Ingeborg

Schnell diesen Jahrhundertroman schreiben, mich nächstes Jahr für den Bachmannpreis bewerben, gewinnen, fünfundzwanzigtausend, beim Buffet nachher, den Verleger aufwarten der mir ein Glas Rotwein entegenreicht und beiläufig nach einem eventuellen Jahrhundertroman fragt, ich ganz zufällig mein Jahrhundertmanuskript aus der Jackeninnentasche ziehe. Ein Jahr später einen grossen Garten kaufen, eine Milchkuh, eine grössere Wohnung, ein Sommerhaus für den Herbst am Alpensüdrand, neue Schuhe, eine alte Fabrik in einer Grossstadt, dort baue ich Lesebühnen, lerne endlich Schweissen und kaufe mir einen Opel.

Soeben hellauf geklatscht für Kathrin Passig für den ersten Preis, mit ihrem Text beim Bachmannpreis.

{der erste Satz in meinem neuen Roman #2}

Sie schloss die Tür auf, trat mit lauten, stöckelnden Schritten herein, mit verheissungsvollen Blicken an mir vorbei, zog ihre Bluse aus, ihren Rock, zupfte ihren BH zurecht, zog plötzlich aus heiterem Himmel eine Blockflöte aus ihrer Strumphose hervor und spielte Wind of change von den Scorpions.

proportionen

Vorhin, als ich dabei war das Büro zu verlassen, ich vor der automatischen Schiebetür plötzlich innehielt und es mich grauste, gleich von dieser Hitzewand erfasst zu werden, wie mir die Sonne gleich alle blossgestellten Teile der Haut verbrennt, da kamen mir alte Erinnerungen hoch, aus diesem furchtbaren Sommer ’03, nachdem ich mich vier Tage lang durch ein vierziggradiges Paris gequält hatte, ich am Vorabend von meiner Rückkehr nach Madrid in diesem stickigen Restaurant im 3ème Arrondissement mit der gebratenen truite um die Wette schwitzte und dieses dänische Ehepaar noch mehr jammerte als ich es tat, und mir schliesslich erzählte, Paris sei noch gar nicht schlimm, verglichen mit Madrid, wo es gerade 52 Grad Celsius mass, und mir dabei übel wurde, meine Armhaare sich aufstellten.
Als ich dann am nächsten Mittag in Madrid bepackt, beladen an der Oberfläche auftauchte, lag diese ausgestorbene Stadt vor mir, sie tänzelte regelrecht vor meinen Augen, die aufsteigende Hitze verbog die Häuser, alle Läden, Cafes, Fenster versperrt, dahinter mussten sich Leichenhäuser verbergen, verzweifelt kühl gehalten, als würde man sich fürchten. Meine Wohnung, dieses finstere Loch im Dachgeschoss, worin man die Hitze des scheinbar schmelzenden Dachteeres von oben, wirklich fühlen konnte, kühlte selbst in den Nächten den ganzen Sommer über nie aus, niemals unter fünfunddreissig Grad, meist mehr, als ich nackt auf dem Bett lag, Hände und Beine von mir gestreckt, ein Proportionsschema in pummelig, damit keine Falte Haut die andere berühre, der Körper aus jeder einzelnen Pore atmen könne, Wärmeeinheiten verdampfen liesse, alle Fenster offen, sperrangelweit, die Luft aber erstarrt war, dickflüssig geworden auf meiner Brust klebte, drückte, während draussen die Madrileños um die Wette hupten, Autos und rotgestreifte Seats, die ganze Nacht lang, als hälfe nur noch das offene Fenster des Autos, ein bisschen Frischwind ins Haar zu kriegen, und ich in nervösem, traumlosen Wachschlaf blökende Schafe riss, nur um beim Weckerklingeln wieder lauwarme Kleider über meine heisse Haut zu streifen und in den kochenden UBahnschacht zu steigen, Höhlen die direkt in des Teufels Kessel führen mussten, in diese alten, klapprigen Wagen der immer überfüllten Linie Nummer 1, die Hellblaue, der Metromadrid zu steigen, um acht Uhr von Tribunal bis Plaza Castilla, zwanzig Minuten lang, mich am Schweiss der anderen Sardinen reibend, um einen Platz für meine Hand an den Haltestangen kämpfen.

Die letzten 5000 Kilometer zum Büro, den rettenden Pol, nur noch die Buchstaben zu KLIMAANLAGE zählen, in verschiedenen Sprachen, vorwärts und Rückwärts und quer durch. Nach Ankunft, acht Stunden lang gebraucht mich abzukühlen, nach getaner Arbeit, und dazwischendurch, unter den Schreibtisch gekrochen und die Augen geschlossen. Alle Schafe laufen lassen, mich um Keines gekümmert.

Daran dachte ich vorhin, als ich kurz innehielt, bevor ich durch die automatischen Schiebetüren, hinaus in den Sommer schritt. Dieser Gedanke hat mir Mut gemacht. Und Spass.

alle Jahre wieder

Alle Jahre wieder, stehe ich im schwarzen Anzug und ledernen Halbschuhen am Strand, weil es hiess, „ach lass uns doch zum Wasser gehen“, und während ich ahnungslos dem Ruf des Wassers folge, mich von der Melancholie der Wellen aufsaugen zu lassen, weil Wasser -ach Wasser- immer so schön ist, immer so weit, so klar, so reinigend; wenn die Leute in dessen Gesellschaft ich mich befinde, plötzlich ihre Kleider vom Leib reissen, darunter Badehosen tragen, gar Badetücher auspacken, fröhlichen Gemütes sich hinlegen und, wie Sardinen, erst ins Wasser springen um anschliessend in der Sonne zu braten.

Alle Jahre wieder, stehe ich dann, fern von Zuhause, bis zu den Knöcheln im Wasser, die rechte Hand in der Hosentasche, in der Linken die Schuhe, der Schweiss tropft ins Wasser, die feindliche Mittagssonne brennt mir auf das Hemd das sich jetzt über meinen Kopf und Nacken spannt, komm nicht weg, kann nicht sitzen, kann nicht liegen, will nicht weiterlaufen, und sehe stundenlang den Ostseequallen zu, in hoffnungsvoller Abwartung, meine Gesellschaft sei dieser merkwürdigen sommerlichen Gepflogenheiten endlich überdrüssig.

Alle Jahre wieder, sehne ich mir das Christuskind herbei.

achja, gleich gehts ja los mit dem Weltfrieden da draussen

Weil ich ohnehin nie am Zahn der Zeit nage, könnte ich es auch heute sein lassen und nicht über Fussball schreiben. Ich mache es aber trotzdem, weil ich mich gerade fragte ob elf gegen elf nun den Torwart mit einschliesst oder nicht.

Aber Fussball interessiert mich bekanntlich ja nicht mehr, seit ich das grossartigste Tor der gesamten Gadertaler Geschichte geschossen habe. pft, wer sind schon die Amateure da im Fernsehen.

Pfingstreise

Das Mädchen bei mir zuhause ist Studentin in der heisstesten Schlussphase. Um genau zu sein, hat sie morgen ihre Diplomprüfung. Seit Monaten arbeitet sie an einer interessanten Art Reiseführer, der das Reisen in der eigenen Stadt, oder gar Nachbarschaft stimulieren soll. Geschickt und hübsch hat sie anhand eines cleveren Kartensystems, samt Tagebuch, blanko Landkarten und Aufgaben ein gut aussehendes Bündel gefertigt, womit sie morgen ihr Studium beenden wird.
Für mich einfachen Hirtenjungen eine grossartige intelektuelle Herausforderung, und so durfte ich mich auf die erste Testreise begeben, die ich dann anhand von Zeichnungen, Fotos und Tagebucheinträgen dokumentieren musste, die sie morgen in ihrer Prüfung präsentieren wird.
Ich zog drei Karten die eine Art Basis für meine Reise schaffen sollten:

Gepäck: verschiedene Dinge mitnehmen, die man verschenken wird oder verkaufen oder liegenlässt
Ort: Endhaltestelle des nächsten öffentlichen Verkehrsmittels
Aktivität: Freunde machen

Als Gepäck nahm ich drei Bücher die ich loswerden wollte und eine alte Sonnenbrille.
Mein Reiseziel würde die Endhaltestelle der S-irgendwas-Bahn sein. Wie sich später herausstellte, brachte mich die Bahn bis zum Bahnhof Elbgaustrasse. Ich hatte keine Ahnung was mich dort erwarten würde.

Ein Teil ihrer Arbeit besteht aus einem Tagebuch. Hier habe ich notiert, was ich im finstersten und abgelegtesten Hamburg erlebt habe:

-In östlicher Richtung, die Elbgaustrasse runter, das Buch Dr.Ratte von William Kotzwinkle auf einer Holzbank liegenlassen. Die erste leere Seite des Buches vollgeschrieben, eine Botschaft an den glücklichen Finder, wie mir das Buch gefallen hat, welche Charaktere ich nicht mochte, und dass der Finder nach dem Lesen, das Buch doch einfach wieder irgendwo liegenlassen solle.

-In einer Seitenstrasse der Elbgaustrasse auf ein altes Paar gestossen. Beide zwischen siebzig und achtzig, im glücklichen, ehelichen Spaziergang durch ihr Wohnviertel unterwegs. Ich erklärte ihnen, dass ich mich gerade auf einer Reise in einer eigenen Stadt befände. Meinen Reiseführer gezeigt. Ein „ihr jungen Leute seid alle so verrückt“ geerntet. Ich bat sie, mir ein wenig von ihrer Wohngegend zu erzählen, weil ich bei meiner Rückkehr von meiner Reise erzählen wollte. Das Gespräch wollte nur mühsam zustande kommen, daher beschloss ich, sie ein wenig aufzuwärmen, und zeigte ihnen zwei Bücher, wovon sie sich eines aussuchen sollten, das sie behalten durften. Ein Geschenk der Kulturen sozusagen. Als Reisender soll man dem besuchten Ort auch etwas zurückgeben, und nicht bloss konsumieren und ausssaugen, so habe ich einmal gelesen.
Zur Auswahl hatten sie: „Las 100 mejor Tapas“, ein Kochbuch der 100 besten Tapas, auf Spanisch, und „Julia EXTRA, Sommerband nr 278“, eine Kollektion der allerschönsten Liebesgeschichten, für den Sommer.
Der Herr wollte keines, Liebesgeschichten interessierten ihn nicht, und spanisch könne er auch nicht. Und kochen erst recht nicht. Als ich meinte, dass er mit dem Buch das Kochen ja erlernen könne, lachte er nur.
Seine Frau schien von „Julia EXTRA, Sommerband nr. 278“ ein wenig angetan, traute sich jedoch nicht wirklich zuzupacken. Also streckte ich ihr das Buch entgegen und legte ihr die dritte Geschichte ans Herz, „die Liebesgeschichte mit dem Arzt“, und zwinkerte ihr dabei verschmitzt zu. Sie schien mich zu verstehen, und nahm es dankend in die Hand.
Um meine Reisebekanntschaft zu zelebrieren und unsere Freundschaft zu besiegeln, bat ich sie für mich für ein Andekenfoto zu posieren. Das hatte ich mir einfacher vorgestellt. Schuld daran war wohl der Bus, der sich vom Ende der Strasse her näherte. Man konnte ja nicht wissen welche Nachbarn dort drinnen sassen. Ein Lächeln habe ich keines bekommen, aber wenigstens hat die Dame den „Julia EXTRA, Sommerband nr. 278“ halbwegs stolz in die Kamera gehalten.

-Interessante Häuser gesehen, an der linken Seite in östlicher Richtung an der Elbgaustrasse, kurz vor der Brücke, die mich sehr an norditalienische Lehrervillen aus der Po-ebene denken liessen.

-Einen etwa 16-jährigen Jungen angesprochen. Ich bat ihn, mir etwas Sehenswürdiges aus der Gegend zu empfehlen. Er sagte „das Rathaus“, womit er das Hamburger Rathaus in der Innenstadt meinte. Netter Versuch.
Nach einigen verkrampften Ansätzen ein flüssiges Gespräch zu führen, blühte er erst beim Thema Wetter so richtig auf. Er begann zu schimpfen. Er schimpfte lange. Ich wartete. Und nickte. Aber letztendlich sagte er, dass es nicht mehr lange dauern kann, dass es wieder besser wird. Ich sagte ihm, ich habe das Hoffen schon aufgegeben und schenkte ihm meine Sonnenbrille. Als Andenken bat ich ihn, sich mit Brille fotografieren zu lassen. Das hat er gerne getan.
(Zum Schluss hat er mir die Brille zurückgegeben, da sie ihm plötzlich nicht mehr gefiel)

-Zuruck am S-Bahnhof. Beim türkischen Imbiss gegenüber den schlechtesten Kaffee meines Lebens getrunken. Gleich einen Zweiten bestellt.

With your feet in the air and your head on the ground

Damals im Damals. Als ich nach etlichen Jahren Holland meine Heimat besuchte. Die Heimat die eigentlich nur noch aus Erinnerungen bestand, weil mein Leben, meine Freunde, meine Sehnsucht, von dort verschwunden waren, leergefegt, die Kneipen in die ich manchmal vorsichtig reinschielte, keine Freunde mehr sassen, mit denen ich Schnelln spielte, oder mir die Nächte mit billigem Rotwein aus Halbliterkaraffen um die Ohren schlug, oder die Orte (nenn sie geographische Bezugspunkte), saniert, ausgezogen, bis auf die Unterhose, abgerissen. Alles war anders geworden, weil wir alle weggezogen waren, unsere Leben so plötzlich auseinandergedriftet, weil man bloss verschwinden wollte, als sei jeder Quadratmilimeter ausgereizt und die Beziehungen zueinander aufgereizt, weil jeder mit jedem vögelte, weil Jeder mit Jedem über Jedem sprach und die Welt zu einem Kinderüberaschungslosen Ei geschrumpft war. Wobei das Ü immer noch im Ei blieb. Mit fettem L.

Bis auf jenen Tag, an dem ich nach etlichen Jahren Holland meine Heimat besuchte, als sich ein kleiner Widersehensumtrunk mit dreivier Freunden in Meran zu einem spontanen Altefreundetreffen wandelte, weil auf einmal Jeder in der Stadt zu sein schien, und mit Jeden meine ich auch wirklich Jeden, auch die, die man vergessen hatte, die, die man gehasst hatte, die, die man geliebt hatte, die, die nachts immer Spaghetti kochen wollten, die, die nie Lust darauf hatten, und dann für einen ganzen Abend lang alte Sentimente, die man längst schon zu den Erinnerungen geschoben hatte, spielerisch aus der Weinkaraffe herausgefischt wurden,
komma

Warum ich das jetzt erzähle? Weil ich vorhin auf den Link zu Coverversionen von „Where is my mind“ von den Pixies stiess. Weil ich in jener Nacht mit ihm und mit ihr von diesem Wiedersehen mit Freunden nach Hause fuhr und er dieses Lied auflegte, in das ich mich unmittelbar verliebte, weil es genau diesen Zustand von sentimentaler Freude erfasste in dem ich mich in jenem Moment befand, weil ich, nachdem das Lied zuende war, ich auf RW drückte und als es fertig war, nochmal, und dann nochmal und nochmal. Und als ich merkte, dass ich es ein paarmal zu oft zurückgespult hatte, vorsichtig fragte, ob ich es nochmal hören dürfe, und nochmal und nochmal. Und weil wir dann, zuhause angekommen, noch eine ganze Weile im Auto sassen, Erinnerungen hochleben liessen, das Auto vollqualmten und zu „With your feet in the air and your head on the ground“ dem stampfenden Schlagzeug und den heulenden Gitarren lauschten. Und als ich zurück nach Holland fuhr, mir als Erstes die CD besorgte und dieses eine Lied nochmal und nochmal in einer Endlosschleife laufen liess. Und nochmal.
Und weil mich dieses, schon wieder vergessen geglaubte Lied, heute in allerherrgottsfrühe den besten Morgen seit langer Zeit bescherte.

(via Passantin)

man lernt ja nie aus

Es ist erstaunlich, nur weil man es zeitlich nicht schafft, sich bis 16Uhr Mut anzutrinken, zufällig draufzukommen, dass es sich nüchtern sehr viel besser liest. Das mache ich jetzt öfter.

(Liebes Weblögchen, ab heute werde ich mich wieder mehr um Dein Wohl kümmern. In den letzten drei Monaten habe ich Dich wirklich schwer vernachlässigt)