Es war Brautag. Es war auch Markustag. Aber es war auch Brautag.
Ich fuhr zu meinem Freund nach Mahlsdorf. In seinem Garten wollten wir ein Helles Landbier brauen. Ich habe erst zwei Mal gebraut in sehr kleinen Mengen. Sechs Liter, wenn ich mich nicht irre. Mein Freund hat grössere Töpfe mit einem Fassungsvermögen von mehr als dreissig Litern. Ausserdem besitzt er professionelles Werkzeug wie eine Schrotmühle und ein Refraktometer, um die Grad Plato und damit auch den zukünftigen Alkoholgehalt des Sudes zu bestimmen.
Zuerst stieg ich aus dem Bus aus und vergass meine Tasche. In der Tasche befanden sich keine wirklich wertvollen Gegenstände, aber eine warme Daunenweste, Hundefutter und ein kleines Mitbringsel. Und das Wichtigste: Es war die Tasche mit dem Aufdruck der Spitzbergen Brauerei in Longyearbyen.
Es fiel mir erst auf, als ich bei meinem Freund angekommen war. Ich bat ihn um sein Fahrrad und so versuchte ich, zur Endhaltestelle des Busses zu gelangen. Die Endhaltestelle befand sich knappe zwei Kilometer in nördlicher Richtung. Der Bus fuhr durch Nebenstrassen, das würde ich locker schaffen, also fuhr ich los. Nach fast zwei Kilometern fand ich mich aber im Wald wieder und ich fuhr an einem Schild vorbei, welches das Ende von Berlin markierte. Da wurde ich etwas skeptisch. Als ich auf Googlemaps schaute, sah ich, dass ich nach Osten gefahren war, anstatt in den Norden und ich mich im brandenburgischen Wald befand. Zehn verschwendete Minuten. Ich verfahre mich nie. Nie. Ich ärgerte mich masslos.
Glücklicherweise gab es einen Pfad durch den Wald, wodurch ich die Strecke schneiden konnte. Ich fuhr immer gerade aus. Als ich nach fünf Minuten wieder Maps zu Rate zog, merkte ich, dass ich mich erneut verfahren hatte und mich nicht auf dem diagonalen Pfad befand, sondern nach Norden fuhr.
Irgendwann und mit einer halben Stunde Verspätung kam ich an der Endhaltestelle an. Dort stand ein Bus, der Pause machte. Ich schilderte dem Fahrer, ein älterer Herr, der wenige Jahre vor der Rente stand, mein Problem. Er schüttelte nur den Kopf und sagte, das müsse ein anderer Bus gewesen sein. Ich fragte ihn, ob es sinnvoll sei, auf die nächsten Busse zu warten. Er sagte, das könne schon sein. Er sagte auch, ich solle mir nicht allzu viel Hoffnung machen. Je nach Inhalt würden Taschen schnell verschwinden.
„Sie wissen ja“, sagte er, „wir sind nicht mehr alleine in diesem Land“.
Wir-sind-nicht-mehr-alleine-in-diesem-Land.
Ich dachte zuerst: Wie schön: Wir sind nicht mehr alleine. Wir haben Gesellschaft bekommen. Aber dann, ja dann, dann wusste ich es natürlich besser. Weil der Satz dermassen schön war, wusste ich einige Augenblicke nicht, was sagen und so schloss er wieder die Tür. Den Satz musste ich mir aber unbedingt aufschreiben.
Die Busfahrer nachher sagten keine schönen Sätze mehr. Sie waren noch schmallippiger und abweisender. Ich weiss nicht, ob es an mir lag. Mit Bart, schwarzen Haaren und Fahrrad fühlte ich mich ziemlich auffällig. Ausserdem quatschte ich fremde Busfahrer an. Uff, ich weiss nicht. Ich wollte immer positive Gefühle für den Osten hegen. Mein Eindruck ist aber, dass es immer schlimmer wird.
Am Ende gab einer der Fahrer eine Funkansage an seine Kollegen durch. Einer bestätigte, die Tasche bei sich zu haben. In zwanzig Minuten würde er die Endhaltestelle erreichen. Ich war erleichtert.
Dafür war das Brauen umso schöner. Es wurde ein richtig langer Tag. Ich stand viel herum, kippte Wasser in Töpfe um und schöpfte Malz. Gegen 22 Uhr gossen wir den Sud in die Gärfässer und beendeten den Tag mit einer Reisspeise und Salat. Ich war selten so müde. Auch die Hündin war müde. Üblicherweise verbringt sie einen grossen Teil des Tages ruhend. Heute war sie ständig aufmerksam und tobte im Garten herum.
Nach dem Essen bestellten wir uns ein Taxi.
Und ich vergass wieder meine Spitzbergen Tasche. Taschen gehören irgendwie nicht zu meiner Persönlichkeit.