Natürlich wusch ich das Auto nicht mehr. Ich hätte es vorher wissen können, dann hätte ich nicht so ein Drama draus machen müssen. Ein sauberes Auto rangiert sehr weit unten auf meiner nach unten offenen Skala. Dennoch fand ich das Auto wesentlich schmutziger vor, als ich es hinterlassen hatte. Das liegt daran, dass es unter diesem einen Baum in der Strasse geparkt stand. OK, wir haben zwei Bäume in der Strasse. Oder drei. Ich will sie nicht zählen. Ich hätte den Baum meiden können. In diesen zwei Bäumen leben aber auch nicht immer Vögel, die genüsslich Autos vollkacken.
Wir fuhren trotzdem los. Kurz vor Rostock tankten wir. Meine Frau wusch währenddessen das Gröbste von der Karosserie und den Scheiben, damit wir wenigstens nicht gleich von der Grenzpolizei herausgefischt werden. Seit einigen Jahren wird an den Grenzen nämlich immer wieder kontrolliert, allerdings vor allem auf der Rückfahrt von Schweden durch die dänische Polizei, die sich die schwedische Bandenkriminalität aus Malmö vom Land fernhalten will.
Allerdings wurden wir dann nach der zweiten Fähre im schwedischen Helsingborg von einem bärtigen Polizisten angehalten. Der interessierte sich aber lediglich für meinen Alkoholpegel und reichte mir ein Blasröhrchen. Da ich erst seit wenigen Jahren Auto fahren kann, wurde ich erst zwei Mal in meinem Leben zum Pusten aufgefordert. Beide Male in Schweden. Einmal letztes oder vorletztes Jahr am frühen Morgen vor dem staatlichen Alkoholmonopol. Am Vormittag. Das ist die Zeit, wo sie die Pegeltrinker abschäumen. Bei Alkoholtests habe ich allerdings ein gutes Gewissen. Ich steuere kein Auto, wenn ich Alkohol trinke. Aber auf den Fähren, auf denen es steuerbefreiten Alkohol zu kaufen gibt, decken sich viele Männer mit Alkohol ein. Ich denke mal, dass die Kontrollen aus diesem Grund stattfinden.
Nachdem die Anzeige des Blasröhrchens „NEG“ anzeigte, verabschiedete ich mich wie ein rechtschaffener Bürger.
Auf der schwedischen Seite der Ostsee regnete es. Nach fast 4 Stunden kamen wir bei unserem Häuschen an. Es stand noch. Kein Schaden. Keine umgefallenen Bäume, kein Einbruch. Auch im Haus gab es keine Überreste einer Mäuseplage oder Kadaver von eingedrungenen und verendeten Tieren. Gab es alles schon. Lediglich ein bisschen Mäusekot am Eingang. Aber den gibt es jedes Frühjahr. Mäuse kann man nicht verhindern, die kommen überall rein. Ein paar hundert Meter südöstlich fehlt allerdings ein riesiges Stück Wald. Wir wurden bereits letztes Jahr darüber in Kenntnis gesetzt, dass die schwedische Forstgesellschaft dort ein ganzes Waldgebiet roden würde. Ich finde, das sieht gut aus. Man sieht jetzt den kleinen, felsigen Bergrücken. Früher war da nur finsterer Wald. Aber ich bin wiedermal der einzige, der das gut findet.
Im Haus ist es kalt. Wir betten die Betten, reinigen die wichtigsten Dinge, schenken uns Whisky ein und dann öffnen wir Bier. Schliesslich schieben wir eine kleine Pizza in den Ofen und dann werden wir müde. Kriechen in dieses wunderbar kalte Bett und schlafen ein.
An dieses kalte Bett im Mai muss ich übrigens sehr oft im Sommer denken. Immer, wenn ich bei der Hitze nicht schlafen kann, denke ich an dieses kalte Bett, wie ich es mit meiner Körperwärme ausfülle, zu einer wohligen Höhle.
Seit einigen Tagen verwende ich für die Arbeit am Roman ein Programm namens Focuswriter. Das ist ein simples Schreibprogramm, das den kompletten Desktop überlagert und erstmal nur aussieht wie ein weisses, digitales Blatt Papier. Zuerst fand ich das etwas unterkomplex. Natürlich ist es hilfreich, wenn man während der Textarbeit Ablenkungen vermeidet, das wissen wir alle. Für ein Programm, das beansprucht, mich fokussiert zu halten, fand ich das dennoch etwas wenig. Erst nach etwas Rumprobieren zeigten sich mir ein paar ganz besondere Features:
Die Einstellung von Tageszielen mit entsprechendem Tracking
Dass man sich Tagesziele nach Zeit, Wortzahl oder definierter Seitenanzahl setzen kann
Ein Wecker
Dass man mit der Maus am Bildrand sich dennoch ein paar Infos rausziehen kann zB Uhrzeit, Arbeitspensum und natürlich das Menü
Der Hintergrund.
Ich kann es gar nicht fassen, wie wichtig mir der Hintergrund ist. Das war mir gar nicht klar. Als Hintergrund stellte ich mir vorübergehend ein ziemlich düsteres Bild unseres Waldhäuschens in Schweden ein. Die Nachbarin, die 2 km flussaufwärts wohnt, schoss das Foto Ende November für mich. Das Haus, verlassen, winterfest gemacht in einer menschenleeren Gegend. Die Laubbäume ragen blattlos wie Adern in den unheilvoll grauen Himmel. Die Wiese vor dem Haus ist braun von den gefallenen Blättern der grossen Linde. Sie faulen. Bald werden sie vom Schnee bedeckt. Bald kommt der Winter. Vielleicht morgen schon. Vielleicht dauert es aber noch. Die Tage sind schon kurz, die Sonne kommt nur noch kurz über den Horizont.
Das Foto wird in Focuswriter hochskaliert. Ich sehe nur einen kleinen Teil des Hauses. Ich sehe den grauen Himmel und die entblätterten Bäume. In der Mitte über das Haus legt sich der Text, an dem ich schreibe.
Ruhe.
Das Bild gibt mir Ruhe. Das wusste ich nicht. Wäre das Bild im Sommer geschossen, wenn die Sonne scheint und alles grün ist, bekäme ich kein Wort geschrieben. Sonne, grün, Licht, Farben. Hölle. Alles Aufregung. So schaue ich auf das Blatt mit dem Text. Links und rechts blattlose Bäume. Grau, Weiss, Schwarz. Das Jahr legt sich langsam hin, bis die Dunkelheit kommt.
Ein Nebel legt sich über mich.
Der Text fliesst dann ganz von alleine.
Dazu fallen mir die Bewohner von Longyearbyen ein, die sagen, dass sie das Leben in der Polarnacht dem Leben mit der Mitternachtssonne vorziehen. Ein bisschen zumindest. Wenn nämlich die Sonne vier Monate lang durchgehend scheint, hat man immer das Gefühl, es sei was los. Energie. Licht, Farben, Hölle.
Vor einigen Jahren las ich auf Socialmedia einen Post von einem Mann, der über einen einst tauben Menschen schrieb, der im Erwachsenenalter Gehör erlangte. Diese Person sagte, die grösste Überraschung für sie sei es gewesen, dass die Sonne kein Geräusch macht. Sie hatte eine Art Brummen erwartet. Diese Überraschung konnte ich mir richtig gut vorstellen. Jahrzehntelang begleitet dich diese leuchtende Kugel am Himmel, sie macht hell und dunkel sowie Wärme und Kälte. Diese Energie. Und dann macht sie nicht mal ein Geräusch.
Damit kommen wir zum nächsten Punkt. Die Sonne macht tatsächlich einen ungemeinen Krach. Wir können sie nur nicht hören, weil es zwischen ihr und dem Planeten, auf dem wir wohnen, keine Luft gibt und damit auch keine Schallwellen übertragen werden können. Würden wir die Sonne hören können, dann würde sie klingen, als würde sie brüllen. Ein dumpfes Brüllen. Bei 100 Dezibel. Hundert Dezibel ist die Lautstärke in Clubs, man könnte sich also nicht mehr unterhalten. Ab 110 fängt die Schmerzgrenze an.
Würde in einem solchen Szenario plötzlich die Sonne erlöschen, würden es noch 14 Jahre dauern, bis die letzten Schallwellen die Erde erreicht haben. Wir würden also 14 Jahre lang auf einem finsteren, vereisten Planeten verbringen, während uns 14 Jahre lang eine gestorbene Sonne mit hundert Dezibel anbrüllt.
Glücklicherweise würden wir ohne Sonne aber in wenigen Tagen erfrieren. Aber die Sonne geht ja auch nicht einfach so aus. Sie würde zu einer Supernova explodieren. Von der Kälte würden wir deswegen gar nichts mitbekommen.
Morgen früh fahren wir jedenfalls nach Schweden. Ich freue mich sehr und bin gespannt, wie das Haus den Winter überstanden hat.
Nach dem Fitnessstudio ging ich runter zu Thalia, um mir den ersten Band von Karl Ove Knausgårds autobiografischer Reihe zu kaufen. In den Regalen führten sie allerdings nur die letzten drei Romane. Die interessierten mich für einen Einstieg weniger. Ja, ich will jetzt auch wissen, was es mit Knausgård auf sich hat. Deswegen ging ich zur Verkäuferin und fragte sie, ob sie den ersten Band aus diesem sechsteiligen Zyklus vorrätig habe. Sie fragte: „Wie heisst dieses Buch nochmal?“ Ich kann mich nur an den Namen des Zyklusses erinnern, der auf Norwegisch „Min kamp“ heißt, ich kann aber genug Schwedisch, um die Bedeutung des norwegischen „Min Kamp“ zu verstehen, und sagte deswegen in direkter Übersetzung „Mein Kampf“, gleich wissend, dass man in der deutschen Übersetzung aus diesem offensichtlichen Grund einen anderen Titel gewählt hatte. Aber ich konnte den Witz nicht bei mir halten. Die Verkäuferin schien es immerhin lustig zu finden, sie sagte: „Stimmt, da war was.“ Ich sagte: „Ich google das mal“, und sie schaute in ihrem schlauen Computer nach. Der Titel ist „Sterben“. Fängt gut an. Sie hatte von dem Buch nur eine Miniaturausgabe vom BTB Verlag vorrätig. Diese Minibücher im Hardcoverformat. Vor einigen Jahren las ich einmal Murakami in einer solchen Ausgabe. Das fand ich fantastisch, sehr handlich und leicht. Ich mag nämlich keine schweren Bücher. Sie fallen mir ständig aus der Hand und beim Einschlafen ins Gesicht. Das war für mich der Hauptgrund, um auf Ebooks umzusteigen.
Diese Miniaturausgaben sind prima zum Lesen.
Gestern kam auch meine Nachbarin von nebenan vorbei, um ihr Paket abzuholen. Sie ist etwas älter als ich und lebt seit einigen Jahren als Frau. Neulich unterhielten wir uns über katholische Klosterschulen, wodurch wir draufkamen, dass sich durch unsere Biographien durchaus Parallelen ziehen, und so erzählte sie mir von ihrer kürzlich erschienenen Novelle, in der sie über ihre Jugend in der Klosterschule erzählt. Weil der Zufall so lustig war, erwähnte ich natürlich auch meine kürzlich veröffentlichte Novelle.
Normalerweise begegnen wir uns immer nur auf der Strasse. Sie sagte mehrmals: „Lass uns doch mal die Bücher austauschen.“ „Ja, gerne.“ So bot es sich diesmal an. Sie überreichte mir „Fluchttiere„, eine autobiografische Geschichte über sexuellen Missbrauch und über das Coming-out unter schwierigen Bedingungen. Aber es ist auch eine Geschichte über die Liebe. Ich bin sehr gespannt auf das Buch.
Am Abend kam mein Schwager. Wir kochten etwas und tranken ein bisschen was. Danach schauten wir „Living“, einen Film nach dem Drehbuch von Kazuo Ishiguro. Ich verwechsle ihn immer mit der anderen japanischnamigen Berühmtheit Kenzaburō Ōe. Unpraktischerweise sind sie beide auch noch Nobelpreisträger. Während aber nur Kenzaburō Ōe richtiger Japaner ist, ist Kazuo Ishiguro hingegen Brite, nicht gebürtig zwar, aber immerhin seit 65 Jahren. Und zwar ist er der Brite, über den gesagt wird, er schreibe das schönstmögliche Englisch. Ich las vor vielen Jahren „Was vom Tage übrig blieb“. Aber auf Deutsch. Über das schönstmögliche Englisch kann ich daher nichts sagen.
Von Kenzaburō Ōe habe ich hingegen nie etwas gelesen. Allerdings steht ein Buch von ihm im Schrank, es heißt „Tagame. Berlin – Tokyo“ Meine Frau hatte es mir empfohlen. Kenzaburō Ōe ist vorletztes Jahr gestorben. Noch ein Unterschied zu Kazuo Ishiguro. Ein nicht unwesentlicher.
Der Film „Living“ ist ein Remake des japanischen Films „Ikiru“ aus dem Jahr 1952. Es ist ein eindringlicher und berührender Film über einen strengen alten Mann (Bill Nighy). Dieser ist ein hoher Beamter in der Londoner Baubehörde. Ihm wird eine Krebsdiagnose im Endstadium gestellt, die er allerdings niemandem mitteilt, ausser einer jungen Frau, deren Lebensfreude er bewundert. Diese Lebensfreude führt dazu, dass er sich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Energie für den Bau eines Kinderspielplatzes einsetzt. Nach dessen Fertigstellung er schliesslich stirbt.
Es passiert nicht viel in diesem Film. Die Dialoge sind langsam, viel Leerraum. Wir sassen aber bis zur letzten Minute in unseren Sesseln fest.
Das Auto zu Ende gepackt. Es ist wie Tetris spielen. Ich war darin immer sehr gut. Im Auto gibt es allerdings keine Linien, die wegbrutzeln, wenn man sie vervollständigt hat. Ausserdem befindet sich noch ein lebendes Tier auf der Rückbank und ich brauche beim Fahren natürlich mehr oder weniger freie Sicht durch den Rückspiegel nach hinten. Ich bin so ein Rückspiegeltyp, ich schaue ständig in den Rückspiegel, ich weiss auch nicht, warum das so ist. In Filmen schauen Fahrerinnen ja nie in den Rückspiegel, ausser es sind Taxifahrerinnen, die sich mit dem Gast auf der Rückbank unterhalten. Oder sie werden verfolgt. Aber dann geht es für die Rückspiegelschauerinnen selten gut aus.
Es wäre noch gut, den Wagen in die Waschanlage zu bringen, es ist das schmutzigste Auto in der ganzen Strasse. Auf der langen Fahrt nach Schweden werde ich so viele Insekten töten, dass sich zur bestehenden Schmutzlage aus Berlinstaub eine weitere Lage klebrigen Insektenprotein legen wird. Dummerweise traue ich mich nicht, alleine in eine Waschstrasse. Ich hatte bisher immer Freunde gebeten, mich zu begleiten. Das kann ich aber nicht mehr machen, in meinem Selbstbild bin ich ein mutiger Löwe, der sich alles traut, aber wenn es zu Waschanlagen kommt, schrumpfe ich zu einem kuscheligen Katzenbaby zusammen.
Es gibt aber auch diese Waschboxen, in denen man das Auto nach Münzeinwurf selber besprühen kann. Da hat mich mal ein Freund hinbegleitet. Aber alleine habe ich mich noch nicht getraut. Ich weiss nicht, was das ist mit Autowaschen und mir. Vielleicht liegts einfach am Waschen. Vielleicht bin ich einfach kein Autotyp.
Apropos Auto: daneben hat neulich ein Tesla gebrannt:
Die Zeitschrift Kulturelemente, ein Magazin aus Südtirol, veröffentlichte in der neuen Ausgabe einen Auszug aus der Novelle. Tadam.
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Ein Tag der Logistik. Zuerst das Auto zur Inspektion in die Werkstatt gebracht, dann die kleine, temporäre Komposttoilette abgeholt. Wie neulich erwähnt, werden wir ja eine Zusatztoilette brauchen, weil das Toilettenhäuschen für ein paar Tage eine Baustelle sein wird. Wir werden also zu fünft für einen oder zwei Tage in eine kleine Kompostbox kacken. Ich werde für die Entleerung und Nachbearbeitung dieser Toilette verantwortlich sein. Das ist nun mal so. Ich kenne meine Rolle in diesem Universum.
Mir war nicht bewusst, wie viel Material wir diesmal nach Schweden transportieren müssen. Da im Sommer die Waschmaschine kaputtging, beschlossen wir, keine neue Maschine nachzukaufen und stattdessen Wäsche entweder mit der Hand zu waschen oder sie nach dem Sommer nach Berlin zu bringen, wo wir sie waschen und über den Winter verstauen. Es betrifft vor allem Bettwäsche. Das ist eine riesige Menge. Und die Unmengen Wäsche per Hand zu waschen, hätte sogar Sisyphos abgelehnt und stattdessen lieber seinen Stein gerollt.
Wir werden nächste Woche also eine kleine Waschmaschine kaufen. Aber zuerst müssen wir alles nach Schweden transportieren. Zudem kommen verschiedene Kartons mit Einrichtungsgegenständen dazu. Das ganze Jahr über sagen wir beiläufig Sätze wie „Ach, das kann nach Schweden“. Meistens sind es Bilder oder Tassen oder Gläser. Es sind immer nur Kleinigkeiten. Allerdings ist es erstaunlich wie viele Kleinigkeiten sich in einem Jahr so ansammeln.
Das Auto wird voll. Und die Hündin muss ja auch noch mit. Das Kajak wird nicht Platz haben. Unsere Freunde, die dieses Mal auch mitkommen, wollen auf den Seeen paddeln gehen. Das will ich natürlich auch, aber das Kajak passt diesmal nicht, auch wenn es ein Faltkajak ist und leicht zu transportieren ist. Es ist dennoch zu sperrig für das vollgestopfte Auto. Andererseits wollte ich mir ohnehin ein billiges Plastikkajak für Schweden kaufen, damit ich es nicht immer transportieren muss. Die gibt es auf dem Zweitehandmarkt sicherlich günstig zu erwerben. Mal sehen.
Später rief mich die Werkstatt an. Es müssen Reparaturen durchgeführt werden. Die Kosten belaufen sich auf 1800 €. Der Zehnriemen muss ausgetauscht werden. Ich googelte nach Zahnriemen, das ist ein Gummiband mit einem Zahnprofil. Das alleine kostet 1300 €. Wegen complicato. Der Werkstattmann erklärte das Problem ausgiebig und verständlich. Was sollte ich schon einwenden. Ich habe ja keine Ahnung. Das wissen die Leute auch.
Ich hasse Autos. Mein Leben ohne Auto war einfacher. Und auch günstiger.
Wäre ich eine Frau, hätte ich gerne einen riesigen Po. Seit Wochen schmerzt mein unterer Rücken. Deswegen wiegte ich vor einigen Tagen auf dem Weg zu Edeka meine Hüften. Ganz langsamen Schrittes, wumms links, wumms rechts. Langsam, Schritt für Schritt den gesamten Hüftapparat nach links und dann nach rechts. Wie eine Wiege. Ich merkte, wie sich die Muskeln im unteren Rücken lockerten. Aber diese Präsenz, die man haben muss, wenn man den Po wiegen kann, man muss sich als Frau wie eine Göttin fühlen. Ich konnte mich sofort in Christina Hendricks hineinversetzen. Je grösser der Po, je mehr Göttin. Ich kann so natürlich nicht herumlaufen, ich bin als Mann ziemlich cissig, es sieht bei mir nicht gut aus, wenn ich mit den Hüften wackle. Und wer weiss, wie viele Menschen nachher die AfD wählen, weil sie sich ihres Geschlechtes beraubt fühlen.
Aber es würde mich schon interessieren, ob Christina Hendricks Schmerzen im unteren Rücken hat. Mir tut es jedenfalls gut.
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Nachdem ich aufgrund des Besuches meiner Schwester anderthalb Wochen nicht im Fitnessstudio gewesen war, ging ich heute wieder hin. Mir kommt vor, als hätte mir die Pause gutgetan. Ich schaffte alle Geräte mühelos. Während ich zuvor Schwierigkeiten an den Bizeps- sowie Trizepsmaschinen hatte. Komischerweise schmerzt mir bei der Bizepsmaschine jetzt der linke Daumen. Der gesamte Daumen bis hinauf zum Handgelenk. Keine Ahnung, was das jetzt soll. Wäre mein Körper ein Gedicht, wäre der schmerzende Daumen jetzt eine Metapher. Nur weiss ich nicht, wofür.
Am Abend traf ich mich mit meinem Lektor Klaus Ungerer auf einer Parkbank an der Karl-Marx-Allee. Wir hatten verschiedene Dinge zu besprechen. Demnächst kommt auch sein neues Buch heraus.
Währenddessen liegt meine läufige Hündin bei uns. Ab und zu kommt ein unkastrierter Rüde vorbei, der von ihren magischen Gerüchen angelockt wird. Einer der Rüden kennt sie gut und er ist nur schwer von ihr zu trennen. Glücklicherweise wissen die meisten Hunde nicht so gut, was sie tun müssen: Er steckt vor allem seine Schnauze ins Hinterteil meiner Hündin und nicht sein Fortpflanzungsorgan. Wenn man den Tieren nicht die Zeit gibt, kann man ungewollte Welpen in der Regel gut verhindern. Der eine verliebte Rüde musste an die Leine genommen werden. Ich sah ihn noch lange, viel weiter oben an der Promenade, wie er an der Leine zog und versuchte, zu seiner Geliebten zurückzukehren. Meine Hündin hatte ihn aber schnell vergessen.
Ich vergass zu erwähnen, dass ich am Montag die Komposttoilette bestellte. Wie ich mich im Übrigen auch nie detailliert zum Thema Komposttoilette geäussert habe. Ich berichtete lediglich, dass wir das Plumpsklo in unserem schwedischen Waldhaus durch eine Komposttoilette upgraden wollten. Vor einigen Wochen liessen wir uns ausführlichst dazu beraten und am Montag bestellte ich sie.
Der Plan sieht in etwa so aus:
Nächste Woche fahren wir nach Schweden. Ich werde die Hinterseite des Plumpsklohäuschens öffnen, reinigen und für den Einbau der Komposttoilette vorbereiten. Da dies ein paar Tage dauern wird, haben wir in der Zwischenzeit natürlich kein Klo. Wir könnten in den Wald kacken, was aber nur mittelmässig cool ist. Deswegen kaufte ich uns eine temporäre, kleine und mobile Komposttoilette, die wir für die kurze Zwischenzeit verwenden würden. Wenn die grosse Toilette eingebaut ist, werden wir die kleine in der Scheune abstellen. Ich bin mir sicher, dass wir dafür noch eine gute Verwendung finden werden.
Am Mittwoch kommen dann unsere Nachbarn mit ihrem Sohn nach. Der Sohn ist handwerklich sehr begabt und er wird uns helfen, die neue Komposttoilette richtig und stabil in das Toilettenhaus einzubauen. Er hat auch allerlei Ideen, das Häuschen etwas upzugraden. Das wird sicherlich gut.
Nun kam gestern die Toilette in dem Fachgeschäft an. Also fuhr ich mit dem Auto ins Bötzowviertel. Dort musste ich allerdings feststellen, dass die Toilette nicht ins Auto passte. Deswegen rief ich ein Lastentaxi, das mir den riesigen Karton nach Hause brachte. Ursprünglich wollten wir die Toilette mit dem Auto nach Schweden transportieren. Ich war tatsächlich der naiven Annahme, dass das möglich sei. Glücklicherweise hatte bereits der Sohn der Nachbarin angeboten, die Toilette mit seinem VW-Bus zu transportieren. So war der Schock gestern nicht so gross.
Am Abend kam meine Frau aus Frankreich zurück. Auch sie war für ein paar Tage weg gewesen. Allerdings beruflich. Wir setzten uns auf den Balkon und tranken ein paar Drinks in der Abendsonne. Das war schön.
Das Problem mit meinem kaputten Telefon habe ich mittlerweile gelöst, indem ich mich dafür entschied, ein neues zu kaufen. Das Alte zu reparieren kostet 300 €, das neue Telefon kostete 450 €. Das alte Telefon war das damalige Flagship-Handy von Google, das Pixel 7 Pro, jetzt begnügte ich mich mit dem Pixel 8a. Da es mittlerweile die 9-er Serie gibt, war es recht günstig zu haben. Das 8a reicht mir vollkommen. Allerdings hatte ich schon seit Jahren kein so kleines Display mehr. Immer, wenn ich das Gerät in die Hand nehme, denke ich, eine Fernbedienung festzuhalten.
In der Binzer Hauptstrasse fand ich nach längerem Suchen ein Bekleidungsgeschäft mit einem schwarzen Hemd. Fast alle Bekleidungsgeschäfte in Binz hatten Hemden. Sie führten allerdings keine Schwarzen und auch keine Weissen im Sortiment. Dafür viele Hemden mit Palmen, Sonnen, Blumen, Vögeln und Fischen. Für ein Bewerbungsgespräch nur so mittel. Dann hätte ich mich auch in einem schwarzen T-Shirt vor die Kamera stellen können.
Erst in einem Laden mit Marken wie Boss und Lacoste wurde ich fündig. Zwar nur ein schwarzes Hemd aus Leinenstoff, aber in der Kamera kommt es nur auf den Kragen an. Die anderen Details sieht man nicht.
Danach fuhren wir nach Sassnitz und zum Kreidefelsen. Die Rezeptionistin unseres Hotels kam aus Sassnitz. Sie hatte uns gesagt, das sei der schönste Ort der Welt. Sie gab aber auch zu, dass sie in dieser Frage ziemlich voreingenommen sei. Wir fuhren dennoch hin und machten eine kleine Runde durch den Ort. Was uns sofort auffiel: Hier arbeiten die Leute. In Binz sieht man nur flanierende Menschen, in Sassnitz arbeiten sie. Ob ich den Ort schön fand, kann ich noch nicht ganz beurteilen. In Sassnitz gibt es auch viele dieser Holzhäuser aus der Jahrhundertwende. Sie wirken aber nicht wie Strandresidenzen, sondern eher wie repräsentative Wohnhäuser. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob mich hier nicht die gefühlte Arbeitsamkeit der Sassnitzerinnen beeinflusst hat.
Wir hielten uns da nicht sehr lange auf und machten uns auf den Weg zum Königsstuhl, diesem Bergzahn aus Kreide. Den Königsstuhl nannten wir die ganze Zeit lang „Kaiserstuhl“. Vermutlich brachte ich das durcheinander, weil ich einen langjährigen Freund habe, der am Kaiserstuhl in Baden-Württemberg aufgewachsen ist. Der Begriff ist mir daher sehr geläufig, ich dachte aber, ein Kaiserstuhl sei eine allgemeine Bezeichnung für eine wasweissich, eine Landschaftsform. Aus dieser Verwechslung mit dem Königsstuhl weiss ich jetzt aber, dass das ein Gebirge im äussersten Südwesten der Republik ist. So finde ich es durchaus witzig, dass der Königsstuhl sich wiederum im äussersten Nordosten befindet. Das ist aber Zufall. Als hier Könige und Kaiser das Land regierten, lag der nordöstliche Zipfel des Landes noch ganz woanders.
War dann ganz nett. Es gibt einen sogenannten Skywalk, eine Schleife aus Beton, über die man laufen kann, und damit die Kreideküste überblicken und den Königsstuhl erfahren. Auf dem Gelände vor dem Skywalk gibt es ein sehr gutes Museum über Bäume, Geologie und Geologiegeschichte der Gegend. Meine Schwester fand das ungemein interessant, obwohl sie überhaupt keinen Bezug zu Geologie oder der Umgebung hat. In diesem Museum war allerdings nur meine Schwester drin, weil ich das Gebäude mit der Hündin nicht betreten durfte. Der Spaziergang durch den Wald zum Königsstuhl war aber super. Es gibt dort auch einen See namens Herthasee. Fand ich natürlich noch superer.
Auf dem Rückweg hielten wir bei Edeka an. Bevor wir ausstiegen, fand meine Schwester heraus, dass aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle weisser Rauch gekommen war und jeden Moment der neue Papst angekündigt werden sollte. Als fürchtige, aber nicht besonders ehrenhafte geborene Katholikinnen schalteten wir den Livestream an. Also sassen wir da im Auto auf dem Edeka Parkplatz. Das Telefon auf die Mittelachse gestellt. Der Petersplatz war voll. Die Menschenmenge wirkte wie ein sanft raunender und ächzender Organismus. Die Menschen euphorisiert, strahlend, wartend auf das Licht. Ein bisschen wie Woodstock.
Irgendwann kam der Kardinalprotodiakon und sagte die berühmten Worte, und gefühlte Jahre später trat der neue Pontifex auf den Balkon. Als während der Verkündung klar wurde, dass der neue Papst ein US-Amerikaner war, machte sich eine seltsame Enttäuschung breit. Der Petersplatz schien zu verstummen. Vielleicht war das auch nur meine Wahrnehmung. Vielleicht schauten sie alle nur auf ihre Telefone, um den neuen Hirten auf Erden zu googeln. Mich zog das anfangs schon etwas runter, dass gerade mit der heutigen Weltlage ein Amerikaner zum Papst gewählt wird. Ich konnte es regelrecht spüren, wie Trump und sein Baby-Vance vor Freude ejakulierten.
Später stellte sich allerdings heraus, dass Leo XIV aber vielleicht eine ganz okaye Besetzung ist.
Zurück in Binz war es bereits spät und wir gingen auf unsere Zimmer. Dort fiel mein Telefon auf den Boden und es zersplitterte sich das Display. Es ist das erste Mal, dass ich mir ein Handy schrotte. Ich konnte damit nur ganz schlecht umgehen. Die untere Hälfte des Bildschirms blieb schwarz. Die andere Hälfte funktionierte noch, aber gerade an der schwarzen Hälfte befinden sich die meisten Bedienelemente für Apps. Der Auslöseknopf der Kamera, die Auswahltabs, die Sendeknöpfe und natürlich das Inputfeld, wenn man eine Nachricht schreiben will. Ich fühlte mich, als hätte ich keine Beine mehr. Immerhin hatte ich den Laptop dabei. Ich verbrachte drei oder vier Stunden damit, eine Lösung abzuwägen. Neues Handy vs. Display reparieren lassen – und wenn neues Handy, welches denn? Es gab mehrere tausend Optionen. Irgendwann wurde ich todmüde und fiel in den Schlaf.
Am nächsten Vormittag zog sich das Unglück fort. Ich hatte den Bewerbungscall. Ich bereitete alles vor, las mich nochmal ein und zog das Hemd an. Etwa eine Viertelstunde vor Beginn wollte ich den geeigneten Ausschnitt für die Webcam auswählen, und in dem Moment stellte ich fest, dass die Webcam nicht funktionierte. Auch das Mikrofon funktionierte nicht. Ich schloss panisch alle Apps. Ich startete panisch verschiedene Tests. Ich startete auch panisch den Laptop neu. Es half aber nichts. Ich weiss, dass die Kamera funktioniert, deswegen ist mir gar nicht der Gedanke gekommen, die Kamera an sich zu testen. Ich wollte nur den Ausschnitt wählen.
Wegen des zerstörten Displays konnte ich auch nicht das Telefon verwenden. Also rief ich die Personalerin an, die jedoch nicht antwortete. Ich schrieb auch eine Email an sie, in der ich die Situation erklärte. Ich bat um einige Minuten Geduld, da ich zu jenem Zeitpunkt noch dachte, das Problem lösen zu können. Nach zehn Minuten musste ich mich allerdings geschlagen geben und bat um einen Folgetermin nächste Woche. Erst später fiel mir ein, dass ich mich wenigstens hätte einwählen können. Man hätte sehen können, dass ich anwesend bin, aber irgendwie ein Problem habe. Das hätte eine persönliche Nähe gebracht, bilde ich mir ein. Ich hätte auch das Telefon als Webcam im Verbund mit dem Laptop verwenden können. Ich weiss, dass mein Telefon das kann. Aber die Zeit war mir davongerannt und ich kam erst später auf den Gedanken.
Für einen Technikchef macht das natürlich keinen guten Eindruck.
So. Kunstpause,
Um den Ärger loszuwerden, fuhren wir nach Prora. Meine Schwester wollte noch ins Wasser. Die Wassertemperatur bewegte sich um die 10 Grad. Die Hündin fand das super. Meine Schwester fand es vor allem kalt. Aber auch total super. Sie sagte, es habe sie belebt.
Es war ja fast zu erwarten, dass ich in diesen Tagen wenig Zeit für Tagebucheinträge haben würde. Ich habe eine gute Zeit mit meiner Schwester, wir sind viel unterwegs, und heute beschlossen wir sogar spontan, nach Rügen an die Ostsee zu fahren. Am Freitag habe ich ein Bewerbungsgespräch, der Plan sah vor, dass wir daher nur einen Tag bleiben können. Nach wenigen Stunden am Meer war meine Schwester aber dermassen begeistert, dass sie gerne noch einen Tag dranhängen wollte. Ich kann das Bewerbungsgespräch theoretisch ja auch von Rügen aus halten, ich brauche nur ein Hemd, weil das für ein Bewerbungsgespräch schlichtweg seriöser aussieht und es das Minimum ist, das ich an Aufwand aufbringen will. Oder zumindest einen anklebbaren, schwarzen Kragen. Wenn ich mit ihr einen Tag länger bleibe, spendiert sie mir ein Hemd, sagte sie.
So kamen wir vom Abendessen zurück und wir verlängerten unseren Aufenthalt um einen Tag bis Freitag.
Es ist hier wirklich sehr schön. Der Himmel ist blau, die Menschen sind freundlich und die Temperatur ist angenehmer, als sie mit ihren 13 Grad auf Papier hergibt. Das Licht ist bereits sehr hell, sehr weiss, wir nähern uns schon der Sonnenwende, In Longyearbyen geht die Sonne schon seit Wochen nicht mehr unter, in Lappland wird es nachts schon nicht mehr richtig dunkel. Ich vergesse immer, wie lange diese Sommersonne eigentlich dauert. Sie beginnt ja schon weit vor dem Sommer. In jener Zeit, die wir Sommer nennen, nimmt die Länge der Tage ja längst wieder ab.
In zehn Tagen fahren wir nach Schweden. Das Thermometer zeigt dort 1 Grad plus. Zugegebenermassen ist es 6:30 Uhr am Morgen, während ich diese Zeilen schreibe. Am Nachmittag wird es dort so warm wie hier auf Rügen, also etwa 13 Grad. Das ist schon in Ordnung.
Sonst habe ich wenig mitzuteilen. Ich habe kaum Notizen gemacht. Dadurch verschwimmen die Eckdaten, an denen ich entlangerzähle. Es ist so früh am Morgen und meine Wahrnehmung der letzten Tage dermassen ausgezoomt, dass ich nur das weite Blickfeld habe. Die Notizen werde ich wieder aufgreifen müssen.
Dafür gehe ich jetzt mit der Hündin runter zum Strand. Sie wird es lieben. Das freut mich jetzt schon. Die Sonne steht schon weit am Himmel.
Ich weiss gar nicht mehr, was heute so passiert ist, ich habe aber vor allem Zeit damit verbracht, die Wohnung aufzuräumen, da meine Schwester zu Besuch kam. Um 17 Uhr holte ich sie vom Flughafen ab. Sie wird nun einige Tage hier bleiben, vielleicht fahren wir an die Küste, vielleicht hängen wir ein bisschen in der Stadt rum. Wir bleiben ganz spontan. Sie möchte mit mir ins Fitnessstudio. Das wird sicherlich gut.
Neben dem AfD-Shock, dass sie jetzt rechtsextrem ist, schlagzeilte die Bunte, dass Christian Lindner in Charlottenburg den Hund eines Filmschaffenden überfahren hat. Mein erster Reflex war es, Hassgefühle über den Mann der FDP auszuschütten. Hätte er meine Hündin getötet, dann hätte ich ihn in den Oberarm gebissen. Allerdings las ich anschliessend, dass ihn keine Schuld trifft und der Hund unangeleint auf einem Parkplatz stand. Offenbar hat er sich sofort aufopfernd um den Hund gekümmert und er war wohl sehr bestürzt über den Unfall. Es tat mir dann schon leid, welche Hassgefühle ich gegen ihn und seinen Oberarm aufbrachte.