[So, 19.11.2023 – Weihnachtsfilme, Nationalschiessen]

Das wiederholte viele Essen setzt mir einigermassen zu. Schon auf dem Rückweg vom Alt-Wien hatte ich einen kugeligen Bauch. Wir liefen die knapp zweieinhalb Kilometer zu Fuss nach Hause, was immerhin meinen Verdauungstrakt in Bewegung brachte. Heute früh war ich aber wieder geschlaucht. Ich vertrage es wesentlich besser zu trinken als zu viel zu essen. Das könnte meinem Übergewicht ja durchaus zuträglich sein, tut es aber nicht, weil ich viel zwischendurch esse. Das steckt mein Körper gut weg.

Ich war also den ganzen Tag ziemlich müde. Aber das passte auch zum Tag, schliesslich liegt die Hündin immer noch in einer hormonell bedingten Trägheit den ganzen Tag herum, das Wetter ist auch kein Wetter, das notwendigerweise Aktivität hervorrufen will, also schauten wir ein paar Dinge im Fernsehen. Es beginnt ja wieder die Zeit der Weihnachtsfilme.

Oh, gestern war Nationalfussball im Olympiastadion. Deutschland gegen die Türkei. Es war wohl ein Fest des Nationalismuses. Wolfsgrüsse, Hitlergrüsse. Zum Glück kackt die deutsche Nationalmannschaft gerade ab, da verstummen immerhin die Rechten auf der deutschen Seite. Aber egal ob gewonnen oder verloren wird, irgendein Nationalnarrativ kann immer bedient werden.

[Fr/Sa, 17./18.11.2023 – im fliessenden Strom aus Blech, Mitgliederversammlung, Schnitzel]

Ich vergass zu erwähnen, dass meine Frau am Donnerstag auf Dienstreise fuhr und ich mit der läufigen Hündin alleine war. Das ist normalerweise kein so grosses Problem, ich würde einfach zuhause bleiben. Ich kann sie nämlich nicht gut ins Büro mitnehmen, da sie ja ständig blutet, was auf einem Teppichboden nicht sonderlich gut kommt. Am Donnerstag musste ich wegen der grossen Präsentation allerdings unbedingt ins Büro. Aufgrund des Bahnstreiks fürchtete ich mich allerdings vor der Fahrt in der Ubahn. Meine Hündin ist in der Ubahn zwar sehr entspannt, aber ich erwartete überfüllte Waggons in denen man mit einem Hund keinen Platz findet, weil alle einander auf den Füssen stehen.
Also nahm ich das Auto. Für die Strecke brauche ich üblicherweise 20 Minuten. Weil wegen des Streiks die halbe Welt auf das Auto umgestiegen zu sein schien, dauerte die kurze Fahrt etwas mehr als anderthalbe Stunden. Zwischen Straussberger Platz und Leipziger Strasse hing ich in einem fast drei Kilometer langen Organismus aus Blech fest. Ich weiss bis heute nicht, wie ich es schaffte, von der vierspurigen Karl-Marx-Allee links in die dreispurige Otto-Braun-Strasse abzubiegen. Ich war Teil eines trägen fliessenden Stroms aus Lava, Gehupe, genervten Menschen und Blech.

Am Abend beim Japaner durften wir aufgrund der Hündin nicht zu nahe an der offenen Küche sitzen. Die Hygienevorschrift. Aber sie wurde lieb behandelt, sie bekam Wasser und Liebe.

Am Freitag hatte ich einen anstrengenden Tag, aber immerhin im Homeoffice. Abends fand die Mitgliederversammlung meines Fanclubs im Fanhaus an der Cantianstrasse im Prenzlauer Berg statt. Weil die Mitgliederversammlungen immer so lange dauern, nahm ich das Tier natürlich mit. Das fand sie gut. Es gab im Fanhaus viel zu erkunden und sie spazierte durch die Reihen der Anwesenden, wo sie sich Streicheleinheiten abholte. Einem folgte sie aufs Klo. Das fand der aber nicht so lustig, weil sie sich offenbar am Pissoir zwischen seine Beine stellte. Pissoirs fand sie immer schon spannend. Diskretion ist aber nicht ihr Ding. Deshalb pfiff ich sie immer zu mir wenn jemand aufs Klo ging.

Heute kam meine Frau wieder. Wir machten einen langen Spaziergang im Kiez und setzten uns ins Backaro an der Proskauer Strasse, wo wir uns draussen auf den Stühlen bei spätherbstlichen Hochnebelwetter mit wärmenden Decken einen sommerlichen Aperol Spritz gönnten.

Um acht Uhr waren wir mit den Nachbarn von gegenüber und Freunden verabredet. Wir assen Schnitzel im Alt-Wien in der Hufelandstrasse. Auch Frau Wortschnittchen war dabei, die jetzt wieder aus Chile zurück nach Deutschland gezogen ist. Gefühlt war sie vor 10 Jahren verreist, aber offenbar waren sie nur sechs Jahre lang weg. Es war schön, sie wiederzusehen. Ausserdem hat sie einen vier Jahre alten Hund. Unsere Hunde hatten sich bereits kennengelernt als meine Frau und ich in der Arktis urlaubten, da Frau Casino und Frau Wortschnittchen gemeinsam spazieren gegangen waren. Aber heute hatten wir beide unsere Tiere zuhause gelassen. Auch das andere befreundete Paar hat sich einen Hund zugelegt, der im Dezember bei ihnen einziehen wird.

Deswegen redeten wir ständig über Hunde.

[Do, 16.11.2023 – Lampenfieber, Bezirzen, saure Reisspeisen]

Die Präsentation ging gut. Vor solchen Präsentationen kann man aufgrund von Nervosität wenig mit mir anfangen. Ich bin Bühnen nicht gewohnt und mag sie auch nicht unbedingt. Ich wäre ein schlechter Redner, ich hätte immer Lampenfieber. Früher, als ich noch öfter Lesungen gab, konnte ich vor Aufregung den ganzen Tag nichts essen. Lesungen fanden immer abends statt, das waren immer viele Stunden ohne Nahrung. Nur Alkohol vertrug ich. Aber der Alkohol tat meinem Sprachzentrum nicht gut. Was ich allerdings lange nicht verstand.
Immerhin fand die heutige Präsentation um 11:30 statt, das brachte meinen Ernährungshaushalt also kaum durcheinander.

Nach Feierabend gingen wir mit der Datenschutzbeauftragten aus Amsterdam etwas essen. Ich bat einige der Jungs mitzugehen, weil ich es irgendwie daneben fand, alleine mit einer attraktiven Mittezwanzigjährigen essen zu gehen. Ich finde sie wirklich super, sie ist sehr kompetent und wir hatten auch schon viel Spass auf der Canal Pride in Amsterdam, aber dennoch wollte ich, dass die anderen Jungs mitkommem. Zum einen, weil ich nicht der Typ Manager bin, dem es gut gelegen kommt, in seiner Machtfülle junge Frauen auszuführen und sich bezirzen zu lassen, aber ich mag es auch schlichtweg nicht, von jungen Frauen bezirzt zu werden. Junge Frauen flirten oft aus Höflichkeit und ich will nicht alleine mit einer Frau ausgehen, die sich irgendwie verpflichtet fühlt, höflich nett zu mir zu sein. Ausserdem gebe mich bei attraktiven, jungen Frauen immer betont desinteressiert, einfach weil ich es nicht mag, wenn junge Frauen ihre Junge-Frauen-Waffen ausfahren. Einerseits weil das bei mir ohnehin nicht besonders Anklang findet, aber ich will mich schlichtweg nicht dazu verhalten müssen.

Frauen ab Mitte vierzig hingegen können das gerne tun, die haben raffiniertere Waffen, für die bin ich wesentlich empfänglicher.

Der Officemanager wählte das Sticks ’n‘ Sushi in der Potsdamer Strasse direkt gegenüber dem Wintergarten. Das soll das beste Sushirestaurant der Stadt sein. Das waren wirklich sehr gute Speisen mit saurem Reis. Offenbar gehört das Lokal zu einer dänischen Kette, die sich als Mischung aus japanischer Tradition und dänischem Anarchismus definiert. Dem Gedanken kann ich folgen.

[Mi, 15.11.2023 – Hundemotiv]

Ich hatte davon gar nicht erzählt. Anfang Oktober traf ich im Park ja wieder jene Frau aus Israel mit ihren Töchtern, wonach die älteste Tochter die Hunde auf der Wiese zeichnete. Sie zeichnete auch meine Hündin. Worüber ich nicht berichtete, war die Tattoohaftigkeit dieses Motives und was danach geschah.
Ich bin jetzt nicht der Typus, der sich eine nostalgische Tätowierung seiner Hündin auf den Unterarm stechen lässt, aber beim Anblick dieses von Kinderhand gezeichneten, kleinen, stylisierten Hundes, spürte ich sofort eine Identifikation. Das ist bei Tätowierungen oft so. Symbolik und Identifikation. Statt Esoterik ist es Symbolik und Identifikation.

Wir sprachen dann allerdings nicht über die Zeichnung. Erst zuhause gärte in mir der Gedanke, diese Zeichnung, oder zumindest etwas ähnliches stylisiertes, stechen zu lassen. Nun treffe ich nicht immer die gleichen Menschen im Park, und diese Frau sehen ich ganz besonders selten, vor drei Tagen machte ich aber eine Extrarunde zu einem anderen kleinen Park, da kam sie mir mit ihrer Hündin entgegen. Wir quatschten wieder ein wenig, ich wollte wissen, wie es ihren Eltern geht und wir redeten über die vielen ideologischen Fronten, die sich neuerdings geöffnet haben. Sie erzählte mir, wie bedroht sie sich derzeit fühlt, auch von linker Seite, sie verstand sich immer als links und jetzt kann sie mit vielen linken Menschen kaum noch über ihre Herkunft sprechen, weil die Gespräche oft aggressiv werden und sie immer mit dem „Aber Israel“ fortgeführt werden. Dabei muss sie sich ständig rechtfertigen, wobei es schon seinen Grund hat, warum sie vor 14 Jahren Israel verliess. Sie und ihr Mann meiden es, in Friedrichshain auf der Strasse Hebräisch zu sprechen. Ja, genau, in Friedrichshain. Und derzeit den Herrmannplatz zu besuchen kommt ihr natürlich erst recht nicht in den Sinn.

Danach sprach ich sie auf die Zeichnung ihrer Tochter an. Ich erzählte ihr, was mir daran gefiel und dass ich mir überlegte, die Zeichnung tätowieren zu lassen. Sie fand das lustig, sie hatte auch eine Tätowierung ihrer früheren Hündin und sie verstand, was ich daran mochte. Ich bat sie, mir die Zeichnung zukommen zu lassen, ich würde sie gerne noch einmal sehen.
Es dauerte ein paar Tage, es war offenbar nicht ganz einfach, die Zeichnung wiederzufinden, aber heute bekam ich die Fotos der Zeichnungen. Es gefiel mir noch besser als in der Erinnerung. Ich glaube ich mache das diesen Winter. Ich habe ja noch zwei andere Motive, die ich mir ohnehin machen lassen werde. Dann kann ich alles in einem Termin unterbringen.

Sonst ist heute nicht viel passiert. Ich arbeitete den ganzen Tag in einem Tunnel, auch noch später am Abend, auch weil ich morgen wieder die lange Präsentation halten werde, die ich vor ein paar Wochen bereits in Amsterdam gehalten hatte. Dabei musste ich noch mehrere Änderungen einarbeiten.

Und plötzlich war der Tag zu Ende.

[Di, 14.11.2023 – Frauen im Fussball, Schnitt]

Am Abend wieder auf Herthas Geschäftstelle gewesen um zwei Spielerinnen für den Podcast zu interviewen. Erst diesmal fiel mir auf, dass alle Spielerinnen, mit denen wir bisher gesprochen hatten, jünger als zwanzig Jahre alt sind und wenn ich mich nicht täusche, waren sie sogar alle minderjährig. Auf dem Rückweg im Auto unterhielt ich mich mit Sabine, die das Interview führte, darüber. Sie sagte, keine der Spielerinnen im Kader sei über 22. Wir denken, dass es vermutlich mit der persönlichen Lebensplanung zusammenhängt. Wenn du gut genug bist, dass du ein Gehalt kriegen kannst, dann ziehst du weiter zu einem Verein, der dich bezahlt oder du merkst, dass du nicht gut genug bist, dann fährst du einen Gang zurück und tust dir den Aufwand nicht mehr an, sondern arbeitest an einem Einkommen ausserhalb des Sports.
Die Spielerinnen haben einen erstaunlich durchstrukturierten Takt. Wie sie über ihr Leben reden, meine ich herauszuhören, dass sie wenig einfach freie Zeit haben, also einfach freie Zeit zum Bummeln und Lümmeln. Meine ganze Jugend war Bummeln und Lümmeln. Bei ihnen ist alles der Leistung untergeordnet. Das Stichwort „Freunde treffen“ hört sich an wie eines der Slots, das gerade frei geworden ist. Es scheint sie aber mit stolz zu erfüllen. Als wir um zanzig Uhr mit der Aufnahme fertig sind und ich mich freue, nach Hause zu gehen und runterzufahren, gehen sie noch zum Training.
Mit 17 hatte ich ganz andere Sachen im Kopf als Leistung.

Sie wirken nicht naiv, sie haben alle auch einen straken Fokus auf ihr Studium bzw dem Abitur, in ihren Planungen spielt das Studium eine wesentlich grösere Rolle als bei männlichen Sportlern. Andererseits erwähnen die Spielerinnen mehrmals, dass sie jetzt mal schauen, wie sich das mit der Professionalisierung bei Hertha entwickelt. Das deutet daraufhin, dass der Verein vermutlich Geld in die Hand nehmen wird um Gehalt zu bezahlen. Sie sind sich ihrer Lebensplanung durchaus bewusst. Und Sabine bestätigt, dass es in den Vereinen, die Gehalt bezahlen, auch ältere Spielerinnen gibt.

Als ich nach Hause kam, hatte mir meine Frau ein phantastisches Gemüseomelett zubereitet. Ich schnitt mir noch eine Zwiebel klein und beim letzten Schnitt rutschte ich mit dem nagelneuen Tomatenmesser aus und ich versenkte die Klinge ungewöhnlich tief in die Fingerkuppe des linken Daumens. Nagelneue Messer haben diese Eigenschaft, aussergewöhnlich scharf zu sein. Ich hasse solche Momente. Weil ich genau weiss, dass ich die nächsten Tage mit einem Fingerpflaster durch die Gegend laufen werde. Immerhin ist es der linke Daumen, also nicht mein Displaydaumen. Aber der Schnitt ist dermassen tief, dass ich regelmässig die beiden getrennten Fleischhälften aneinanderreiben spüre. Ich mag das nicht.

[Sa/So, 11./12.11.2023 – Fanfreundschaft]

Eigentlich wollte ich vom Spiel gegen den KSC berichten, aber dann sass ich den halben Sonntag an einem Problem in der Firma. Deswegen fehlt mir jetzt der Elan, mit dem Text in die Tiefe zu gehen, aber ich will dennoch kurz darüber berichten, was für eine ungewohnte Stimmung im Stadion herrschte, wenn es sowas wie eine Fanfreundschaft zwischen zwei Fussballclubs gibt.

Zuerst gab es diesen gemeinsamen Fanmarsch, an dem ich aber nicht teilnahm. Üblicherweise finde ich mich anderthalb Stunden vor Anpfiff ein und eine Stunde oder Dreiviertel Stunde vorher betrete ich den Block. Diesmal war aber alles voll. Einer aus dem Fanclub schrieb zwei Stunden vorher etwas panisch im Chat, dass er es vermutlich nicht schafft, Plätze freizuhalten. Ich sass noch in der Sbahn am Alex, als ich das las.

Es gab keine Fantrennung und der Bereich der Gästefans befand sich dieses mal nicht im südwestlichen Teil des Stadions, sondern im Oberrang auf der Westseite der Nordtribüne. Dies in Anlehnung daran, dass sich deren Fanblock zuhause auch an dieser Stelle befindet.
Es wurde schon viel im Vorfeld dieser seit 1976 bestehenden Freundschaft berichtet. Weil Hertha und der KSC seit 11 Jahren nicht mehr in der gleichen Liga spielten, kam es aber auch nie zu einem gemeinsamen Spiel. Romantischerweise haben wir die Ligazugehörigkeit durch unseren Abstieg geändert und so kam es zu diesem wunderbaren Abendspiel bei Flutlicht. Dummerweise braucht der Karlsruher SC einen Sieg weil sie auf den Abstiegsrängen stehen und wir brauchen auch einen Sieg, weil sonst der Aufstieg immer weiter in die Ferne rückt.

Ich glaube, diese seltsame, friedliche Stimmung schwappte auch auf unsere Mannschaft über. Es wirkte alles ein wenig lethargisch. Auf den Rängen stimmten wir Wechselgesänge an. die Berliner Seite sang „Karlsruhe“ und die KSC Seite sang „Hertha“, der KSC stimmte in Wechselgesängen unserer Lieder ein, was durch die Grösse des Stadions natürlich sehr zeitverzögert geschah.
Lass mich rechnen:

  • Ein Spielfeld ist 105m lang
  • Der Abstand der Kurve zum Spielfeldrand sind sicherlich 30 oder 40m
  • Der Abstand vom Spielfeldrand auf der Längsseite zum westlichen Oberring sind sicherlich auch noch einmal 30-40m.
  • Wegen der Luftlinie kann man vielleicht 30m abziehen

Also sind das 105+40+40-30= 155 Meter.
Bei einer Schallgeschwindigkeit von 343m pro Sekunde dauerte es ungefähr eine halbe Sekunde, bis unser Ruf im Gästeblock angekommen war und eine ganze Sekunde, bis wir die Antwort hörten. Das ist bei Fangesängen natürlich lustig. Und nicht sehr rhythmisch.

Zwischendurch sang auch das ganze Stadion ein Lief über Freundschaft, ich glaube, das ist ein Schlager. Das war etwas kitschig, aber ich liess mich dazu hinreissen, es schön zu finden.

Am Ende stand es 2:2. Wäre das Ergebnis nicht enttäuschend, wäre es immerhin romantisch.

[Fr, 10.11.2023 – Augen, Läufig, Stolpersteine]

Auch so eine Sache: wenn ich mit Menschen am Tisch sitze, kann ich auf die Gleitsichtbrille schon nicht mehr verzichten. Spätestens nach dem ersten Drink legt sich meine Sehschärfe auf die Couch und gibt sich dem allgemeinen Flow hin. Die Arbeit kann getrost jemand anders erledigen, die Brille zumbeispiel. Wenn ich die Brille absetze, merke ich, dass ich mich anstrengen muss und dabei trotzdem nicht ganz scharf sehen kann. Es ist, als wären die Augen müde, wie im Alter halt, man wird etwas schneller müde. Das ist neu für mich, ich war immer Herr meiner Sinne, ich war es Jahrzehnte lang gewohnt, scharf zu sehen und scharf zu hören. Ich verstehe jetzt erst die Tragik von Menschen, die ohne Brille so gut wie nichts sehen können. Früher dachte ich immer jaja, aber es gibt ja Brillen. Das stimmt immer noch, jaja, es gibt ja Brillen, aber diese Einschränkung, wenn man die externen Mittel nicht zur Verfügung hat bzw die Planung drumherum und auch die damit verbundenen Kosten, und natürlich die damit verbundene Furcht, in den Sinnen eingeschränkt und etwas hilflos zu sein, das war mir vorher nicht bewusst. Glücklicherweise ist mein Gehör immer noch intakt. Ich höre noch jedes leise Fiepen und Piepen, das Menschen in meinem Alter oft nicht mehr wahrnehmen.

Heute stürzte meine Frau ziemlich unglücklich in der Küche, also blieb ich zuhause.

Die Hündin ist jetzt seit fünf Tagen läufig. Ich protokolliere das in einer Tabelle. Ihr Verhalten mit anderen Tieren, ihr Verhalten beim Markieren, die Blutmenge und wie sie sich ohne Leine verhält. Das geht noch alles ziemlich gut. Es ist aber auch erst Tag fünf. Nächste Woche beginnen dann die schwierigen Tage. Ich führte auch bei der letzten Läufigkeit Protokoll, ich lege deswegen die beiden Protokolle nebeneinander und vergleiche. Es war letztes Mal alles genau so. Ab Tag 8 nahm ich sie letztes Mal an die Leine. Aber ich schrieb nicht warum.

In den Park kann ich nicht mehr gehen. Vorgestern war Luke da, ein junger, athletischer Husky/Schäferhundmischling. Ein netter, aber auch sehr dominanter unkastrierter Rüde, sie kennen sich gut, normalerweise spielen sie und rennen miteinander. Diesmal roch er einmal an ihr und war danach kaum noch einzukriegen.

Es fehlt mir schon, in den Park zu gehen und mit den Leuten zu quatschen und auf der grosse Wiese zu spazieren. Jetzt laufen wir halt durch den Kiez. Es ist anders, aber das ist nun so.

In der Nacht zu heute liefen wir an vielen Stolpersteinen vorbei. Das Gedenken an die Reichsprogromnacht. An den Stolpersteinen wurden Blumen und rote Grablichter abgelegt. Man sieht sie überall im Kiez. Ein paarmal blieben wir stehen, lasen die Namen ab. Die meisten wurden nach Auschwitz deportiert und auch dort ermordet. Viele auch in Treblinka. Die Hündin hielt grossen Abstand. Die fackelnden roten Flammen fand sie höchst suspekt. Später las ich, dass die meisten Tötungen mit Motorabgasen durchgeführt wurden und gar nicht mit Zyklon B. Zyklon B verwendete man nur in Auschwitz. In Treblinka gab es auch Massenerschiessungen. Einfach so, tausende wehrlose Menschen aufgestellt und mit Gewehren drauf geschossen, als wären es Reissäcke. Dummerweise bringt es wenig, an solche Taten zu gedenken, diejenigen, die sowas tun, würden es wieder tun, und dem Grossteil der Leute ist es egal, wie man sieht. Man lernt eben nicht aus der Geschichte.
Sind jetzt alles keine klugen Gedanken. Aber sie müssen halt irgendwohin.

[Mo, 6.11.2023 – Hundegruppe, Urlaubsplanung]

Unsere Dogwalkerin wird am morgigen Dienstag eine Prüfung ablegen, für die Genehmigung mit 8 Hunden gleichzeitig arbeiten zu dürfen. Für diese Prüfung hat sie u.a. unsere Hündin ausgesucht, weil sie so gut, tadaaa, erzogen ist. Deswegen musste sie am Freitag mit der Hundegruppe mit und auch heute, damit sie bestimmte Dinge üben konnte.

Es bestand immer das Risiko, dass sie Läufig werden würde. Laut Berechnung dauert es noch ein paar Tage, aber wer weiss das schon genau. Heute am letzten Übungstag vor der Prüfung kam sie jedenfalls von der Generalprobe zurück und setzte einen dicken Bluttropfen auf dem Boden ab.
Meine Frau informierte sofort die Dogwalkerin, diese antwortete gleich: damit ist sie raus.
Wir hatten das vorher besprochen, sie hatte immer einen Plan B im Kopf, wo ein anderer Hund aus der Gruppe einspringen würde. Also war von ihrer Seite alles gut. Aber blödes Timing ist das schon.

Ich hatte heute einen längeren Workshop in der Firma und danach verbrachten wir den Abend damit Urlaub zu planen. Es wird nun Finnland, entweder Rovaniemi, die Hauptstadt Laplands, oder etwas weiter unten, das grössere Oulu. Gestern hatten wir ein sehr spezielles Hotel im Wald gesehen das heute leider nicht mehr buchbar war. Es hatte eine Sauna im Zimmer und grosse Fenster mit Blick auf die arktische Nacht. Das Hotel liegt trotz Waldlage nur etwa 2km von der Stadt entfernt und 3km vom Zentrum, also können wir nach dem letzten Drink noch nach Hause spazieren und ich muss nicht Auto fahren. Wie sich drei Kilometer bei minus 20 Grad anfühlen, weiss ich allerdings noch nicht. Es fühlt sich ja immer angenehm kühl an, wenn ich hier im Tshirt am Monitor sitze und daran denke.

Das gewünschte Hotel steht jedenfalls zwei von den vier Nächten zur Verfügung, also buchen wir es. Für die anderen zwei Tage buchten wir ein kleines Hotel im Zentrum. Es stehen viele Ferienwohnungen zur Verfügung aber Ferienwohnungen mögen wir beide nicht so. Selber kochen und von den Nachbarn genervt angeschaut zu werden, überlassen wir lieber anderen.

[So, 5.11.2023 – gegenwärtige Konflikte, Azoren oder Finnland im Winter]

Ich habe wenig zu den gegenwärtigen Konflikten der Welt beizutragen. Ich kann nur Entsetzen beitragen. Deswegen äussere ich mich online auch kaum dazu. Ich kann nur das beitragen, was ich direkt beeinflussen kann. Beispielsweise mit der Frau aus Israel im Hundepark zu reden. Oder der Nachbarin zuhören, deren Mutter unweit von Gaza lebt. Oder davon, dass wir ein Fanclubmitglied vom Fanclub ausgeschlossen haben, da es auf Twitter antisemitisch randalierte und auch nicht bereit war zu reden. Das sind meine wenigen konkreten Berührungspunkte. Trotzdem beeinflusst es sehr stark mein allgemeines Empfinden, und meine Zuversicht für die nächsten Jahre.

Von der Nachbarin hatte ich gar nicht erzählt, fällt mir jetzt auf. Sie lebt schon seit über zwanzig Jahren in Deutschland. Seit einem Jahr leben wir Tür an Tür. Ihre Mutter wohnt eben unweit des Gazastreifens. Sie ist alt und sieht nicht ein, warum sie jetzt wegziehen sollte. Ihre Familie lebt ständig in Angst um sie.

Eine liebe, ehemalige Kollegin kommt aus Odessa und ist Jüdin. Sie und ihre Familie planten vor einigen Jahren, nach Israel auszuwandern. Teile ihrer Schwiegerfamilie wohnen bereits dort. Sie ist den Krisen doppelt ausgesetzt.

Ich sollte sie mal anschreiben. Fragen, wie es ihr geht.

Sonst halte ich es mit Sawsan Chebli, die schrieb: „Können sich bitte jene, die vor dem 7. Oktober keine Nahostexperten waren, auch jetzt zurückhalten und jenen die Bühne überlassen, die sich seit Jahrzehnten mit dem Konflikt auseinandersetzen? Da haben wir in Deutschland einige.“

Ich hatte vergessen, dass Sawsan ja Nachfahrin von Palästinenserinnen ist. Schön ist auch, dass das Blog „Letters von Rungholt“ wieder ein Zeichen von sich gegeben hat.

Und sonst so.

Wir planen gerade unsere Geburtstage. Unsere Geburtstage liegen ja nur zwei Tage auseinander. Meine Frau wird fünfzig, sie möchte gerne auf die Azoren. Wir hatten vor vielen Jahren einmal eine sehr schöne Geburtstagsreise nach Madeira. Daran denken wir gerne zurück. Damals haben wir diese Inselgruppe auf der Karte gesehen, die noch weiter im Atlantik drin liegt. Azoren. Das hielten wir fest, da wollten wir einmal hin.

Andererseits haben wir nicht viele Tage zur Verfügung, wir haben das Hundesitting noch nicht geklärt, für einen Kurzurlaub eignet sich vielleicht etwas Näheres besser, Finnland zB, meine Frau könnte sich ihren 50. auch am Polarkreis in Rovaniemi vorstellen. Ende Januar gibt es bereits fünf Sonnenstunden. Wir schauten uns einige Hotels an, entweder direkt in der Stadt, oder auch diese Hotels im Wald am See, diese abgeschiedenen finnischen Waldhotels haben schon etwas magisches, vor allem, wenn ich an die langen Winternächte denke. Ich möchte nur nicht jeden Abend mit einem Mietauto zum Restaurant fahren, das hatten wir einmal auf Sardinien, da konnte ich den ganzen Urlaub abends keinen Alkohol trinken, sowas mache ich nie wieder. Wir müssen noch ein bisschen recherchieren.

[Sa, 4.11.2023 – Fortsetzungen, Spiele, langsamer Tag]

Heute hatte ich wenig Antrieb. Ich fühlte mich leicht kränklich und war den ganzen Tag über müde. Zum einen hatte ich wieder wenig und schlecht geschlafen, deswegen versuchte ich den ganzen Vormittag Schlaf nachzuholen. Aber die Versuche blieben erfolglos. Meine Frau war bis zwei Uhr auf einer Tagung in Mitte und ihr erging es ähnlich, nur mit dem Unterschied, dass sie sich nicht ins Bett legen konnte.
Vielleicht brüten wir etwas aus.

Am Nachmittag schauten wir die dritte Staffel von „Only murders in the building“. Sie ist ein bisschen anders als die ersten beiden Staffeln. Die Hauptfiguren haben sich leicht verändert, dennoch mag ich die Serie aus ästhetischer Sicht, die Farben, die Wohnungen und dieses winterliche New York, in dem die Menschen ständig Schale tragen.

Ich kam aber nicht gut in die Geschichte rein. Das mag sicherlich daran liegen, dass ich ein Vorurteil bei zweiten und dritten Staffeln habe, ich empfinde das oft als angestrengten Versuch ein Erfolgskonzept weiterzuverwursten um noch ein bisschen daran zu verdienen. Das mag nicht immer so sein und überhaupt ist es ja akzeptabel, wenn Menschen an etwas verdienen, aber eine Fortsetzung hat nie die Magie einer ersten Staffel oder eines ersten Filmes.
In der ersten Staffel steht meist eine Geschichte im Vordergrund. Eine Idee, oder Figuren, die das erste Mal in die Welt hinaus gelassen werden. Und man schaut was passiert.
Eine Fortsetzung ist hingegen immer das Aufreiten auf den Erfolg, man hat gute Figuren und jetzt muss man noch eine Geschichte drumherum erfinden. Manchmal fühlt es sogar wie ein Finetuning an. Dinge, die im ersten Teil gut funktionierten, werden bis zum letzten Tropfen ausgequetscht. Sobald ich das Gefühl habe, es durchschaut zu haben, dann verliere ich das Interesse.
Und meistens ist die Handlung in den Fortsetzungen schlichtweg schlecht.

Deswegen schaute ich auch etwas uninspiriert und spielte auf meinem Telefon Regale sortieren.

Später setzte ich mich an den Rechner und spielte „Don’t Starve“. Ich spielte „Don’t Starve Together“ , um nicht ganz alleine zu sein. Deswegen wählte ich bestehende Onlinewelten aus, die man ohne Passwort betreten kann. Einmal landete ich bei Koreanern, die mich auf koreanisch anchatteten. Ich antwortete auf englisch, aber sie führten die Konversation auf koreanisch fort. Dann schmissen sie mich von ihrem Server.
Danach landete ich in einer Welt, in der ein einziger Charakter spielte. Der schien sich nicht für mich zu interessieren und blieb immer weit weg auf einer Insel. Ich spielte drei Tageszyklen runter und dann wurde mir langweilig.

Deswegen stieg ich auf „The Long Dark“ um. The long Dark ist ein sehr schönes Survival-Spiel, das in der kanadischen Arktis spielt. Nach fünf Minuten merkte ich aber, dass ich wenig Lust darauf hatte, Hunger zu haben, einsam zu sein und zu frieren und ständig Wölfe in der Ferne zu hören.
Also hörte ich auf und las Hanya Yanagiharas „Ein wenig Leben“ weiter. Nach einer halben Stunde fiel mir plötzlich Kafka ein, einfach so, also holte ich einen Band von Kafkas Kurzprosa aus dem Schrank, nach fünf Minuten störte es mich aber, ein Papierbuch in der Hand zu halten, also schaute ich nach Ebooks von Kafka und fand das komplette Werk von Kafka für 99 Cent. Alle Romane, alle Kurzgeschichten, alle Texte, einschliesslich der Briefe und Tagebücher, alles für 99 Cent.

Ich fand es irgendwie deprimierend. Der Geldwert eines Gesamtwerkes von Weltliteratur ist auf eine Verwaltungs- und Transaktionsgebühr zusammengeschrumpft. Meine Geldbörse freute sich dennoch.