[Sa, 4.11.2023 – Fortsetzungen, Spiele, langsamer Tag]

Heute hatte ich wenig Antrieb. Ich fühlte mich leicht kränklich und war den ganzen Tag über müde. Zum einen hatte ich wieder wenig und schlecht geschlafen, deswegen versuchte ich den ganzen Vormittag Schlaf nachzuholen. Aber die Versuche blieben erfolglos. Meine Frau war bis zwei Uhr auf einer Tagung in Mitte und ihr erging es ähnlich, nur mit dem Unterschied, dass sie sich nicht ins Bett legen konnte.
Vielleicht brüten wir etwas aus.

Am Nachmittag schauten wir die dritte Staffel von „Only murders in the building“. Sie ist ein bisschen anders als die ersten beiden Staffeln. Die Hauptfiguren haben sich leicht verändert, dennoch mag ich die Serie aus ästhetischer Sicht, die Farben, die Wohnungen und dieses winterliche New York, in dem die Menschen ständig Schale tragen.

Ich kam aber nicht gut in die Geschichte rein. Das mag sicherlich daran liegen, dass ich ein Vorurteil bei zweiten und dritten Staffeln habe, ich empfinde das oft als angestrengten Versuch ein Erfolgskonzept weiterzuverwursten um noch ein bisschen daran zu verdienen. Das mag nicht immer so sein und überhaupt ist es ja akzeptabel, wenn Menschen an etwas verdienen, aber eine Fortsetzung hat nie die Magie einer ersten Staffel oder eines ersten Filmes.
In der ersten Staffel steht meist eine Geschichte im Vordergrund. Eine Idee, oder Figuren, die das erste Mal in die Welt hinaus gelassen werden. Und man schaut was passiert.
Eine Fortsetzung ist hingegen immer das Aufreiten auf den Erfolg, man hat gute Figuren und jetzt muss man noch eine Geschichte drumherum erfinden. Manchmal fühlt es sogar wie ein Finetuning an. Dinge, die im ersten Teil gut funktionierten, werden bis zum letzten Tropfen ausgequetscht. Sobald ich das Gefühl habe, es durchschaut zu haben, dann verliere ich das Interesse.
Und meistens ist die Handlung in den Fortsetzungen schlichtweg schlecht.

Deswegen schaute ich auch etwas uninspiriert und spielte auf meinem Telefon Regale sortieren.

Später setzte ich mich an den Rechner und spielte „Don’t Starve“. Ich spielte „Don’t Starve Together“ , um nicht ganz alleine zu sein. Deswegen wählte ich bestehende Onlinewelten aus, die man ohne Passwort betreten kann. Einmal landete ich bei Koreanern, die mich auf koreanisch anchatteten. Ich antwortete auf englisch, aber sie führten die Konversation auf koreanisch fort. Dann schmissen sie mich von ihrem Server.
Danach landete ich in einer Welt, in der ein einziger Charakter spielte. Der schien sich nicht für mich zu interessieren und blieb immer weit weg auf einer Insel. Ich spielte drei Tageszyklen runter und dann wurde mir langweilig.

Deswegen stieg ich auf „The Long Dark“ um. The long Dark ist ein sehr schönes Survival-Spiel, das in der kanadischen Arktis spielt. Nach fünf Minuten merkte ich aber, dass ich wenig Lust darauf hatte, Hunger zu haben, einsam zu sein und zu frieren und ständig Wölfe in der Ferne zu hören.
Also hörte ich auf und las Hanya Yanagiharas „Ein wenig Leben“ weiter. Nach einer halben Stunde fiel mir plötzlich Kafka ein, einfach so, also holte ich einen Band von Kafkas Kurzprosa aus dem Schrank, nach fünf Minuten störte es mich aber, ein Papierbuch in der Hand zu halten, also schaute ich nach Ebooks von Kafka und fand das komplette Werk von Kafka für 99 Cent. Alle Romane, alle Kurzgeschichten, alle Texte, einschliesslich der Briefe und Tagebücher, alles für 99 Cent.

Ich fand es irgendwie deprimierend. Der Geldwert eines Gesamtwerkes von Weltliteratur ist auf eine Verwaltungs- und Transaktionsgebühr zusammengeschrumpft. Meine Geldbörse freute sich dennoch.

[Fr, 3.11.2023 – Bräugier, Lautstärke, Bloggen]

Am Abend waren meine Frau und ich mit Frau Casino verabredet. Wir trafen uns im Bräugier in der Stubbenkammerstrasse, einem kleinen Brewpub, in dem sie vornehmlich eigenen Biere brauen. Ich war bereits einige Male dort, weil sie wirklich gute Biere ausschenken und wenn man Hunger hat, kann man sich von der Pizzeria Zoe nebenan eine Pizza bringen lassen.

Es ist Frau Casinos Kiez, der Kiez in dem meine Hündin vor ziemlich genau einem Monat ihre erste Woche Urlaub hatte. Ich war gespannt darauf, wie sie auf den Kiez und auf Frau Casino reagieren würde. Leider konnten wir nicht durch den Kiez spazieren, weil ich aufgrund logistischer Schwierigkeiten viel zu spät dran war. Aber als wir das Bräugier betraten, erkannte sie Frau Casino sofort und freute sich, sie zu sehen. Mich freut es wenn sie sich freut und wenn Frau Casino sich freut und überhaupt freut es mich wenn alle sich freuen.

Weil es im Bräugier ziemlich laut war, wechselten wir nach einer Stunde in die Pizzeria nebenan. Vorletzte Woche in Amsterdam gab es auch so ein Lokal in dem ich wegen der lauten Musik nicht sitzen bleiben wollte. Vielleicht war ich früher unempfindlicher gegenüber Lautstärke, oder vielleicht war früher die Musik nicht so laut, ich weiss es nicht, ich kenne es jedenfalls nicht von früher, dass ich aufgrund der Lautstärke in ein anderes Lokal wollte, möglicherweise hörte ich früher einfach besser und vielleicht störte es mich nicht zu brüllen, aber mittlerweile liebe ich entspannte Settings, wenn man zusammen sitzt und redet. Wäre ich esoterisch, würde ich davon Reden, dass sich mein Rumpf wie ein Resonanzkörper anfühlen muss, damit sich das Setting richtig anfühlt, achmann, ich sollte esoterisch werden, ich empfinde inneren Frieden, wenn ich meinen Rumpf als Resonanzkörper bezeichne.

Wir reden auch übers Bloggen. Frau Casino bloggt nicht täglich, aber mindestens einmal die Woche. Meistens öfter. Es gibt ja grosse Teile des Lebens, die man nicht verbloggen kann. Private Sachen von Freunden, ernsthafte Krankheiten Dritter, Gesprächsinhalte, ich lasse auch meine Frau fast vollständig aus dem Blog raus, sie wirkt in meinen Tagebuchaufzeichnungen eher wie eine Komparsin, das ist aber so gewünscht und ich blogge auch nicht über die Arbeit, oder zumindest kaum, oder wie Frau Casino sagte, ich würde immer betonen, dass ich nie über die Arbeite schreibe und während ich betone, dass ich nie über die Arbeit schreibe, schreibe ich eben doch über die Arbeit. Das sorgte für Erheiterung, aber es stimmt natürlich nur teilweise, es sind nur harmlose Dinge, die ich aus dem Arbeitsleben berichte. Meistens zumindest. Oder zumindest wenn ich mir sicher bin, keinen Schaden anzurichten.

[Do, 2.11.2023 – Paketlieferung, Metallica]

Ich hatte die 30 Kilo Hundefutter extra online bestellt, damit sie jemand anders zu mir nach Hause schleppt. Die Lieferung sollte am Dienstag kommen, weil am Dienstag jemand zuhause sein würde. Aber die Lieferung kam erst heute, wo natürlich niemand zuhause war. Die 30 Kilo wurden auch nicht bei den Nachbarinnen abgegeben, sondern in der 1km entfernten Postfiliale. Das ist weiter weg als Futterhaus.

Also fuhr ich mit dem Auto in die Postfiliale. Dort bediente mich die zierliche, junge Blonde. Ich sagte, es gäbe ein Dreissigkilopaket für mich. Wir scherzten ein wenig, sie ist immer sehr lustig, dann holte sie das Paket aus dem Lagerraum, dabei stöhnte sie dramatisch, gab röhrende Töne von sich und wies darauf hin, wie glücklich sie mit ihrem neuen Fitnessstudio sei. Sie sagte während des Schleppens aber auch, dass das nie und nimmer 30 Kilo seien. Sie legte das Paket auf die Waage – eine geeichte Waage–, wie sie betonte und diese zeigte lediglich 24 Kilo an. Ich sagte nur: nunja.
Was sollte ich auf so viel Präzision schon erwidern.

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Vorm Einschlafen lagen wir im Bett, ich spielte „Regale sortieren“ auf dem Telefon, meine Frau hörte Coverversionen von Metallicas Fade to Black. Die Covers sind eigentlich durchgehend schöner als die dumpfen Versionen von Metallica. Ich hörte als Jugendlicher Metallica, das war die Zeit von „…and Justice for all“, aber die älteren Alben hatten es mir mehr angetan, vor allem „Ride the Lightning“ und „Master of Puppets“ und als Teenie war ich auch ganz besonders diesen schwermütigen Balladen angetan. Fade to Black war eine dieser Balladen. Weil es so umständlich war, die Plattenspielernadel nach Ende des Liedes immer wieder auf den Beginn des Liedes einzugrooven, nahm ich Fade to Black auf eine Kassette auf. Das selbe Lied, immer hintereinander, 90 Minuten lang Fade to Black. Nach 45 Minuten musste man die Kassette allerdings umdrehen.

Das Lied handelt von Depressionen. Fade to Black. Als Teenie romantisierte ich dieses Abdriften in Dunkelheit. Ich verwechselte klinische Depression mit Melancholie. Ich hatte ja keine Ahnung. Wobei „fade“ ja eher ausbleichen oder ausblenden bedeutet. Ausbleichen ins schwarz. Das wäre auch ein schöner Titel.

Es gibt viele Liveversionen, sie spielen es auch noch in 2022 auf Konzerten. Erstaunlich ist, dass James Hetfield immer noch „Cliff“ dazwischenruft. Cliff Burton starb bevor ich Metallica hörte, da war ich 11 Jahre alt. Ich fand heute heraus, dass der tödliche Busunfall in Schweden passiert war, damit hatte ich nicht gerechnet und zwar gerade mal anderthalb Stunden von unserem Häuschen entfernt. Man könnte da mal hinfahren, sagte ich, da gibt es bestimmt ein Denkmal.
Nein, sagte meine Frau.

[Mi, 1.11.2023 – Urlaub nacherzählen, Pokalspiel]

Eine Mitarbeiterin aus England erfuhr heute, dass ich auf Spitzbergen war und danach wollte sie ALLES (in Grossbuchstaben) darüber wissen. Wir setzten uns auf das Sofa in meinem Büro und ich erzählte und beantwortete eine halbe Stunde lang Fragen. Ich kam mir sofort wieder in den Urlaub zurückversetzt vor.

Ich sah in ihr eine ähnliche Begeisterung hochkommen wie bei mir damals. Sie sagte, dass sich ihre Frau leider nur Strandurlaube in der Sonne vorstellen könne, sogar die Ostsee sei für sie zu kalt. Aber sie müsse sich jetzt irgendwie dazu verhalten, sie muss da unbedingt hin.
Dummerweise haben sie gerade ein Baby adoptiert, das wird für die nächste Zeit nicht so einfach.

Am Abend fand dann das Pokalspiel gegen Mainz statt. Ich fuhr dieses Mal nicht ins Olympiastadion. Das Spiel begann um 20:45, wenn alles gut geht, verliesse ich kurz vor elf das Stadion, bis ich eine Sbahn erwische dauert das nochmal eine halbe Stunde, ich wäre vermutlich nach Mitternacht, gegen halb eins zuhause gewesen. Am Donnerstagfrüh habe ich ein wichtiges Meeting. Ich kenne mich, ich bin nicht so diszipliniert, dass ich das so durchziehe, und man stelle sich vor, dass wir gewinnen und ich noch ein Siegerbierchen nach dem Spiel trinken muss um den Sieg zu verkraften und noch ein zweites etc. Dabei ist noch gar nicht eingerechnet, dass das Spiel in die Verlängerung gehen könnte und zum Elfmeterschiessen kommt, ich käme irgendwann um drei Uhr zuhause an.

Also so diszipliniert bin ich nicht. Deswegen schaute ich einen phantastischen Sieg gegen den Bundesligisten Mainz von zuhause aus an. Manchmal denke ich, mit diesem Zweitligakader wären wir nie aus der ersten Liga abgestiegen.

[Di, 31.10.2023 – Halloween, Frisur]

Morgens fuhren meine Schwiegereltern wieder weg. Ich half mit dem Gepäck und fuhr danach in die Firma.

Den Mitarbeiterinnen aus Iran fiel heute auf, dass Halloween in Berlin nicht sonderlich ausgiebig gefeiert wird. Sie dachten, dass ganz Europa verkleidet durch die Strassen ziehen würde. Sie hatten es sich mehr wie ein nationales Fest vorgestellt.
Alle versammelten Europäer waren sich einig, dass Halloween eher etwas Neues sei, das zwar schon irgendwie zelebriert werden würde, aber nicht die grosse Bedeutung hätte. Allerdings ist Halloween schon sehr ästhetisch. In der Ubahn sieht man ständig schwarz gekleidete Hexen. Wenn es nach mir ginge, könnte die Stadt ja immer von Hexen bevölkert sein.

Nach der Arbeit liess ich mir die Haare schneiden. Seit meine Lieblingsfriseurin aufgehört hat, suche ich ja immer noch. Das letzte Mal liess ich mir in Schweden die Haare schneiden. Das fühlt sich an, als wäre es letztes Jahr gewesen, dabei war das Mitte Juli, das ist gerade einmal dreieinhalb Monate her, was natürlich für einen Haarschnitt schon sehr lange ist. Ich laufe auch schon zwei Monaten mit schlechtsitzenden Haaren herum, die ich notdürftig mit viel Pomade zu fixieren versuche, aber gestern gab ich mir eine Ruck und buchte einfach einen Termin bei einem willkürlichen Frisursalon am Potsdamer Platz, wo ich einfach nach der Arbeit aufschlagen könnte.

Die Frisur wurde nicht gut und auch die Chemie mit dem Friseur stimmte nicht. Ein junger Mann anfang zwanzig. Es gibt wenig langweiligeres als junge Männer anfang zwanzig.
Ausserdem wollte er nicht meinen Bart stutzen. Männer und Bart, das sei immer so ein Ding, da traue er sich nicht ran. Immer so ein Ding. Ich kam mir vor wie eine Prinzessin.

[Mo, 30.10.2023 – Hosenbeine, Zitrön]

Morgens im Park trage ich wieder kurze Hose, bei 12 Plusgraden finde ich das morgens sehr angenehm, es erfrischt mich. Es ist Ende Oktober, die Leute kommentieren das natürlich, aber ich sage nur: es hat wieder 12 Grad, das ist noch Spätsommer. Aber zwischen all den winterlich gekleideten Menschen fühle ich mich mit den nackten Beinen schon ein wenig underdressed.

Allerdings ist Pfützenwetter, so werden immerhin die Hosenbeine nicht schmutzig.

Dann rief ich bei einem Vertragspartner von Citroën an. Ich hatte einen Brief von Citroën erhalten, dass es ein allgemeines Problem mit dem Verschleiss der Bremstechnik in meinem Auto gäbe. Ich solle mich umgehend an einen Citroën Partner wenden. Ruft man bei einem Partner an, kommt eine Bandansage, die Sitroeng als Zitrön ausspricht. Weiss nicht. Ich werde das Auto dennoch vertrauensvoll in deren Hände legen.

[Fr/Sa/So, 29.10.2023 – Heimspiel, Tenorlage, Zeitumstellung]

Am Freitag kamen meine Schwiegereltern. Dann assen wir und tranken wir. Danach fiel ich ins Bett.

Am Samstag ging ich zum Spiel gegen Paderborn ins Olympiastadion. Ich hatte drei Karten für den Sohn eines Freundes und seine zwei Kumpels besorgt. Also nahm ich sie mit in die Ostkurve. Wir vier waren die ersten, die bei uns unten im Block standen. Es sind Herbstferien, viele Menschen sind verreist, dann ist auch nur der SC Paderborn zu Gast, ausserdem ist am kommenden Mittwoch das weitaus aufregendere Pokalspiel gegen Mainz. Es dauerte eine Weile, bis wir nicht mehr alleine waren.

Wir gewannen 3:1. Der Sieg war zwar verdient, aber auch eher glücklich. Danach wurde die Mannschaft in der Kurve gefeiert. An einen Aufstieg am Ende der Saison mag ich aber eher nicht glauben.

Nach dem Spiel traf ich jemanden der Mitglied in unserem Fanclub werden wollte. Da wir mittlerweile so gross sind, trifft sich jemand aus dem Vorstand immer persönlich mit aufzunehmenden Mitgliedern. Dies um zu verhindern, dass man es mit Arschlöchern zu tun hat. Er war dann kein Arschloch, aber später schickte er mir Altherrenwitze per WhatsApp. Es ist kein gutes Zeichen, wenn man von einem eher fremden Meschen Altherrenwitze geschickt bekommt. Das macht nichtmal mehr mein Vater bei mir. Jetzt diskutieren wir das Thema intern.

Am Abend brannte mir der Hals. Ich weiss nicht, ob das vom Singen im Stadion kam, oder ob es Rachenschmerzen sind. Ich hatte bereits die Nacht davor ein Jucken im Halsbereich.
Die Gesänge im Stadion liegen immer in einer für mich unglücklichen Tonlage, sodass ich eher krächze, oder mindestens angestrengd singe. Fast immer sind die Lieder ein paar Terzen zu hoch. Damals im Chor erging es mir oft ähnlich wenn ich bei den Tenören mitsingen musste. Ich sang ja lieber Bass, aber Bässe gab es immer genug, in Chören gibt es immer einen Tenormangel, ich weiss nicht warum das so ist, aber googelt mal Tenormangel, das ist offenbar ein Ding. Dummerweise eignet sich meine Stimme auch als Tenor, zumindest wenn die Tonlage nicht zu hoch ausfällt. Deshalb schickte mich der Chorleiter immer zu den Tenören. Ich mochte das nicht, mich strengen die hohen Töne sehr an, vor allem wenn wir Schumann sangen, ich hasste Schumann, immer zu hoch, immer schmerzte mir danach der Hals.

Die Vorsänger bei den Ultras sind vermutlich Tenöre.

Am Sonntag ging es meinem Hals wieder besser. Irgendwann gingen wir alle spazieren und dann war abend, dann kochten wir etwas und dann war der Tag vorbei.

Ich schaffte es die ganzen letzten drei Tage nicht, einen Tagebucheintrag zu verfassen. Es gäbe vieles zu berichten, aber wenn die Tage länger zurückliegen, dann verwässern die Ereignisse immer. Das gute am täglichen Schreiben ist ja, das Geschehene auf ein kleines Podest zu stellen und es zu betrachten. Nach ein paar Tagen verschwinden die kleinen Details des Tages und es bleiben nur die wichtigen Geschichten oder der grobere Überblick übrig.
Beim Betrachten der kleinen täglichen Details schaffe ich oft erst sie richtig zu verarbeiten. Das ist ein sehr seltsamer Prozess. Man beschreibt etwas und merkt erst die Stimmigkeit oder die Unstimmigkeit dahinter, merkt, wie oberflächlich man die Szene erlebt hat, oder man versteht erst beim Beschreiben warum einen etwas so sehr bewegt. Dieser Zwang es anzusehen. Überhaupt: durch den Schreibprozess lerne ich immer viel über mich als Person.

Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich die Zeitumstellung liebe? Ich liebe nämlich die Zeitumstellung.

[Do, 26.10.2023 – Es ist rot, Telefonat mit Vater, Polarnacht]

Gestern fuhr ich im Rondell des Strausberger Platzes in entgegengesetzter Richtung mit dem Rad über eine rote Ampel. Eine alte, schlechtgelaunte Frau tadelte mich: es ist rot!
Ich hielt an. Ich sagte: „Stimmt.“
Dann fügte ich hinzu: „Und schlimmer noch: ich fahre in entgegengesetzter Richtung.“
Sie sagte: „Stimmt“.

Wir hatten beide recht. Das ist ein schönes Gefühl.

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Mit meinem Vater telefoniert. Er hat eine neue Freundin. Vor drei Wochen fragte er noch, ob ich ihn nächsten Sommer mit nach Spitzbergen nehme. Heute hatte das keine Priorität mehr, aber „irgendwannmal“, zuerst fliegt er in zwei Wochen mit der neuen Freundin nach Madeira und da will er sehen, ob sie kompatibel sind.

Eine meiner Schwestern, diejenige, die ihm an nächsten ist, weiss noch nichts von der neuen Freundin, es muss also noch wirklich sehr frisch sein.

Ich checke seinen WhatsApp Status, dort taucht noch keine Frau auf, aber seine Fotos sind alle sehr trüb, er hat eine verschmutzte Kameralinse. Ich leite ihm sein letztes Foto weiter, es sind verschwommene Spätzle darauf abgebildet, dazu schreibe ich: „Papa, du musst deine Kameralinse putzen.“

Er antwortet: „Das sind keine Kastanien 🤣“

Tja.

In Longyearbyen begann heute die Polarnacht. Zuerst ging die Sonne ein letztes Mal um 11:59 auf und dann ging sie um 13:21 unter. Bis zum Wiedersehen am 8. März.
Es ist erstaunlich, wie schnell das jetzt ging. Vor drei Wochen ging die Sonne noch um 18Uhr unter. Und es war morgen bereits hell bevor ich aufstand.

[Mi, 25.10.2023 – Gastgebermodus]

Aufgrund logistischer Probleme konnten meine Schwiegereltern den Flug nach Berlin nicht antreten und kamen somit nicht. Sie werden morgen allerdings ins Auto steigen und über den Landweg zu uns fahren.

Meine Frau und ich befanden uns im Gastgebermodus und wussten nicht so recht, was wir mit dem Abend anstellen sollten. Also bestellten wir uns eine Pizza. Das hatte immerhin etwas Feierliches.

[Di, 24.10.2023 – Wintermissionierung]

Das Gefühl kränklich zu sein, ist wieder vorbei. Heute arbeitete ich von zuhause aus, weil das erste Meeting bereits um 10 Uhr angesetzt war. Zwischendurch bereitete ich auch die Wohnung auf meine Schwiegereltern, die morgen kommen würden, vor. Das funktionierte aber nicht sehr gut. Um 17:30 war ich dann mit einem der Teams im Due Forni an der Schönhauser verabredet. Ich hatte eingeladen um endlich die Vollständigkeit des Teams zu feiern. Wir haben das Team von 5 auf 13 Leute aufgestockt. Mittlerweile ist auch der letzte angekommen.

Nach dem dritten Bier monologisierte ich ein bisschen über den nordeuropäischen Winter. Die vielen neuen Mitarbeiter kommen nämlich aus Iran, Sri Lanka und einer auch aus Ägypten. Der aus Sri Lanka kennt eigentlich nur Temperaturen bis runter auf 20 Grad. Grad Plus. Ich wollte sie adäquat auf die dunkle Jahreszeit vorbereiten, es ist nämlich nur eine Frage der Einstellung, wie man auf diese dunkle Zeit blickt. Stellt man sich auf eine kuschelige Zeit ein, die man in Innenräumen, also Wohnungen, Bars und Restaurants, beim Essen oder mit Kuscheldecke auf dem Sofa verbringt, dann ist die Aussicht wesentlich freundlicher, als wenn man daran denkt, dass man nicht mehr mit Tshirt im Park sitzen darf, weil man dann friert. Und ich empfahl auf die Beleuchtung in den Wohnungen zu achten. Im Winter dreht sich alles um Beleuchtung.

Ich glaube, ich redete eine halbe Stunde lang über den Winter, vielleicht sogar länger, ich merkte, wie ich richtig in Fahrt kam, am Ende schienen sie sich wirklich auf die kommenden Monate zu freuen. Aber ich bin auch deren Chef, vielleicht waren sie nur nett und liessen diesen alten, bärtigen Mann quatschen bis es ihnen aus den Ohren wieder herauswuchs.