[Sa, 10.2.2024 – Naturkautschuk, Trümmerberg, Essen]

Als ich heute früh im Park ein bisschen angeberisch durch eine Pfütze lief, lernte ich auf die harte Tour, dass meine Gummistiefel nicht mehr wasserdicht sind. Ich spazierte mit dem Frauchen von Curly, eine der vielen Leute, die ich in meinen zwei Hundejahren kennengelernt habe. Wir liefen um die grosse Wiesen herum. Der gesamte nördliche Bereich war durchnässt und grosse Bereiche lagen unter Wasser. Wir unterhielten uns über unser Schuhwerk. Sie trug irgendwas mit Gore Tex, aber das sei nicht wasserdicht, sagte sie. Sie tänzelte ein wenig um die Wasserstellen herum. Ich hingegen trug meine schicken wasserdichten Ankle-Gummistifeletten und lief angeberisch durch eine tiefe Pfütze und sagte, ich würde nur noch auf Naturkautschuk vertrauen. Und schon spürte ich das Wasser zwischen meinen Zehen.
Beide Stiefel waren an den Seiten von feinen, längeren Rissen durchzogen.
Ich glaube, meine Begleiterin fand das lustig.

Später googelte ich danach. Ich bin wohl nicht der einzige, bei dem das passiert ist. Allerdings erfuhr ich auch, dass man Naturkautschuk ordentlich pflegen muss, weil es sonst brüchig wird. Pflege. Das ist das letzte, was ich bei Gummistiefeln erwartete.

Während ich das aufschreibe, fällt mir auf, dass ich ziemlich oft über Schuhe schreibe. Neuerdings bin ich besonders von Wetterschuhen angetan. Die Minus-30-Grad Winterstiefel von neulich, dann meine Gummistiefel für Überschwemmungen und eben auch die schicken Chelsea Stiefeletten aus Naturkautschuk.

Jetzt muss ich mich nach etwas anderem umsehen. Es ist nicht einfach, Gummistiefel für Männer zu finden, die nicht gleich aussehen, als würde man zum Angeln gehen. Aber die Diskussion hatten wir schon einmal in den Kommentaren.

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Am Nachmittag gingen meine Frau und ich mit der Travelling Lady und ihrem Hund Max auf eine längere Gassirunde im Volkspark Prenzlauer Berg. Bzw auf dem Trümmerberg, wie man unter Ostberlinerinnen sagt. Ich erhielt eine Zuschrift, dass man jenen Park in Ostberlin nur als Trümmerberg kennt. Unsere Hunde verstanden sich blendend. Das freute mich sehr. Meine Hündin war richtig aufgeweckt in der Interaktion mit einem anderen Artgenossen. Das tut sie seit der letzten Läufigkeit nur noch selten. Meistens interessiert sie sich nur noch für meine Frau und mich und einigen wenigen Menschen, zu denen sie einen Bezug hat. Von anderen Hunden ist sie meist eher genervt.

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Auch bin ich gerade wieder in einem Abnehmmodus. Seit ich die verlorenen 20 Kilo alle wieder zugenommen habe, bin ich nie wieder in so etwas wie einen Abnehmmodus gekommen. Ich denke, jetzt ist es soweit. Aus diesem Grund passiert hier auch gerade so wenig: Ich fahre ins Büro und fahre nach Hause. Mehr passiert nicht. Mir hilft das aber meistens. Meine Trigger sind Essenundtrinken mit Freunden. Das entfesselt eine endlose Freude an kalorienreichem Input.

Ich würde gerne wieder Intervallfasten. 20/4 macht mir wirklich Spass und es tut mir gut. Aber das erfordert eine mentale Umstellung, die ich nicht immer erreiche. Wenn ich mich in diesen Modus versetze, dann legt sich bei mir ein Schalter um und ich hungere dann eigentlich nie. Der Schalter ist umgelegt und ich esse nur das Nötigste. Das ist aber auch ein seltsam religiöses Mindset, in das ich dann gerate. Ich esse nichts, ich entziehe mich allem, ich treffe keine Menschen, ich schliesse mich ein, lese Bücher, hänge im Netz, trinke Wasser und schreibe. Es ist nicht schlecht, ich geniesse das sogar, so hat mir Corona auch Spass gemacht. Aber als Lebensentwurf ist das doch etwas fad.

Nächste Woche fliege ich wieder nach Amsterdam. Ich glaube nicht, dass ich auf Alkohol und üppige Abendessen verzichten kann. Verzichten will. Und Hotelfrühstück. Ich liebe Hotelfrühstück. Und dieses Herumhängen auf Dienstreisen ist auch nicht sehr förderlich. Ich tröste mich dann mit Essen.
In 2013 hatte ich diesen Job bei McFit, wo ich für den Rollout der Videostreams in Spanien und Italien zuständig war, da verbrachte ich mehrere Monate auf Flughäfen, Bahnhöfen, staubigen Baustellen und einsam in Hotels. Damals nahm ich ständig Trostessen zu mir. Brötchen hier, Pommes da, ständig Snacks. Damals legte ich ordentlich zu. Das ist auch ein Mindset. Mit Freude hatte das allerdings genau so wenig zu tun.

[Do, 8.2.2024 – Jubi, Blitzerfoto]

Heute vor drei Jahren begann ich mit den täglichen Tagebucheinträgen. Damals schrieb ich noch ganz naiv „Bis Ende des Monats vielleicht. Vielleicht länger.“

Davor schrieb ich zwar auch mehrmals die Woche, mindestens mehrmals im Monat. Aber konsequent ein Tagebuch online zu führen, war noch mal etwas anderes. Mittlerweile verwende ich das Blog auch zu dokumentatorischen Zwecken. Wenn ich wissen will, wann etwas Bestimmtes passiert ist, geben ich im Suchfeld den entsprechenden Begriff ein. Oft ärgere ich mich, dass ich in den 18 Jahren davor nicht immer alles dokumentierte.

Nächsten Monat jährt sich der Geburtstag dieses Blogs zum 21. Mal. Ich dachte einmal darüber nach, den 20. Geburtstag zu feiern. Mit alten Bloggerinnen. Es hätte sich nicht unbedingt um den Jahrestag dieses Blogs drehen müssen, es hätte aber in schönes Klassentreffen sein können. Man kann das theoretisch aber jedes Jahr machen. Einen Anlass findet sich immer.

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Ich sehe auf Blitzerfotos immer so weinerlich aus. Wie ein Cowboy, der dem Sonnenuntergang entgegenfährt. Dabei fuhr ich nur Coronatests kaufen.

[Mi, 7.2.2024 – Reis, Trauer auf Insta]

Das ganze Treppenhaus riecht herrlich nach Reis.

Seit gestern bereitet die vietnamesische Familie die Wiedereröffnung ihres Lokals im Erdgeschoss vor. Das Konzept mit Kuchen, Kaffee und Eis hat nicht so funktioniert. Ich glaube, sie versuchen jetzt etwas anderes. Irgendwas mit Reis. Durch die Tür hindurch sah ich, wie sie auf grossen Töpfen Reis kochen. Das ganze Treppenhaus riecht danach. Für mich könnte die ganze Welt nach Reis riechen. Ich hoffe nicht, dass mich der Geruch irgendwann stört. Sollte dieses Gefühl je hochkommen, werde ich es nicht zulassen.

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Letzten Herbst, vermutlich im September, starb der Freund meiner italienischen Tätowiererin. Ein sympathischer, schöner Mann, den ich einmal kennenlernte, als sie beide in Berlin waren. Sonst kenne ich ihn nur von den Fotos aus ihren Instagram-Stories. Immer Pärchenfotos, immer offensichtlich verliebt und glücklich.
In ihren Stories auf Insta und Whatsapp postet sie täglich Fotos von ihm und versieht sie mit schwarzen Herzen und Gedichten. Seit Oktober. Diese offen ausgetragene, nie aufhörenwollende Trauer. Es tut mir leid für sie.

[Di, 6.2. – Montag und Dienstag]

Morgens auf dem Rad ziemlich nass geworden.
Mittags meine Oberschenkel an den Heizkörper gehalten.
Abends Fargo geschaut.

Die Schlussszene der letzten Folge. Ich fragte mich minutenlang, wie sie diese Geschichte beenden wollen. Passte dann schon.

Das war der Montag.

So war der Dienstag:
Heute hatte ich die Hündin. Da momentan die S-Bahn zwischen Gesundbrunnen und dem Süden nicht fährt, nahm ich das Auto. Ich hasse es, im Stadtverkehr mit dem Auto zu fahren. Ich muss wirklich wieder das Projekt „Hund und Fahrrad“ aufgreifen. Ich hatte im Herbst bereits Lastenräder getestet (nicht darüber gebloggt, glaube ich), die ich günstig über unser Firmenleasing anschaffen könnte, aber ich empfinde so wenig Freude daran, noch ein zusätzliches Fahrgerät zu besitzen und im Innenhof irgendwo umständlich parken zu müssen. Die Hündin schien die Testfahrt auf dem Lastenrad immerhin gut mitzumachen.

Als Alternative würde sich ein Anhänger anbieten. Die sind wesentlich günstiger in der Anschaffung und nehmen auch weniger Platz in unserem vollgestellten Innenhof ein. Aber. Genau: aber. Ich müsste mich damit beschäftigen.

Das war der Dienstag.

[So, 4.2.2024 – Magenta]

Beim Buchen von MagentaTV merkt man die ganze Trägheit und hoffnungslos versteinerte Denke des Telekom-Apparats. In direktem Vergleich mit agilen und smarten Anbietern wie Netflix oder AppleTV, wo man auf der Seite sofort versteht, dass man sich entweder registrieren oder Einloggen muss und dabei nur eine Email und ein Passwd braucht, sowie eine Zahlungsmethode und danach ganz schnell zwischen einfach verständlichen zwei oder drei Tarifen wählen kann, brauchte ich für MagentaTV eine ganze Stunde und Hilfe des Supports.

Was ich wollte: die fünfte Staffel von Fargo schauen.

Telekom hat mich mit einem sogenannten Exklusivinhalt gelockt. Seisdrum. Also wollte ich mir für einen Monat MagentaTV zulegen. Wenn die Inhalte gut sind, würde ich natürlich auch länger bleiben. Die Telekom will mich mit Fargo ja locken, das verstehe ich, deswegen probiere ich es jetzt einen Monat wegen Fargo und dann schaue ich weiter.

Was ich verstanden habe:

  • es gibt tausende Tarife
  • es gibt immerhin nur die Hälfte an Produktbegriffen
  • es gibt Zubuchungsoptionen

Was ich aber nicht verstanden habe: Was muss ich tun, um Fargo zu gucken und nach einem Monat wieder kündigen zu können.

Stattdessen werde ich mit Zubuchungsoptionen gelockt, während ich noch gar nicht weiss, was ich als Basis buchen kann. Und überhaupt versucht man mir ständig einen sehr teuren Tarif anzubieten. Irgendwann lande ich endlich auf einer Seite, auf der 5 Optionen für MagentaTV angeboten werden. Ich wähle den Flex Tarif für 10 Euro aus. Beim Buchen des Tarifs werde ich informiert, dass ich bereits Kunde bin und ich es deswegen im Kundencenter als Option hinzubuchen muss. In meinem Kundencenter (wo ich mich erneut einloggen muss) lande ich wieder auf der Seite, wo ich den Tarif auswählen kann, der mich wieder ans Kundencenter weiterleitet (wo ich mich wieder einloggen muss). Ungefähr drei Mal lande ich bei Gewinnspielen und am Ende habe ich zwölf geöffnete Browsertabs, aber immer noch kein MagentaTV, auf dem ich Fargo schauen kann.

Irgendwann kontaktiere ich den Chatbot, der auch wenig damit anfangen kann, dass ich einfach Fargo gucken will.
Deswegen schaltet sich eine Mitarbeiterin im Chat ein, die mir weiterhilft.

So braucht man nicht mit Exklusivinhalten locken.

[Sa, 3.2.2024 – offene Nase, Demo, Protestformen, Liberté]

Nach der Nasen-OP hatte ich Angst davor, dass sich an der Durchlüftung meiner Nase nicht geändert haben würde. Die OP verschlimmerte den Zustand nämlich.

Ich nehme ja seit Jahren alle paar Stunden Nasenspray, damit ich normal sprechen kann und mit geschlossenem Mund atmen kann. Vor allem nachts.
Ich hatte erwartet, dass sich durch die Operation alles lösen würde. Stattdessen wurde es nach der OP schlimmer. Seitdem musste ich mindestens einmal alle zwei Stunden sprühen. Besonders nachts war das frustrierend, da mein Schlaf ohnehin nicht der beste ist.
Weil ich mittlerweile schon so viele Jahre sprühe, nehme ich den Spray auch prophylaktisch. Zum Beispiel, wenn ich ins Bett gehe. Auch wenn meine Nase zum Zeitpunkt des Schlafengehens noch offen ist, sprühe ich natürlich, damit ich erst mal zwei oder mehrere Stunden Ruhe habe. Das nennt man wohl Sucht. Sucht mit weiser Voraussicht.

Am Donnerstagabend vor dem Zubettgehen griff ich also wieder zum Fläschchen, mir fiel aber ein, dass der letzte Griff zum Fläschchen schon eine Weile her war. Da war ich noch im Büro. Das waren mehr als sechs Stunden. Aber meine Nase war frei wie nach einem frischen Sprühstoss.
Das freute mich, ich wollte es aber nicht riskieren, in einer Stunde wegen meines verstopften Rüssels wach zu werden. Also verabreichte ich mir eine Dosis.

Am nächsten Morgen um 7 Uhr war mein Geruchsorgan immer noch frei. Wahrscheinlich dauerte es einfach diese zwei Wochen, bis sich die Schleimhäute nach der OP wieder beruhigten und jetzt hat sich alles zurechtgelegt und -gezogen, wie es die Intention war. Ich verstand, dass das dieser langersehnte Moment sein könnte, auf den ich so viele Jahre gehofft hatte. Ich beschloss, nicht zu sprühen, nahm das Fläschchen dennoch mit auf die Gassirunde. Aber von Stunde zu Stunde wurde mir bewusst, dass meine Nase geöffnet blieb.
Kurz nach Mittag schrieb ich eine Nachricht: ich habe schon seit 13 Stunden nicht mehr gesprüht.

Das ist bisher so geblieben.

Ich trage das Fläschchen zwar immer noch mit mir herum, aber ich vergesse es mittlerweile. Früher hatte ich immer ein panisches Gefühl, wenn ich es nicht bei mir trug. Ich fuhr schon mehrmals deswegen von der Kneipe nach Hause oder in die Apotheke. Einmal kehrte ich vom Weg ins Stadion um und schaute das Spiel zu Hause. Ohne Fläschchen geriet ich in Panik.

Diese Abhängigkeit scheint jetzt vorbei zu sein. Ich freue mich alle paar Stunden darüber und sage zu meiner Frau ständig: ich kann es gar nicht fassen. Meine Nase ist immer noch frei.

In ein paar Tagen werde ich versuchen, ohne Spray aus dem Haus zu gehen.

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Am Nachmittag fuhren wir zur Demo gegen Rechtsextremismus und die AfD. Mehr als 150.000 waren vor Ort. Wir fuhren mit der U-Bahn. Die U-Bahnen waren gut gefüllte gelbe Sardinendosen, aber wir passten noch hinein.

Die Demo war dann kein Demonstrationszug, wie es in 2018 die grosse Unteilbar-Demo war, sondern eine Kundgebung vor Ort mit mehreren Rednerpulten und Musikeinlagen.
Früher, als ich selbst noch Barrikaden anzündete, interessierte ich mich sehr für Protestformen, mittlerweile störe ich mich an den meisten Arten. Natürlich vor allem an angezündeten Barrikaden. Aber auch Rednerpulte sind eine davon. Ich finde, wenn man viele Leute bewegen will, dann ist es wesentlich wichtiger, dass etwas passiert. Wie blöd es auch klingen mag: Menschen sollen Spass haben. Menschen sollen gerne zur Demo kommen. Menschen sollen sich als Teil von etwas fühlen.
Heute hatte ich das Gefühl, dass die meisten Menschen etwas verloren in der Gegend herumstanden, nicht genau verstanden, was los ist. Man hört die Reden zwar, weil aber so viele Menschen anwesend waren, wusste man nicht, woher die Stimmen kamen. Zudem verstand ich auch den Inhalt der Reden nicht, bzw. ich verstand nur jedes zweite Wort. Ich empfand es eher als anstrengend.

Viele Teilnehmerinnen verliessen die Demo bereits ab 14Uhr. Wobei ich fairerweise sagen muss, dass gleichzeitig viele Menschen erst zu jener Zeit kamen. Immerhin hielten sich auch weit ausserhalb der Demo, Unter den Linden, so viele Menschen auf der Strasse auf, dass sie gesperrt war.

Die Unteilbar-Demo fand ich hingegen richtig gut. Das war ein Demonstrationzug mit verschiedenen Wagen auf denen Musik gespielt wurde und wo kurze politische Ansagen gemacht wurden. Wir waren immer in Bewegung, konnten Musik wechseln, wie es uns passte. Man war eine Wucht an Menschen, die zeigten, dass wir mehr sind als die Rechten und dass wir dabei Spass haben.
Ich brauche auf einer Demo keine Reden, wir alle wissen, warum wir da sind, wir wollen Präsenz zeigen, dass wir mehr sind, dass wir zusammengehören, dass wir alle noch da sind und es uns ein Anliegen ist. Das ist es, was diese Zeiten brauchen.

Ich fürchte, dass der Zulauf abebben wird, wenn solche Zusammenkünfte irritierend sind. Vielleicht empfinde aber auch nur ich so.

Auch traf ich noch die Menschen von meinem Fanclub. Wir hatten eigentlich einen Treffpunkt vereinbart, aber da meine Frau und ich zu spät waren, fanden wir sie nicht sofort wieder. Ich bat einen Freund per Whatsapp, mir den Standort zu teilen, das Mobilfunknetz war aber völlig überlastet. Die Nachricht fand erst ihr Ziel, als wir ein paar Stunden später am Alex einfuhren.

Wir trafen sie dennoch zufällig. Meine Freunde hielten ein Schild mit der Hertha Fahne hoch, auf der stand: „Liberté, Egalité, BSC“

[Fr, 2.2.2024 – Plakate, morgen Demo]

Es gibt gerade nicht viel zu berichten. Ich arbeite sehr produktiv und mein Fanclub hat mit Hilfe von anderen Fanclubs und Person in einer super Aktion zwei Abende ein paar tausend Poster für den Abschied von Kay Bernstein in der Stadt verklebt.

Und sonst so. Am morgigen Samstag ist Demo. Kommt alle. That was it.

[Mi, 31.1.2024 – Rentierfell, Gegen den Winterblues, Gefühlsausschläge]

Als meine Frau das Rentierfell auspackte, war das Interesse der Hündin geweckt. Sie folgte meiner Frau andächtig mit gestreckter Schnauze, um dieses grosse Fell zu verstehen. Meine Frau lief damit durch die Wohnung und suchte einen geeigneten Ort, um es abzulegen. Die Hündin immer an ihren Fersen. Die Entscheidung fiel auf den Schaukelstuhl. Meine Frau breitete das Fell über den Stuhl aus und begutachtete es. Dann begann die Hündin zu knurren. Sie knurrte das ausgebreitete Fell an und versteckte sich hinterm Tisch. Sie kam wieder hervor, knurrte, machte einen Bogen um den Stuhl und versteckte sich wieder.

Das war lustig.

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Sonst waren die letzten beiden Arbeitstage unglaublich produktiv. Es geschah lange nicht mehr, dass ich abends nach Hause komme und das Gefühl habe, richtig viel erledigt zu haben.

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Übrigens gibt es ein Interview mit einer amerikanischen Psychologin auf Spiegelplus, das mich sehr begeistert hat. Über Winter und wie man den Winterblues verhindert. Schlichtweg, indem man ihn zu lieben lernt. Es bringt nichts, sich den ganzen Winter lang zu wünschen, im Park zu sitzen, wenn es der Winter nicht hergibt. Deswegen muss man die Dinge anders angehen. Z. B. Gemütlichkeit zulassen, Ausgehstress runterfahren, Lichter anschalten etc.

Ein paar lustige Passagen:

SPIEGEL: Gibt es Regionen, in denen die Menschen besonders anfällig für den Winterblues sind?

Leibowitz: Ja, das sind vor allem diejenigen, die ihre Heimat in den mittleren Breitengraden haben. Dazu zählen etwa Städte wie Berlin, London oder New York. Man würde denken, dass es dort, wo die Winter deutlich dunkler und extremer sind, auch zu mehr Fällen von Winterblues und Winterdepression kommt, aber das ist nicht so. Nach meiner Auffassung und Forschung ist der Grund folgender: Wenn man in extremen Wetterverhältnissen lebt, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich anzupassen, sich vollkommen in den Winter hineinzuwerfen und ihn zu umarmen.

SPIEGEL: Und wie umarmt man den Winter? Was machen die Menschen in den nördlichen Teilen der Welt anders als wir hier in Deutschland?

Leibowitz: Die Kultur ist vollkommen anders und deutlich besser an die kalte Jahreszeit angepasst. Die Menschen ziehen sich wärmer an, die Infrastruktur der Städte ist auf die Kälte und den Schnee eingestellt, die Häuser werden effizienter geheizt, so etwas hilft natürlich. Menschen, die in den nördlichen Breitengraden leben, sind außerdem deutlich mehr dazu geneigt, ihr Verhalten und ihren Rhythmus an die dunklen Wintermonate anzupassen. Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege, aber in Deutschland ist Gemütlichkeit kein relevantes kulturelles Konzept, oder?

SPIEGEL: Es ist auf jeden Fall kein Volkssport, würde ich sagen, nein.

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Am Abend fand das Pokalspiel gegen Kaiserslautern statt. Ich sass zu Hause und sah eine eher traurige Niederlage. Ich hatte meine Dauerkarte für dieses Spiel bereits im Dezember vergeben, ich weiss aber auch nicht, ob ich die Niederlage mit Freunden im Stadion anders verarbeitet hätte. Seit anderthalb Jahren ist bei mir eine gewisse Egaligkeit bei Niederlagen eingetreten. Ich interpretiere das als Selbstschutzmechanismus, vielleicht ist es aber auch etwas anderes. Es äussert sich leider auch darin, dass mir Siege weniger Freude bereiten als früher. Bei der Audiobearbeitung nennt man das „normalisieren“. Wenn man die Ausschläge oben und unten wegfeilt. Das machen auch Antidepressiva. Oben und unten wegfeilen. David Foster Wallace nahm sich deswegen das Leben. Weil er nicht nach unten und nach oben fühlen konnte. Klingt jetzt sehr dramatisch, wenn ich das so schreibe, ich bin nicht sonderlich suizidal, aber der Vergleich bot sich gerade an. Vielleicht sollte ich mit dem Fussball aufhören.

[Di, 30.1.2024 – die Sache mit dem Polarkreis, Rückflug, Hündin]

Montag war Rückflugtag und mir fehlte der Elan, die niedergeschriebenen Notizen in Form zu bringen.

Ich hätte ja gerne den Polarkreis überquert. Neben Wanderungen im Schnee war die Überquerung des Polarkreises das einzige wirkliche Vorhaben, das ich mir vorgenommen hatte. Es gibt kaum esoterisch-religiösen Gefühle in meinem Leben, aber diese magische Grenze der Sonnenwende fasziniert mich seit langer Zeit.

Ich habe sie oft mit dem Flugzeug überquert, aber sie füssläufig zu betreten ist eine ganz andere Dimension. Auch wenn ich jedes Jahr in Schweden bin, bedeutet das noch lange nicht, dass man die Linie einfach findet. Meist verläuft der Polarkreis irgendwo durch den skandinavischen Wald. Es gibt mehrere Waldstrassen, die vom Polarkreis durchkreuzt werden, aber dafür müsste ich entweder zwei Tage von Göteborg aus mit dem Auto fahren oder mit dem Flieger nach Kiruna oder Lulea fliegen und dort ein Auto mieten und noch einmal zwei bis drei Stunden fahren. Oder mit der Bahn, das sind auch 20 Stunden. Rovaniemi liegt hingegen 2km vom Polarkreis entfernt. Da bot es sich natürlich an.

Das Problem ist nur: Niemand scheint sich dort für den Polarkreis zu interessieren. Weder Taxifahrer noch Tourismusangestellte wissen, wo man den Polarkreis überqueren kann. Alle verweisen nur auf die Markierung im Santa Claus Village, aber dieses Weihnachtsmanndorf-Disneyland wollten wir tunlichst vermeiden. Dort gibt es eine Markierung im Boden und man kann sich gegen Entgelt sogar ein Diplom ausstellen lassen, dass man an jener Stelle den Polarkreis überquert hat.
Es ist gut zu wissen, dass ich nicht der einzige bin, der diesen Wunsch hat, diese Linie zu überqueren. Es ist aber deprimierend zu wissen, wie billig bedienbar so ein Wunsch ist.
Um es vorwegzunehmen: Nein, wir fuhren nicht ins Weihnachtsmanndorf.

Eine Alternative wäre es gewesen, ein Auto zu mieten und mit dem GPS Signal in den Wald zu fahren. Der Taxifahrer riet uns aber davon ab, ein Auto zu mieten, die seien bei diesen Wetterbedingungen immer schlecht bereift. Tatsächlich waren die Strassen, auch die Hauptstrassen, durchgehend mit Schnee bedeckt. Natürlich sagt ein Taxifahrer, dass Mietautos eine schlechte Sache sind, schliesslich sind die schlecht für sein Geschäft, aber es reizte mich auch wenig, irgendwo im Wald, bei minus zwanzig Grad und ohne Handyempfang mit dem Auto stecken zu bleiben. Ich habe viele Filme über Flugzeugabstürze in Alaska gesehen, ich weiss, was dann passiert.

Während unseres Aufenthaltes verfolgte ich den Plan nicht mehr stringent, aber ich schielte immer wieder auf den Verlauf der Linie und wo man sie vielleicht zufällig überqueren könnte. Der Flughafen war ein solcher Ort. Die Landebahn des Flughafens führt genau einmal durch 66,56°N. Da ist das Flugzeug noch am Boden. Es zählt also halb.

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Wir schrieben noch Postkarten. Wenn man Postkarten nach Deutschland schickt, kann man als Empfängerland „Germany“ schreiben oder das finnische Wort verwenden: Saksa. Genau. Saksa.

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Zurück in Berlin holte meine Frau die Hündin ab. Diese freute sich 5 Minuten lang wie eine Irre. Aber 5 Minuten später kippte irgendwas und sie schien zu schmollen. Dieses Schmollen dauerte noch den ganzen Dienstag lang. Sie frisst nicht mehr und sie verfolgt jeden unserer Schritte. Dabei hat sie in den Tagen unserer Abwesenheit gut und viel gegessen und hatte auch eine gute Zeit. Jetzt sind wir zurück und sie scheint uns zu bestrafen.

[So, 28.1.2024 – Geburtstag, Outdoor, Wolkendecke]

Heute ist mein 49. Geburtstag. Meine Frau wurde vor zwei Tagen 50, jetzt sind wir wieder nur ein Jahr auseinander. Ich habe immer gerne Geburtstag, aber heute wollte bei mir nicht so recht Stimmung aufkommen. Meine Frau hatte Fotos der Geschenke liebevoll in Umschläge verpackt, damit ich wisse, welche Geschenke in Berlin auf mich warten würden. Aber ich wollte die Umschläge zunächst nicht öffnen.
Wir gingen zuerst frühstücken und danach auf eine längere Winterwanderung. Es gibt hier verschiedene Wintertrails, das sind Wege durch den Wald, die aber auch im Winter gepflegt werden. Das bedeutet, dass man mit einer Schneekatze den Weg vorgefahren ist, damit der Schnee hart ist und man darin nicht versinkt. Es liegt hier sicherlich ein halber Meter Schnee.

Ich hatte eine ganz bestimmte Route ausgewählt. Aus dem Hotelprospekt entnahm ich drei verschiedene empfohlene Routen, die ich zu einer einzelnen kombinierte, weil ich bestimmte Vorstellungen über eine Route habe.
Für die Orientierung nutze ich Osmand. Das ist eine Karten-App, auf der viele Wege – auch nicht offizielle – eingezeichnet sind. Die App hat mir bereits oft in schwierigen Momenten weitergeholfen. Auch schon im Schnee, wo man keine Wege mehr erkannte, ich aber mit GPS der Markierung auf dem Telefon folgen konnte.

Heute war ich allerdings zu eigenwillig beim Verfolgen einer Abkürzung. Meine Frau verdreht die Augen, wenn ich „wiedermal“ eine Abkürzung für die bessere Alternative ausgemacht habe. Dazu muss man wissen, dass sie kein Outdoor-Mensch ist. Sie liebt es, in der Natur zu wandern, sie liebt den Wald, aber Outdoor-Performance ist nicht ihr Ding.

Ich muss zugeben, dass meine Abkürzungen nicht immer die besten waren. Aber im voraus bin ich mir immer sicher, eine gute Wahl getroffen zu haben. Weil meine Frau aber keinen besseren Plan hat, folgt sie mir meistens, wenn auch widerwillig und selten ohne Diskussion, aber in der Regel kommt sie mit. So auch heute. Ich stieg gut gelaunt im Tiefschnee voran. Der Schnee war hart genug, dass man nur wenige Zentimeter tief stapfte. Je besser meine Laune wurde, desto tiefer wurde aber das Geläuf. Und plötzlich sackte ich bis zu den Knien ein. Dabei verlor ich das Gleichgewicht und ich stand halbschief im Tiefschnee, während ich spürte, wie kaltes, gefrorenes Wasser in meine Schuhe eintrat. Dort muss sich ein Loch oder eine natürliche Verwerfung befunden haben, worüber sich der Schnee verweht hatte. Ich kannte so etwas aus meiner Kindheit. Meine Laune war immer noch okay.
Ich sagte zu meiner Frau: „Äh, komm hier besser nicht lang.“
An ihren Gesichtszügen konnte ich eine gewisse Genugtuung ablesen. Sie nahm einen anderen Pfad, dort, wo es stabiler aussah. Im nächsten Moment brach auch sie ein. Sie brach aber wesentlich tiefer ein, mindestens bis zur Hüfte ein und sie fiel dabei seitlich in den Schnee. Sie schimpfte sehr laut. Gemessen an den Dingen, die sie über mich sagte, glaube ich, dass sie keine besonders positiven Gefühle für mich hegte. Ich befand mich leider selber in einer misslichen Lage, aber ich versuchte dennoch, ihr zu helfen. Offenbar machte ich es durch meine Hilfe nur noch schlimmer. Ihre Gefühle wurden nicht positiver.

Nach einer halben Stunde waren wir wieder Freunde. Ich hatte in jener halben Stunde nur noch offizielle Wege ausgewählt, nahm lieber einen Umweg in Kauf und ich vermied es natürlich, Abkürzungen zu nehmen. Irgendwann kamen wir auch wieder im Hotel an, wo wir die nassen Socken und Hosen auszogen.

Mein Wanderplan war aber noch nicht fertig. Es gab noch eine zweite, kürzere Wanderung auf der Ostseite des Hügelkammes. Dort gab es einen Aussichtspunkt, den ich noch sehen wollte. Ich hatte Geburtstag, es gab noch eine Stunde Tageslicht und der Aussichtspunkt war ein Skilift. Mein Plan ging so: Wir spazieren 15 Minuten zu diesem Aussichtspunkt, nehmen dort den Skilift runter bis in das Tal. Im Tal gibt es ein kleines Dorf und einen anderen Skilift. Das ist jener Skilift, der unweit von unserem Hotel endet. Wir könnten also unten durch das Dorf spazieren und den anderen Lift zurück nehmen.
Wie gesagt: ich hatte Geburtstag. Meine Frau liess sich überraschenderweise darauf ein. Es verlief fast reibungslos. Ich wagte einen kleinen Abstecher zu einem Aussichtspunkt, der mir auf dem Telefon angezeigt wurde. Natürlich achtete ich diesmal darauf, dass der Weg gut ausgetreten war. Als wir jedoch den offiziellen Aussichtspunkt mit dem Skilift erreichten, entpuppte sich der Skilift als ein Schlepplift. Mit einem Schlepplift kann man nicht abwärts fahren wie auf einen Sessellift. Wir hätten uns einen Schlitten besorgen müssen um runter ins Dorf zu kommen, oder die Strecke laufen, aber dafür war es nicht mehr lange genug hell. Deswegen gingen wir zurück in das Hotel.
Ende der Geschichte, keine Pointe.

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Im Hotel kauften wir ein Rentierfell. Genau. Ein grosses, simples Rentierfell. Für auf den Boden oder auf dem Sofa. Das wollten wir bereits im Oktober auf Spitzbergen kaufen. Damals hatten wir aber noch Skrupel. Mittlerweile sind die Skrupel gewichen und zu einem guten, positiven Gefühl herangereift.

Auch saunierten wir wieder. Das war nett. Aber ich weiss nie so genau, ob ich Saunas mag. Die Idee einer Sauna finde ich immer super, wenn die Kabine dann heiss ist, sehe ich jedoch keinen Sinn darin, hineinzugehen und mich der Hitze auszuliefern. Wenn ich es aber drin sitze und fast vor Hitze eingehe, finde ich es dennoch, öhm, nett. Speziell. Aber irgendwann reicht es mir auch wieder.
Das meine ich damit, wenn ich sage, dass ich nie so genau weiss, ob ich Saunas mag.

Dann öffnete ich auch den Umschlag mit meinen Geschenken.

Nach der Sauna gingen wir in die Hotelbar, nahmen einen Drink und für halb sieben hatten wir einen Tisch im Restaurant des Hotels.

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Am Abend benachrichtigten mich die sechs Polarlicht-Apps darüber, dass heute ein starkes Polarlichtfeld über Lappland läge. Man kann in der Gegend um Rovaniemi ungefähr jeden zweiten Tag Polarlichter sehen. Heute sollten sie ganz besonder stark leuchten. Aber der Himmel wurde mit einer 100%-Bewölkung angezeigt. Die Wolkendecke würde noch zwei Tage lang bleiben. Meine Frau war schon zu müde, um bei Minusgraden eine Wolkendecke anzustarren. Ich stieg aber noch auf die sogenannte Aurora-Terrasse hinauf und trotzte dem arktischen Wind. Etwa eine halbe Stunde lang. Ich war der einzige Mensch auf dieser Terrasse.
Wenn man eine halbe Stunde lang in eine dicke Wolkendecke hineinstarrt, glaubt man irgendwann alle möglichen Lichter zu sehen. Polarlichter waren es aber nicht.