[Sa, 28.12.2024 – Mittagessen, Schneewanderung]

Am nächsten Tag hatte ich nur einen leichten Kater. Zu Mittag waren meine Frau und ich bei Haimo und seiner Familie zum Essen eingeladen. Auch Haimo war am Vorabend mit mir im City Pub gewesen und er hatte ähnlich viel getrunken wie ich. Auch er hatte nur einen leichten Kater. Unsere Frauen hingegen waren fit, weil sie zuhause geblieben waren.

Es gab Cappelletti al Brodo. Cappelletti sehen aus wie Tortellini und man isst sie in Brühe wie eine Suppe. Haimo meinte, Cappelletti seien immer mit Fleisch von Capponi gefüllt. Capponi sind kastrierte Masthähne, die noch ein Weilchen am Leben gelassen werden und nicht im Schredder enden. Dass Cappelletti immer nur Capone Fleisch enthalten müssen, konnte das Internet allerdings nicht bestätigen. So etwas schlage ich ja immer nach. Es schmeckte natürlich dennoch sehr gut.

Als Hauptspeise gab es Gulasch und als Nachspeise ein Halbgefrorenes mit Zimt. Eigentlich hatte ich Haimo am Vorabend gebeten, keine aufwendige Gerichte zuzubereiten. Das macht er sonst nämlich immer. Das war jetzt so mittelmässig aufwendig. Dazu gab es Bier und Wein.
Später kam noch Pino dazu, der auch am Vorabend im City Pub gewesen ist. Pino war im Gegensatz zu uns sehr betrunken gewesen. Dafür trank er diesmal nur Kaffee.

Und schon war es Abend.

Heute war ich mit beiden Schwestern verabredet. Wir wollten zu meinem Vater auf den Berg fahren und von dort aus eine Schneewanderung unternehmen. Zuerst sagte allerdings meine kleine Schwester ab. Es ging ihr nicht so gut, also fuhren nur meine eine Schwester und ich hinauf. Wir entschieden uns für einen schönen Weg von der Laab Alm bis hinauf in Richtung Weisshorn. Ganz hinauf aufs Horn würde man bei diesen Geländebedingungen vermutlich nicht kommen, aber wir wollten schauen, wie weit unsere gute Laune uns trägt.
Mein Vater litt den ganzen Sommer lang an einer Muskelentzündung, weshalb er schnell merkte, dass er unser Tempo noch nicht mithalten kann. Aber das fand er nicht schlimm, er konzentrierte sich auf den Aufbau seiner Fitness und empfahl uns einfach in unserer Geschwindigkeit den Weg nach oben weiterzugehen.

Auf einer Hütte machten wir eine kleine Pause, wo wir Hirtenmakkeroni assen. Als Südtiroler fühle ich mich neuerdings verpflichtet, die Zubereitung von Hirtenmakkeroni zu beherrschen. Gemacht habe ich das aber noch nie. In Berlin denke ich nie an Hirtenmakkeroni, aber auf den Almen sind Hirtenmakkeroni die beste Sache der Welt.

Wir stiegen dann weiter hinauf. Wir gelangten bis zur Scharte des Bletterbaches, dort setzten wir uns auf eine Bank und verquatschten uns. Wir hatten vieles zu besprechen. Vor allem über unseren Werdegang, über unsere Familie, wie die Einflüsse waren, wie wir beide komplett anders damit umgegangen sind.

Irgendwann merkten wir, dass sich die Sonne dem Horizont näherte, wir aber noch einen anderthalbstündigen Abstieg vor uns hatten, also machten wir uns schnell auf den Weg. Wir erreichten noch während der Dämmerung das Auto, wo auch unser Vater auf uns wartete. Er hatte es sich in der Zwischenzeit in der Almhütte gemütlich gemacht.

Wir fuhren dann hinunter ins Dorf, ich kaufte beim Metzger noch Kaminwurzen und Speck ein und dann gingen wir zu meinem Vater, der Käse und Panettone auftischte. Irgendwann merkte ich auch, dass ich Käse mit Panettone ass und fand es abartig. Aber auch wieder gut. Bald wurde ich müde und wir fuhren zurück nach Meran. Ich wollte früh ins Bett, da wir morgen wieder nach Berlin fahren.

So und gute Nacht.

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Winterimpressionen:

[Do, 26.12.2024 – Skirennen, Citypub, Lebensgeschichten]

Den ganzen Vormittag schaute ich mit meiner Mutter Skirennen. Ich fühlte mich dabei sehr in meine Kindheit zurück verpflanzt. Damals schaute ich viele Vormittage lang Skirennen. Heute schauten wir Abfahrt der Männer am Sasslong im Grödental und Super-G der Frauen in St. Moritz. Ich bin unweit des Sasslong aufgewachsen, aber auf jene Seite des Grödnerjoches kam ich nie. Mein Skipass war nur in Alta Badia gültig und es gab keinen Grund, ins Grödental rüberzufahren.

Bevor ich in die Pubertät kam, war ich ein sehr guter Skifahrer. Aus jener Zeit stammen meine immer noch strammen Oberschenkel. Ich kam auch in die Auswahl von jungen Burschen, die von der FIS, also dem italienischen Skiverband, gescreent wurden, um eine mögliche professionelle Laufbahn als Skifahrer zu verfolgen. Aus jener Zeit erinnere ich mich vor allem an diese deprimierenden Sonntage, an denen ich mitten in der Nacht aufstehen musste und irgendwo hingekarrt wurde, um auf irgendwelchen kalten Pisten ohne Freunde herumzustehen, und dann an Rennen teilzunehmen. Das weckte wohl nicht meinen Ehrgeiz und bald ging ich da nicht mehr hin.

Heute weiss niemand mehr, wie ich überhaupt in diese Auswahl kam. Ich glaube, meine Eltern taten einfach das, was ihnen empfohlen wurde. Heute wills aber niemand gewesen sein. Dabei beschwere ich mich gar nicht. Ich möchte nur wissen, wie die Dinge so liefen.

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Am Abend war ich mit alten Freunden im City Pub am Meraner Bahnhof verabredet. Der City Pub ist eine erstaunlich liebenswerte Spelunke. Einer der wenigen Orte mit einem Raucherraum. Raucherräume gehören zwar nicht zu meinen favorisierten Features, aber das macht vermutlich auch den Mix des Publikums aus. Ganz Meran hat sich sonst in eine Art Puppenstube verwandelt. Da fühlt sich der City Pub wie aus der Zeit gefallen an.

Wir tranken Bier und hatten einen sehr lustigen Abend. Einen ehemaligen Freund hatte ich sicherlich seit 25 Jahren nicht mehr gesehen. Er hat auch eine Weile in Deutschland gelebt und wir hatten uns viel zu sagen. Ausserdem war auch die Schwester einer alten Freundin da. Ich war vor allem mit ihrer Schwester und deren Mann befreundet. Der Mann war ein sehr guter Freund. Vor sechs Jahren ist er mit dem Auto gegen eine Tunnelwand geknallt und verstarb dabei noch im Auto. Sie ist seitdem Witwe. Immerhin sind die Kinder volljährig. Ihre Schwester hingegen, also jene, die heute im City Pub war, hatte weniger Glück. Ihr Mann nahm sich vor zwanzig Jahren das Leben und hinterliess sie mit drei Kindern unter sieben Jahren. Das war keine gute Zeit, sagte sie. Vor elf Jahren bekam sie ein weiteres Kind von einem Mann, den sie nach wenigen Monaten wieder verliess. Auch keine gute Zeit, wie sie sagte, aber jetzt hatte sie ja reichlich Erfahrung mit dem Grossziehen von Kindern. Sie ist aber gut drauf und hat alles im Griff.

Lebensgeschichten.

[Mi, 25.12.2024 – die letzten Tage, Reschen, Meran, Faust, Schnee, Singen]

Wenig Zeit gehabt, die Dinge aufzuschreiben.

Wir fuhren von Ulm nach Südtirol. Ursprünglich wollten wir über die Landstrasse via Davoz und Reschenpass, die Wetteraussichten lasen sich aber nicht sehr positiv. Vor allem hinterm Reschen war mit starkem Schneefall zu rechnen, also nahmen wir die Route über den noch freien Fernpass via Innsbruck und Brenner. Die langweilige Route.

In Meran kehrten wir zuerst bei meiner Schwester ein, die uns mit Prosecco und einer selbst gemachten Pizza empfing. Wir sassen lange zusammen und redeten von den Dingen. Unter anderem über das Gendern und über Sprache und wir kamen auch auf Faust zu sprechen. Wir stellten fest, dass niemand von uns je Faust gelesen hatte. Dass wir alle wussten, was Faust ist, aber so genau wussten wir es eben auch wieder nicht. So entstand der Plan, dass meine Schwester und ihr Mann in 2025 nach Berlin reisen werden und wir einer Aufführung von Faust beiwohnen werden. Dann können wir zu Weihnachten 2025 das Gespräch wieder aufnehmen. Diesmal werden wir aber wissen wovon wir sprechen.

Am nächsten Tag traf ich meine kleinere Schwester. Sie arbeitet im Krankenhaus und ich sollte sie um 14 Uhr abholen. Allerdings verlief ich mich im kleinen und unverlaufbaren Meran. Weswegen wir uns am Bahnhof trafen. Danach spazierten wir die Tappeinerpromenade hoch und tranken einen Punsch, von dem wir anschliessend betrunken wurden.

Am Tag darauf war Heiligabend. Zuerst ging ich mittags zu meiner Frau und meinen Schwiegereltern. Schweden zelebrieren den 24. bereits ganztägig und nicht nur am Abend. Es gab Weihnachtspasta und sie hatten mein Lieblingsbier aus Berlin eingekauft. Gegen 17 Uhr ging ich zu meiner Schwester, wo meine ganze Familie Weihnachten zelebriert. Also mit Kindern und Weihnachtsbaum. In meiner Familie werden immer Weihnachtslieder gesungen. Normalerweise singe ich das immer etwas uninspiriert und beschämt mit. Diesmal hatte ich aber richtig Lust und wollte nicht mehr aufhören. Dafür waren alle anderen etwas unmotiviert. Auch die anwesenden Teenager aber vor allem meine Eltern. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass „Oh Du Fröliche“ diese schöne Moll-Passage enthält und in dieses hoch gesungene Finale übergeht. Toll.
Meine Neffen fanden mich bisher immer cool. Vermutlich hat mein Image diesmal etwas gelitten.

Geschenke erhielten nur die Kinder. Allerdings hatten wir auch eine Wichtelrunde organisiert. Ich hatte meinen Neffen Rupert als Los gezogen und meinte Mutter mich. Sie schenkte mir Clemens Meyers „Die Projektoren“. Den Tipp hatte sie natürlich von meiner Frau bekommen. Meinem Neffen kaufte ich ein Vespa Tshirt und eine Vespa Tasse in Retro Stil. Er hat sich nämlich gerade eine richtige Vespa aus alten einzelnen Teilen zusammengebaut. Er hat damit gerade den Tüv bestanden und sein life ist jetzt alles about Vespa.

Heute fuhren meine Frau und ich ins Dorf zu meinem Vater. Er lebt auf 1400 Metern, dort liegt Schnee und ich wollte mit meiner Hündin im Schnee zur Alm hochlaufen. Allerdings hat sie sich eine Verletzung an der linken Pfote zugezogen. Jetzt humpelt sie. Sie humpelte schon ein wenig am Morgen. Oben auf dem Berg liess ich sie einem Schneeball hinterher rennen. Seitdem ist etwas geschehen. Sie kann kaum noch laufen. Also brachen wir den Spaziergang ab. Mitten im Dorf wollten sie keinen Schritt mehr tun und legte sich auf den Rücken, während sie mir ihre linke Pfote hinhielt. Mein Herz zerrann. Also trug ich sie auf dem Arm. 15 Kilo kann man eine Weile lang tragen. Aber auch nicht ewig.

Auf dem Rückweg besuchten wir Tante Zita, deren Mann letzten Sommer verstorben ist und Onkel Luis sowie Onkel Konrad. Onkel Konrads Frau geht es nicht gut. Sie ist schwer dement und liegt eigentlich nur mehr auf dem Sofa. Ich begrüsse sie, sie tut, als würde sie mich kennen, sie ist freundlich, sagt aber, dass sie müde ist. Ich verabschiede mich und wünsche ihr Frohe Weihnachten. Es scheint sie zu freuen.

Überhaupt dieses Freuen. Irgendwann will man sich vermutlich nur noch ein bisschen freuen.

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Radicchio Trevisano. Sonst habe ich in all den Tagen keine gescheiten Fotos gemacht.

[Sa, 21.12.2024 – Marburg, Sonnenwende, Kusturica, Ulm]

Wir fuhren also nach Marburg. Nach Ankunft im Hotel beschlossen wir, sofort die Stadt zu besichtigen und nahmen den Aufzug hinauf zur Altstadt. Die Altstadt liegt hoch über dem Tal und ist eine seltsam unwirkliche Welt aus Knusperhäuschens. Sie ist aber echt, es ist kein Disneyland und die Altstadt ist tatsächlich über einen öffentlichen Aufzug zu erreichen. Der Aufzug fährt jeden Tag bis 1:30 und ist kostenlos. Man kann die Altstadt aber auch über enge und steile Gassen erreichen. Alternativ gibt es auch verschiedene Treppensysteme. Oben angekommen taucht man in ein märchenhaftes Gewirr aus dunklen Gassen, Fachwerkhäusern, Treppen und grob bepflasterten Strassen ein. Es gibt viele Cafés und Restaurants und seltsamerweise viele Buchläden. An einem Buchladen bittet uns ein Ladenbesitzer auf etwas aufdringliche Weise herein. Er fragt uns, ob wir die zehn besten Bücher des Jahres sehen wollen. Wir folgen ihm in seinen Laden. In der Mitte seines Geschäftes hat er Bücher aufgestellt. Dazu sagte er, das sei die kuratierte Insel. Diese Bücher habe er alle gelesen und als absolut gut befunden. Es sind verschiedene Bücher von Daniel Kehlmann und Juli Zeh. Ausserdem fast ein Dutzend Bücher über Helmuth Schmidt.
Wir blieben freundlich, nicken und ich sagte „Oh super, Kehlmann, die habe ich alle gelesen.“ Von Kehlmanns „Vermessung der Welt“ kann ich mich eigentlich nur erinnern, dass die Dialoge konsequent in indirekter Rede verfasst waren. Diese Erinnerung griff ich auf und sagte zum Inhaber, dass ich vor allem mochte, wie konsequent Kehlmann die indirekte Rede anwandte. Damit hielt er mich sicherlich für einen Profi. Daraufhin zog er ein Buch aus einem Stapel und sagte: oh hier etwas für die Frau, das wird Ihnen bestimmt gefallen.
Es war ein Buch von Paulo Coelho. Ich kenne meine Frau und weiss, dass sich in ihrem Körper in dem Moment zweitausend Zehennägel krümmten.

Nach fünf Minuten wussten wir uns aus den Fängen des Buchhändlers zu befreien und gingen auf den Weihnachtsmarkt. Danach setzten wir uns in eine Bierbar aus Fachwerk. Tatsächlich bestanden die Wände auch an der Innenseite aus Mauerwerk mit Holzbalken. Auf den Bildschirmen wurden Nachrichten gezeigt. In Magdeburg war ein Auto auf dem Weihnachtsmarkt in die Menschenmenge gefahren. Tote und Verletzte. Wir lasen zuerst Marburg und nicht Magdeburg. An Magdeburg waren wir aber am Nachmittag vorbeigefahren. Danach hingen wir natürlich mit unseren Köpfen überm Telefon und lasen die Nachrichten.

Um zwanzig Uhr hatten wir in einen Tisch in einem schwedischen Restaurant am Marktplatz. Meine Frau ass fantastisches Köttbullar und ich einen Burger mit Elchfleisch. Elon Musk pöbelte auf Twitter wegen des Anschlages in Magdeburg herum. Der Angreifer stammt aus Saudi Arabien. Zurück im Hotel machte die Nachricht die Runde, dass der Angreifer AfD-Fan ist und Elon Musk anhimmelt.

Am nächsten Morgen liefen wir hinauf zum Schloss. Wir nahmen wieder den Aufzug und stiegen von der Altstadt noch weiter einen Berg hinauf bis zu einer alten, imposanten Burganlage. So stellte ich mir als Kind immer das Grimm-Deutschland vor. Das Land des gestiefelten Katers, des Rattenfängers und des tapferen Schneiderleins. Während Disney die Märchen in einer Schloss-Neuschwanstein-Optik inszeniert, merkte ich heute, dass meine Märchen-Ästhetik eher an ein Schloss wie das Schloss Marburg angelehnt ist. Dunkel, aus Stein, mehr wie eine Wehranlage, weniger wie ein Traumschloss. Warum das so ist, weiss ich nicht, womöglich waren meine Kinderbücher eher mit diesen Hexenburgen bebildert.

Um 10:51 war Wintersonnenwende. Am Himmel hing aber eine dichte Wolkendecke.

Am frühen Nachmittag fuhren wir weiter nach Ulm. Es ist ein Deutschland, das mir sehr fremd ist. Im Mittelalter ist hier viel Geschichte passiert. Wir liessen uns von Google viele Dinge vorlesen, die uns in dem Moment interessierten. Konnte Google es nicht vorlesen, suchte meine Frau manuell danach und las es mir vor. Irgendwann landen wir in Serbien und Emir Kusturica. Wir spielten „Ederlezi“ auf Spotify. Von dem Lied aus „Time of the Gipsies“ bekomme ich immer noch Gänsehaut. Obwohl meine Frau und ich einander nicht kannten, liebten wir in den Neunzigern beide Kusturicas Filme. Meine Frau mochte aber „Black Cat white cat“ lieber. Zu „Underground“ haben wir beide gemischte Gefühle. Kusturica wurde in meiner Jugend von allen Kulturmenschen verehrt, bis er irgendwann abbog und sich dem serbischen Nationalismus verschrieb. Er macht immer noch Filme, sie scheinen das internationale Publikum aber nicht mehr zu erreichen. Meine Frau las Teile eines kürzlich geführten Interviews mit ihm vor. Natürlich liebt er Putin.

In Ulm quartierten wir uns in einem Hotel unweit des Bahnhofes ein. Laut Beschreibung befindet es sich im beliebten Dichterviertel. Die Strassen sind nach Goethe, Kleist und Schiller benannt. Gegenüber unseres Zimmers ist ein ganzer Strassenzug zugenagelt. Daneben Brachen und verlassene Gewerbebauten.
Wir gingen direkt in die Stadt zum Münster. Das Münster bezeichnete ich vorgestern fälschlicherweise als Dom. Das Ulmer Münster ist der höchste Sakralbau der Welt. So. Und Hamburg hat gleich 4 Kirchen in der Top 20 der höchsten Sakralbauten der Welt. Ja genau, der Welt. Haben wir alles gegoogelt.


So sieht das aus:

[Do, 19.12.2024 – vor der Reise, Bescherung]

Eigentlich wollten wir heute schon in Richtung Südtirol fahren. Wir nahmen uns diesmal vor, eine kleine Deutschlandtour zu unternehmen, anstatt wieder direkt die A9 hinunter über den Brenner zu brettern. Der Plan sah vor, zuerst nach Marburg zu fahren und dort zu übernachten und dann weiter nach Ulm. Beide Städte sollen ja sehr schön sein. Marburg hat auf den Bildern etwas hexenartiges und Ulm hat einen schönen Dom. Von Ulm aus fahren wir über Allgäu und Liechtenstein, via Davoz über den Reschenpass nach Südtirol. Die Gegend kenne ich überhaupt nicht. Allgäu, Bodensee, Schwaben. Ich hatte mal eine Freundin in Augsburg, deswegen war ich als Achtzehnjähriger ein paar Mal da. Aber ihre Mutter mochte mich nicht, das ging nicht gut. Augsburg ist das Schwäbischste, das ich kenne, sonst ist mir die Gegend sehr fremd. Wobei Augsburg ja fast schon bei München liegt.

Da Marburg doch eine ziemliche Strecke von Berlin aus ist, verschoben wir die Fahrt auf Freitag. Wir wollen früher starten, es wäre schön, die Stadt noch bei Tageslicht zu sehen. Zwar bewegen wir uns auf die Wintersonnenwende zu, es wird tagsüber gar nicht mehr richtig hell, meine Schreibtischlampe leuchtet den ganzen Nachmittag über. Aber Marburg liegt ja weiter südlich und auch geographisch in einer anderen Zone. Vielleicht ist das ja ganz anders. Wir buchten jedenfalls Restaurants in beiden Städten und überall gibt es gute Bier-Bars. Das wird sicherlich nett.

Und sonst verbrachte ich den Tag mit Packen und ich erledigte Einkäufe. Auch holte ich das Fotoalbum der Nordkapreise ab. Es wurde heute bei Rossmann geliefert. Ich finde das Album sehr schön geworden. Allerdings habe ich mich in den beschreibenden Texten mehrmals vertippt, ausserdem schlichen sich zwei blöde Rechtschreibfehler ein. Es ärgert mich, dass ich nicht mehr auf solche Details geachtet habe.

Abends machten wir eine Art Bescherung. Wir zündeten LED Kerzen im Erker an und schlürften dabei am Bier. Meine Frau bekam von mir dieses berühmte vegane Kochbuch „BIG VEGAN FLAVOUR“ von Nisha Vora. Und ich erhielt mein überteuertes, aber heissgeliebtes Duschgel von Molton Brown. Die Hündin bekam einen Kaustick aus Hühnerfleisch, den sie zurückgezogen in ihrem Bettchen zernagte. Sie hat keinen Sinn für Weihnachten.

[Mi, 18.12.2024 – Lucia]

Wir waren mit Freunden auf dem Lucia-Weihnachtsmarkt in der Kulturbrauerei verabredet. Ich ändere ständig meine Meinung zu Weihnachtsmärkten. Manchmal finde ich sie super, manchmal finde ich sie nicht super. Die einzige Konstante bei Weihnachtsmärkten ist die klebrige Zunge, mit der man herumläuft. Die Freundin, mit der wir heute unterwegs waren, sagte, man würde so lange Glühwein trinken, bis man innerlich ausgekleidet sei. Das dauerte genau drei Glühweine. Einer davon war ein isländischer Glögg. Mit Heidelbeersaft. Aber ohne Schuss. Dazu assen wir warmgeräucherten Lachs mit Kartoffeln und verschiedenen Quarksaucen. Und sonst redeten wir über Hunde. Dabei standen wir im Rauch. Überall auf dem Markt gab es Feuerstellen mit einem Kamin. Man brauchte bei 11 Plusgraden allerdings keine Wärmequellen. Optisch ist das natürlich trotzdem schön. Überhaupt finde ich diesen Markt einen der Ästhetischsten und kommt meiner Idee von Weihnachten am Nächsten.

Schön fand ich auch die Beschilderung von Umeå und Nordkapp. Ich schoss davon ein Foto und schickte es meinem Vater. Er wusste aber sofort, dass die Entfernungsangaben nicht stimmten. Die Entfernung nach Berlin ist 2810km und nicht 2158km:

[Di, 17.12.2024 – Auftrag, Whatsapp Profilbild]

Es sitzt eine neue Frau auf dem Boden vor Edeka. Da ich nie Bargeld habe, frage ich die Leute, die dort auf dem Boden sitzen, manchmal, ob ich etwas aus dem Supermarkt mitbringen soll. Die neue Frau ist schon etwas älter. Sie freute sich über mein Angebot und sagte, sie hätte gerne ein Schinken-Käse Croissant und einen Cappuccino mit Hafermilch. Ausserdem ein kleines Fläschchen Gorbatschov Vodka. Ich fand diese Bitte dermassen lustig exzentrisch, dass ich ihr den kompletten Wunsch erfüllen wollte.
Allerdings scheiterte ich bereits beim Croissant. Sie führen nämlich keine Schinken-Käse Variante im Sortiment. Daher entnahm ich ein normales Croissant und fügte zusätzlich ein undefiniertes Schinken-Käse Gebäck hinzu. Auch wurde aus dem Cappuccino mit Hafermilch nichts, da der Automat nur Bargeld nimmt, das ich bekanntlich nicht bei mir hatte. Und schliesslich gab es auch keine kleinen Gorbatschov Vodkaflaschen. Es gab überhaupt keine kleinen Vodkaflaschen.

Als ich zu ihr zurückkam, freute sie sich dennoch über die beiden Backwaren.

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Ausserdem bin ich gerade in Kontakt mit einem Unternehmensgründer, mit dem ich heute wegen einer Position in seiner Firma reden sollte. Wir waren eigentlich gestern verabredet, aber wegen privater Umstände musste er das Gespräch auf heute verschieben. Aber auch heute musste er wieder kurzfristig absagen und so schrieb er mich über Whatsapp an.

Mein Profilbild auf Whatsapp ist nur mittelmässig seriös. Auf dem Bild ist mein Gesicht in eine Schleife für Geschenke gewickelt und wie ich die Krawatte trage, erinnert sie eher an einen Galgen. Es ist das Foto von der „ÜBER„-Seite.

Ich will mich eigentlich nicht verstellen. Es ist mir wichtig, immer authentisch zu sein. Damit bin ich immer gut durch das Leben gekommen. Dazu gehört es auch, ein bisschen unseriös zu sein. Natürlich will ich mich beruflich nicht unseriös geben, aber ich will im Berufsalltag auch authentisch sein, das heisst, auch mal blödeln können. Alle Menschen haben schliesslich ihre privaten Seiten und ich will diese Seiten nicht künstlich abschirmen, das kostet mich nämlich sehr viel unnötige Energie, ich funktioniere am besten, wenn ich ich selbst bin.

Natürlich muss ich davon ausgehen, dass ich gegoogelt werde und die Leute auf dieses Blog stossen. Wenn das ein Grund zur Ablehnung ist, dann ist das auch für mich ein Grund, nicht für jene Leute zu arbeiten. Das mit dem WhatsApp Profilbild nervte mich heute dennoch sehr. Wenn ich mit ihm chatte, habe ich das Gefühl, eine Schleife im Gesicht zu tragen. Ich ändere es jetzt aber nicht mehr. Allerdings hat er auch aufgehört, mir zu antworten.

[Mo, 16.12.2024 – Hexenwetter, Popchor, grauer Bart]

Dieses Hexenwetter heute. Sturm. Elf Grad. Der dunkelgraue Himmel.
Nur der kalte Sprühregen muss nicht sein.

Mit der Superheldengeschichte komme ich nicht so gut voran. Ich habe bereits seit drei Tagen nicht mehr daran geschrieben. Sie liegt mir noch nicht, ich gerate in keinen Flow, um einmal länger am Stück daran zu schreiben. Ich denke zu wissen, woran es liegt. Dem Protagonisten (es ist jetzt doch ein Mann geworden) fehlt eine zweite Figur, eine befreundete Figur oder eine Referenzfigur, mit der er im Alltag interagiert.

Es gibt auch keine Neuigkeiten von der Novelle. Aber jetzt in der Weihnachtszeit schläft ohnehin die ganze Welt. Was ja auch das Schöne an dieser Zeit ist.

Abends waren meine Frau und ich auf einem Chorkonzert der Nachbarin. Sie singt in einem Pop-Chor, der gestern in der Mampe-Destillerie am Tempelhofer Berg sein Repertoire aufführte.
Ich wollte mich ja wieder einem Chor anschliessen. Eigentlich suche ich eher einen Chor, der ernsthaftes Zeug einstudiert. Vor allem Musik aus dem Frühbarock bis zur frühen Klassik. Auch späte Klassik meinetwegen oder italienische Romantik. Aber Pop kam für mich nie infrage. In meinen Teenagerjahren fand ich Popmusik widerlich. Damals hörte ich ausschliesslich Hardrock, Metal, Punkrock und industrielle Musik. Oder gross orchestrierten, symphonischen Rock wie Pink Floyd. Die einzige Pop-Etappe, die ich durchlief, war Madonna, in die ich natürlich verliebt war. Aber da war ich vielleicht 11. Insofern fehlt mir ein ganzes Stück Musikkultur. Manchmal stört mich das. Meistens aber nicht.
Von den vorgetragenen Liedern auf dem Konzert kannte ich lediglich Queens „Don’t stop me now“ und „Take on me“ von A-Ha. Die Schwester meines besten Freundes hörte ständig „Take on me“, daher kenne ich das. Und Queen holte ich nach, als ich dreissig Jahre alt war.

Auf dem Konzert dieses Pop-Chors musste ich allerdings feststellen, dass die Sängerinnen wesentlich mehr Spass zu haben schienen als in den Chören, in denen ich stets sang. Ausserdem waren sie wesentlich jünger bzw. in meinem Alter. In meinen früheren Chören sangen hauptsächlich ernsthafte alte Leute mit, die nie saufen gehen wollten.
Nun bin ich natürlich selber zwanzig Jahre älter als damals in meinem letzten Chor. Meine Frau meinte, dass die Leute in diesem Popchor alle jünger seien als wir. Vielleicht wollen wir ja gar nicht mehr saufen gehen.

Auch so eine Sache: Ich erkenne es immer sehr schlecht, wenn Menschen jünger sind als ich. Ich habe mein eigenes inneres Bild noch nicht korrigiert. Im Spiegel sehe ich aus wie 50, aber aus meinem inneren Spiegel heraus schaut mich immer noch der Mann Mitte dreissig an. Der mit dem schwarzen Gesichtshaar und der glatten Haut.

[So, 15.12.2024 – Trainer, Belfast, Dogday]

Am Samstag lud Hertha die offiziellen Fanclubs auf das Olympiagelände zu einer Weihnachtsfeier ein. Es war eine kühle Angelegenheit bei -1 Grad und Schneeregen. Es gab Stände mit Trinken, Essen und Weihnachtskrams. Die Spieler verteilten Glühwein und Tombola Lose. Die jungen Mitglieder aus meinem Fanclub wollten sich mit den Spielern ablichten. Die Spieler waren sehr geduldig, liessen sich umarmen und schnitten alberne Grimassen in die Kamera. Das war schon sehr nett. Es hätte auch die Möglichkeit gegeben mit denen zu quatschen, möglicherweise hätte man ein paar Infos bekommen, über die sie niemals vor einem Mikrophon reden würden, aber mir ist das unangenehm. Es wundert mich ohnehin, dass die Stimmung nach der Niederlage vom Freitag, die mittlerweile zu einer Krise ausgewachsen ist, so gelassen war.

Der Trainer, der momentan im Zentrum der Kritik steht, war auch da. Fanclubfreundin K schimpfte den halben Abend über den Trainer. Dann liefen wir zufällig an ihm vorbei und ich sagte „Hallo Trainer, meine Freundin möchte ein Foto mit dir“. Er schien sich zu freuen. Die Freundin aus dem Fanclub lächelte in die Kamera und hob den Daumen. Danach war sie stinkesauer auf mich. Aber in Wirklichkeit fand sie das sicherlich super.

Der kalte Wind wurde immer unerträglicher.

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Heute beschlossen wir, den Tag im Wohnzimmer zu verbringen. Wir schauten „Say Nothing“, die Verfilmung der sogenannten „Troubles“ in Belfast, Nordirland. Die Geschichte basiert auf den vertraulich gemeinten, aber später zur Veröffentlichung gezwungenen Interviews mit der hochrangigen IRA Paramilitärin Dolours Price und ihrem Weggefährten Brendan Hughes. Sie erzählen von der Zeit zwischen Ende der Sechziger, als der Konflikt aufflammte, bis in die Neunziger, als Sinn Fein den Waffenstillstand und das Friedensabkommen unterzeichneten.

Leider wird wenig über die gesellschaftlichen Voraussetzungen berichtet, die zur Eskalation führten. Inwiefern die katholische Minderheit unterdrückt wurde, wie sich das im Alltag zeigte. Das wird lediglich in einigen Dialogen erwähnt. Die Serie macht die Gründe des Konfliktes nicht erfahrbar. Sie steigt an jener Stelle ein, wo die beiden Price-Schwestern sich radikalisieren. Es ist aber dennoch eine sehr gut erzählte Geschichte. Wir klebten den ganzen Tag lang am Bildschirm und drückten auf Pause, wenn jemand auf die Toilette ging oder sich ein Brot schmierte.
Die ganze Zeit über erschlich mich dennoch ein unbehagliches Gefühl. Wenn ich zu jener Zeit als neunzehnjähriger junger Mann in einer katholischen Familie in West-Belfast gelebt hätte, würde ich mich möglicherweise auch dem bewaffneten Widerstand angeschlossen haben.

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Die Hündin wurde heute 3 Jahre alt. Sie versteht das Konzept nicht. Aber für eine Fleischtorte macht sie alles:

[Fr, 13.12.2024 – Fotobuch, Niederlage]

Jetzt fällt mir wieder ein, was ich am Mittwochabend tat. Ich fertigte ein Fotobuch für meinen Vater an. In dem Fotobuch dokumentierte ich unsere Reise zum Nordkap von letztem Sommer. Mit Fotos, Kartenausschnitten und Texten. Ich mache so etwas richtig gerne. Während ich das alles zusammenstellte, begab ich mich innerlich erneut auf die Reise. Es ist eine sehr intensive Tätigkeit. Irgendwann weit nach Mitternacht war ich mehr oder weniger fertig und dann legte ich mich mit eindrücklichen Bildern von der Reise ins Bett. Anschliessend träumte ich davon.

Heute ging ich zum letzten Heimspiel des Jahres. Gegen Preussen Münster, dem Aufsteiger aus der dritten Liga, der die ganze Saison schon auf einem Abstiegsplatz stand und vermutlich auch wieder absteigen wird.

Dann verlieren wir 1:2.

Und plötzlich ist die Stimmung gekippt. Die letzten unnötigen Niederlagen wurden irgendwie hingenommen, aber heute erreichte die Mannschaft einen neuen Tiefpunkt. Es war das erste Mal, dass die gesamte Kurve pfiff. Ich habe die Niederlage nicht ganz verstanden, ich muss mir Teile des Spiels noch einmal auf Youtube ansehen. Die Niederlagen folgen aber immer dem gleichen Muster: Zuerst schiesst unsere Mannschaft das erste Tor, und dann bricht die Leistung ein. Es ist immer das gleiche Muster.

Wir blieben alle lange am Stadion. Als hätten wir Gesprächsbedarf gehabt. Zumindest konnten wir die schlechte Laune ertränken.