[Mi/Do, 20./21.9.2023 – Bürostuhl, Notfallpraxis]

Mir ging es gestern wieder nicht gut. Als wäre ich wieder krank. Oder vielleicht immer noch krank. Im Laufe des Tages schlief ich dann viel, danach ging es mir wieder besser. So kam ich schliesslich nicht dazu, den Tagebucheintrag zu verfassen. Zugegebenermassen passiert aber auch nichts erzählenswertes, wenn man im Bett liegt. Zumindest nicht, wenn man dabei alleine ist.

Vor einem Monat hatte ich ja einen Bürostuhl bestellt. Heute fiel mir während eines Meetings dieser Stuhl wieder ein. Die Lieferzeit war mit 14 Tagen angegeben, deswegen rief ich bei der Hotline an und fragte nach dem Status. Die Frau am Telefon klärte mich auf, dass die Lieferzeit keine 14 Tage betragen würde, sondern 14 Wochen. Also dreieinhalb Monate.
In 14 Monaten ist Weihnachten. Das sagte ich so. Sie sagte: ja. Sie sagte auch, dass sich um Weihnachten herum die ganze Logistik in einem Engpass befände, es könne also gut sein, dass der Stuhl erst Anfang Januar käme.
Sie bot mir an, die Bestellung zu stornieren, ich bat aber um Bedenkzeit. Es hing schliesslich davon ab, ob ich einen anderen Stuhl sähe, der mir ausreichend gefällt. Es war ja schon schwierig diesen einen zu finden.
Nach einigem Herumgooglen fand ich einen ähnlichen, aber nicht ganz so schönen Stuhl, den ich nun stattdessen bestellte. Mit einer Lieferzeit von drei Tagen. Tagen, genau. Habe ich extra noch danach geschaut.

Am Abend gab es dann Action auf die ich überhaupt keine Lust hatte. Ich lief mit der Hündin zum späten Spaziergang durch meine Strasse, dann riss sie plötzlich an der Leine und wollte umkehren. Das unterband ich natürlich, aber sie zog dermassen fest an der Leine, dass ich neugierig wurde. Ich wollte wissen, was sie erschnüffelt hatte. Sie macht das öfter mal, wenn sie irgendeine interessante Rüdenmarkierung an einer Strassenlanterne riecht. Wenn sie an der Leine ist, dann ziehe ich sie aber immer mit, das ist die Regel. Heute war sie aber sehr von dem Geruch überzeugt, also liess ich es nach einiger Bedenkzeit geschehen. Ich war neugierig.

Ich kann mich nur noch ganz wage an Bildern erinnern. Sie schnüffelte sich an Bürgersteig und Hauswand entlang. Ich scante mit meinem Blick mit, ich sah nichts Auffälliges, nur die eine oder andere Verpackung hier und da und ein Stück türkisfarbenes Plastik. Einige Sekunden später hatte sie ihre Schnauze in einem grössere Öffnung neben einer Regenrinne gesteckt und frass ganz offensichtlich etwas. Ich riss sie sofort zu mir und öffnete ihr das Maul, griff ihr mit dem Finger unter die Zunge und in alle Ecken, in denen sie Futter verstecken kann, sie hatte es aber bereits geschluckt. Anfangs dachte ich, nunja, wieder ein Stück Döner, aber dann fiel mir auf, dass ich das türkisfarbene Stück Plastik nicht mehr sah.

Es war ein handtellergrosses Stück Plastik. Vielleicht gross wie ein halber Handteller. Vielleicht war es auch rosa, es sah aber nicht nach Lebensmittel aus, deswegen hatte ich es ignoriert. Es muss aber offensichtlich stark gerochen haben, sonst hätte sich meine Hündin nicht so sehr danach verzehrt. Aber Rattengift riecht ja nicht stark, mit Gift präparierte Köder allerdings schon.

Und damit fing die Panik an. Zuerst dachte ich: ruhig bleiben und beobachten. Aber das mit dem Ruhigbleiben klappte nicht wirklich. Ich rief meine Frau an, die sich gerade in Finland befindet, sie wurde auch panisch, sie schlug vor Frau Casino anruzufen, die kennt sich ja mit Hunden aus. In der Zwischenzeit lief ich in den Park. Frau Casino meinte, dass man sich nie sicher sein kann, türkisfarbene Sachen sind in der Regel nichts Gutes. Sie würde eher in Erwägung ziehen, in die Notfallpraxis zu fahren. Als ich im Park stand, sprach ich andere Umstehende an, was sie so tun würden. Die meisten würden ruhig bleiben und beobachten, aber ja, türkise Farbe klingt nicht gut.

Also stieg ich ins Auto und fuhr nach Biesdorf in die Notfallpraxis für Tiere.

Die Hündin war freudig erregt, so viel Action, so viele Leute und Gerüche von anderen Tieren, aber als sie den Fieberthermometer bekam, begann ihre Laune zu sinken. Als sie schliesslich eine Kotzspritze bekam, merkte sie schon, dass wir hier nicht auf einer Hundeparty waren. Nach der Spritze schloss man uns in einen kleinen Raum, der mit ein paar Papiertüchern und einer Plastikschüssel ausgelegt war. Sie sollte sich in die Schüssel übergeben und ich sollte gut darauf achten, dass nichts danebenginge.
Das grosse Kotzen begann dann auch ziemlich schnell. Zuerst rülpste sie, dann ging es in Schüben los. Es landete alles gut in die Schüssel.

Der Spuk dauerte etwa 30 Minuten, danach bekam sie wieder eine Spritze, aber diesmal gegen das Kotzen. Die Arzthelferin und ich studierten gemeinsam die übergebene Masse. Sie stocherte interessiert darin herum und klärte mich über den Inhalt auf. Neben Hundefutter und Gras befand sich eine ganze, unverdaute Salami darin. Das war wahrscheinlich das, was ich als handtellergrosse Fläche in Erinnerung hatte. Nicht türkis, aber immerhin salamirosa. Eine dieser billigen, hochverarbeiteten Salamis, kein Wunder, dass ich dachte, es sei Kunststoff.

Ob es ein Giftköder sei, könne sie nicht sagen. Üblicherweise erkenne man es schon, wenn etwas präpariert ist. Auf der Röntgenaufnahme sah es aus, als sei das Fleischstück aufgerollt gewesen, aber in der Schüssel war es schlichtweg eine ganze Salamischeibe. Der Fundort war aber seltsam. In dieser grossen Öffnung neben der Regenrinne, ein bisschen höhergelegt auf Sand oder so. Zumindest war es in meiner Erinnerung so. Da verirrt sich doch keine Salamischeibe hin.

Nun. 200 Euro später fuhren wir nach Hause.

Das Tier war nachher ziemlich apathisch. Es war spät geworden. Die Hündin stand lange verdattert mit hängendem Kopf im Hausflur und starrte vor sich hin. Ein sehr rührender Anblick. Ich streichelte sie lange. Ob sie verstanden hat, was da alles passiert ist, weiss ich nicht. Vermutlich wird sie auch nicht die Verbindung zu der leckeren Salami ziehen. Nächstesmal würde sie es wieder schlucken.

[Fr, 22.9.2023 – müde Hündin, Herthajacken, Helmholtzkiez]

Die Hündin war wegen der Umstände von gestern etwas angeschlagen. Auf der morgendlichen Gassirunde trottete sie in 10m Abstand hinter mir her und blieb an jeder Strassenecke stehen, wo sich mich jedes Mal vorwurfsvoll anstarrte, ob wir hier nicht abbiegen und wieder zurückgehen könnten.
Auch auf andere Hunde schien sie keine Lust zu haben. Sie war also ganz glücklich über einen langweiligen Tag im Homeoffice.

Am Nachmittag ging ich zur Änderungsschneiderei. Etwas, das ich hier im Blog nie oder zumindest selten thematisiere, ist meine Unzufriedenheit über Hertha Jacken. Ich kanalisiere diese Unzufriedenheit hauptsächlich über meine Fussballfreundinnen. Ich suche schon seit Längerem die Nike Jacken, die zwischen 2015 und 2017 für Hertha produziert wurden, aber sie sind schlichtweg nicht mehr auffindbar. Meine Lesezeichen bei Kleinanzeigen.de oder Ebay bringen nie die richtigen Jacken hervor. Nach 2017 gab es bei Hertha nur noch furchtbare Nike-Jacken mit seltsamen Brustringen oder ungelenken Verzierungen, oder wir diese Saison, da ist sie weiss und hat einen seltsamen blauen Fleck auf einer Seite. Seit Jahren warte ich zu Saisonbeginn immer auf die Vorstellung der neuen Saisonjacke, dabei werde ich aber von Jahr zu Jahr enttäuscht.
Eine Freundin fand einmal die Jacke aus 2017 auf Ebay und schenkte sie mir zum Geburtstag. Das war eines der schönsten Geschenke, das ich je bekam. Leider war die Jacke in Grösse M, und sagen wir so: in M würde ich auch gerne hineinpassen, aber davon bin ich weit entfernt. Sie ziert meinen Kleiderständer, aber ich kann sie nicht tragen.

Als ich mich neulich wieder einmal über die Jacken bei Hertha beschwerte, schlug ein Freund aus dem Fanclub mir vor, einfach eine schöne Jacke zu kaufen und mir ein Logo von einem Trikot umnähen zu lassen. Diese Idee war so einfach, und so genial.
Letzte Woche fand ich schliesslich eine schicke Retrojacke von Nike in diesem neuen, sanften Herthablau. Also kaufte ich sie. Mit der Jacke und mit einem alten Trikot, ging ich heute in die Änderungsschneiderei und liess mir das Logo umnähen. Das kostet 10€ und wird nach meiner Arktisreise fertig sein. Püntklich zum nächsten Heimspiel.

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Am Abend ging ich zu Frau Casino. Wir waren auf einen Drink in ihrem Kiez verabredet. Natürlich nahm ich auch meine Hündin mit, es gehört alles noch zur Eingewöhnungsphase, weil die Hündin ab nächstem Wochenende für eine Woche bei ihr wohnen wird.

Wir setzten uns an den Helmholtzplatz in ein Café und redeten über die Dinge. Über Freundschaften, darüber wie wichtig es ist, Freundschaften nicht einfach hinzunehmen (eher ein Männerthema), über die Beziehung zu den Eltern, zu Vätern auch, wie sehr sich Familienverbindungen normalen Freundschaften ähneln, oder auch nicht, und wenn man sie nicht pflegt werden sie eher zu Last.

[Sa, 23.9.2023 – Kajak auf dem Landwehrkanal, Rentierjagd]

Die Nachbarin und ich gingen heute spontan mit unserem Kajak aufs Wasser. Zuerst überlegten wir in der Rummelsburger Bucht zu paddeln, aber wir entschieden uns für den Landwehrkanal, da dort das Wasser etwas ruhiger ist. Also fuhren wir mit dem Auto zum Urbanhafen. Dort vor dem Krankenhaus kann man prima mit den Booten ins Wasser. Die Nachbarin hat ein aufblasbares Kajak, meines ist zum Falten. In zehn Minuten waren wir fertig und paddelten los.

Wir paddelten runter bis Neukölln, bis zur Kreuzung am Weichselplatz. Auf dem Hinweg beschäftigte ich mich noch viel mit der Steuerung, aber auf dem Rückweg waren wir im Flow, wir schwebten zenartig übers Wasser und unterhielten uns die ganze Tour lang, als würden wir spazieren.

Die Fahrt dauerte ewig. Als wir aber zurück am Urbanhafen waren, sahen wir, dass wir gerade Mal anderthalb Stunden gepaddelt hatten. Und in der Summe waren es gerade mal 5 Kilometer. Es fühlte sich wie 100 an.
Da das Boot der Nachbarin noch etwas trocknen musste, legten wir die Kajaks auf der Wiese vor dem Krankenhaus in die Sonne und ich holte uns zwei Kaffees, die wir dort im Gras tranken.

Es ist wirklich erstaunlich, dass in Berlin kaum jemand aufs Wasser geht. Dabei ist die ganze Stadt mit Wasserstrassen durchzogen. Wir begegneten auf dieser ganzen Strecke nur zwei weiteren Kajaks und einem kleinen Motorboot. Neben zwei Ausflugsdampfern. Mir fallen jetzt nur Amsterdam und Utrecht als Vergleich ein, aber dort sind die Menschen ständig auf dem Wasser, kommt mir vor.

Beachtlich sind auch die vielen Zelte und Obdachlosenbehausungen am Neuköllner Ufer des Kanals. Ich kenne die Gegend von der Strasse aus, da nimmt man diese aber nicht wahr. Vom Wasser aus sieht man die Zelte und die Bretterkontruktionen. Und man sieht auch die Ratten. Eine Konstruktion besteht aus verschraubten Paletten, die in einem Brückenkopf einer Versorgungsbrücke eingebaut ist.

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Am Abend kam meine Frau aus Helsinki zurück. Ich holte sie mit dem Auto am Ostkreuz ab. Sie hatte finnische Spezialitäten mitgebracht, unter anderem eine Rentierpastete. Auf Spitsbergen ist übrigens gerade Jagdsaison. Man darf Rentiere erlegen. Das finde ich seltsam. Rentiere verhalten sich dort wie Haustiere, bzw wie Kühe, sie spazieren durchs Dorf und grasen vom spärlichen arktischen Tundraboden. Alle fotografieren sie und alle lieben sie. In der Jagdsaison erschiesst man sie. Wie gesagt: finde ich komisch.

[So, 24.9.2023 – Kaffeemaschine, alte Textilien]

Heute früh beendete meine Kaffeemaschine ihr Arbeitsleben. Sie produzierte noch etwa 20 ml Kaffee und geriet dann in eine endlose Schleife des Pumpens und des Abdampfens. Ein schneller Blick ins Netz verriet mir, dass dieses Verhalten nicht gut ist, und im Wesentlichen wohl das Ableben der Maschine bedeutet. Ich fühlte mich etwas hilflos. Zwar besitze ich noch irgendwo zwei Espressokocher, aber es gibt in meinem Haushalt eigentlich nur noch ganze Bohnen, die Mühle funktioniert nicht mehr und Espressokocher brauchen ja vorgemahlene Bohnen. Auf der Suche nach einer Lösung irrte ich durch die Wohnung und wusste nicht so recht, was ich jetzt machen sollte, ich würde das Problem ja nicht nur heute haben, sondern auch morgen und übermorgen undsoweiter. Dabei glaube ich nicht, dass ich süchtig bin, es ist eher so, dass meine Routine kaputt gegangen war und ich habe schon nicht viele Routinen, ich habe eigentlich nur eine einzige Routine und diese Routine ist es, morgens aufzustehen, die Hündin zu begrüssen, ihr den Bauch zu kraulen und zur Kaffeemaschine gehen. Danach setze ich mich an den Schreibtisch und öffne sämtliche Nachrichtenseiten, dann korrigiere ich den Tagebuchtext, spreche ihn ein, bringe ihn online, dann ist der Kaffee fertig und gehe mit der Hündin raus.
Das kann ich alles nur leisten, weil ich meinen Kaffee habe. Das ist die samtene Begleiterin, durch diese morgendliche, magische Zeit.

Ich wusste heute also nicht, was tun und ging etwas irrend mit meiner Hündin in den Park. Ich erzählte allen Menschen die ich traf, dass meine Kaffeemaschine kaputtgegangen sei. Dabei wurde viel Mitleid an mich herangetragen. Alle schienen meine Gefühle nachempfinden zu können.

Auf dem Rückweg ging ich in der Bäckerei vorbei und holte zwei Kaffees. Meine Frau würde schliesslich vor der gleichen kaputten Maschine stehen. Die Bäckerin fragte mich, ob ich Hafermilch wolle, ich sagte erfreut: ja gerne!
Zwei Sekunden später fand ich die Frage ziemlich amüsant. Ich fragte in die Runde: Sehe ich aus, als würde ich Hafermilch trinken? Die Chefbäckerin sagte nichts, die Gehilfin wagte nicht zu grinsen, sie bekam aber rote Wangen.

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Heute trafen wir die ersten Vorbereitungen für die Reise. In Longyearbyen ist schon Winter, ich musste also an die Wintersachen ran und plötzlich war im ganzen Zimmer ein Textilchaos herangewachsen. Das nahm ich als Anlass, alte Kleider zu entsorgen. Vor allem die alten Tshirts, die ich nicht mehr trage, aber auch einen Hoodie und Hosen.

Die Kleider brachte ich zum Forckenbeckplatz, dort gibt es an der südwestlichen Ecke des Platzes ja diesen Zaun an dem man alte Kleider spenden kann. Dort hing ich alle Sachen auf. Vor allem die Tshirts sind gut. Sie sind alle mit von mir ausgesuchten Motiven bedruckt, die ich dann bei Shirtinator produzieren liess. Eines mit Knoblauch, eines mit einem Teller scotish Breakfast, eines mit Regen, eines mit zwei Chilis, eines mit Suhsi usw. Sie sind kaum getragen, mir gefiel der Schnitt der Tshirts von Shirtinator einfach nicht, ich sah sehr unförmig darin aus.

Dabei hing ich auch zwei Tshirts mit dem Logo meiner Firma auf. Lustigerweise machte sich eine Romafamilie sofort über diese beiden Tshirts her. Es wird vielleicht lange dauern, bis sie verstehen werden, dass sie mit dem Logo einer sehr bekannten schwulen Datingapp herumlaufen.

[Mo, 25.9.2023 – Weiter mit den Scamern]

Die letzten Tage vor dem Urlaub sind wieder anstrengend. Ich muss vieles vorher beenden, ausserdem fahre ich mitte Oktober wieder nach Amsterdam, bis dahin gibt es noch Unmengen vorzubereiten, eigentlich kommt die Reise in die Arktis denkbar schlecht. Aber Reisen kommen immer denkbar schlecht, das ist dann eh wurscht, Reisen sind immer wichtig.

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Nebenher habe ich immer noch Chats auf Telegram mit irgendwelchen Scamern offen. Die Anne Brennekam nervt mich mittlerweile. Ich schrieb, dass ich nicht in Cryptopwährung investieren will, ich möchte nur befreundet sein. Dann lässt sie sich darauf ein und fragt, wie es auf Arbeit geht. Dabei macht sie aber ihren Job nicht gut, sie vergisst ständig mein Alter und schickt mir wieder ein neues Foto ihres Autos, wieder mit Berliner Kennzeichen, obwohl sie laut eigener Aussage aus Boston kommt und nie in Europa war. Mit solchen unprofessionellen Scamern macht es keinen Spass.
Weil ich genervt bin, schreibe ich, dass sie mir Nacktbilder schicken soll, aber das will sie nicht, sie kann ja auch keine Nacktbilder haben, da sie die Fotos von einem fremden Instagram Account geklaut hat.

Ich schreibe immer „sie“. Ich habe aber immer einen Mann vor Augen, wenn ich mit den Leuten schreibe.

Gestern schrieb mich eine leicht bekleidete, junge Frau an, die mit mir Sex haben wollte. Gegen Taschengeld. Sie wohne in Berlin, in der Dunckerstrabe. Strabe, genau, mit b. Schlecht übersetzt. Ich antwortete begeistert und fragte, ob es noch heute möglich sei, sie sagte: ja. Sie wollte aber eine Vorauszahlung in Bitcoin. Mindestens die Hälfte ihres Honorars, also 100€.
Die hundert Euro würde ich natürlich nie wiedersehen, dieses Businessmodell verstehe ich immerhin. Und ich denke, es ist auch effizient.

Aber diejenigen, die ewig lange, über Wochen hinweg chatten und immer wieder in Nebensätzen von Crypto Investments reden, das kann doch nicht wirklich zielführend sein. Heute schrieb mich wieder eine gutaussehende Frau mitte dreissig an. Vom Beruf Fashiondesignerin. Sie ist vor einigen Jahren nach Berlin gezogen, sie sucht nach Freunden. Wir schreiben auf englisch, wir chatten ein wenig hier und her, der Tonfall ist leicht flirtig, es geht mit grösseren Pausen, über den ganzen Tag hinweg. Sie will wissen, ob ich verheiratet bin, irgendwann frage ich sie, wo sie geboren ist, dann sagt sie: in Berlin. Dann schlage ich vor, dass wir auf deutsch chatten, was sie bejaht, aber als wir auf deutsch chatten siezt sie mich plötzlich. Sie übersetzt natürlich mit einer Übersetzungsmaschine. Das ist unfassbar schlechtes Handwerk. Ich fühle mich so billig gescamt.

Am Nachmittag schreibt mich wieder eine junge Frau an. Hihowareyou. Ich frage sie gleich nach Nacktbildern.

Der Erkenntnisgewinn ist sehr gering, ich glaube, ich werde mein Profil wieder auf privat setzen.

[Di, 26.9.2023 – Stuhl, Herthafrauen Podcast, Kaffeemaschine]

Fürs Protokoll: ich vergass zu erwähnen, dass gestern bereits mein neuer Bürostuhl geliefert wurde. Leider ist er nicht so bequem wie erwartet. Aber immerhin bequemer als der alte, harte Stuhl. Zumindest glaube ich das, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Mein Körper ist ja ein Ofen. Wenn ich abends in so einem gepolsterten Stuhl sitze, wird die ganze Sitzfläche warm. Der harte Holzstuhl konnte die Wärme irgendwie besser ableiten. Keine Ahnung wohin, aber er ist halt kühler. Diese warme Polsterfläche fällt mir jetzt schon unangenehm auf, dabei sind wir schon im Herbst, ich fürchte, ich ertrage den Stuhl im Sommer nicht. Jetzt weiss ich auch nicht weiter.

Erstmal aussitzen.

Am Abend fuhr ich zu Hertha auf die Geschäftststelle. Wir führten ein Interview mit zwei Spielerinnen der ersten Frauenmannschaft für den Westend-Girls Podcast. Es wurde eine ausserordentlich gute Folge. Diese jungen Frauen haben für ihre 20 Jahre schon ordentlich was in ihrem Kasten.
Wir bekamen heute den Medienraum zugewiesen. Die letzten beiden Male sassen wir in Meetingräumen, da hörte man auf der Aufnahme viel Lärm von draussen. Bei Hertha bemüht man sich sehr, das ist angenehm.

Gegen acht Uhr fuhr ich nach Hause. Leider dauert die Fahrt vom Olympiagelände bis nach Friedrichshain immer ewig. Zuhause war ich dann hungrig und machte mich über ziemlich alles her, was es im Kühlschrank gab. Leider gab es da nicht viel, aber es reichte für Erbsen mit Möhren aus der Dose, ein Stück Feta und ich brut mir ein paar Spiegeleier. Ich liebe mediterrane Küche.
Ausserdem wurde am Abend meine neue Kaffeemaschine geliefert. Noch während ich die Spiegeleier zubereitete, baute ich die Maschine auf. Morgen würde es also wieder ordentlichen Kaffee geben. Allerdings waren meine Spiegeleier danach etwas angebrannt.

Nachher schnitt ich noch die Podcastfolge zusammen und stellte sie online, dann legte ich mich ins Bett.

[Mi, 27.9.2023 – Prepacking, Pasta e Ceci]

Heute packten wir für die Reise. Ein Prepacking. Es ist nicht ganz so einfach, die richtige Kleidung zu wählen. Wir starten am Freitag bei 20 Grad, verbringen einen Tag in Oslo bei 17 Grad und landen dann an dem Abend in Longyearbyen bei -5. In Oslo herrscht immer noch Kurzehosenwetter, aber am Abend landen wir in tiefem Winter. Meine Frau hat sich gestern mit mehreren Head-Tech Textilien von Uniqlo eingedeckt. Vor allem lange Unterhosen und Unterhemden, aber auch praktische Handschuhe für uns beide und je einen Snoodle für den Hals. Ich besitze mehrere Wärmestufen solcher Unterbekleidung, die ich mir hauptsächlich für die winterlichen Stadionbesuche zugelegt habe.
In Oslo brauche ich noch keine Jacke, aber für Longyearbyen nehme ich die winterfeste Winterjacke mit. Wir dürfen kostenlos einen Koffer mit 23kg beladen und je einen kleinen Rucksack mit in die Kabine nehmen. Wir versuchen damit auszukommen. Es müsste reichen. Wir werden schliesslich keine richtigen bzw langen Outdoor-Aktivitäten durchführen, daher müssten es locker reichen, wenn wir Thermounterwäsche tragen. Aber ich glaube, sogar das wird überflüssig sein, wir stehen ja nicht stundenlang bei minus zwanzig im Schneesturm. Wenn wir abends in die Bar gehen, müssen wir uns nur eine dicke Jacke überwerfen und einmal durchs Dorf laufen.

Es macht allerdings Spass, die Kleidung zu planen. Wir haben uns ein Bier geöffnet und nebenher läuft Musik. Nur die Hündin wird misstrauisch, sie merkt, dass wir etwas im Schilde führen. Sie merkt das immer.

Danach machten wir uns Pasta ai Ceci. Ceci sind Kichererbsen auf italienisch. Das macht meine Frau immer, wenn es schnell gehen muss. Und ich bin ein grosser Freund der italienischen Armenküche bzw der simplen italienischen Küche, also die Cucina Casalinga, der Hausfrauenkost. Zum einen weil ich damit aufgewachsen bin und zweitens, weil das die eigentliche, ursprüngliche italienische Küche ist, bevor man in den achtzigern/neunzigern angefangen hat, die französische Küche nachzuahmen und Raffinesse reinzudichten.

Für Pasta ai Ceci nimmt man eine Dose Kichererbsen, gibt sie in eine tiefe Pfanne und erhitzt sie in ihrem eigenen Saft oder ein paar Kochlöffeln stärkerhaltigem Wasser (zB Pastawasser). Dann gibt man gewürfelte Tomaten dazu und kocht diese mit auf. Wenn es schnell gehen muss, nehmen wir immer Tomatenkonzentrat. Pfeffern und salzen nicht vergessen. Und währenddessen Nudeln kochen. Wir nehmen meist Ditalini, weil sie eine ähnliche Grösse haben wie Kichererbsen. Das macht Spass zu essen, man könnte es sogar löffeln, wenn niemand zusieht.
Wenn die Nudeln fertig sind, Wasser abgiessen und zu den Kichererbsen in die Pfanne geben. Fertig.

Ich liebe das.

[Do, 28.9.2023 – Tag vor der Reise]

Gut. Noch einmal schlafen. Mehr habe ich eigentlich nicht zu sagen.

Ab morgen werde ich ausführlichst von der Reise in die Arktis berichten. Auf allen Kanälen, Insta, Facebook und auch ein bisschen auf Mastodon und vielleicht Twitter. Und natürlich vor allem hier im Blog. Wobei, vermutlich lasse ich Twitter weg, ich nutze die Platform dieses homophoben Rassisten nicht mehr wirklich.

Übrigens bekam ich heute überraschende Mail von Misterspex. Meine Brille läge abholbereit in der Filiale. Das freute mich sehr. Ich werde die Arktis richtig scharf sehen können. Diese nachlassende Sehkraft hatte meine Vorfreude auf diese Reise wirklich etwas getrübt.

Am Abend wollte ich früh zuhause sein, um fertigzupacken und den Freitagabend zu planen. Wir öffneten uns aber nur ein Bier und setzten uns auf den Balkon wo wir ein bisschen über die Reise redeten.
Am morgigen Freitag werden wir gegen sechs Uhr die Hündin zu Frau Casino bringen, danach müssen wir schon los in Richtung Flughafen, in Schönefeld muss man ja immer noch zwei Stunden vor dem Abflug da sein. Der Flug startet um 22Uhr, dann werden wir um 23:30 in Oslo landen und gleich ins Flughafenhotel einchecken. Am nächsten Tag fahren wir nach Oslo in die Stadt, schauen uns Dinge an und kehren zu 14Uhr zum Flughafen zurück. Um 16 Uhr geht es weiter zum Endziel nach Longyearbyen, wo wir um 19Uhr landen. Möglicherweise gibt es einen Zwischenstop in Tromsö. Das scheint üblich zu sein, ich weiss aber nicht, ob das immer so ist und es steht nichts davon im Flugplan.
Um 19Uhr wird in Longyearbyen schon die Sonne untergegangen sein. Ob es dann allerdings schon dunkel ist, weiss ich nicht, die Sonne taucht ja sehr flach hinter dem Horizont ab. Auf alle Fälle werden wir das von der Luft aus beobachten können. Ich habe einen Fensterplatz. Und ich hoffe, dass das Flugzeug leer ist, dann kann ich ständig von links nach rechts hin und her springen um das alles zu sehen.

[Fr, 29.9.2023 – Hündin abgeben, Oslo]

Am tag der Reise bricht auf Arbeit natürlich immer der stress aus. Alles muss in letzter Minute noch gelöst werden.
Zudem bin ich im Homeoffice, von da aus ist es anstrengender, die Dinge schnell zu lösen. Meine Frau und ich hatten beschlossen, um 16uhr die Arbeit niederzulegen und in den Reisemodus zu schalten. Reisemodus bedeutete: Wohnung putzen. Man will ja auch in einer saubere Wohnung zurückkommen.

Gegen 5 fuhren die Hündin und ich zu Frau Casino, wo sie für eine Woche wohnen wird. Sie benahm sich bereits den ganzen Tag misstrauisch, sie merkte, dass heute etwas passieren wird, sie mag das gar nicht, deswegen verfolgte sie uns auf schritt und tritt. Wir packten ihre grosse Hundetasche, diesmal kamen aber auch ihre Lieblingsdecke (die Schmutzdecke) und ihr Bettchen mit rein.

Als wir aus der Tram steigen, kennt sich die Hündin sofort aus und weiss, wo wir hingehen. Sie steht an den Strassenecken immer vor mir, zeigt mit fragendem Blick in die Richtung in die sie denkt, dass es geht. Sie liegt immer richtig und rennt dann weiter. Auch im Haus kennt sie sich aus nur versteht sie das Konzept von Etagen nicht. Sie rennt voraus, bleibt immer bei der richtigen Tür stehen, aber sie tut das eben in jeder Etage, bis es dann irgendwann auch die richtige Etage ist. Ich finde das immer sehr lustig. Das macht sie auch zuhause so. Obwohl sie ihre eigene Tür eigentlich riechen können müsste.

Der Abschied ist seltsam schwer. Meine Frau ist deswegen gleich zuhause geblieben. Aber wir wissen, dass die Hündin bei Frau Casino gut aufgehoben ist. In dem Moment stelle ich mir vor, wie ich sie in einer grossen Hundepension abgeben müsste. Das würde ich nur schwer ertragen. Ich bin vermutlich ein Helikopterhundepapa.

Danach Schönefeld. Unser Flug ist der drittletzte, der an dem Tag den Berliner Boden verlassen würde. Als ich mich in einem Bekleidungsgeschäft am Flughafen im Spiegel sehe, merke ich, dass ich überhaupt nicht aussehe, als würde ich ins ewige Winterland reisen. Ich bin mit kurzer Hose und Tshirt unterwegs, im Handgepäck habe ich einen Pullover. Die warme Kleidung bleibt im Koffer, ich würde mir im Flughafen in Longyearbyen die schwere Jacke auspacken und überwerfen. Aber wir haben einen 17 stündigen Aufenthalt in Oslo. Ich hoffe doch sehr, dass unser Koffer nicht unterwegs verlorengeht. Ich stünde in der Arktis ziemlich underdressed da.

Dann fliegen wir los.
Wir landen kurz vor Mitternacht in Oslo und gehen gleich ins Hotel. Wir haben uns ein Zimmer direkt am Flughafen ausgesucht. Morgenfrüh werden wir in die Stadt begeben, bisschen rumspazieren, frühstücken und am frühen Nachmittag wieder zurück zum Flughafen fahren, wo der nächste Flieger uns nach Spitsbergen bringt.

[Sa, 30.9.2023 – Oslo, Ankunft Longyearbyen]

Wir fuhren also zum Frühstücken in die Stadt, nach Oslo. Oslo spricht man Uslu aus. Dies fürs Protokoll. Bis wir startbereit waren, verging aber viel Zeit. Zuerst hatten wir beide richtig gut und tief geschlafen. Das ist mir lange nicht mehr passiert. Vielleicht liegt es an der weichen Matratze, ich schlafe üblicherweise auf härteren Unterlagen, das war immer schon so, ich dachte, ich sei jemand, der gerne auf harten Matratzen schläft, aber ob das wirklich der Fall ist, weiss ich nicht, ich dachte, das gehört zu meinem Persönlichkeitsprofil, warum auch immer. Ich schlief neulich in Amsterdam auch so gut, und auch da war die Matratze weich. Es könnte aber einfach am Umstand liegen, dass ich in Hotelbetten gut schlafe. Ich ahne, dass sich das psychologisieren lässt.

Jedenfalls nahmen wir eine Bahn um 11 Uhr vom Hotel am Flughafen in die Stadt. Das dauert mit einem ausserordentlich schnellen Zug ganze 40 Minuten. Der Flughafen befindet sich besonders weit vom Stadtzentrum entfernt. In der Innenstadt irrten wir zuerst etwas planlos herum, fanden dann ein sehr nettes, tüdeliges Kaffee, in dem wir frühstückten. Danach gingen wir zur neuen Oper am Hafen. Wir hatten nicht viel Zeit, wir sollten um 14 Uhr wieder am Flughafen sein, deswegen verzichteten wir auf einen Stadtbummel und besuchten dafür dieses Operngelände.
Ein beeindruckender Stadtraum, der aus begehbaren, vielfachen und weitverzweigten Schrägen besteht. In dieser Landschaft von Schrägen ragt ein rechteckiger Betonkörper hervor, in dem sich der Opernsaal versenkt befindet.

Wir schiessen viele Fotos davon, aber die Wirkung des Raumes kommt daraus nicht hervor.

Es misst in Oslo 15 Grad. Leider habe ich meinen Pullover nicht im Handgepäck dabei und laufe daher mit dem T-Shirt und kurzen Hosen herum. Ich friere allerdings nicht. Etwas Angst habe ich nur vor der Ankunft auf Spitzbergen. Am Flughafen in Longyearbyen steigt man nämlich aus dem Flieger aus und läuft etwa 100 Meter durch offenes Gelände bis zum Flughafengebäude. Es soll minus vier Grad messen. Der arktische Windchill am Eisfjord senkt die Temperatur allerdings noch um einiges. Meine Frau und ich überlegen lange, ob es sich auszahlt, eine zusätzliche Jacke zu kaufen. Ich finde eine gesteppte Jacke, die ich üblicherweise bei Temperaturen zwischen 0 und 10 Grad verwenden würde. Für den täglichen Gebrauch in der Arktis ist sie wahrscheinlich zu dünn, in Berlin würde ich sie aber gut als Übergangsjacke einsetzen können. Sie ist preislich reduziert, ausserdem gibt es auf die Jacke einen Steuerrefund, also kaufe ich eine Jacke, die eigentlich 160€ kostete, für nur 85€. Das hat sich doch sicherlich ausgezahlt.

Dann boarden wir für Longyearbyen. Wir laufen bis ans Ende dieses langen Ganges. Die Menschen und Läden werden immer weniger. Da Spitzbergen eine Sonderzone ist, müssen wir nochmals durch eine spezielle Passkontrolle, danach sitzen wir in einem Gate mit einigen anderen Reisenden, zu denen ich mich auf eine seltsame Art in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden fühle.
Das interpretiere ich natürlich über, aber wir fliegen mit dieser Gruppe Menschen ans Ende der Welt. Alle fliegen dort freiwillig hin oder besser gesagt: Vermutlich machen es alle aus Überzeugung.
Ich glaube sofort die Bewohnerinnen zu erkennen. Einmal eine junge Frau in ledernen Minirock und eine andere Frau, Typ Outdoorpunk, sie ist riesig gross und blond, sie liest gelangweilt ein Buch. Irgendwo dazwischen sitze ich. Ganz offensichtlich bin ich kein Bewohner, weil ich so aufgeregt bin wie ein Käsebrötchen.

Mit etwas Verspätung fliegen wir los. Der Flug dauert drei Stunden.

Norwegen ist ewig lang. Manchmal fliegen wir sogar über Schweden. Ich nutze Osmand+, eine Karten-App mit offline Karten von Openstreetmaps.org, mit GPS kann man dann sogar im Flugzeug sehen, wo man sich gerade befindet.
Irgendwann verlassen wir das Festland und fliegen über das Wasser. Im Nordosten taucht der Mond aus dem arktischen Ozean auf. Es ist ein magischer Moment. Auch das kann man nicht gut auf den Fotos einfangen. Ich schiesse dutzende Bilder, um den Moment einzufangen, aber es bleibt einfach nur ein heller Himmelskörper am verschwimmenden Horizont.

Um zwanzig nach sieben landen wir in Longyearbyen. Ich habe diese Landung bereits tausend Mal auf Youtube gesehen. Wie man über den verschneiten Bergplateaus und den Eisadern hereinschwebt und sich im Fjord absenkt.

Die Sonne ist bereits vor anderthalb Stunden untergegangen, der Himmel leuchtet aber Aquamarinblau, hell genug, dass man noch lesen könnte. Die Menschen, die aussteigen, schiessen sofort Fotos von der Umgebung. Die vereisten Berge, das Blau, der weite Eisfjord, die entfernten Lichter von Longyearbyen mit dem markanten Schornstein des ehemaligen Kohlekraftwerks.

Es ist nicht kalt. Es hat -2 Grad. Ich trage die neue Jacke geöffnet, darunter nur das T-Shirt.

Der Flughafen hat die Ästhetik eines Vereinsheimes mit einem Gepäckband. Er muss nur zwei Flüge am Tag abwickeln. Einen Flieger, der gegen Mittag wegfliegt und einen Flieger, der am Abend kommt.
Wir nehmen gleich den Shuttlebus ins Dorf. Der Bus fährt alle Hotels ab. Wir haben uns im Radisson Blue Polar niedergelassen. Ich finde das gut. Ich muss nicht in Blockhütten mit Gemeinschaftsbädern wohnen.

Die Strasse vom Flughafen bis ins Dorf und durch das Dorf hinauf bin ich schon hunderte Male auf Streetview gefahren. Ich kenne das alles seit Jahren. Ich kenne diesen Ort so gut, es fühlt sich total unwirklich an, jetzt hier zu sein, ich kann das jetzt alles nur durch einige Abstraktionsfilter spüren, ich glaube, die Eindrücke sind so intensiv, dass ich sie nicht richtig filtern kann. Dieser Ort bestand vier Jahre lang als eine sehr intensive Fantasie.

Longyearbyen also. 78 Grad Nord. Die nördlichste Siedlung der Welt. Der Nordpol ist etwa 1100 km entfernt.

Dann checken wir ins Hotel ein, legen das Gepäck ab und gehen in den hauseigenen Pub, wo wir Spitsbergenbier und Pizza essen.

Eigentlich wollte ich mindestens noch eine kleine Runde ins Dorfzentrum drehen, aber meine Frau fühlt sich noch etwas von der Reise erschlagen, ausserdem weiss sie noch nicht genau, wie das mit den Entfernungen und den Eisbären einzuschätzen ist, wir beschliessen, den Tag zu Ende zu bringen. Nach dem Essen und dem Bier sind wir auch schlagartig müde und fallen ins Bett.
Ausser ich, der noch diese Zeilen aufschreibt.