Ich bin ja kein Naturbursche. Wirklich nicht. Auch wenn das vielleicht nicht so erscheinen mag. Ich hasse Natur, ich hasse Insekten, ich hasse Schlangen, ich hasse vor allem hohes Gras. Ich bin voller Hass.
Meine Lieblingstätigkeit hier im schwedischen Wald ist es, Gras zu schneiden. Im kurzen Gras streife ich keine Zecken mit, es verstecken sich keine Schlagen darin und wenn doch, dann sehe ich sie gleich. Ich will die Wildernis zähmen, ich beseitige Gestrüpp und gehe jeden Morgen dort hin, wo ich Gestrüpp beseitigt habe und trete es fest, oder auch am Ufer, wo ich hohes Gras, Farne und Brennesseln gerodet habe, beim Morgenspaziergang gehen meine Hündin und ich das Ufer ab und treten die gerodeten Nesseln platt. Muss man jeden Tag machen, damit sie nicht nachwachsen.
Ich hasse Natur. Naja. Zumindest Schlangen. Aber auch Insekten. Wenn sie auf mir kriechen. Vielleicht ist es noch nicht Hass, vielleicht eher eine sehr starke Abneigung, oder vielleicht nur Abneigung, nicht sehr stark, fehlende Liebe. Fehlende Liebe vielleicht.
Unterm Haus, unweit des Flusses ging früher eine Waldstrasse, die unser Häuschen umfährt. Es sind etwa zweihundert Meter, die seit den achtziger Jahren nicht mehr genutzt werden, entsprechend verwachsen ist die Strasse. Vorgestern fand ich heraus, dass die Frau des Cousins meiner Frau diesen Weg nutzt, wenn sie mit dem Fahrrad ins nächste Dorf fährt. Das tat mir ein bisschen leid. Diesen verwucherten Schotterweg kann man eigentlich nicht mit dem Fahrrad befahren. Also nahm ich mein Mähgerät und mähte eine Schneise. Jetzt dürfte sie es leichter haben.
An einer Stelle des Flusses habe ich eine Sandbank entdeckt. Bereits letztes Jahr, als ich da mit der Drohne entlangflog. Ich suche immer noch eine geeignete Stelle, an der man einen kleinen Steg bauen kann. Unsere jetzige Badestelle befindet sich in einer Kurve, dort ist das Ufer steil, wir haben eine kleine, steile Holztreppe, die ins Wasser führt. Aber ich bin kein guter Schwimmer. Heute mähte ich deswegen an jener Stelle, an der ich die Sandbank entdeckt hatte, eine Schneise durch Brennnesseln und hohem, dichten Gras. Dahinter tat sich eine sehr schöne Uferstelle auf.
Ansonsten ist das Wetter sehr unstet. Zehn Minuten Sonne, zehn Minuten Gewitter, undsoweiter.
Es war heute etwas wärmer. 24 Grad. Am späten Nachmittag kam die Sonne raus, in der direkten Sonne wurde es schon unangenehm. Ich stellte mich in den Schatten und baute endlich das Faltkayak auf. Morgen würde es den ganzen Tag nicht regnen, das wird der Tag sein, an dem ich das Rudegerät testen werde. Bei 18 Grad auf dem Wasser. Alle beschweren sich über diesen kalten und verregneten Sommer, ich hingegen sage ständig: es ist perfekt. Ich komme mir wie eine alte Leiher vor, deren Gebete endlich erhört wurden, aber trotzdem nicht aufhören kann zu leihern.
Meine Frau war um 4 Uhr bei ihrem Cousin verabredet. Der wohnt mit seiner Frau 2 Kilometer flussaufwärts. Früher wohnten dort Tante und Onkel. Da sie jetzt beide verstorben sind, hat der eine Cousin das Haus übernommen. Neben dem alten Holzhaus hat er sich mit seiner Frau ein moderneres, kleines Hölzhäuschen gebaut. Direkt am Waldrand, genau an dem Ort wohin die Sonne am längsten scheint. Ich begleitete meine Frau diesmal nicht, da sie ein paar Themen zu besprechen hatten, es gilt gerade viel bezüglich der Wege-Vereinigung und des Wasserwerks zu besprechen, das lässt sich am besten auf schwedisch klären, ich stünde da nur als gutaussehendes Beiwerk daneben. Ich werde sie nächstes Jahr, oder ein andermal besuchen.
Sie wohnen dort von März bis einschliesslich November. Für die ganz harten Wintermonate reicht die Isolierung nicht aus. Sie würden durchgehend heizen müssen und das ist nicht sehr ökologisch. Ausserdem verfügen sie, anders als wir, über kein fliessendes Wasser. Sie holen das Wasser eimerweise aus dem Fluss. Wir haben immerhin einen kleinen Brunnen, aus dem wir das Wasser ins Haus hochpumpen können.
Nun.
Es ist abend. Meine Schwiegermutter und ich sind alleine und plaudern. Es ist sehr nett.
Den ganzen Tag über meldete meine berliner Instagramblase von 36 Grad. 36 Grad rufen Beklemmungen in mir hervor.
Der letzte Eintrag wurde gegen Ende hin schlampig. Ich sah es regelrecht unter meinen Fingern geschehen, aber ich konnte es nicht einfangen.
Mir kommt vor, dass ich nicht deutlich genug zum Ausdruck bringen konnte, wie glücklich mich dieser Regenspaziergang mit Hund gemacht hatte. Und wie viel Energie es mir gab, als ich trotz Regenjacke halb durchnässt zur Dachtraufe stieg und die Regenrinne von Schlamm und Moos befreite. Deswegen muss ich es hiermit noch einmal nachreichen, nachdrücken.
Heute spazierten wir die Strecke noch einmal, aber ohne Regen und noch etwas weiter, etwa zwei Kilometer flussabwärts, bis zu der baufälligen Brücke wo früher die Mühle stand, da wo jetzt der Damm gebaut werden soll. Ich wollte einfach die Gegebenheiten vor Ort sehen, es gibt dort diese natürliche Stromschnelle, fast schon ein Wasserfall, deswegen stand dort früher auch die Mühle. Das Gefälle will sich der Unernehmer jetzt für sein Kraftwerk zunutze machen. Wie schon vor einigen Monaten geschrieben, stehen wir der Sache eher gleichgültig gegenüber, aber im Zweifelsfall stellen wir uns an die Seite der Nachbarn.
Ich war noch immer müde von der fehlenden Nacht, ich hing ein bisschen in den Tag hinein, schlief ein paarmal ein.
Heute am Freitag kam frühmorgens der Tischler. Meine Frau hatte ihn bereits letzte Woche bestellt, da zwei der Fenster sich als morsch herausgestellt haben. Er sah es sich an, sagte, dass das relativ unkompliziert auszutauschen sei. Vermutlich kann er das aber erst nach dem Sommer reparieren, aber auf jeden Fall vor dem Winter. Im Vorbeigehen verwies er auf den Anstrich des Hauses, er merkte an, dass man durch die rote Farbe hindurch schon wieder das Holz sähe, das müsse nachgestrichen werden. Er hatte recht, das war uns gar nicht aufgefallen, ich hatte die Südseite des Hauses erst vor sechs oder sieben Jahren gestrichen, wir waren nicht auf die Idee gekommen, dass es wieder an der Zeit sei. Er sagte, die Farbe, die wir verwendeten sei gut, aber man müsse sie alle 5 Jahre erneuern. Das ist die traditionelle rote Farbe der schwedischen Holzhäuser. Das ist in Wirklichkeit gar keine Farbe, sondern ein Holzschutzmittel, ein Nebenprodukt des Kupferbergbaus und wurde vor einigen hundert Jahren eher zufällig beliebt und wurde irgendwann zum nationalen Symbol erhoben.
Ich hätte mir vor einigen Jahren nicht gedacht, dass ich mich mit der Qualität der roten Schwedenfarbe auseinandersetzen muss. Es gibt jedenfalls höherwertiges rot, das kostet ungefähr zehnmal so viel, hält aber bedeutend länger. Zehnmal so viel klang nach sehr viel Geld und aus dem Grund verfolgten wir das Gespräch nicht weiter, vor allem, weil wir noch mehrere Eimer von dem traditionellen Falunrot in der Scheune stehen haben. Er bot auch an, das Haus gleich mitzustreichen, wenn er schon wegen der Fenster vorbeikäme.
Nebenbei mitstreichen. Pft. Ich brauchte damals für zwei Wände ungefähr eine halbe Woche. Der will das nebenher mitmachen. Ich hasse Profis. Wir haben noch nicht zugestimmt, aber je länger ich darüber nachdenke, desto sinnvoller erscheint es mir.
Als der Tischler gegangen war brachte ich den Schwiegervater und den Schwager zum Flughafen in Göteborg. Sie würden für einen Kurztrip nach Irland fliegen.
Auf dem Rückweg fuhr ich ins Dorf zum Eisenwarenhandel und kaufte diese zackigen Plastikklingen für den Rasentrimmer. Ich wollte an der Südseite das Gestrüpp zurücktrimmen. Es gibt dort zwei schöne Birken und eine grosse Kiefer, aber alles drumherum ist verwachsen und verstruppt. Vor vierzig Jahren hatten die Kinder dort einen Sandkasten, man ahnt nur, dass dort einmal etwas war. Alles ist dschungelartig überwuchert und eingewachsen. Mich stört das schon seit Jahren.
Es gibt die Geschichte, dass die Jungs, die heute meine Schwager sind, im Sandkasten mit einem grossen Wurm spielten. Als die Mutter das sah zeigten sie stolz den Wurm, den sie gefunden hatten. Es stellte sich heraus, dass es sich um eine Kreuzotter handelte. Ist aber nichts passiert. Während ich da so im hohen Grass zwischen den archäologischen Überresten eines Sandkastens die Wucherungen zerschlug, musste ich an den grossen Wurm denken und wurde ein bisschen nervös. Es hielt mich aber nicht davon ab.
Nebenher habe ich natürlich noch sinnvolle Dinge gemacht. Zumbeispiel ein Fenster renoviert. Wir wollen in den nächsten zwei Jahren alle Fenster einmal durch haben. Es wurde sich lange nicht mehr um sie gekümmert. Ich komme mir ungemein sinnvoll vor, wenn ich Unterhalt an einem Haus tätige.
Ich fuhr am Nachmittag los und erreichte gegen 22Uhr das kleine Hotel „Det Gamle Apothek“. Das Hotel sieht aus der Entfernung wie ein Landhaus aus, es steht etwas einsam, von Bäumen umgeben auf einem Hügel fernab des Dorfes. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das früher wirklich eine Apotheke gewesen sein soll, was der Name suggeriert, wer reiste damals schon so weit zu Fuss oder mit dem Pferd um Medizin zu kaufen. Ich habs aber nicht recherchiert, warum das Hotel so heisst.
Als ich ankam wirkte das Anwesen etwas verlassen. Zwar standen einige Autos herum, aber ich sah keine Menschen und nirgendwo brannten Lichter. Auf der Suche nach der Rezeption lief ich mehrmals über das Gelände, ich fand sie aber nicht. Also schaute ich nochmal in meine Mails. Mittlerweile hatte ich mehrere Mails von der Hotelbetreiberin erhalten. Das Hotel funktioniert offenbar komplett autonom über Codes an Hotel- und Zimmertüren. In der Mail fand ich auch meinen Code und so kam ich in mein Zimmer. Ich muss zugeben, die Sache mit wenig Planung angegangen zu sein. Ich hatte mich nicht um Wasser und Essen gekümmert. Das Hotel war offenbar auf Selbstversorgerinnen ausgelegt, es gab nicht einmal Duschgel oder Seife. Aber immerhin Badetücher. Zu allem Überfluss hatte ich auch noch meine Zahnbürste in Berlin vergessen.
Also fuhr ich schnell ins Dorf und kaufte etwas Wasser, ausserdem einen Becher Fertigcappuccino und ein Brötchen, Weil ich im Hotel sicherlich kein Frühstück bekommen würde. Nur das Duschgel vergass ich.
Und dann versuchte ich zu schlafen. Mir war zu warm und alles war unangenehm und überhaupt und auf meinen Zähnen lag ein Belag, den ich die ganze Zeit mit meiner Zunge betastete.
Ich glaube, gegen 2 Uhr nickte ich einmal kurz weg. Aber um vier Uhr lag ich schon wieder eine ganze Weile wach. Meine Uhr behauptete, ich hätte 39 Minuten geschlafen. Das kann sein, ich glaube, das war aber mindestens eine Stunde. Als ich dann um vier Uhr schon eine ganze Weile dalag, Instagram Reels aufsog und der Horizont sich zu lichten begann, entschloss ich, einfach ins Auto zu steigen und weiterzufahren. Das Liegen war Zeitverschwendung.
Noch in Dänemark geriet ich in ein Gewitter. Im Osten sah ich den Sonnenaufgang, während über mir das Unwetter niederkam, das war ein sehr schöner Anblick. Ich fahre wirklich gerne bei Regen. Mir kommt es immer vor, dass dann alle wesentlich aufmerksamer und rücksichtsvoller fahren. Und das Niederprasseln des Regens, dazu die Lieblingsmusik aus den Boxen, das ist ein Gefühl unterwegs zu sein und ein Gefühl der Heimat zur gleichen Zeit. Um Kopenhagen herum war um diese Uhrzeit herum schon richtig viel los. Die Autobahnen sind dort zum Teil fünfspurig auf jeder Seite und trotzdem war um 5 Uhr schon sehr dichter und langsamer Verkehr. Ich weiss nicht, was ich damit sagen will, aber ich dachte mir: das musst du ins Blog schreiben, das ist erstaunlich.
Auf der Öresundfähre frühstückte ich. Filterkaffee mit einem Fischbrötchen. Auch deckte ich mich mit Schokolade ein um mir bei Müdigkeit Zuckerschübe zu geben. Ich ahnte, dass ich nach 30 Minuten Schlaf müde werden würde. Die ganze Fahrt durch Schweden fand im Regen statt. Irgendwann, irgendwo im schwedischen Wald wurde ich schlagartig müde. Ich hatte meiner Frau eine Telegram geschrieben, dass ich kaum geschlafen hatte und nun losgefahren sein, dabei versprach ich ihr aber, bei Anzeichen von Müdigkeit sofort anzuhalten. Ich nahm daher eine Parkbucht und versuchte etwas zu schlafen. Aber das funktionierte nicht. Ich war zu aufgedreht. Nach 20 Minuten in denen ich krampfhaft meine Augen zugekniffen hatte, liess ich das mit dem Schlafen sein, stieg aus, schüttelte meine Gelenke und Gliedmassen frei und fuhr weiter.
Ich kam schliesslich unversehrt an.
Meine Hündin war sehr happy. Meine Frau war sehr happy.
Ich blieb aber sehr müde. Nach dem Kaffee und ein paar Brotscheiben mit Käse, legte ich mich ins Bett und schlief eine Stunde. Danach ging es mir etwas besser. Nachher gingen wir im Regen spazieren. Es regnet hier seit zwei Wochen. Bei 17 Grad Celsius. Ich hatte eigens meine Regenjacke mitgenommen und mich auf Regenspaziergänge gefreut, ich war gerade den tropischen Temperaturen in Berlin entkommen.
Nach dem Regenspaziergang war ich voller Energie. Ich sah, dass die Regenrinne am Haus mit Moss verstopft war und daher an mehreren Stellen herabregnete. Ich war so nass und gutgelaunt und mir war alles so egal, dass ich in die Scheune ging, die Leiter holte und zur Traufe hinaufstieg um die Regenrinne vom Moos und vom Schmutz zu befreien. Ohne Handschuhe und Werkzeug, einfach hineingegriffen und herausgefischt.
Danach war ich so glücklich.
Plötzlich war Bier o‘ Clock und es gab Oliven mit Käse und mein gebliebtes, leichtes Session IPA, dazu einen Whisky. Davon bekam ich ein Futterkoma und musste mich hinlegen. Daraufhin schlief in zwei Stunden lang einen tiefen, traumlosen Schlaf. Zwei Stunden später weckte mich meine Frau fürs Abendessen. Während des Essen hielt ich mich einigermassen wach, es folgte aber ein weiteres Futterkoma und ich stürzte mich ins Bett für den Rest der Nacht.
Am morgigen Dienstagabend werde ich ja verreisen. Ich fahre immer gerne nach Feierabend los, damit ich die weite Strecke nicht an einem einzigen anstrengenden Tag befahren muss. Ich werde bis fast nach Kopenhagen fahren, das ist ungefähr die Hälfte der Reise. Dort habe ich neben der Autobahn ein billiges Hotelzimmer gebucht.
Vor zwei Wochen buchte ich ein kleines Hotelzimmer gleich hinter der Fähre in Dänemark. Ich weiss aber von den letzten Malen, dass ich nach der langen Fährfahrt noch genug Energie habe um noch ein Stückchen zu fahren. Und jede Stunde, die ich am ersten Tag schaffe, geht mir von der Reise am Mittwoch ab. Also buchte ich ein anderes Zimmer kurz vor Kopenhagen.
Der Fehler: ich buchte das neue Zimmer bevor ich das alte Zimmer stornierte. Beim Stornieren schien nun auf der Seite auf, dass ich das Zimmer zwei Tage vor der Reise nicht mehr stornieren kann. Und das neu gebuchte Zimmer natürlich auch nicht mehr. Das hätte ich eigentlich wissen können. Mehrere Hotelzimmer auf der Reisestrecke zur Verfügung zu haben, hat was, muss ich zugeben.
Heute also Packtag. Ich weiss nicht, ob es morgen einen Eintrag geben wird. An Reisetagen kommen ich neuerdings nicht mehr gut zum Schreiben, wobei das vor allem mit der Hund-Logistik zu tun hat und die Hündin habe ich dieses Mal ja nicht dabei.
Auf jeden Fall werde ich Stories auf Insta posten. Ich weiss nicht, warum ich das immer mache. Ich poste immer Stories auf Insta, wenn ich in den Urlaub fahre. Vermutlich ist das ein unbewusster Reflex, weil ich dann andere, optische Motive vor Augen habe. Mal was anderes, als das ständige Berlin.
Am Freitagabend trank ich dermassen viel, dass ich das ganze Wochenende lang völlig ausserstande war, einen Text zu verfassen. Es ist jetzt Sonntagabend, langsam kehren die Lebensgeister in alle Gliedmassen zurück.
Am Freitag traf ich mich mit meinem Fussbalfreund B. Wir gingen in den Starken August an der Schönhauser Allee. Ich besuche die Bar schon seit vielen Jahren, weil sie eine der ersten war, in der man gutes Bier kultivierte. Die Bar zum Starken August wird von einer Rockabilly- und Burlesque Szene frequentiert. Manchmal gibt es Burlesque Shows, in der sich Frauen, Dragqueens und auch Männer genüsslich ausziehen. Das war auch heute der Fall. B und ich beschlossen kurzhand eine Karte zu kaufen. Die Stripshows sind politisch, die Moderatorin hält flammende Reden über Selbstbestimmung, nachher kommt eine als Witwe verkleidete, übergewichtige Frau auf die Bühne und lässt ihre Korsage fallen. Es ist ein guter Mix.
Nach der Show setzten wir uns an die Strasse, danach kamen einige unserer Fussballfreundinnen dazu, die vorher beim Testspiel von Hertha gegen den BFC im Jahnstadion waren. Auch B und ich hatten zuerst überlegt zum Spiel zu gehen, aber weil sich beim BFC Dynamo so viele Nazis tummeln, entschieden wir uns dagegen.
Und dann wurde es eben sehr spät. Und ich hatte meinen Pegelindikator für den Alkohol verloren. Als ich zuhause ankam, wurde es am Horizont wieder hell. Normalerweise fahre ich ja gerne betrunken Fahrrad, aber diesmal konnte ich mich kaum an die Fahrt erinnern.
Am Samstag wachte ich dann mit einem Schädel auf, der den Raum des gesamten Schlafzimmers füllte. Den Rest des Tages döste ich in einem Dämmerzustand. Ab und zu musste ich mich übergeben, dann setzte ich mich wieder auf das Sofa, dann legte ich mich ins Bett, ab und zu trank ich etwas und so rotierte ich den ganzen Tag.
Am Sonntag ging es ähnlich, allerdings döste ich weniger. Dafür schaute ich zwei ganze Filme. Einmal die Hintergrundgeschichte zu Moby Dick. In dem Film wird die wahre Geschichte über Herman Melville erzählt, wie er den letzten Überlebenden des gesunkenen Walfängers „Essex“ interviewt und ihm die Geschichte entlockt, woraus er später „Moby Dick“ stricken wird. Die Odyssee der „Essex“ ist eine historisch belegte Geschichte, in der ein Walfänger von einem riesigen Potwal angegriffen wird. Danach treibt die Besatzung monatelang in kleinen Booten über den Pazifik. Die meisten sterben, als die Übriggebliebenen entdeckt und gerettet werden, findet man verstörte Menschen mit brüchiger, grauer Haut vor, die an den Knochen der verstorbenen Mitfahrer nagen, von denen man sie kaum trennen kann. Der Film ist okay, ein bisschen zu viel Action vielleicht. Er gilt als der beste Film, der sich mit der Moby Dick Thematik auseinandersetzt. Alle anderen Verfilmungen sollen eher enttäuschen.
Mich interessierte der Film hauptsächlich deswegen, weil ich schon seit vielen Jahren immer wieder mal Moby Dick zu lesen versuche, aber stets nach etwa 100 Seiten den Faden und das Interesse verliere. Vermutlich stellte ich mich immer zu sehr auf ein Seeabenteuer ein und weniger auf einen Text der vielleicht etwas ganz anderes ist als ein Seeabenteuer, zumindest interpretiere ich das so, wenn ich Sekundärliteratur zu Moby Dick lese, die aus dem Buch ein rätselhaftes Kunstwerk macht, das es zu analysieren gilt. Wenn ich das Wort Analyse bei Texten schon lese, dann vergeht mir meist die Lust den Text zu lesen. Ich hörte auch mit Ulysses auf, als ich las, wie James Joyce sich darüber amüsierte, dass er dermassen viele Rätsel in Ulysses versteckt habe, die man selbst in 5000 Jahren noch nicht fertig entschlüsselt hätte. Woah, wenn ich rätseln will, dann lade ich mir eine App im Playstore herunter, dafür lese ich keinen Text.
Trotzdem: Seeabenteuer entfachten immer schon die Faszination in mir. Wäre ich als Bauernkind im Südtirol 1820 grossgeworden, wäre ich vermutlich ausgewandert und hätte als Matrose in London oder Hamburg angeheuert. Vermutlich als Walfänger. Ein Leben ohne Perspektive und ohne Weitsicht in einem engen Tal in den Alpen, das hätte mich fertig gemacht. Ein Leben als Matrose wäre zwar auch ein Scheissleben gewesen, aber immerhin ein Scheissleben, bei dem die Gedanken nicht von Bergkämmen beschränkt sind. Andererseits wäre ich im Südtirol von 1820 vermutlich Analphabet gewesen, ich wüsste gar nicht wo ich Geschichten über die Südsee hätte aufschnappen sollen.
Mit dem Kayakverkäufer auf Ebay schrieb ich ein paar Mails hin und her, eigentlich wollte ich es am Samstag mit dem Auto holen, aber dann beschloss ich kurzerhand mit dem Auto ins Büro zu fahren und am Abend weiter zum Verkäufer nach Charlottenburg.
Als ich zu ihm fuhr, fiel mir wieder einmal auf, wie viele Ecken der Stadt ich überhaupt nicht kenne, vor allem in Westberlin, diesmal der Kiez um den Mierendorrfplatz. Das ist eine richtig schöne Gegend. Etwas abgeschottet hinter Moabit, zwischen Schlosspark, Ring und Wasser, aber dennoch sehr urban. Ich komme da nie hin.
Schön auch: nur Hertha Sticker im Strassenbild.
Nun. Kayak also. Ich muss mir gerade von verschiedenen Seiten anhören, dass das alles sehr nach Midlifecrisis klingt. Pft. Vielleicht ist es Midlife. Aber sicherlich keine Crisis.
Nach der Arbeit mit einem Exkollegen zum Holzmarkt gegangen. Auch wenn ich diesen seltsamen, hippen Erwachsenenspielplatz an den Sbahngleisen durchaus mag, ist der Ort doch sehr unauthentisch geblieben. Manchmal ist mir das aber egal. Heute regte ich mich aber darüber auf, dass man nur mit Bargeld zahlen kann. Ich sage zum Barmenschen auf englisch (weil ja alle englischsprachig):
„Man, we’re in Berlin und dann Cash Only.“
Er antwortete stolz: „Yes, BECAUSE it is Berlin““
Das irritierte mich. Jetzt kriegen wir auch noch die strukturkonservativen Hipster ab. Können die nicht ins Erzgebirge?
Ich wollte mich ans Wasser setzen, dort gibt es ein schönes Ufer mit verschachtelten Holzbänken zwischen kleinen Bäumen. Ich nahm das als Gelegenheit Kayaks zu zählen, die an uns vorbeiziehen würden. Am Ende des Abends kam ich auch die Zahl 0.
In Amsterdam sind die Kanäle immer voll mit Kanus, Ruderbooten und kleinen Motorbooten. Nach vier Stunden an der Spree sind vielleicht zehn Ausflugdampfer an uns vorbeigefahren.
Mein Exkollege sagte, dass es sicherlich verboten ist, auf der Spree zu rudern. Aber das kann ich mir nicht vorstellen. Am Ostkreuz gibt es einen Kanuverleih, da rudert man ja an der Spree.
Ein Blick ins Internet verrät: zwischen Oberbaumbrücke und Kanzleramt dürfen nur motorisierte Boote ab 15 PS fahren. Bleiben also immerhin die Kanäle und die Spree ab Mediaspree aufwärts. Das hat man offenbar wegen der vielen Unfälle eingeführt.
Nun.
Mittlerweile habe ich einen anderen Verkäufer mit dem gleichen Kayak im Netz gefunden. Es sieht danach aus, dass ich das am Samstag kaufen werde.
Im Alexa gewesen, im Thalia. Stephen King Bücher gesehen. Da ich neuerdings Thriller und Krimis lese, kann ich es ja auch wieder mit Horror versuchen. Ich habe von Stephen King den „Friedhof der Kuscheltiere“ gelesen, das ist zwar sehr lange her, aber ich kann mich an eine phantasievolle und schlüssige Geschichte erinnern, die mir ungemein gefallen hat. Viele Jahre später, vor etwa zwölf oder dreizehn Jahren, las ich meiner Frau aus „Es“ vor. Ich hatte das Buch auf dem Flohmarkt gefunden und ich schleuste es als Vorleseprojekt in unsere Beziehung ein. „Es“ ist wirklich sehr lang und die episch angelegte Geschichte baut sich nur langsam auf. Meine Frau schlief immer nach wenigen Minuten ein. Was wir damals lustig fanden. Ich kam aber nicht über Seite 400 hinaus, ich fand nie wirklich in die Geschichte hinein. Wenn ich in diesem Blog nach Stephen King suche, dann finde ich tatsächlich Unmengen an Einträgen aus jener Zeit. Ich wusste gar nicht, dass mich das so oft beschäftigte.
Ich fand auch die Liebesbriefe zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Auch das war ein Vorleseprojekt aus der Frühzeit der Beziehung zwischen meiner Frau und mir. Seltsamerweise finde ich dazu nichts im Blog. Vermutlich war es eine Periode in der ich weniger schrieb. Wir lasen uns damals jeweils die Briefe vor, sie Ingeborg und ich Paul. Nebenher blätterten wir in deren Romanen, bzw Lyrikbänden auf die sie sich in den Briefen bezogen. First-Hand Sekundärliteratur sozusagen. Das war schon sehr lustig. Bis wir herausfanden, dass sie Mitte zwanzig waren, als sie sich die Briefe schrieben. Das kam uns auf einmal mega kindisch vor und wir hörten sofort damit auf.
Aber zuzrück zu Stephen King. Sein letzter Roman, der mit den „Fairies“ im Titel, soll ja sehr gut sein. Aber dann googelte ich danach und las, dass es sich um Fantasy handelte, aber auf das Fantasy-Genre habe ich sehr wenig Lust. Zumindest jetzt, vielleicht entdecke ich ja auch Fantasy wieder, aber momentan kann ich damit überhaupt nichts anfangen.
Ich habe jetzt mit „Ein bisschen Leben“ von Hanya Yanagihara begonnen. Das Buch wurde mir von einer Freundin empfohlen. Und wenn man sich ein bisschen umschaut, dann hört man über dieses Buch viele euphorische „Ohs“ und „Uhs“ und „Wahnsinnig ergreifendes Buch“. Diese Ohs und Uhs, sind die Dinge, die ich begreifen will. Ähnlich wie die Verstörung bei Thrillern von neulich. Mal sehen. Das Buch hat fast tausend Seiten. Ich habe es als Papierbuch bekommen, ich hoffe es erschlägt mich nicht.
Muskelkater in den Beinen. Das verstehe ich jetzt nicht. Die Beine sind das, was ich gestern am wenigsten beansprucht habe. Ich erwartete Muskelkater an Schultern und Oberarmen, da wo ich mehr Muskeln will, meine Beine sind vom jahrzehntelangen Radfahren bereits wie zwei junge Kälber, aber zwei Schweineschwarten als Schulter- und Oberarmpartie, das wäre schon cool. Offenbar rutscht bei mir immer alles in die Beine.
Ein bisschen schmerzt mir auch der untere Rücken. Das kann ich wiederum nachvollziehen, man sitzt in so einem Kayak eher unbequem. Also nicht dermassen unbequem, dass man es nicht ertragen würde, aber eben nie völlig entspannt.
Ich habe einen Faltkayak auf einem Kleinanzeigenportal gefunden. Es ist genau das Modell, das ich suche. Ich stehe mit dem Mann in Austausch, es befindet sich aber in einem anderen Bundesland. Er antwortet sehr langsam. Er weiss auch nicht, ob er es diese Woche auf die Post geben kann. Ich frage ihn, ob es realistisch ist, dass ich es bis Dienstag habe. Daraufhin antwortet er: wie willst du bezahlen?
Leute die Fragen mit falschen Fragen beantworten. Diesmal antwortete er immerhin schnell. Seitdem aber: wieder Funkstille.
Währenddessen betont meine Frau, dass unsere Hündin kein Wassertier mehr wird. Das sagte unsere Dogwalkerin auch. Während auf ihren Spaziergängen am See alle Hunde immer ins Wasser springen, bleibt unser Tier etwas uninteressiert am Ufer stehen.
Ich glaube ja, sie braucht nur einmal Zuversicht gewinnen. Ich meine zwei Fehler gemacht zu haben:
Letzten Sommer holte ich sie in Schweden von der Flusstreppe zu mir ins Wasser. Das war steil hinunter in kaltes, tiefes Wasser, auf meinen Armen. Das mochte sie überhaupt nicht.
Und zweitens waren wir letzten Winter ja auf Usedom, dort sind wir auf dem Strand immer vor dem herannahenden Wasser geflüchtet. Schliesslich hatte ich ja Schuhe an und wollte nicht nass werden.
Ich denke mal Wasser ist deswegen nicht so positiv besetzt. Ich möchte daher einmal mit ihr zusammen an einem flachen Ufer ins Wasser hineingehen. Nebeneinander, bis es immer tiefer wird und sie Zuversicht gewinnt.
Ja, ich weiss, man soll es nicht forcieren, aber ab 20 Plusgraden leidet sie, sie wird es schätzen. Ich habe sie vermutlich nur falsch sozialisiert.