[Sa/So, 11./12.11.2023 – Fanfreundschaft]

Eigentlich wollte ich vom Spiel gegen den KSC berichten, aber dann sass ich den halben Sonntag an einem Problem in der Firma. Deswegen fehlt mir jetzt der Elan, mit dem Text in die Tiefe zu gehen, aber ich will dennoch kurz darüber berichten, was für eine ungewohnte Stimmung im Stadion herrschte, wenn es sowas wie eine Fanfreundschaft zwischen zwei Fussballclubs gibt.

Zuerst gab es diesen gemeinsamen Fanmarsch, an dem ich aber nicht teilnahm. Üblicherweise finde ich mich anderthalb Stunden vor Anpfiff ein und eine Stunde oder Dreiviertel Stunde vorher betrete ich den Block. Diesmal war aber alles voll. Einer aus dem Fanclub schrieb zwei Stunden vorher etwas panisch im Chat, dass er es vermutlich nicht schafft, Plätze freizuhalten. Ich sass noch in der Sbahn am Alex, als ich das las.

Es gab keine Fantrennung und der Bereich der Gästefans befand sich dieses mal nicht im südwestlichen Teil des Stadions, sondern im Oberrang auf der Westseite der Nordtribüne. Dies in Anlehnung daran, dass sich deren Fanblock zuhause auch an dieser Stelle befindet.
Es wurde schon viel im Vorfeld dieser seit 1976 bestehenden Freundschaft berichtet. Weil Hertha und der KSC seit 11 Jahren nicht mehr in der gleichen Liga spielten, kam es aber auch nie zu einem gemeinsamen Spiel. Romantischerweise haben wir die Ligazugehörigkeit durch unseren Abstieg geändert und so kam es zu diesem wunderbaren Abendspiel bei Flutlicht. Dummerweise braucht der Karlsruher SC einen Sieg weil sie auf den Abstiegsrängen stehen und wir brauchen auch einen Sieg, weil sonst der Aufstieg immer weiter in die Ferne rückt.

Ich glaube, diese seltsame, friedliche Stimmung schwappte auch auf unsere Mannschaft über. Es wirkte alles ein wenig lethargisch. Auf den Rängen stimmten wir Wechselgesänge an. die Berliner Seite sang „Karlsruhe“ und die KSC Seite sang „Hertha“, der KSC stimmte in Wechselgesängen unserer Lieder ein, was durch die Grösse des Stadions natürlich sehr zeitverzögert geschah.
Lass mich rechnen:

  • Ein Spielfeld ist 105m lang
  • Der Abstand der Kurve zum Spielfeldrand sind sicherlich 30 oder 40m
  • Der Abstand vom Spielfeldrand auf der Längsseite zum westlichen Oberring sind sicherlich auch noch einmal 30-40m.
  • Wegen der Luftlinie kann man vielleicht 30m abziehen

Also sind das 105+40+40-30= 155 Meter.
Bei einer Schallgeschwindigkeit von 343m pro Sekunde dauerte es ungefähr eine halbe Sekunde, bis unser Ruf im Gästeblock angekommen war und eine ganze Sekunde, bis wir die Antwort hörten. Das ist bei Fangesängen natürlich lustig. Und nicht sehr rhythmisch.

Zwischendurch sang auch das ganze Stadion ein Lief über Freundschaft, ich glaube, das ist ein Schlager. Das war etwas kitschig, aber ich liess mich dazu hinreissen, es schön zu finden.

Am Ende stand es 2:2. Wäre das Ergebnis nicht enttäuschend, wäre es immerhin romantisch.

[Fr, 10.11.2023 – Augen, Läufig, Stolpersteine]

Auch so eine Sache: wenn ich mit Menschen am Tisch sitze, kann ich auf die Gleitsichtbrille schon nicht mehr verzichten. Spätestens nach dem ersten Drink legt sich meine Sehschärfe auf die Couch und gibt sich dem allgemeinen Flow hin. Die Arbeit kann getrost jemand anders erledigen, die Brille zumbeispiel. Wenn ich die Brille absetze, merke ich, dass ich mich anstrengen muss und dabei trotzdem nicht ganz scharf sehen kann. Es ist, als wären die Augen müde, wie im Alter halt, man wird etwas schneller müde. Das ist neu für mich, ich war immer Herr meiner Sinne, ich war es Jahrzehnte lang gewohnt, scharf zu sehen und scharf zu hören. Ich verstehe jetzt erst die Tragik von Menschen, die ohne Brille so gut wie nichts sehen können. Früher dachte ich immer jaja, aber es gibt ja Brillen. Das stimmt immer noch, jaja, es gibt ja Brillen, aber diese Einschränkung, wenn man die externen Mittel nicht zur Verfügung hat bzw die Planung drumherum und auch die damit verbundenen Kosten, und natürlich die damit verbundene Furcht, in den Sinnen eingeschränkt und etwas hilflos zu sein, das war mir vorher nicht bewusst. Glücklicherweise ist mein Gehör immer noch intakt. Ich höre noch jedes leise Fiepen und Piepen, das Menschen in meinem Alter oft nicht mehr wahrnehmen.

Heute stürzte meine Frau ziemlich unglücklich in der Küche, also blieb ich zuhause.

Die Hündin ist jetzt seit fünf Tagen läufig. Ich protokolliere das in einer Tabelle. Ihr Verhalten mit anderen Tieren, ihr Verhalten beim Markieren, die Blutmenge und wie sie sich ohne Leine verhält. Das geht noch alles ziemlich gut. Es ist aber auch erst Tag fünf. Nächste Woche beginnen dann die schwierigen Tage. Ich führte auch bei der letzten Läufigkeit Protokoll, ich lege deswegen die beiden Protokolle nebeneinander und vergleiche. Es war letztes Mal alles genau so. Ab Tag 8 nahm ich sie letztes Mal an die Leine. Aber ich schrieb nicht warum.

In den Park kann ich nicht mehr gehen. Vorgestern war Luke da, ein junger, athletischer Husky/Schäferhundmischling. Ein netter, aber auch sehr dominanter unkastrierter Rüde, sie kennen sich gut, normalerweise spielen sie und rennen miteinander. Diesmal roch er einmal an ihr und war danach kaum noch einzukriegen.

Es fehlt mir schon, in den Park zu gehen und mit den Leuten zu quatschen und auf der grosse Wiese zu spazieren. Jetzt laufen wir halt durch den Kiez. Es ist anders, aber das ist nun so.

In der Nacht zu heute liefen wir an vielen Stolpersteinen vorbei. Das Gedenken an die Reichsprogromnacht. An den Stolpersteinen wurden Blumen und rote Grablichter abgelegt. Man sieht sie überall im Kiez. Ein paarmal blieben wir stehen, lasen die Namen ab. Die meisten wurden nach Auschwitz deportiert und auch dort ermordet. Viele auch in Treblinka. Die Hündin hielt grossen Abstand. Die fackelnden roten Flammen fand sie höchst suspekt. Später las ich, dass die meisten Tötungen mit Motorabgasen durchgeführt wurden und gar nicht mit Zyklon B. Zyklon B verwendete man nur in Auschwitz. In Treblinka gab es auch Massenerschiessungen. Einfach so, tausende wehrlose Menschen aufgestellt und mit Gewehren drauf geschossen, als wären es Reissäcke. Dummerweise bringt es wenig, an solche Taten zu gedenken, diejenigen, die sowas tun, würden es wieder tun, und dem Grossteil der Leute ist es egal, wie man sieht. Man lernt eben nicht aus der Geschichte.
Sind jetzt alles keine klugen Gedanken. Aber sie müssen halt irgendwohin.

[Di/Mi/Do, 9.11.2023 – Fleischberge]

Jetzt wo die Hündin läufig ist, schränkt das einigermassen unsere Logistik ein. Sie kann nicht mehr mit der Dogwalkerin am Mittwoch mit und ich kann sie nicht mehr mit ins Büro nehmen, weil sie blutet und wir dort in weiten Teilen Teppichboden liegen haben. Und meine Frau kann sie ohnehin nicht in die Arbeit mitnehmen. Daher bleibe ich an den Präsenztagen meiner Frau mit dem Tier zuhause. Dummerweise habe ich diese und auch nächste Woche viele Meetings, die ich lieber vor Ort durchführen würde.

Am Dienstag ist nicht viel erzählenswertes passiert. Ja ich weiss, am Anfang dieses Tagebuchprojektes wollte ich für jeden Tag etwas erzählenswertes finden, denn es gibt an jedem Tag etwas erzählenswertes oder etwas, das es Wert ist, sich daran zu erinnern, oder es zu reflektieren, aber da ich am Mittwochmorgen sofort viel zu tun hatte, blieb der Eintrag liegen. Gestern Abend war ich mit dem CEO und seinem Team essen und davon war ich dermassen satt und auch einigermassen betrunken geworden, dass mir heute früh schlichtweg die Kraft fehlte, es aufzuschreiben.

Dennoch möchte ich den Mittwochabend zu Protokoll bringen. Es war ein Essens-Event im Meistersaal am Potsdamer Platz. Der Meistersaal ist dieser legendäre Saal in dem David Bowie, U2, Iggy Pop, Nick Cave und Depeche Mode ihre besten Alben aufgenommen haben. Seit dem Tod von David Bowie wird der Ort sogar von geführten Touristengruppen besucht.
Mein Büro befindet sich direkt nebenan und so buchte der CEO für sein Team ein 7-Gänge Menü mit Weinbegleitung. Der Meistersaal ist kein Restaurant, aber aufgrund der Grösse des Saales wird er für allerlei Events verwendet. Diesmal lud der Schirmherr der „To the Bone“-Restaurants zu einem 7-Gänge Menü, kuratiert von Dario Cecchini, dem offenbar berühmtesten Fleischer der Welt. Ein gutgelaunter, älterer Mann mit dickem Schnauzer, der in mehreren Kochshows auf Netflix mitwirkte. Dario Cecchini stand auf der Bühne und begann zu den Klängen von AC/DC’s Hells Bells mit einem Fleischermesser ein riesiges Stück Fleisch (ein halbes Tier) in fussballgrosse Stücke zu zerkleinern. Die Brocken warf er daraufhin ins Publikum, wo natürlich seine Helfer standen, die die Fleischbrocken mit einem Handtuch auffingen und in die Küche trugen.

Und es gab natürlich kein Bier, sonder nur Wein. Ich fürchte mich vor Wein, ich werde davon immer so schnell betrunken.
Ich wusste nicht genau, auf was ich da eingeladen wurde, ich wusste nur, dass es ein exklusives Essen im Meistersaal war. Es war dann aber ein richtiges Event, mit mehreren hundert Menschen und Musik. Die 7 Gänge bestanden aus 7 Fleischgängen. Bistecche, Steaks, pulled Beaf usw. Eigentlich waren es nur Massen an rohem Fleisch. Ich glaube, ich habe noch nie so viel rohes Fleisch gegessen.

Ich mache mir nicht besonders viel aus Fleisch, zwar finde ich Fleisch okay, aber in seiner Reinform doch eher langweilig, ich esse Fleisch eigentlich nur wenn ich ausser Haus esse, zuhause bereite ich nie Fleisch zu, zum einen, weil ich es nicht gut kann, aber eben auch, weil es mich selten wirklich reizt. Aber auch ausser Haus bestelle ich meist Gerichte ohne Fleisch, neuerdings finde ich vegane Gerichte wesentlich spannender, weil raffinierter und ungewöhnlicher.

Aber ich fand die Fleischberge natürlich trotzdem gut. Ich kann mir bei Essen ja alles mögliche einbilden, wenn mir jemand etwas dazu erzählt, das gehört zum Spass ja dazu. Allerdings fand ich den zweiten Gang dann wirklich sehr beeindruckend. Das war ein „Tonno del Chianti“, was sich wörtlich in „Thunfisch aus dem Chianti“ übersetzt. Mich wunderte das ein wenig, weil ich aus dem Geografieunterricht noch ziemlich gut in Erinnerung habe, wo sich Chianti befindet, und zwar nicht am Wasser, also nicht da, wo man Thunfische vermuten würde. Auf der Menükarte lüftete sich das Geheimnis indem es mit „Spanferkel aus dem Chianti“ übersetzt wurde. Das beeindruckende dabei ist, dass das Spanferkel tatsächlich nach Thunfisch schmeckt. Daher der Name. Ich googelte es erst heute und las darüber, dass die Schweinekeulen gesalzen und in Weisswein aufgekocht werden und anschliessend eingefettet und in Olivenöl eingelegt werden. Dadurch entsteht dieser Thunfischgeschmack.

Und sonst gab es eben Unmengen an rohem Fleisch.

Wir teilten uns den Tisch mit acht weiteren Menschen. Neben mir sass ein älteres Ehepaar, zwei Frauen um die siebzig. Eine der Frauen erfuhr, dass ich aus Südtirol komme. Da ihr Vater Südtiroler war, verbrachte sie die Urlaube in ihrer Kindheit in Südtirol und im Laufe des Lebens ist es so etwas wie ihre Sehnsuchtsheimat geworden. Sie kommt aus Stuttgart, lebte lange in München und zog in den Neunzigern nach Berlin, wo sie ihre jetzige Frau kennenlernte. Und so kamen wir ins Plaudern. Ihr Vater kam aus Eyrs, unterhalb der Marmorbergwerke, dort fährt sie auch immer noch regelmässig hin. Ich erzählte ihr, dass meine Schwester im Dezember einen Besuch der Marmorwerke für mich geplant hat, dann sagte die Frau, dass ich unbedingt ins Gasthaus Sonneneck gehen muss, das ist in Allitz, auf der anderen Talseite der Marmorwerke, dort gäbe es den besten Hirschcarpaccio der Welt.

Das leitete ich gleich meiner Schwester weiter. Der beste Hirschcarpaccio der Welt. Dort gehen wir hin.

Am Ende des Abends fiel ich mit aufgeschwollenem Bauch und vernebelten Kopf ins Bett und schnarchte tief. Mitten in der Nacht wachte ich auf Kopfschmerzen und Durst.

Am heutigen Donnerstag brauchte ich lange mich zu erholen. Den Rest des Tages arbeitete ich also von zuhause aus. Später am Tag fuhr ich nach Mitte, zur Co-Vorsitzenden meines Fanclubs, Mikros für die Podcastaufnahme nächste Woche holen und wir hatten ein paar Dinge zu bereden. Danach war auch bald der Donnerstag zu Ende.

[Mo, 6.11.2023 – Hundegruppe, Urlaubsplanung]

Unsere Dogwalkerin wird am morgigen Dienstag eine Prüfung ablegen, für die Genehmigung mit 8 Hunden gleichzeitig arbeiten zu dürfen. Für diese Prüfung hat sie u.a. unsere Hündin ausgesucht, weil sie so gut, tadaaa, erzogen ist. Deswegen musste sie am Freitag mit der Hundegruppe mit und auch heute, damit sie bestimmte Dinge üben konnte.

Es bestand immer das Risiko, dass sie Läufig werden würde. Laut Berechnung dauert es noch ein paar Tage, aber wer weiss das schon genau. Heute am letzten Übungstag vor der Prüfung kam sie jedenfalls von der Generalprobe zurück und setzte einen dicken Bluttropfen auf dem Boden ab.
Meine Frau informierte sofort die Dogwalkerin, diese antwortete gleich: damit ist sie raus.
Wir hatten das vorher besprochen, sie hatte immer einen Plan B im Kopf, wo ein anderer Hund aus der Gruppe einspringen würde. Also war von ihrer Seite alles gut. Aber blödes Timing ist das schon.

Ich hatte heute einen längeren Workshop in der Firma und danach verbrachten wir den Abend damit Urlaub zu planen. Es wird nun Finnland, entweder Rovaniemi, die Hauptstadt Laplands, oder etwas weiter unten, das grössere Oulu. Gestern hatten wir ein sehr spezielles Hotel im Wald gesehen das heute leider nicht mehr buchbar war. Es hatte eine Sauna im Zimmer und grosse Fenster mit Blick auf die arktische Nacht. Das Hotel liegt trotz Waldlage nur etwa 2km von der Stadt entfernt und 3km vom Zentrum, also können wir nach dem letzten Drink noch nach Hause spazieren und ich muss nicht Auto fahren. Wie sich drei Kilometer bei minus 20 Grad anfühlen, weiss ich allerdings noch nicht. Es fühlt sich ja immer angenehm kühl an, wenn ich hier im Tshirt am Monitor sitze und daran denke.

Das gewünschte Hotel steht jedenfalls zwei von den vier Nächten zur Verfügung, also buchen wir es. Für die anderen zwei Tage buchten wir ein kleines Hotel im Zentrum. Es stehen viele Ferienwohnungen zur Verfügung aber Ferienwohnungen mögen wir beide nicht so. Selber kochen und von den Nachbarn genervt angeschaut zu werden, überlassen wir lieber anderen.

[So, 5.11.2023 – gegenwärtige Konflikte, Azoren oder Finnland im Winter]

Ich habe wenig zu den gegenwärtigen Konflikten der Welt beizutragen. Ich kann nur Entsetzen beitragen. Deswegen äussere ich mich online auch kaum dazu. Ich kann nur das beitragen, was ich direkt beeinflussen kann. Beispielsweise mit der Frau aus Israel im Hundepark zu reden. Oder der Nachbarin zuhören, deren Mutter unweit von Gaza lebt. Oder davon, dass wir ein Fanclubmitglied vom Fanclub ausgeschlossen haben, da es auf Twitter antisemitisch randalierte und auch nicht bereit war zu reden. Das sind meine wenigen konkreten Berührungspunkte. Trotzdem beeinflusst es sehr stark mein allgemeines Empfinden, und meine Zuversicht für die nächsten Jahre.

Von der Nachbarin hatte ich gar nicht erzählt, fällt mir jetzt auf. Sie lebt schon seit über zwanzig Jahren in Deutschland. Seit einem Jahr leben wir Tür an Tür. Ihre Mutter wohnt eben unweit des Gazastreifens. Sie ist alt und sieht nicht ein, warum sie jetzt wegziehen sollte. Ihre Familie lebt ständig in Angst um sie.

Eine liebe, ehemalige Kollegin kommt aus Odessa und ist Jüdin. Sie und ihre Familie planten vor einigen Jahren, nach Israel auszuwandern. Teile ihrer Schwiegerfamilie wohnen bereits dort. Sie ist den Krisen doppelt ausgesetzt.

Ich sollte sie mal anschreiben. Fragen, wie es ihr geht.

Sonst halte ich es mit Sawsan Chebli, die schrieb: „Können sich bitte jene, die vor dem 7. Oktober keine Nahostexperten waren, auch jetzt zurückhalten und jenen die Bühne überlassen, die sich seit Jahrzehnten mit dem Konflikt auseinandersetzen? Da haben wir in Deutschland einige.“

Ich hatte vergessen, dass Sawsan ja Nachfahrin von Palästinenserinnen ist. Schön ist auch, dass das Blog „Letters von Rungholt“ wieder ein Zeichen von sich gegeben hat.

Und sonst so.

Wir planen gerade unsere Geburtstage. Unsere Geburtstage liegen ja nur zwei Tage auseinander. Meine Frau wird fünfzig, sie möchte gerne auf die Azoren. Wir hatten vor vielen Jahren einmal eine sehr schöne Geburtstagsreise nach Madeira. Daran denken wir gerne zurück. Damals haben wir diese Inselgruppe auf der Karte gesehen, die noch weiter im Atlantik drin liegt. Azoren. Das hielten wir fest, da wollten wir einmal hin.

Andererseits haben wir nicht viele Tage zur Verfügung, wir haben das Hundesitting noch nicht geklärt, für einen Kurzurlaub eignet sich vielleicht etwas Näheres besser, Finnland zB, meine Frau könnte sich ihren 50. auch am Polarkreis in Rovaniemi vorstellen. Ende Januar gibt es bereits fünf Sonnenstunden. Wir schauten uns einige Hotels an, entweder direkt in der Stadt, oder auch diese Hotels im Wald am See, diese abgeschiedenen finnischen Waldhotels haben schon etwas magisches, vor allem, wenn ich an die langen Winternächte denke. Ich möchte nur nicht jeden Abend mit einem Mietauto zum Restaurant fahren, das hatten wir einmal auf Sardinien, da konnte ich den ganzen Urlaub abends keinen Alkohol trinken, sowas mache ich nie wieder. Wir müssen noch ein bisschen recherchieren.

[Sa, 4.11.2023 – Fortsetzungen, Spiele, langsamer Tag]

Heute hatte ich wenig Antrieb. Ich fühlte mich leicht kränklich und war den ganzen Tag über müde. Zum einen hatte ich wieder wenig und schlecht geschlafen, deswegen versuchte ich den ganzen Vormittag Schlaf nachzuholen. Aber die Versuche blieben erfolglos. Meine Frau war bis zwei Uhr auf einer Tagung in Mitte und ihr erging es ähnlich, nur mit dem Unterschied, dass sie sich nicht ins Bett legen konnte.
Vielleicht brüten wir etwas aus.

Am Nachmittag schauten wir die dritte Staffel von „Only murders in the building“. Sie ist ein bisschen anders als die ersten beiden Staffeln. Die Hauptfiguren haben sich leicht verändert, dennoch mag ich die Serie aus ästhetischer Sicht, die Farben, die Wohnungen und dieses winterliche New York, in dem die Menschen ständig Schale tragen.

Ich kam aber nicht gut in die Geschichte rein. Das mag sicherlich daran liegen, dass ich ein Vorurteil bei zweiten und dritten Staffeln habe, ich empfinde das oft als angestrengten Versuch ein Erfolgskonzept weiterzuverwursten um noch ein bisschen daran zu verdienen. Das mag nicht immer so sein und überhaupt ist es ja akzeptabel, wenn Menschen an etwas verdienen, aber eine Fortsetzung hat nie die Magie einer ersten Staffel oder eines ersten Filmes.
In der ersten Staffel steht meist eine Geschichte im Vordergrund. Eine Idee, oder Figuren, die das erste Mal in die Welt hinaus gelassen werden. Und man schaut was passiert.
Eine Fortsetzung ist hingegen immer das Aufreiten auf den Erfolg, man hat gute Figuren und jetzt muss man noch eine Geschichte drumherum erfinden. Manchmal fühlt es sogar wie ein Finetuning an. Dinge, die im ersten Teil gut funktionierten, werden bis zum letzten Tropfen ausgequetscht. Sobald ich das Gefühl habe, es durchschaut zu haben, dann verliere ich das Interesse.
Und meistens ist die Handlung in den Fortsetzungen schlichtweg schlecht.

Deswegen schaute ich auch etwas uninspiriert und spielte auf meinem Telefon Regale sortieren.

Später setzte ich mich an den Rechner und spielte „Don’t Starve“. Ich spielte „Don’t Starve Together“ , um nicht ganz alleine zu sein. Deswegen wählte ich bestehende Onlinewelten aus, die man ohne Passwort betreten kann. Einmal landete ich bei Koreanern, die mich auf koreanisch anchatteten. Ich antwortete auf englisch, aber sie führten die Konversation auf koreanisch fort. Dann schmissen sie mich von ihrem Server.
Danach landete ich in einer Welt, in der ein einziger Charakter spielte. Der schien sich nicht für mich zu interessieren und blieb immer weit weg auf einer Insel. Ich spielte drei Tageszyklen runter und dann wurde mir langweilig.

Deswegen stieg ich auf „The Long Dark“ um. The long Dark ist ein sehr schönes Survival-Spiel, das in der kanadischen Arktis spielt. Nach fünf Minuten merkte ich aber, dass ich wenig Lust darauf hatte, Hunger zu haben, einsam zu sein und zu frieren und ständig Wölfe in der Ferne zu hören.
Also hörte ich auf und las Hanya Yanagiharas „Ein wenig Leben“ weiter. Nach einer halben Stunde fiel mir plötzlich Kafka ein, einfach so, also holte ich einen Band von Kafkas Kurzprosa aus dem Schrank, nach fünf Minuten störte es mich aber, ein Papierbuch in der Hand zu halten, also schaute ich nach Ebooks von Kafka und fand das komplette Werk von Kafka für 99 Cent. Alle Romane, alle Kurzgeschichten, alle Texte, einschliesslich der Briefe und Tagebücher, alles für 99 Cent.

Ich fand es irgendwie deprimierend. Der Geldwert eines Gesamtwerkes von Weltliteratur ist auf eine Verwaltungs- und Transaktionsgebühr zusammengeschrumpft. Meine Geldbörse freute sich dennoch.

[Fr, 3.11.2023 – Bräugier, Lautstärke, Bloggen]

Am Abend waren meine Frau und ich mit Frau Casino verabredet. Wir trafen uns im Bräugier in der Stubbenkammerstrasse, einem kleinen Brewpub, in dem sie vornehmlich eigenen Biere brauen. Ich war bereits einige Male dort, weil sie wirklich gute Biere ausschenken und wenn man Hunger hat, kann man sich von der Pizzeria Zoe nebenan eine Pizza bringen lassen.

Es ist Frau Casinos Kiez, der Kiez in dem meine Hündin vor ziemlich genau einem Monat ihre erste Woche Urlaub hatte. Ich war gespannt darauf, wie sie auf den Kiez und auf Frau Casino reagieren würde. Leider konnten wir nicht durch den Kiez spazieren, weil ich aufgrund logistischer Schwierigkeiten viel zu spät dran war. Aber als wir das Bräugier betraten, erkannte sie Frau Casino sofort und freute sich, sie zu sehen. Mich freut es wenn sie sich freut und wenn Frau Casino sich freut und überhaupt freut es mich wenn alle sich freuen.

Weil es im Bräugier ziemlich laut war, wechselten wir nach einer Stunde in die Pizzeria nebenan. Vorletzte Woche in Amsterdam gab es auch so ein Lokal in dem ich wegen der lauten Musik nicht sitzen bleiben wollte. Vielleicht war ich früher unempfindlicher gegenüber Lautstärke, oder vielleicht war früher die Musik nicht so laut, ich weiss es nicht, ich kenne es jedenfalls nicht von früher, dass ich aufgrund der Lautstärke in ein anderes Lokal wollte, möglicherweise hörte ich früher einfach besser und vielleicht störte es mich nicht zu brüllen, aber mittlerweile liebe ich entspannte Settings, wenn man zusammen sitzt und redet. Wäre ich esoterisch, würde ich davon Reden, dass sich mein Rumpf wie ein Resonanzkörper anfühlen muss, damit sich das Setting richtig anfühlt, achmann, ich sollte esoterisch werden, ich empfinde inneren Frieden, wenn ich meinen Rumpf als Resonanzkörper bezeichne.

Wir reden auch übers Bloggen. Frau Casino bloggt nicht täglich, aber mindestens einmal die Woche. Meistens öfter. Es gibt ja grosse Teile des Lebens, die man nicht verbloggen kann. Private Sachen von Freunden, ernsthafte Krankheiten Dritter, Gesprächsinhalte, ich lasse auch meine Frau fast vollständig aus dem Blog raus, sie wirkt in meinen Tagebuchaufzeichnungen eher wie eine Komparsin, das ist aber so gewünscht und ich blogge auch nicht über die Arbeit, oder zumindest kaum, oder wie Frau Casino sagte, ich würde immer betonen, dass ich nie über die Arbeite schreibe und während ich betone, dass ich nie über die Arbeit schreibe, schreibe ich eben doch über die Arbeit. Das sorgte für Erheiterung, aber es stimmt natürlich nur teilweise, es sind nur harmlose Dinge, die ich aus dem Arbeitsleben berichte. Meistens zumindest. Oder zumindest wenn ich mir sicher bin, keinen Schaden anzurichten.

[Do, 2.11.2023 – Paketlieferung, Metallica]

Ich hatte die 30 Kilo Hundefutter extra online bestellt, damit sie jemand anders zu mir nach Hause schleppt. Die Lieferung sollte am Dienstag kommen, weil am Dienstag jemand zuhause sein würde. Aber die Lieferung kam erst heute, wo natürlich niemand zuhause war. Die 30 Kilo wurden auch nicht bei den Nachbarinnen abgegeben, sondern in der 1km entfernten Postfiliale. Das ist weiter weg als Futterhaus.

Also fuhr ich mit dem Auto in die Postfiliale. Dort bediente mich die zierliche, junge Blonde. Ich sagte, es gäbe ein Dreissigkilopaket für mich. Wir scherzten ein wenig, sie ist immer sehr lustig, dann holte sie das Paket aus dem Lagerraum, dabei stöhnte sie dramatisch, gab röhrende Töne von sich und wies darauf hin, wie glücklich sie mit ihrem neuen Fitnessstudio sei. Sie sagte während des Schleppens aber auch, dass das nie und nimmer 30 Kilo seien. Sie legte das Paket auf die Waage – eine geeichte Waage–, wie sie betonte und diese zeigte lediglich 24 Kilo an. Ich sagte nur: nunja.
Was sollte ich auf so viel Präzision schon erwidern.

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Vorm Einschlafen lagen wir im Bett, ich spielte „Regale sortieren“ auf dem Telefon, meine Frau hörte Coverversionen von Metallicas Fade to Black. Die Covers sind eigentlich durchgehend schöner als die dumpfen Versionen von Metallica. Ich hörte als Jugendlicher Metallica, das war die Zeit von „…and Justice for all“, aber die älteren Alben hatten es mir mehr angetan, vor allem „Ride the Lightning“ und „Master of Puppets“ und als Teenie war ich auch ganz besonders diesen schwermütigen Balladen angetan. Fade to Black war eine dieser Balladen. Weil es so umständlich war, die Plattenspielernadel nach Ende des Liedes immer wieder auf den Beginn des Liedes einzugrooven, nahm ich Fade to Black auf eine Kassette auf. Das selbe Lied, immer hintereinander, 90 Minuten lang Fade to Black. Nach 45 Minuten musste man die Kassette allerdings umdrehen.

Das Lied handelt von Depressionen. Fade to Black. Als Teenie romantisierte ich dieses Abdriften in Dunkelheit. Ich verwechselte klinische Depression mit Melancholie. Ich hatte ja keine Ahnung. Wobei „fade“ ja eher ausbleichen oder ausblenden bedeutet. Ausbleichen ins schwarz. Das wäre auch ein schöner Titel.

Es gibt viele Liveversionen, sie spielen es auch noch in 2022 auf Konzerten. Erstaunlich ist, dass James Hetfield immer noch „Cliff“ dazwischenruft. Cliff Burton starb bevor ich Metallica hörte, da war ich 11 Jahre alt. Ich fand heute heraus, dass der tödliche Busunfall in Schweden passiert war, damit hatte ich nicht gerechnet und zwar gerade mal anderthalb Stunden von unserem Häuschen entfernt. Man könnte da mal hinfahren, sagte ich, da gibt es bestimmt ein Denkmal.
Nein, sagte meine Frau.

[Mi, 1.11.2023 – Urlaub nacherzählen, Pokalspiel]

Eine Mitarbeiterin aus England erfuhr heute, dass ich auf Spitzbergen war und danach wollte sie ALLES (in Grossbuchstaben) darüber wissen. Wir setzten uns auf das Sofa in meinem Büro und ich erzählte und beantwortete eine halbe Stunde lang Fragen. Ich kam mir sofort wieder in den Urlaub zurückversetzt vor.

Ich sah in ihr eine ähnliche Begeisterung hochkommen wie bei mir damals. Sie sagte, dass sich ihre Frau leider nur Strandurlaube in der Sonne vorstellen könne, sogar die Ostsee sei für sie zu kalt. Aber sie müsse sich jetzt irgendwie dazu verhalten, sie muss da unbedingt hin.
Dummerweise haben sie gerade ein Baby adoptiert, das wird für die nächste Zeit nicht so einfach.

Am Abend fand dann das Pokalspiel gegen Mainz statt. Ich fuhr dieses Mal nicht ins Olympiastadion. Das Spiel begann um 20:45, wenn alles gut geht, verliesse ich kurz vor elf das Stadion, bis ich eine Sbahn erwische dauert das nochmal eine halbe Stunde, ich wäre vermutlich nach Mitternacht, gegen halb eins zuhause gewesen. Am Donnerstagfrüh habe ich ein wichtiges Meeting. Ich kenne mich, ich bin nicht so diszipliniert, dass ich das so durchziehe, und man stelle sich vor, dass wir gewinnen und ich noch ein Siegerbierchen nach dem Spiel trinken muss um den Sieg zu verkraften und noch ein zweites etc. Dabei ist noch gar nicht eingerechnet, dass das Spiel in die Verlängerung gehen könnte und zum Elfmeterschiessen kommt, ich käme irgendwann um drei Uhr zuhause an.

Also so diszipliniert bin ich nicht. Deswegen schaute ich einen phantastischen Sieg gegen den Bundesligisten Mainz von zuhause aus an. Manchmal denke ich, mit diesem Zweitligakader wären wir nie aus der ersten Liga abgestiegen.

[Di, 31.10.2023 – Halloween, Frisur]

Morgens fuhren meine Schwiegereltern wieder weg. Ich half mit dem Gepäck und fuhr danach in die Firma.

Den Mitarbeiterinnen aus Iran fiel heute auf, dass Halloween in Berlin nicht sonderlich ausgiebig gefeiert wird. Sie dachten, dass ganz Europa verkleidet durch die Strassen ziehen würde. Sie hatten es sich mehr wie ein nationales Fest vorgestellt.
Alle versammelten Europäer waren sich einig, dass Halloween eher etwas Neues sei, das zwar schon irgendwie zelebriert werden würde, aber nicht die grosse Bedeutung hätte. Allerdings ist Halloween schon sehr ästhetisch. In der Ubahn sieht man ständig schwarz gekleidete Hexen. Wenn es nach mir ginge, könnte die Stadt ja immer von Hexen bevölkert sein.

Nach der Arbeit liess ich mir die Haare schneiden. Seit meine Lieblingsfriseurin aufgehört hat, suche ich ja immer noch. Das letzte Mal liess ich mir in Schweden die Haare schneiden. Das fühlt sich an, als wäre es letztes Jahr gewesen, dabei war das Mitte Juli, das ist gerade einmal dreieinhalb Monate her, was natürlich für einen Haarschnitt schon sehr lange ist. Ich laufe auch schon zwei Monaten mit schlechtsitzenden Haaren herum, die ich notdürftig mit viel Pomade zu fixieren versuche, aber gestern gab ich mir eine Ruck und buchte einfach einen Termin bei einem willkürlichen Frisursalon am Potsdamer Platz, wo ich einfach nach der Arbeit aufschlagen könnte.

Die Frisur wurde nicht gut und auch die Chemie mit dem Friseur stimmte nicht. Ein junger Mann anfang zwanzig. Es gibt wenig langweiligeres als junge Männer anfang zwanzig.
Ausserdem wollte er nicht meinen Bart stutzen. Männer und Bart, das sei immer so ein Ding, da traue er sich nicht ran. Immer so ein Ding. Ich kam mir vor wie eine Prinzessin.