[Di, 31.7.2023 – Calls, Hertha, Podcast, Frauenmannschaft]

Zwischen 10 und 13 Uhr reihten sich drei einstündige Calls hintereinander ein.

Der erste dauerte 20 Minuten.
Der zweite fiel aus.
Der dritte dauerte 7 Minuten.

Diese gewonnene Zeit. Ich wusste gar nicht, was ich damit anfangen sollte, also trank ich erstmal Kaffee.

Am Abend fuhr ich zu Hertha in die Geschäftsstelle an der Hans Braun Strasse. Wir hatten einen Interviewtermin mit einer Spielerin aus der Frauenmannschaft bekommen. Es würde unsere erste Podcastfolge sein. Dummerweise haben wir die Mikros ohne Kabel bestellt, da sich diese speziellen Kabel nicht auf die Schnelle besorgen liessen, mussten wir improvisieren. Inis kaufte schnell ein zweites USB Mikrophon und wir verwendeten daher das wackelige Setup, das wir am Dienstag getestet und als nicht ausreichend bewertet hatten.

Vor Ort wurde ich nicht müde zu sagen, dass die Technik heute improvisiert sei, das schien die Spielerin und die Angestellten aber nicht zu stören. Das Interview lief gut, ich werde einiges zusammenschneiden müssen, das werde ich in den nächsten Tagen in Amsterdam tun, statt abends an der Hotelbar zu sitzen.

Nach der Aufnahme redeten wir noch eine Weile in unserem vierköpfigen Podcastteam. Bereits während der ersten Aufnahme waren uns einige Dinge aufgefallen, die wir beim nächsten Mal anders machen sollten, vor allem über die Struktur, also Kategorien, auch Fragekategorien, Spielerinnensteckbrief, das Ding mit der Playlist usw. Ich glaube, das ist ein Prozess. Wir beginnen einfach mit einem Intro, einer Vorstellung und dann Fragen. Und wir schauen von Folge zu Folge, was gut geht und was besser gemacht werden muss.

[Mo, 31.7.2023 – orange]

Heute bezog ich mein neues Büro. Ich komme eigentlich ja aus einer Firmenkultur, in der, bis auf die Personalabteilung, niemand ein eigenes Büro hat. Ich bin es gewohnt, zwischen den Leuten zu sitzen, in Verbindung zu bleiben undsoweiter. Seit ich ein eigenes Büro habe, verliere ich diese Verbindung, zu den neuen Leuten habe ich nicht mehr die Verbindung wie zu den Leuten, mit denen ich noch zusammensass. Aber ich sitze ständig in Calls und wenn nicht, dann sitze ich in meist vertraulichen Zweiergesprächen. Weil ich eigentlich nur noch in dem kleinen Meetingraum sass, bauten mir die Jungs irgendwann klammheimlich meinen alten Arbeitsplatz ab und nutzten den Schreibtisch anderweitig.
Jetzt bin ich von dem kleinen Büro in ein grösseres gezogen. Weil ich ständig Leute bei mir habe, die keinen Platz haben. Ich habe ein grosses Sofa und könnte Basketball darin spielen. Keine Ahnung, warum ich gerade auf Basketball komme, aber das Bild kommt mir richtig vor.

Die Hündin hat viel Platz. Ich habe mehrere Liegemöglichkeiten für sie im Raum verteilt, damit sie sich einen Ort suchen kann, an dem sie sich wohl fühlt. Sie liegt dann aber zwischen meinen Füssen.

Die Wand hinter mir war schwarz. Aber weil meine Haare schwarz sind, mein Bart schwarz ist und meine Kleidung meist schwarz ist, hatte ich Angst in den zahlreichen Calls mit dem schwarz zu verschmelzen. Also liess ich die Wand hinter mir orange streichen. Wegen der Wärme, wegen Optimismus, gute Laune. Jetzt sitze ich davor und meine Webcam kompensiert das intensive orange indem sie den allgemeinen Farbton etwas runterkühlt. Meine Haut hat einen leichten Blaustich, ich sehe nicht sehr gesund aus.

Ich werde ein grosses Bild malen und es hinter mir aufhängen.

[bis So, 30.7.2023 – egaligkeit]

Ich bin derzeit etwas outputlos. Das liegt hauptsächlich an sowas wie einer Bluesigkeit, die mich gerade überdeckt. Ich weiss nicht einmal woher das kommt, üblicherweise kann ich sowas durchaus etwas bestimmten zuordnen. Zur Zeit überhaupt nicht. Fast alles zieht mich momentan runter und wenn es mich nicht runterzieht, dann macht es mir wenigstens keine Freude. Es geht gerade alles so dahin: Freitag machte ich dies und das in der Firma, zu Feierabend sassen wir zusammen und assen Hotdogs, später zuhause bestellten wir uns Sushi und schauten eine Serie, Samstag fuhren wir einkaufen, abends war ich zum Essen verabredet, danach schlief ich schlecht, Sonntag machte ich zwei lange Spaziergänge mit Frau und Hund, wo wir sehr gut über wichtiges Sachen geredet haben, aber dennoch komme ich der ganzen Egaligkeit nicht auf den Grund. Ja, es ist so eine Egaligkeit in mir, es gibt gerade nichts am Horizont, auf das ich mich freue, auch wenn ich mich sehr auf die Reise nach Longyearbyen im Oktober freue, ist die Freude, die ich derzeit verspüre, eher technischer Natur, ich freue mich, weil ich mich schon so lange darüber freue, es ist aber keine Freude, wie ich sie bei der Buchung der Reise empfand, oder wie sie mich schon seit Jahren begleitet. Und Hertha, hör mir auf mit Hertha, seit dem Abstieg will die Freude nicht mehr zurückkommen, eigentlich war auch die ganze letzte Saison keine wirkliche Freude da, der Abstieg hat alles nur noch egaliger gemacht. Als ich merkte, dass ich wegen meiner Verabredung am Samstag das Spiel nicht sehen würde, dachte ich mir isshaltso mirdochegal, als ich während des Essens auf das Ergebnis schielte und die 0:1 Niederlage sah, empfand ich das gleiche Gefühl, eine Egaligkeit, lass es bloss nicht an dich ran. Ranlassen, vielleicht will ich nichts ranlassen, hört sich nicht gesund an, aber warum soll ich eine Niederlage in der zweiten Liga auch an mich ranlassen. Nächsten Freitag werde ich das Spiel verpassen, weil ich in Amsterdam bin. Und es ist mir egal. Vielleicht bin ich verabredet und vergesse das Spiel, vielleicht habe ich aber keine Lust auf Gesellschaft und betrinke ich mich alleine an der Hotelbar, oder mit dem Telefon auf dem Zimmer. Zu allem Überfluss schnitt ich mir heute auch noch beim Salatschneiden in die Handfläche.

[Mi/Do, 26./27.7.2023 – Körperfülle, Sommer, Podcasttechnik]

Lange Tage. Eigentlich sollte ich meinen Job auf eine Weise gestalten, dass es auch ohne mich geht. Davon bin ich offensichtlich gerade weit weg. Zudem muss ich nächste Woche wieder nach Amsterdam, es wird vermutlich vieles liegenbleiben und neues dazukommen, und dann habe ich auch noch wieder zugenommen, bin wieder an der Oberkante meines Gewichtes, da kommen Tage in Hotels, Restaurants und Bars nicht sehr gelegen, ausserdem hat meine Firma nächsten Samstag ein Boot auf der Canal Pride in Amsterdam, ich werde natürlich nüchtern mitfahren und nichts vom Buffet essen. Am Dienstag auf Herthas Geburtstagsparty sagte eine Freundin aus dem Fanclub zu mir: „Hey, dick bist du geworden.“ Es war nicht schlimm, es war sogar die Ausgangslage zu einem sehr unterhaltsamen Gespräch, ich finde es ja gar nicht schlimm dick zu sein, ich finde Körperumfang auch bei anderen Menschen ziemlich irrelevant, wenn es ums Begehren oder auch Schönheit geht, aber ab einem gewissen Grad beginne ich, meine Körper vor mir her zu schieben, ich fühle mich wie ein Knödel, alles Pfff und Wwww, ich fühle mich aufgedunsen, die ganze Motorik wird träge, ungelenk, vermutlich sehe ich mich innerlich als Tänzer. Es ist ein Ungleichgewicht.

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Dieser verregnete Sommer. (Kann ewig so bleiben).

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Am Mittwoch war ich bei einer Fanclubfreundin um das Equipment für den Podcast der Herthafrauen zu testen. Die Herausfoderung ist es, 4 Menschen mit 4 Mikrophonen gleichzeitig aufnehmen zu können. Das geht mit teurerer Hardware bzw sogenannten XLR Mikros und einem Mischpult, aber bevor viel Geld in das Projekt gesteckt wird, wollten wir es mit den verfügbaren Mitteln probieren, also über USB mit einem Laptop, es gibt offenbar Workarounds, damit man auch über die USB-Schnittstelle mit mehr als einem Mikrophon aufnehmen kann. Ich besitze mehrere USB Mikrophone und meine Freundin hat sich auch eines gekauft, wir mussten im Laufe des Abends allerdings feststellen, dass man mit USB lediglich zwei Personen gleichzeitig aufnehmen kann. Mehr geht technisch nicht. Das hätte ich auch vorher wissen können, wenn ich mich etwas genauer belesen hätte.
Wir werden uns weiter aufschlauen. Am Donnerstag bekamen wir von anderen Podcasterinnen Tipps für günstige XLR Mikrophone und ein günstiges, kleines Mischpult, das für Gesprächsaufnahmen vollkommen ausreichen soll. Wir werden uns morgen einlesen.

[Di, 25.7.2023 – Herthas Geburtstag am Arkonaplatz]

Am Abend feierten wir Herthas 131. Geburtstag am Arkonaplatz. Der Fussballverein wurde am 25.7.1892 gegründet. Die Geschichte besagt, dass die zwei gründenden Brüderpaare auf einer Bank am Arkonaplatz sassen und den Beschluss fassten, einen Fussballverein zu gründen. Kurz davor waren sie mit dem Ausflugsdampfer namens „Hertha“ über die Havel geschippert und deshalb wählten sie diesen Namen. Vor vier Jahren trafen wir uns zum ersten Mal auf dem Platz um das zu zelebrieren. Jedes Jahr stiessen mehr Menschen dazu. Jetzt ist es eine Tradition.

[Mo, 24.7.2023 – zurück im Büro]

Der erste Tag wieder im Büro. Alles sagen, ich sähe so erholt aus. Das ist schön. Vermutlich liegt es aber nur an der feschen, schnittigen Frisur. Ich versuche den Tag langsam anzugehen, indem ich durch die Emails scrolle, aber innerhalb zwei Stunden hatte ich bereits drei Mitarbeiterinnen bei mir im Büro. Es gibt immer was. Üblicherweise frage ich nach meiner Rückkehr immer: was muss ich als erstes wissen. Das war heute nicht nötig.

Es wurde ein langer Tag. Mehr habe ich nicht zu berichten.

[Sa/So, 22./23.7.2023 – Rückfahrt, True Classic, Podcast]

Die Fähre in Dänemark, die ich eigentlich nehmen wollte, war überbucht, deshalb buchte ich eine Fähre zwei Stunden später. Dass eine Fähre ausgebucht wäre, ist mir in all den Jahren noch nie passiert, ich fürchtete, dass die Strassen in Schweden und Dänemark verstopft sein würden. Es ging aber.
Wir kamen um 20 Uhr in Berlin an, das ist immer noch einigermassen früh. Wir setzten uns auf den Balkon, öffneten uns ein Bier und schenkten uns einen Whisky ein. Damit bekommt man die Vibrationen des Motors aus dem Körper raus.
Berlin ist angenehm temperiert bei 22 Grad.

Fürs Protokoll: das neue Auto kann mit einer einzigen Tankfüllung die gesamte Strecke fahren. Zumindest wenn ich in Deutschland nicht die 130 Kmh überschreite. Laut Anzeige hätte ich sogar noch 50 weitere Kilometer fahren können. Das hat mich sehr überrascht.

Tscha.

Sonntag. Was ist am Sonntag passiert. Ich habe das Paddel in Schweden vergessen. Ich Trottl. Ich vergesse immer etwas. Immerhin habe ich diesmal an die Zahnputzmaschine und den Rasierer gedacht. Mein Schwager wird mir das Paddel Ende August mitbringen, aber August ist eigentlich ja Kayakzeit in Berlin. Und in September bin ich oft in Amsterdam. Ich bin ein Idiot. Möglicherweise kann man sich aber Paddel ausleihen.

Auch sind die korrigierten Tshirts von True Classic angekommen. Letzten Monat schickten sie mir ja zwei Paare in „Large“ und eines in „XLarge“. Ich bat sie, das „XLarge“ durch ein „Large“ auszutauschen, jetzt schickten sie mir 3 in „XL“. Die falschen darf ich aber behalten.

Ich habe also 4x „XL“ von diesen Instagram-Dadbod-Tshirts zu verschenken. Wer will, bitte DM.

Die Hündin hat sich sofort an Berlin gewöhnt. Sie trägt halt wieder öfter Leine, es scheint sie nicht zu stören, aber mittlerweile läuft sie so gut ohne Leine, dass ich sie nur an der grossen Strasse festmache oder wenn wir mit den Bahnen fahren, wo es ja Pflicht ist. OK, auf der Strasse ist es eigentlich auch Pflicht, aber sie ist dermassen entspannt und aufmerksam, dass es nie zu Zwischenfällen kommt. Ich mag das. Ich mag das ungemein, mit der unangeleinten Hündin zu spazieren. Wir sind dann so ein Team.

Am Abend arbeitete ich am technischen Unterbau für den demnächst erscheinenden Podcast über Herthas Frauenabteilung. Es ist ein Projekt von Mitgliedern meines Fanclubs. Ich freue mich sehr darauf, ich werde das Projekt technisch begleiten.

[Do/Fr 20./21.7.2023 – Max, alte Scheren]

Wir besuchten Max. Max und meine Frau kannten sich als Kinder. Danach vergingen viele Jahre, bis sie sich letztes Jahr im Mai wiedertrafen, als er uns damit half, ins Haus zu kommen. Wir mochte Max damals sehr und wir beschlossen in Kontakt zu bleiben, da er von Lappland wieder in den Süden gezogen war, also in den Süden von Schweden, da wo er herkommt, da wo wir auch immer sind. Letztes Jahr sagte er, dass er ein Tattoostudio eröffnen wollte, wir schrieben ihn deshalb an, ob es geklappt habe, ich liess ihn wissen, dass ich mir nämlich ein schwedisches Motiv von einem schwedischen Tätowierer stechen lassen wollte.

Er lud uns spontan zu sich ein. Er wohne jetzt in einem Haus zur Miete, das er sich demnächst kaufen wolle. Das mit dem eigenen Studio habe noch nicht funktioniert. Er arbeitete gerade in einem Werkzeugladen und sei sonst eher mit Kunst beschäftigt, er richte sich das Haus gerade als Atelier ein, in dem er dann auch privat tätowieren würde. Es klang alles etwas chaotisch, aber auch lustig.

Er wohnt etwa 15 Minuten von uns entfernt, ziemlich abseits in einem Haus an einem offenen Hang mit einer wunderbaren, weiten Aussicht über Hügel und in der Ferne sieht man sogar einen See. In unmittelbarer Nachbarschaft gibt es drei weitere Holzhäuser, in zwei davon leben Freunde von ihm, ein Stück weiter unten der Vermieter, der ihm das Haus verkaufen wird.
Das Haus ist eher klein, es hat eine Gesamtwohnfläche von etwa 80 Quadratmeter, auf zwei Etagen verteilt, aber es sind vier Räume und es ist gross genug.

Neben seinem Haus hat er eine Downhill-Fahrbahn gebaut. Eine Downhill Fahrbahn ist eine wilde Farbahn mit Sprungschanzen und Hindernissen, die man in hohem Tempo bergabwärts befährt. Ziel ist es, schnell zu sein und heil unten anzukommen. Er hat dort Schanzen, Kurven und Rillen in Beton gegossen. Die Fahrbahn beginnt ein paar hundert Meter oberhalb seines Hauses, streift unmittelbar seinen Gartenzaun und soll am Ende eine Gesamtlänge von etwa einen Kilometer betragen. Die Nachbarn finden das gut.

Wir trinken Kaffee und essen Haferkekse. Wir reden über seine Pläne, über Kunst, Graffitiys, über Mexiko und über Berlin. Er liebt Mexiko und Berlin. Er fragt was mit diesem Löwen in Berlin passiert sei. Die Nachricht über die freilaufende Raubkatze ist bis nach Schweden durchgesickert. Wir machen nur blöde Witze darüber und zeigen im irgendwelche Memes zu dem Thema, die in den letzten Stunden entstanden waren.

Ich bin mir nicht so sicher, ob er mich überhaupt tätowieren will. Er sagt, er könne erst ab nächsten Monat wieder tätowieren, er empfiehlt mir einen Freund aus Göteborg, ich sagte aber, dass ich es nicht so eilig hatte, ich hätte eher an Mai oder Juni nächstes Jahr gedacht. Dann zeigt er mit Motive, die er entwirft und die er gestochen hat. Ich sagte, ich möchte diese altmodischen, schwedischen Scheren als Motiv. Ich weiss nicht, ob sie explizit schwedisch sind, aber man sieht sie hier öfter, zB im Wappen der Stadt Boras und sie hängen auch bei uns im Häuschen, die hingen da immer schon, vermutlich wurden sie von den Grosseltern aufgehangen. Ich zeigte ihm ein Foto auf meinem Telefon.

Darafhin zeigte er mit seiner Hand hinter mich und sagte: schau da. Ich drehte mich um. Auch da hing eine dieser altmodischen Scheren. Sie waren vor seinem Einzug schon da.

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Freitag war Packtag. Der letzte Tag ist immer ein merkwürdiger Tag des Aufbruchs. Ich habe nichts zu berichten.

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Nachtrag von gestern. Meine neue Frisur und das Filmchen von der Rehkuh.

[Mi, 19.7.2023 – Rehe, Sickergrube, Plumsklo]

Es ist richtig kühl geworden. Heute betrug die Höchsttemperatur 16 Grad. Dazu wehte ein stürmischer Wind. Ich trug über dem Tshirt ein dünnes Jäckchen. Das trug ich im Juli schon lange nicht mehr. In meiner Kindheit war das im Sommer oft so, ich bin ja auf 1500m Meereshöhe aufgewachsen, im Sommer stieg das Quecksilber selten über 25 Grad und abends kühlte es immer schön aus. Hier ist es ähnlich. Wenngleich die letzten Sommer hier immer sehr heiss gewesen sind. Vor zwei oder drei Jahren betrug es im Juli durchgehend über 30 Grad.

Beim Morgenspaziergang mit der Hündin traf ich eine Rehkuh mit drei Kitzen. Wir spazierten über die Flussaue hinaus zu unserer Badestelle. Die Hündin und ich machen das jeden Morgen. Wir spazieren hinter die Scheune hinunter über den von mir freigemähten Weg, dann laufen wir über die Wiese zu dem neuen Ufer, auf dem ich die Brennnesseln entfernt habe, dort geht sie mit den Pfoten in den Fluss uns trinkt daraus, danach gehen wir weiter über die Flussaue zur Badestelle und dort schauen wir beide ein bisschen über den Fluss. Fast sowas wie ein Kontrollgang. Die Hündin trägt ein Ordungsamt-Gen in sich. Sie liebt diese Kontrollgänge.
Wenn wir fertig sind, schnüffelt sie die Gegend ab und springt im hohen Grass herum.

Als ich in den Flussauen stand und der Hündin beim Schnüffeln zuschaute, sah ich rechts von mir eine Rehkuh. Auch sie sah mich und blieb erstmal stehen. Ihre Aufmerksamkeit widmete sie aber eher meiner Hündin, die etwas weiter weg den Boden abschnüffelte, sie wusste wohl, dass von dem kleinen Raubtier die wesentlich grössere Gefahr ausging. Als ich die Kamera zückte um es zu filmen, sprangen auch drei kleine Rehkitze aus dem hohen Gras hervor.

Bevor die Hündin das mitbekommen würde, beschloss ich sie zu mir zu rufen und wir gingen zurück hinauf in den Wald zum Haus. Sie hatte von all dem nichts mitbekommen.

Am Nachmittag sassen wir zusammen und gingen alle Unterlagen zum Haus durch. Alles muss umgeschrieben werden. Strom, Müll, Versicherungen, Internet. Die Bankdaten und Postadressen müssen geändert werden. Möglicherweise werden wir die Sickergrube irgendwann stilllegen müssen. Das Plumsklo können wir zwar weiterverwenden, aber das normale Abwasser, also das Grauwasser, darf nicht mehr in eine gewöhnliche Sickergrube einfliessen. Die neue Gesetzeslage sieht vor, dass alle Häuser, die nicht an die Kanalisation angeschlossen sind, ein 3-Kammer-System bauen lassen müssen, das dann alle paar Jahre durch einen LKW geleert wird. Das betrifft sicherlich hunderttausende solcher Häuser im ganzen Land bis hinauf nach Lappland. Das macht uns ein bisschen Angst. Ein 3-Kammer-System, das von LKWs geleert werden muss, das klingt als würde man eine Kanalisation für ein kleines Rom bauen müssen. Aber eine schnelle Recherche im Netz beruhigt, es sind überschaubare Kosten. In der Regel bezahlt man 3000 EUR, manchmal etwas mehr, vielleicht 5000.
Ein 3-Kammer-System hätte auch den Vorteil, dass wir ein normales Wasserklosett einbauen könnten. Auch eine charmante Idee. Ich komme mit dem Plumsklo zwar ausreichend zurecht, aber ehrlicherweise hatte ich bisher noch keine wirklichen Notsituationen zu meistern. Ich will mir nicht vorstellen, eine Magen-Darm-Seuche auf einem Plumsklo austragen zu müssen. Oder wenn man dringend, nachts, bei Regen und Kälte mit Bauchkrämpfen die hundert Meter hinunter zum Klo laufen muss. Letzteres ist mir vor ein paar Jahren mal passiert. Fand ich nicht gut. Aber es ist eben nur einmal passiert.
Für die Nacht habe ich sonst einen Nachttopf. Ich muss ständig nachts die Blase leeren.

[Mo/Di, 17./18.7.2023 – Haarschnitt, Kayak]

Heute fuhren wir in die Stadt. Ich bestand darauf, das Tier mitzunehmen. Man muss als Hundehalterin wissen, dass Schweden nicht so hundefreundlich ist, wie beispielweise Deutschland. Man kann Hunde so gut wie nie in Geschäfte oder Malls mitnehmen, in Restaurants auch nicht, in kleineren Lokalen wie Cafes nur in Ausnahmefällen.

Mir war es egal, ich würde mit dem Tier einfach meine Runden drehen. Während meine Frau und ihre Mutter in ein paar Geschäfte gingen, setzte ich mich vor das Espresso House. Heute fand ich heraus, dass im Espresso House Hunde willkommen sind. Letztes Jahr im kühlen Mai sass ich mit einer zu dünnen Jacke auf den Tischen davor und fror. Es hatte mich aber niemand hereingebeten, ich dachte nur, Scheissland, dass man nirgendwo mit Hunde hineindarf. Jetzt weiss ich es besser.

Dann überfiel mich ein starkes Gefühl. Das Gefühl, etwas gegen meine Frisur unternehmen zu müssen. Auf der Oberseite des Kopfes hatte sich bereits eine seltsame Welle geformt. Zusätzlich zu meiner eingesetzten Verwilderung der letzten Tage, fühlte ich mich etwas zivilisationsfremd, wie ich da vor dem Espesso House sass.

Also googelte ich nach Friseuren in der Gegend. Etwa 200m von mir, in einer kleinen, etwas muffeligen Mall, gab es einen Frisurladen. Die Bewertungen waren okay, aber ich interessiere mich vor allem für die negativen Bewertungen, wenn man die ein bisschen kritisch selektiert, findet man ein gewisses aussagekräftiges Muster, sowas wie eine Essenz der Kritik. Und anhand dessen beschliesse ich immer, ob mich die entsprechenden negativen Dinge stören oder ob sie mir gleichgültig sind. Diese ausgewählte Friseurin hatte nur zwei 1-Sterne Bewertungen. Das waren zwei Beschwerden von Kunden, die verletzt wurden. Einmal ein kleiner Junge, der nach dem Friseurbesuch rote Streifen im Nacken hatte und ein anderer Kunde hatte geblutet. Das ist aber alles nichts, das mich abschreckt.

Ich rief an und wollte fragen, ob ich sofort kommen könne und ob es gestattet sei einen Hund mitzubringen. Ich fragte als erstes auf schwedisch, ob sie englisch spräche. Sie sagte: nein.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich kann mit Händen und Füssen einen gewünschten Haarschnitt beschreiben, aber ich wusste nicht wie ich telefonisch um einen Soforttermin fragen sollte. Von der Hundefrage will ich noch gar nicht anfangen. Also sagte ich: „oh, Okay, hm. Hej Da.“
‚Hej Da‘ mit dem Kringel heisst tschüss. Auch sie sagte: Hey da.

Das konnte ich so nicht sitzen lassen. Später traf ich meine Frau und übergab ihr den Hund. Ich hatte sie darüber unterrichtet, dass ich jetzt zum Haareschneiden müsse. Sie fand das gut.
Ich fand den Laden. Er war leer. Eine ältere, etwas konservativ gekleidete Frau kam aus einem Personalzimmer hervor. Ich sagte in sehr ungelenkem Schwedisch, dass ich der Anrufer von vorhin sei, der mit dem englisch. Sie lachte. Ich schaffte es zu fragen ob ich jetzt sofort einen Termin bekäme. Sie nickte. Und so sass ich kurz darauf vor dem Spiegel.

Sie war etwas grob. Sie stiess mit der schweren Rasiermaschine eigentlich ständig an meine Schädelknochen. Auch mit der Schere hantierte sie übermässig schnell und etwas grobmotorisch. Sie nahm ihr Fach unfassbar ernst. Sie musterte jeden zweiten Scherenschnitt von allen Seiten, achtete ständig auf die Symetrie, ihren Mund hatte sie zu einer konzentriert wirkenden Schnute verzogen und die Stirn zu einer kritisch prüfenden Faltenlandschaft aufgeworfen.
Ich liebe es, wenn Menschen ihre Kunst ernst nehmen. Sie hielt mit beiden Händen an meinem Kiefer immer wieder meinen Kopf fest, prüfte die Symetrie, dann schnipselte sie hier einen zehntel Milimeter weg und da einen halben Milimeter. Sie kniff die Augen zusammen und zog Augenbrauen hoch.

Irgendwann konnte ich mich nicht mehr einhalten. Als sie mich wieder mit beiden Händen an meinen Kiefern begutachtete, rief ich in meinem besten schwedisch: SKULPTUREN!

Sie schien sich über meinen Ausruf zu freuen. Als hätte ich ihr Handwerk, das sie so ernst nahm, verstanden.
Am Ende schien sie happy. Ich auch.
Sie sagte, das sei ein anderer Style als ich bisher hatte. Das war mir auch aufgefallen. Es schien mir, als sei sie überrascht darüber, fast als wäre es gar nicht ihre Absicht gewesen. Ich weiss nicht, ob das von ihrem Können zeugt, oder von ihrer Virtuosität.

Aber mit gefiel es.

Gegen vier Uhr fuhren wir zurück in den Wald. Dann kochten wir uns eine Shakshuka und gegen acht Uhr fuhr ich zum Flughafen in Göteborg um Schwiergvater und Schwager abzuholen.
So war das heute.

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Gestern vormittags gab es mehrere Wellen mit Sturzregen. Gegen 3 Uhr lichtete sich der Himmel und die Sonne brannte auf uns herab. Also assen wir eine Kleinigkeit und dann war es plötzlich 4 Uhr. Ich ergriff die Gelegenheit des stabilen Wetters und ging mit dem Kayak auf den Fluss. Ich fuhr 2 Kilometer flussaufwärts bis zum Wasserfall und dann wieder zurück. Das Faltkayak ist nicht ganz so stabil wie das richtige Kayak, das ich in Berlin gemietet hatte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich darauf einen unruhigen Hund mitnehmen würde.
Aber wenn ich darauf ruhig sass und paddelte, war es sehr angenehm zu fahren.

Die Hündin fand es überhaupt nicht lustig, was ich da machte. Sie sollte mit meiner Frau am Ufer warten. Meine Frau hatte sie an einen alten Zaun festgebunden, damit sie nicht unbedachte Dinge täte. Sie war so aufgebracht davon, wie ich mit einem Schwimmkörper auf den Fluss hinaus schipperte, dass sie in der Aufregung den Zaun mitriss. Sie ist nur ein kleiner 14 Kilo Hund, für ihre Grösse fand ich das eine erstaunliche Leistung. Es schien als hätte sie sich selber darüber erschreckt und fast wäre sie mit dem Zaun über die Böschung in den Fluss gestürzt. Aber meine Frau wusste das mit einem schnellen Handgriff zu verhindern.