Am Freitag war ich mit meinem Vater verabredet. Weil ich ohne Auto anreiste, konnte ich nicht in sein Dorf fahren, deswegen kam er nach Meran, um mich zu treffen. Wir wollten ins Forstbräu, aber das Forst war – wie zu erwarten – zu einer furchtbaren Touristenhölle verkommen. Die Kellnerinnen waren gestresst und im Eingangsbereich reihten sich dutzende, wartende Touristen. Man stellte uns in zwanzig Minuten einen Tisch in Aussicht. Das wollten wir aber nicht, wir sind schliesslich Locals, wir wissen, wo man entspannter essen kann und fuhren deswegen ein Stück den Vinschgau hinauf bis nach Tschars, dort setzten wir uns in den Kesslwirt. Das Restaurant ist eher neu und es wirbt mit dem schönen Logo eines Braukessels. Mit Braukesseln gewinnt man mich ja immer. Dort bestellten wir Hirtenmaccheroni, was mich wieder daran erinnerte, dass ich mir die Zubereitung von Hirtenmaccheroni beibringen will. Als Südtiroler sollte ich Hirtenmaccheroni eigentlich mit links kochen können.
Danach fuhren wir ins Schnalstal. Wir machten einen kleinen Ausflug. Ich wollte hinauf bis nach Kurzras. Das ist ein kleiner Ort an der Baumgrenze. Heute ist das ein Sportlerdorf, mit exzentrischen und auch entsprechend teuren Hotels, früher war das nur eine Kirche und eine alte Gastwirtschaft. Diese Gegenden oberhalb der Baumgrenze haben es mir angetan, am liebsten würde ich irgendwann in einer baumlosen Landschaft leben. In Lapland, in Schottland, Island, oder eben auf 2000 Metern.
Aber auch die Bäume waren heute schön. Das ganze Tal hinauf bestand aus Lärchen, die sich in dieser Jahreszeit sich gelb verfärben. Das ganze Tal war von einem gelben Schimmer überzogen. Am See stieg ich aus und machte Fotos (siehe unten).
Es regnete den ganzen Tag, Im Land der dreihundert Sonnentage finde ich das schon ulkig. Andererseits kann man bei Regen nicht gut wandern. In Kurzras stiegen wir deswegen auch nur kurz aus dem Auto aus. Wir redeten über die neue Seilbahn auf den Gletscher und ich nahm mir vor, zu einer wärmeren Jahreszeit zurückzukommen. Auf diesem Gletscher wurde übrigens Ötzi gefunden. Das sollte ich nicht unerwähnt lassen. Auf dem Rückweg ins Tal fuhren wir am archeologischen Museum vorbei, das sich eingehend mit Ötzi und den Ausgrabungen beschäftigt. Ötzi selber liegt aber im grossen Museum in Bozen. Laut Google soll dieses Museum oben im Tal aber sehr gut und vor allem unterschätzt sein.
Nächstes Mal werde es besuchen.
Unten um Vinschgau kauften wir an den Bauernständen frische Äpfel. Ich wählte verschiedene, mir unbekannte Sorten anhand der Geschmacksbeschreibung aus. Danach in der Tüte konnte ich sie natürlich nicht mehr auseinanderhalten, Äpfel sehen ja alle gleich aus. Geschmeckt haben sie aber auch ohne Geschmacksbeschreibung.
Um sechs Uhr ging ich schliesslich zu meinen Neffen und wir schauten Hertha gegen Braunschweig im Fernsehen. Wir gewannen 3:1.
#
Am Samstag sass ich mit meiner Mutter lange am Frühstückstisch. Danach vertraten wir uns die Beine und spazierten auf der Tappeinerpromande oberhalb der Meraner Altstadt. Die Tappeinerpromade ist genial angelegt, wie man steil oben fast an den Dächern der Altstadt kratzt. Andererseits ist sie gerade deshalb bei Touristen so beliebt. Im Sommer kann man da ja gar nicht mehr hingehen. Meran hat ohnehin ein Tourismusproblem, aber selbst heute, einen schnöden, verregneten Tag Ende Oktober, war es da oben voll.
Gegen zwei Uhr fuhr mein Vater zurück in sein Dorf und ich hatte die Eingebung, auf den Spielplan des FC Südtirol zu schauen. Es stellte sich heraus, dass um drei Uhr ein das Spiel gegen den SC Pisa im Bozner Drususstadion stattfand. Und so nahm mein Vater die beiden Neffen und mich mit nach Bozen.
Wir schafften es gerade rechtzeitig zum Spiel. Ungewöhnlich ist die Ausweispflicht, in deutschen Stadien würde das für Empörung sorgen. Natürlich hatte ich keinen Ausweis dabei, aber meine Frau konnte mir ein Foto meines Führerscheins schicken, während ich an der Einlasskontrolle stand. Ein Foto reichte vollkommen aus. Das letzte Mal im Drusus Stadion war ich vor etwa zehn Jahren. Die Tickets kosteten damals 5 Euro und es gab keine wirklichen Fans. Das ist jetzt alles anders geworden. Mittlerweile ist der FC Südtirol in die zweite Liga aufgestiegen, die günstigsten Tickets kosten deswegen auch 22 Euro und das kleine Stadion ist mit 4000 Zuschauern fast ausverkauft. Zudem gibt es zwei Blöcke mit je 20 oder 30 Ultras.
Ich wählte an der Kasse die günstigsten Pläze aus, wie sich dann herausstellte, hatte die Kassendame uns Plätze mitten im Block der Ultras gebucht. Als wir die Tribüne hinunterstiegen und ich versuchte, mir einen Überblick über den Standort unserer Plätze zu verschaffen, verstand ich gleich, dass es sie dort unten bei den grossen Schwenkfahnen und dem Mann mit dem Megaphon befinden mussten.
Als wir uns in den Block einreihten, hielt mich einer der Männer an und fragte, ob wir auch mitsingen würden.
Ich sagte ihm: Aber natürlich!
Mein Pflichtbewusstsein freute ihn.
Eigentlich hatte ich ein Spiel im Sitzen und ohne Fans sowie wenigen Zuschauern erwartet, aber so standen wir dann in Reihe drei im Fanblock mit dem Megaphon in der Ohren. Die Jungs fanden das lustig. Es war ihr erstes Mal in einem Stadion und ein kleiner Vorgeschmack auf deren Berlinbesuch übernächste Woche, wo wir zwei Hertha Heimspiele besuchen werden.
Etwas merkwürdig fand ich allerdings die zwei Ultrablöcke des FC Südtirol. Auf der Tribüne gegenüber standen nämlich auch ganz offensichtlich als Ultras erkennbare Fans. Sie schwenkten Fahnen und Banner mit der Ultras Aufschrift, allerdings stand auf deren Banner „Alto Adige“, der italienische Namen für Südtirol.
In der Halbzeitpause fragte ich den zweiten Capo, was es mit den beiden Fanblöcken auf sich hat. Er erklärte mir, dass die Gruppe auf der anderen Seite keine Lust habe, deutschsprachige Lieder zu singen, die wollten nur auf italienisch singen. Der deutschsprachige Block singt hingegen in beiden Sprachen. Das hatte ich vorher schon geahnt. Es ist das alte Südtiroler Leid, wenn es wichtig wird, sind die Sprachgruppen immer getrennt. Und der Unwille der Italiener, sich auf die deutschsprachige Kultur einzulassen. Mich deprimierte das immer. Sogar als wir früher Demos, Lesungen oder Konzerte organisierten, die ja eher auf das weltoffene Publikum abzielten. Italiener kamen nie zu Veranstaltungen, die auch nur einen leisen Verdacht von Deutschsprachigkeit aufkommen liessen. Mussolini wäre stolz auf diese Beharrlichkeit gewesen. In umgekehrter Richtung, also von den deutschsprachigen Gruppen hin zu den Italienischen war es damals nur geringfügig besser. Es gab etwas mehr Austausch, aber meist auch keine wirkliche Öffnung. Natürlich gibt es viele gemischtsprachige Paare und Familien, aber gesprochen wird darin italienisch. Siamo in Italia e si parla italiano. Ich empfand das immer als faschistischen Imperialismus. Es scheint sich heute nicht viel daran geändert zu haben. Auch wenn das im Alltag natürlich weniger eine Rolle spielt. Man gewöhnt sich daran.
Und dennoch ist es immer wieder ein Thema, wenn man mit den Leuten spricht.
Ach was soll es. Ich lebe in Berlin und eigentlich sollte es mir egal sein.
Nach dem Spiel waren wir jedenfalls alle drei heiser. Wir fuhren mit dem Zug zurück nach Meran und chillten. Später kam meine Schwester und wir schauten „The green mile“, die Stephen King Verfilmung, von der ich neulich schon einmal erzählte.