswegen sagte ich “Entschuldigensie!”. Die Frau schaute grimmig geradeaus, würdigte mich keines Blickes. Sie muss mich also schon vorher gesehen und für unwürdig gehalten haben. Sie schritt tatsächlich einfach weiter, ohne anzuhalten. Immerhin schaute mich der Mann an, der bereit war, mir kurz zuzuhören. Ich fragte ihn, ob der gesamte Park abgezäunt sei. Er sagte: “Sie können nicht durch den Park. Das sehen Sie doch.” Daraufhin ging er weiter und versuchte die Frau einzuholen, die immer noch nicht angehalten hatte.
Dabei trug ich heute sogar ein Hemd.
Neulich der Busfahrer, heute die beiden. Das passiert mir nie in Reinickendorf. Irgendwas ist neuerdings mit dem Osten passiert.
Morgen werden wir nach Österreich reisen. Ich habe beschlossen, den Laptop zu Hause zu lassen. Das erste Mal seit einem Jahrzehnt oder länger, dass ich ohne Laptop verreise. Deswegen wird es auch keine Einträge geben. Erst am Montag wieder.
Heute verbrachte ich viel Zeit mit der Einleitung der Novelle. Da der Text autobiografisch ist, war es nicht unwichtig, die Fakten bezüglich Orte und Jahreszahlen richtig niederzuschreiben. Dabei bin ich erstaunt, wie eng getaktet sich die Ereignisse zwischen meinem 17. und 20. Lebensjahr abspielten.
Die Einleitung ist nun fertig, jetzt gilt es noch, die Notizen einzuarbeiten. Es sind 16 Notizen. Notizen einzuarbeiten klingt immer einfach, es bedeutet aber nicht bloss, Sätze in den Text hineinzukopieren. Wenn man Inhalte einfügt, ändert sich meist auch der Kontext der Absätze davor und danach. Und manchmal zerstört man sich den Text. Vielleicht schaffe ich alle 16 Anmerkungen an einem Tag. Es wäre schön, wenn ich den Text vor der Reise nach Kärnten abgeben kann. Freitagvormittag fahren wir nämlich schon.
Ich freue mich wirklich auf die Hochzeit. Dabei komme ich mir mittlerweile wie ein Exot vor. Wenn ich im Hundepark erwähne, dass ich am Wochenende zu einer Hochzeit verreise, ernte ich mitleidvolle Blicke. Mehrmals wurde sogar “Du Armer” gesagt. Mir ist es aber wichtig, meine Einstellung dazu richtigzustellen. Hochzeiten finde ich nämlich super. Ginge es nach mir, könnte ich jedes Wochenende auf Hochzeiten verbringen. Mich schick anziehen, schön angezogene Menschen sehen, essen und trinken (fressen und saufen) und müde ins Bett fallen. Und Tanten. Auf Hochzeiten sind immer Tanten. Tanten sind die unterhaltsamste Menschenspezies. Zumindest für die Dauer einer Hochzeitsfeier.
Für die Gäste wurde mittlerweile eine Whatsapp Gruppe eingerichtet. In dieser wird gebeten, die Grundschritte für den Polkatanz zu erlernen. Mit dem Hinweis, dass dies hauptsächlich für die bundesdeutschen Gäste gilt. Obwohl ich aus den Alpen komme, weiss ich gar nicht genau, was Polka ist. Eine kurze Suche auch Google bestätigt meine Befürchtungen. Es handelt sich um Musik mit Ziehharmonika. Nichts gegen das Instrument. Man kann damit auch gute Musik machen. Die Kombi Ziehharmonika und Polka weckt aber keine guten Kindheitserinnerungen. Da ich nicht bundesdeutsch bin, beschliesse ich, mich nicht angesprochen zu fühlen.
Wir sogenannten Bundesdeutschen Gäste haben eine eigene, inoffizielle Gruppe. In der schicken wir uns GIFS und Memes zu Polka. Sie sind nicht lustig, aber es spendet Trost.
Jetzt haben wir auch die Einladung noch einmal überprüft. Dort steht explizit ein Dresscode erwähnt. Das finde ich prinzipiell gut. Es steht aber auch “festlich elegant oder trachtig”. Das mit der Trachtigkeit hatte ich schon geahnt. Am liebsten würde ich mit einem schwarzen Ledergeschirr auftauchen und es als Südtiroler Kuhhirtentracht verkaufen.
OKOK, jetzt klinge ich sehr negativ. Das meine ich gar nicht so. Ich freue mich wirklich. Meinetwegen auch auf die Trachten.
Der Einbürgerungstest in Angermünde lief ganz okay. Bei zwei Fragen war ich mir unsicher. Nach dem Test googelte ich nach den beiden Fragen und stellte fest, dass ich richtig geraten hatte. Viele Fragen kann man ja wirklich raten, wenn man einigermassen bei Verstand ist und regelmässig Nachrichten liesst.
Die eine knifflige Frage bezog sich darauf, welche Menschengruppen bei einem der vielen TuS Makkabi Sportvereine Mitglied werden darf. Die möglichen Antworten waren:
1) nur religiöse Menschen 2) nur Menschen aus Israel 3) nur Deutsche 4) alle Menschen
Wäre einer der Optionen “nur Menschen jüdischen Glaubens” gewesen, dann wäre ich ins Näpfchen getreten. Aber da unmöglich nur Menschen aus Israel, also israelische Staatsbürger gemeint sein können, wählte ich Option 4. Und damit lag ich richtig.
Die andere Frage war, wer den Präsidenten des Bundestages stellt. Die möglichen Antworten kann ich nicht mehr genau wiedergeben, aber in etwa so:
1) Das älteste Mitglied im Parlament 2) wird von der aktuellen Regierung ernannt 3) wird von der grössten Fraktion gestellt 4) die Ministerpräsidentin des grössten Bundeslandes.
Nummer 1 war sicher falsch, weil nicht immer alte Menschen Präsidentin waren. Nummer zwei fand ich eine zu billige Antwort und Nummer 4 würde ja bedeuten, dass immer nur NRW die Präsidentin stellt. Also entschied ich mich für Antwort 3. Die sich als richtig herausstellte.
Jetzt muss ich 2 Monate warten, bis ich das Ergebnis erhalte. Die Kursleiterin, eine kluge und lustige Dame mit einem deutsch-spanischen Doppelnamen, verriet uns, dass man vor einem Jahr noch neun Monate auf das Ergebnis wartete. Dass es jetzt aber mit der Unterstützung von Geflüchteten aus der Ukraine wesentlich schneller bearbeitet wird. Sie sagte das mit den Geflüchteten mit einem verschmitzten und zufrieden wirkenden Lächeln. Vermutlich hat sie ihre eigene Geschichte mit dem deutsch-spanischen Doppelnamen im zunehmend brauner werdenden Osten.
Sobald ich in zwei Monaten das Testergebnis erhalte, darf ich alle meine Unterlagen einreichen. Und erst damit stelle ich den Antrag. Wenn die Ampel noch eine Weile durchhält, dann darf ich bei der nächsten Bundestagswahl vielleicht wählen.
# Heute arbeitete ich nicht an der Hausbesetzernovelle. Ich legte eine Pause ein. Am Mittwoch geht es weiter.
Jetzt bin ich einmal mit dem ganzen Text durch. Das bedeutet allerdings nicht, dass ich fertig bin. Ich muss noch den Anfang neu schreiben, das sind vermutlich 3 bis 7 Seiten. Ausserdem hat sich eine ganze Liste aus Stichpunkten angehäuft, die ich nachträglich noch einarbeiten muss. Dennoch denke ich, dass das nicht mehr allzu viel Zeit in Anspruch nimmt.
Und dann muss ich den Text noch einmal durchnehmen, um zu sehen, ob der Fluss drin ist. Das dauert bei 120 Seiten leider immer lange. Ich weiss nicht, wie richtige Romanschreiberinnen das machen.
So.
Am Abend hatte ich ein Gespräch mit zwei Firmengründerinnen, die einen Mitgründer suchen. Sowohl jemanden mit einem technischen Hintergrund, wie auch jemanden, der Investoren an Land ziehen und Finanzierungen sichern kann. Ich komme für beide Positionen infrage. Das Unternehmen befindet sich noch in der Vorgründungsphase, das heisst, bis ich mir ein erstes Gehalt auszahlen kann, wird es noch eine ganze Weile dauern, falls es überhaupt klappt. Wir vereinbarten ein Folgegespräch, in dem wir das Thema vertiefen wollen.
Die beiden sind Anfang dreissig. Eine Frau und ein Mann. Es ist irgendwie niedlich, wie sehr das Studium im Zentrum ihrer Vita steht. Das Studium nimmt die Hälfte ihrer Vorstellung ein. Es fällt ihnen zum Glück nicht auf, dass ich kein Studium erwähne. Ich weiss nicht, wie sie das fänden, wenn sie erführen, dass ich nur bis zur achten Klasse die Schule besuchte. Meine Vita rollt glücklicherweise wie ein Schwerlasttransporter daher. Sie kommen gar nicht auf die Idee, nach einer Ausbildung zu fragen.
Morgen habe ich Einbürgerungstest. Dafür muss ich nach Angermünde. Ich habe diese App mit den Fragen. Aber ich nutzte sie bisher wenig. Morgen Vormittag werden ich dennoch einmal im Schnelldurchlauf den Test simulieren. Die Zahl der Bundesländer merke ich mir am besten auswendig. Ich möchte nicht spontan nachzählen müssen. Das Saarland oder Bremen übersehe ich leicht. Es sind 16. Sechzehn. Sechzehn. Eins sechs.
Ich fühlte mich heute nicht gut. Es begann bereits gestern. Zuerst war es ein Kratzen im Hals, heute weitete es sich auf die Bronchien aus. Eigentlich hatte ich mich für das Abhängen der Banner beim Spiel gegen Düsseldorf angemeldet, aber gegen 10Uhr verstand ich, dass ich krank bin und sagte deswegen ab. Das Abhängen ist nicht so wichtig wie das Aufhängen. Ausserdem hatten sich bereits mehrere Mitglieder dafür gemeldet.
Dafür konnte ich heute wieder viel Zeit an der Novelle verbringen und ich knackte Seite 100. Jetzt sind noch 9 Seiten übrig. Allerdings erinnere ich mich auch daran, dass ich das Ende ziemlich abrupt und lustlos abkürzte. Es kann daher sein, dass ich mich noch einmal ausgiebigst mit diesen verbleibenden 9 Seiten befassen muss.
Und sonst: Hertha verlor 2:0. Es war aber keine deprimierende Niederlage, weil man 90 Minuten lang sah, wie die Mannschaft lebte und wie gut sie in dieser Saison noch sein kann. Wir hatten faktisch die Spielkontrolle, kamen allerdings nicht gegen diesen Defensivblock aus dem Rheinland an. Und dann kassierten wir zwei Standardtore. So kann es halt gehen. Ich freue mich jedenfalls auf die kommenden 31 Spiele.
Morgens war ich wieder mit der Traveling Lady zu einem Hundespaziergang verabredet. Sie wohnt jetzt für zwei Tage bei mir in der Strasse. Sie fand meinen Hundepark schön und die Leute dort ungewöhnlich nett. Das löste unerwartete Glücksgefühle in mir aus. Wir spazierten anderthalb Stunden lang. Danach ging ich nach Hause und ich weiss jetzt gar nicht, was ich den ganzen Tag so machte. Am Abend war ich jedenfalls bei Frau Modeste zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen. Auch die Traveling Lady und die Nachbarin kamen mit. Sie hatten eine riesige Palme als Geschenk gekauft, die wir in der Strassenbahn transportierten. Die Palme war so gross, dass die Menschen uns anschauten.
Auf der Party redeten wir über das Älterwerden und über den Tod. Ich rede fast nur noch über das Älterwerden und den Tod. Und über Hertha. Und über die Arktis. Und über Stephenson 2-15. Und über Hunde natürlich.
Eine der Frauen auf der Party kenne ich schon sehr lange. Wir treffen uns immer auf den Partys von Frau Modeste und dort reden wir immer sehr lange, als wären wir beste Freunde. Nach den Partys sehe ich sie dann ein halbes Jahr nicht wieder. Manchmal sogar länger. Sie hat letztes Jahr ihren Vater beim Sterben begleitet. Das war eine intensive und wichtige Zeit. Ich hörte ihr lange zu. Davon wurde ich ein bisschen traurig. Und auch müde. Deswegen ass ich von dem Schokokuchen, den ich mit einem dickflüssigen Eierlikor übergoss. Danach redeten wir über Väter im Allgemeinen. Ich erzählte von der Nordkapreise mit meinem Vater. Es ist alles immer ein merkwürdiger Flow, wenn man über das Älterwerden und dem Tod redet. Die Traveling Lady und meine Nachbarin hatten hingegen konkrete Vorschläge, ein Dorf mit Tiny Houses zu errichten. Und dort ziehen wir dann alle ein. Ich erzählte auch die Geschichte von dem befreundeten Herthafan aus Kaiserslautern, der nach einem Schlaganfall zwei Tage unentdeckt in der Wohnung lag. Wir einigten uns darauf, dass man nicht alleine alt werden sollte.
Heute konnte ich viel an der Novelle arbeiten. Ich schaffte es aber auch, alle Kleidervarianten (verschiedene Westen, Hemd, Krawatte, Tshirt, schwarz, weiss) anzuprobieren und sie meiner Frau und dem Freund aus Minden zu schicken. Vermutlich wird es die Kombination aus weissem Hemd ohne Krawatte und darüber eine schwarze Weste. Ganz glücklich bin ich mit der Wahl aber noch nicht. Ich habe noch eine Woche Zeit, mich damit zu beschäftigen. Eventuell doch online suchen oder eine Samtweste, wie in den Kommentaren empfohlen.
In Österreich gibt es derzeit Schneestürme. Wir fahren nach Kärnten. Vor allem Kärnten ist betroffen. Das kann sich bis Ende nächster Woche natürlich noch ändern. Immerhin wird es keine 30 Grad mehr. Das ist das Wichtigste. Über 30 Grad kann man sich ja nicht mehr einkleiden. Überschwemmungen oder Schneestürme sind weniger schlimm. So lange man gut aussieht und tanzen kann.
Neulich sprach ich mit meiner Ärztin über mein Gewicht, meinen Blutdruck und mein Risiko für Diabetes. Nachdem ich während Corona 20 Kilos verlor, die ich mittlerweile alle wieder auf den Rippen trage, will ich das Thema jetzt ernsthafter angehen. Mein Vater bekam Diabetes, als er in meinem Alter war, meine Grossmutter auch, ich habe also die Disposition dafür und wenn ich ganz ehrlich bin, möchte ich das mit Kräften vermeiden. Also empfahl mir die Ärztin eine Abnehm-App. Auf den Gedanken, dass es eine Abnehm-App gibt, wäre ich Technologiemensch nie von alleine gekommen. Und es kam noch besser: sie verschrieb mir die App per Rezept. Ich würde einen Zugangscode bekommen und alle nötigen kostenpflichtigen Dienste nutzen können.
Die App heisst Oviva. Ich richtete sie heute ein. Es geht zuerst einmal darum, das Essen und die Bewegung zu protokollieren. Vermutlich um ein Bewusstsein zu schaffen. In den nächsten Tagen werden weitere Funktionen aktiviert. Bewegung ist bei mir durchaus vorhanden. Bewegung war nie mein Problem. Ich bin eigentlich sehr fit, bin muskulös, ich gehe viel und schnell, seit ich die Hündin habe noch mehr als vorher, ausserdem fahre ich viel und schnell mit dem Fahrrad. Allerdings fahre ich weniger mit dem Rad, seit ich die Hündin habe und ich weiss nicht, ob die zugenommenen Spaziergänge das kompensieren. Was ich nicht mag, sind Fitnessstudios. Oder auch ödes Joggen. Immerhin mache ich täglich eine Plank und Liegestützen. Aber das ersetzt natürlich keinen richtigen Sport.
Fürs Protokoll reichte ich sofort meine gestrige Fahrt ins KaDeWe ein. 40 Minuten hin und 40 Minuten zurück. Das zahlt sich gut auf das Konto ein.