[Donnerstag, 25.8.2022 – Unterhosen schonwieder, Abwasserarbeiten, Longyearbyen]

Und schon wieder sind mir die U-Hosen ausgelaufen. Heute zog ich das letzte Paar aus meiner Kommode. Immerhin gab es noch eine für den Tag. Das muss ein strukturelles Problem sein, bisher ist das nie passiert. Es wird nicht reichen, einfach nur zu waschen, also verwendete ich die Mittagspause für den Unterhosenkauf. Und da ich schon in der Mall war, kaufte ich noch zwei paar kurze Hosen für den Restsommer. Die kurzen Hosen, die ich neulich kauften, verschlissen so schnell im Schritt. Den Verschleiss kann ich natürlich dem Fahrradsattel zuschreiben, aber ehrlicherweise liegt es wohl auch an meinen Oberschenkeln, die aneinanderreiben. Dummerweise bewege ich mich auch noch sehr viel, was die Frequenz der Aneinanderreibung erhöht. Man weiss beim Kauf der Hosen aber nie so richtig, wie sich die Abreibung verhalten wird, deswegen kaufe ich einfach wahllos auf Optik hin.

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Am Montag kommt um 8 Uhr übrigens der Klempner. Ein zweiter Versuch, das Abwasserrohr zu entstopfen. Wir leben hier ja immer noch mit einem disfunktionalen Badezimmer. Es ist erstaunlich, wie schnell man sich daran gewöhnt. Jedenfalls habe ich seit zwei Wochen diesen Termin für kommenden Monat. Heute hing dann ein Zettel an der Haustür, dass am Montag um 8 Uhr bis voraussichtlich Mittag, das Wasser im Haus abgestellt wird. Das hängt mit den Bauarbeiten in der Strasse zusammen.

Ich schrieb sofort die Dame des Klempnerbüros an. Ich ahnte nämlich, dass Wasser so ziemlich Essentiell für Arbeiten am Abwasser sein wird. Die Damen stimmte mir zu und bot mir an, den Termin auf den Nachmittag zu verschieben. Ich war ihr sehr dankbar.

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Longyearbyen. Heute ging in Longyearbyen zum ersten Mal seit 4 Monaten wieder die Sonne unter. Nur für ein paar Minuten. Ab jetzt gibt es so etwas wie eine Nacht. Sie wird jeden Nacht um 15 Minuten länger.
Ich finde, es ist wieder Zeit für die Webcam in der Arktis.

[Mittwoch, 24.8.2022 – Huta, Brillenpinn, internationales Essen, Highlandpark]

Heute war das zweite Mal Huta für unser Tier. Also Hundetagesstätte. Beziehungsweise: Dogwalk. Weil die Hu-Sitterin ja auf einen langen Spaziergang geht und nicht in einer Stätte sitzt.
Von unterwegs schickt sie uns regelmässig Fotos und etwas Begleittext. Dass sie mitgeht und neugierig ist, bei grösseren Hundegruppen eher vorsichtig ist. Auf den Fotos ist sie verspielt und auch konzentriert. Ich kriege starke Gefühle der Liebe.

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Im Büro sass ich heute ohne Lesebrille. Normalerweise habe ich mehrere Brillen über mein Leben verteilt, zweidrei im Büro, zweidrei zuhause, eine im Auto. Manchmal auch eine oder zwei in der Tasche. Ich handhabe das so, weil ich Brillenmanagement furchtbar finde. Offenbar steckte ich bei Verlassen des Büros aber ein paarmal zu oft eine Lesebrille ein. Ich fand nur noch eine kaputte Lesebrille, die ich mal in die unterste Schublade geschoben hatte, weil: man weiss ja nie.
Der kaputten Brille fehlt eine Schraube, wodurch ich den rechten Bügel nicht befestigen kann. Zwar lässt sich die Brille aufsetzen, aber dann sitzt sie unbequem und schief und sie drückt auf meine rechten Wimpern. Ich fand aber einen dieser dünnen Pinns, mit denen man SIMkarten aus dem Steckslot nimmt. Diesen Pinn steckte ich ins Gewinde der Brille, wo sich sonst die Schraube befindet. Weil der Pinn eine etwas auffällige Form hat, sieht man ihn natürlich auch auffällig an der Brille. Es war aber OK, den meisten Menschen fiel es nicht auf.

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Im Büro wurde heute wieder gekocht. Es waren etwa 20 Kolleginnen anwesend. Der kochende, deutsche Kollege, bereitete Bohnesuppe zu. Ich frage mich manchmal, was unsere Kolleginnen aus Indien oder dem mittleren Osten wirklich dabei denken, wenn sie so etwas essen. Ich fragte das dann auch so in die Runde. Alle meinten, die Bohnensuppe würde ihnen gut schmecken, aber ich bin mir nicht sicher, ob das nur eine Geste der Höflichkeit ist. Daher wollte ich wissen, was sie (die Inderin) gestern zu Abend gegessen habe. Sie antwortete: Fischcurry mit Reis. Richtig schlau wurde ich aus der Antwort nicht, also scherzten wir ein bisschen herum. Über Gewürze, über frische Zutaten und bald waren alle in diesem Gespräch involviert und wir redeten wild durcheinander über Essen und kulturelle Hintergründe. Erkenntnisse gewann ich daraus keine, aber ich nahm mir noch eine zweite Portion der Bohnensuppe.

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Heute kamen auch die Schwiegereltern wieder, auf ihrem Weg nach Süden. Sie bleiben für ein paar Tage. Das schönste ist immer, wenn sie kommen und wir ein paar Biere öffnen, Snacks und Oliven essen und dann mit dem Kochen beginnen. Es ist fast schon ritualisiert. Heute bekam ich auch einen Whisky aus Orkney. Von Highland Park. Der Distillerie, die wir damals gemeinsam besucht hatten.

[Dienstag, 23.8.2022 – nochmal der Mann im Park, Viral, Russlands Militär, Abwassersysteme, Worldle]

Ich wollte gestern nicht so böse über diesen Mann im Park schreiben. Er ist eigentlich ein netter Kerl, der einfach viel von seinem Innenleben preisgibt und dabei etwas ungelenk wirkt. Wie ich aber über ihn schrieb, war fast schon böse oder mindestens überheblich und urteilend. Eigentlich wollte ich den Eintrag gar nicht online stellen, ich hatte schon einen Alternativtext geöffnet, in dem ich schrieb: heute kein Eintrag.

Dann entschied ich mich kurzfristig um. Es ist egal. Niemand von euch beiden Lesern wird den Mann je kennenlernen und der Mann wiederum wird dieses Blog nie lesen. Der Text wirft kein gutes Licht auf mich, aber auch das ist egal. Ich habe einen Freund, der letztes Jahr eine Novelle publizierte, die er mit zwanzig schrieb. Und er steht immer noch Wort für Wort hinter dem Geschriebenen. Das beeindruckt mich sehr und das sagt vermutlich viel über die Stabilität seines Charakters aus. Ich hingegen finde meine niedergeschriebenen Gedanken schnell unlesbar.

Vermutlich wollte ich meine Irritation äussern. Als ich den Mann im Park kennenlernte kam es mir vor, dass er sich vertrauensvoll an mich wandte. Die Details seiner privaten und beruflichen Probleme waren sehr persönlich, sehr intim, es war mir fast schon unangenehm, dass er sich dermassen öffnete, aber hey, ich war dann einfach da und hörte ihm zu, vielleicht brauchte er das, so dachte ich.
Dass er das in den darauffolgenden Tagen, bei jeder Begegnung mit anderen Menschen, bei der ich zugegen war, mit der gleichen Tonalität und den gleichen Detailiertheit tat, irritierte mich etwas. Mittlerweile sehe ich ihn von weiten schon kommen. Er ist gross, sportlich, ist tätowiert, trägt Bart, hat einen selnbstbewussten Schritt. Wenn er sich mir oder der Gruppe, in der ich stehe, nähert, weiss ich gleich schon, dass er gleich über sein Gefühlsleben und den Problemen mit dem Hund reden wird. Und so kommt es immer.

Ich merke, dass es mich beschäftigt, aber ich habe noch keine abschliessende Haltung zu der ganzen Sache gefunden. Gestern sagte er zu allem Überfluss auch noch, dass er Hertha hasst. Daraufhin sagte ich ihm gleich, dass er damit bei mir keine Punkte sammelt. Worauf er den Hass unmittelbar abschwächte, dass er früher Hertha ganz okay fand, aber er ja eigentlich Bayernfan ist und letztes Wochenende bei Union im Stadion war, undja… punktpunkt. Damit wären die Fronten geklärt.

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Also heute. Was ich heute eigentlich passiert. Ich fuhr ins Büro. Dabei hatte ich einen Bewerber, der hiess Viral mit Vornamen. Er erschien aber nicht zum Termin. Ich hätte gerne mit jemandem gearbeitet, der so heisst, aber wahrscheinlich nur, weil ich dann immer eine olle Anekdote habe, die ich herauskramen kann, wenn ich mal keine Themen habe. Immerhin kann ich die Anekdote jetzt abkürzen, dass ich mal einen Bewerber hatte, der so hiess. Ich schäme mich jetzt schon vor dem Moment, an dem ich den ollen Witz hervorkramen werde, gott, bin ich heute larmoyant passivselbstdestruktiv. Dabei habe ich gute Laune. Ich google über das russische Militär und bin seltsam entspannt, wenn ich lese, wie klein Russland eigentlich ist und wie gross die EU und auch die Nato, ausserdem google ich nach Abwassersystemen, weil es uns bei unserem Holzhaus in Schweden irgendwann blühen wird, dass wir die bestehende Sickergrube nicht mehr verwenden dürfen. Es gibt Abwassersysteme mit zwei Kammern, die kosten ab 6000€ aufwärts, das beruhigt mich einigermassen, da ich Kosten im sechsstelligen Bereich erwartet hatte und das können und wollen wir nicht aufbringen. Andererseits sind in Deutschland Systeme mit 3 Kammern Pflicht und dann wird es wesentlich kostspieliger, ausserdem müssen diese Kammern alle paar Jahre entleert werden, es muss also Zugang für einen LKW geben, aber das Gelände auf dem das Haus steht, ist gerade so mit einem Auto befahrbar. Ach, mal sehen. Wenn ich so herumgoogle, dann lande ich immer im Irgendwo.

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Dann Worldle gespielt. Nicht zu verwechseln mit Wordle. In Worldle muss man Länder anhand ihrer Silhouette erraten. Da ich ein Geographienerd bin, errate ich alles. Heutiges Highlight: die Falklands. Allerdings verwechselte ich sie zuerst mit Französisch-Polynesien und dann South Georgia. Gott, bin ich heute gut gelaunt.

[Montag, 22.8.2022 – der Mann im Park]

Neuerdings treffe ich immer diesen jungen Mann mit Hund im Park. Er redet immer über seine Gefühle. Er redet mit allen Menschen über seinen Gefühlszustand über seine Beziehung zu seinem problematischen Hund. Wir Hundebesitzerinnen stehen ja oft zusammen im Park herum. Manchmal redet man, manchmal steht man einfach herum und schaut den Tieren beim Spielen zu.

Den Mann, der über seine Gefühle redet, treffe ich fast jeden Tag. Er hat eine rumänische Strassenhündin adoptiert. Seine Hündin hat Schwierigkeiten mit anderen Hunden. Sie bellt und schnappt, wenn ihr nicht danach ist. Zu Menschen ist sie entspannt.
Neuerdings ist sie aggressiver. Er muss sie an der Leine führen. Auch im Park. Er erklärt mir, dass es ihm zur Zeit nicht gut geht und die Hündin das merkt. Er ist unglücklich verliebt bzw wurde verstossen und auf der Arbeit wird er von seinen Kollegen nicht akzeptiert. Zum Teil liegt die fehlende Akzeptanz natürlich an den anderen, aber ein Grossteil des Problemes liege schon bei ihm selber.

Je schlechter es ihm geht, desto protektiver verhält sich seine Hündin. Letzte Woche wurde er von einem Mann auf der Strasse gewaltsam angegriffen. Er wurde ins Gesicht geschlagen und fiel dabei auf den Boden. Daraufhin konnte er tagelang kaum noch mit der Hündin auf die Strasse gehen.

Gestern und auch heute traf ich ihn wieder im Park. Gestern erzählte er mir von dem Vorfall. Auch heute wieder. Und er erzählt es allen Leuten, mit denen wir im Park so zusammenstehen. Er erzählt auch immer allen, dass es ihm gerade beruflich nicht so gut geht. Auch, dass seine Kollegen ihn nicht akzeptieren. Und dass er unglücklich verliebt ist, bzw verstossen wurde.

Ich merke, dass ich ihn mittlerweile ein bisschen meide. Anfangs fand ich es ja gut, dass er immer so offen mit seiner Person umging. Und Männer, die über Gefühle reden, soll man ja unterstützen, oder? Mittlerweile habe ich aber das Gefühl, dass er einfach sein Ding loswerden will. Immer wieder und wieder. Da ich keine Handhabe dafür gefunden habe, weiche ich ihm aus. Wenn ich ihn jetzt noch oft treffe, werde ich irgendwie agieren müssen.

[Sonntag, 21.8.2022 – Kühlschrank auftauen]

Der grosse Plan des Tages war es, den Kühlschrank aufzutauen und zu putzen. Das nahm viel Zeit in Anspruch. Weil wir dabei auf viele sterbende Lebensmittel stiessen, designten wir gleich ein Abendessen daraus.

Zum Abendessen gab es deswegen Gemüsetopf mit Gratinkäse. Mit Tricolori-Farfalle, die wir mal in einem Geschenkkorb bekommen hatten. Sogar die Farfalle waren abgelaufen, weil: wann zur Hölle öffnet man diese Packung mit 250 g Tricolore Farfalle. Die spart man sich immer für Momente auf, die niemals kommen.

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Über den Tag verteilt machten wir mehrere Rudelspaziergänge. Die Hündin liebt es, zu dritt unterwegs zu sein. Wenn das Rudel komplett ist. Dann stolziert sie zwischen uns beiden mit wackelndem Popo durch den Kiez.

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Die Arbeit am Kühlschrank zog sich über den ganzen Tag hinweg. Mit vielen Pausen selbstverständluch. Nachdem er aber sauber und wieder eingeräumt war, setzten wir uns auf den Balkon und öffneten das Bier, das meine Frau aus Kiel mitgebracht hatte. Von der Brauerei Lille. Schmeckte hervorragend. Das Tier legt sich breit auf den steinernen Boden hin und kühlt sich die Bauchdecke.

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Ein sauberer Kühlschrank ist schon schön.

[Samstag, 20.8.2022 – Samstagso]

Wieder beim Hundetraining in der Rummelsburger Bucht gewesen. Dann nachhause, Konferenz zweite Bundesliga geschaut, dabei müde geworden und eingeschlafen. Aufgewacht, Konferenz erste Bundesliga geschaut und wieder müde geworden. Aber diesmal nicht wieder eingeschlafen, sondern aufgestanden und mit dem Tier aus dem Haus gegangen.

Dann schauten wir Echoes. Zwei Zwillingsschwestern, die über Jahre hinweg ihre Leben tauschten. Bis eine von den beiden verschwindet. Die Serie hat gute Kritiken bekommen, ich finde sie eher so mässig. Finde vieles unglaubwürdig, man kann einem Partner nicht eine andere Person vorsetzen. Aber die Geschichte wird auf eine spannende und unerwartete Weise aufgerollt, das macht sie immerhin einigermassen fesselnd.

Das war der Tag.

[Freitag, 19.8.2022 – Homeoffice und Fussball]

Homeoffice und abends Hertha gegen Gladbach. So war der heutige Tag.
Auf der Arbeit hatten wir kurz vor Feierabend noch ein technisches Problem, das sich in den frühen Abend hinein schleppte. Dabei musste ich noch den Boden wischen, weil ich zum Spiel zwei Freunde eingeladen hatte. Unser Küchenboden ist weiss, wenn es draussen regnet, dann wird der Boden immer schnell grau. Wegen des Tieres. Das kann ja ihre Pfoten nicht ausziehen.
Hatte dann dennoch genug Zeit zum Wischen.

Ah und meinte Frau war frühmorgens für einen Tag nach Norddeutschland gefahren. Fürs Protokoll muss ich das erwähnen.

Und sonst so? Meine Mannschaft verlor wieder. Aber es war eine unverdiente Niederlage. Wir sind uns alle einig: wenn sie immer so spielen, dann macht es wieder Spass und es gibt nichts zu befürchten.

[Donnerstag, 18.8.2022 – Firenze, Kuhfuss]

Die Nacht war furchtbar. Nicht wegen des frischen Tattoos, sondern wegen der stehenden Wärme in der Wohnung. Es kühlte nur langsam ab. Gegen zwei Uhr holte ich den Standventilator und stellte ihn so hin, dass er über meinen Körper pustet. Danach konnte ich eine Weile schlafen.

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Die Gespräche mit meiner Tätowiererin hallten noch lange nach. Wir redeten über Florenz, auch über Italien. Sie schilderte mir die fehlende Perspektive für junge Menschen und von einer zunehmend fehlenden Mittelschicht. Schon seit 20 oder 30 Jahren. Es gibt kaum interessante Jobs, die Gesellschaft altert, wird zunehmend konservativer. Die Stadt profitiert von einem ziemlich elitären ausländischen Tourismus, der die Renaissance um Michelangelo, Leonardo da Vinci, Raffaello usw liebt und hat sich darauf ausgerichtet. Der schöne Teil der Stadt ist aus diesem Grund so gut wie unbewohnbar geworden, weil zum Einen zu teuer, aber auch, weil es keine entsprechenden Lokale und Geschäfte für den täglichen Bedarf gibt. Restaurants sind Edeltrattorie, Geschäfte sind Juweliere, Weinhandlungen oder Boutiquen. Es ist die Stadt von Gucci.
Auch der Mercato Centrale, der ja eigentlich das Zentrum der italienischen Nahrungskultur darstellt, wird von den Florentinerinnen nur noch wegen des frischen Fisches aufgesucht, der Rest sind Feinschmeckerstände, oder es sind Stände mit ausgewähltem, überteuerten Gemüse, exklusive Weine, Waren für Italienliebhaber aus Nordeuropa oder USA.
Sie als Künstlerin beklagt sich, dass es faktisch keine lebendige Kunstszene gibt. Künstlerinnen ziehen nach Milano, London oder Berlin. Junge Menschen, die Jobs suchen auch. Alte Leute sind meist arm. Industrie gibt es keine mehr, bis auf die 500 Arbeitsplätze, die nach dem Weggang von Fiat durch eine neu gegründete Gewerkschaft gerettet wurden. Es klingt deprimierend, wie sie es schildert.

Anfang der neunziger, als ich oft in Florenz und Pisa war, hielt ich mich in der Tat meist am Stadtrand auf. Konzerte und Lesungen fanden in den Centri Sociali statt. Das sind umgewidmete Fabriksgebäude, manchmal sind die besetzt, oftmals aber auch einfach von der Stadt zur Verfügung gestellt. Centri Sociali gibt es in jeder italienischen Stadt und es sind die Orte der Subkultur, des zeitgenössischen Geschehens. Skateboarder, Bandräume, Meetingräume, Werkstätten, Bühnen usw. Irgendwie gab es damals schon wenig dazwischen. Also zwischen Hochkultur und den Centri Sociali. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich damals kein Geld hatte und mit 20000Lire (Zehn Euro) auf Reisen ging. Ich muss wieder einmal nach Italien. Ich muss das verstehen.

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Während sie mir ein Brecheisenmotiv auf der Haut anbrachte, fielen uns die Bezeichnungen in den verschiedenen Sprachen auf. Auf deutsch nennt man das Brecheisen auch Kuhfuss. Auf niederländisch ist es auch eine Kuh, es ist de Koevoet. Auf schwedisch auch: kovot. Auf englisch hingegen die Crowbar. Eine Krähe. Wegen der gekrümmten Füsse vielleicht, man sagt ja auch Krähenfüsse auch deutsch, aber damit mein man etwas anderes. Auf italienisch ist es hingegen ein Piede di Porco. Ein Schweinefuss. Ja, klingt auch vernünftig. Dann googlen wir spanisch und portugiesisch, da sind es Ziegenfüsse. Kühe, Schweine, Ziegen, Krähen. Schafe konnten wir allerdings nicht finden.

Update: auf französisch ist es Pied de Biche = Dammhirschkuh. Hm. Dammhirschkuh.

[Mittwoch, 17.8.2022 – Insektenbiss, Hund weg, Tattootermin]

Gestern Abend stach mich etwas in die Kniekehle. Davon schlief ich die ganze Nacht schlecht. Meine Kniekehle ist geschwollen und entzündet. Sitzen schmerzt. Wenn ich das Bein ausstrecke, ist es aber OK. Ich habe keine Ahnung, was das für ein Tier gewesen ist. Eine Wespe hätte ich sicherlich beim Stich gespürt. Vielleicht war ein Floh. Ich reagierte früher immer empfindlich auf Flohbisse. Jetzt wo eine Hündin ständig bei meinen Füssen lebt, kann es natürlich sein, dass wieder Flöhe in mein Leben treten.

Als Kind hörte ich zum ersten Mal dieses alberne Sprichwort: Wer seinen Hund liebt, müsse auch seine Flöhe lieben.
Damals wusste ich noch wenig über die Liebe, aber ich begriff dadurch das Konzept von bedingungsloser Liebe. Ich kann mich an das Gefühl erinnern, das ich dabei empfand. Bedingungslose Liebe. Es gefiel mir. Ich konnte mir auch die Aufopferung vorstellen. Flöhe lieben. Aber es begleitete mich immer diese Ahnung, dass an der Sache etwas faul ist.

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Heute wurde das Tier das erste Mal durch die Dogwalkerin abgeholt. Die Hündin ging erstaunlich schnell mit ihr hinaus. Ohne Tschüss zu sagen oder Zeichen der Sehnsucht von sich zu geben. Ich wusste nicht, dass ich eifersüchtig bin. Es ist kein gutes Gefühl.

Dann ging ich ins Büro. Die Dogwalkerin schickte uns Fotos von unserem Tier, wie es glücklich mit anderen Hunden spazierte, am Baggersee planschte. Als sie nach Hause kam, war ich noch im Büro. Ich wollte von meiner Frau ALLES wissen. Wie sie sich bei Ankunft verhielt, ob sie sich freue, ob sie müde sei, ob irgendwas anders ist als sonst. Meine Frau schrieb, sie wirke glücklich aber unkoordiniert und müde. Vermutlich habe sie viel zu verarbeiten.
Mit dieser Info weiss ich nur wenig anzufangen.

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Nach der Arbeit fuhr ich direkt zum Termin mit meiner Tätowiererin. Sie kommt eigentlich aus Florenz. Sie wohnte für viele Jahre in Berlin aber kurz vor der Pandemie lernte sie einen Mann aus Florenz kennen. Dieser ist beruflich nicht besonders flexibel, daher verbringt sie jetzt einen Grossteil ihrer Zeit in Italien, sie hat aber ihre Wohnung behalten und kommt oft nach Berlin um ihre Kunden zu stechen. Sie will ihr Leben hier aufrecht behalten, weil sie perspektivisch beide nach Berlin ziehen werden. Normalerweise mietet sie sich einen Tisch in einem befreundeten Studio, heute schlug sie aber vor, zu ihr in die Wohnung zu gehen. Ich fand das OK. So lernte ich ihren Freund kennen, mit dem ich mehr als zwei Stunden plauderte, während sie die Vorbereitungen traf.

Die ganze Termin samt Vorbereitung sollte etwa zwei Stunden dauern, letztendlich verbrachte ich fünf Stunden bei ihr. Ihr Arbeitszimmer ist auch das Schlafzimmer, da sie ihr ehemaliges Schlafzimmer, aufgrund ihrer Aufenthalte in Florenz, untervermietet. Das Zimmer ist vollgepackt mit Bildern, Kleidern, Plastiken, Tüchern. Von meiner Liege aus schaue ich auf die Dächer Neukölns, ich höre den Verkehr der Sonnenallee, Feuerwehr, Polizei, Hupen, Menschen. Bei 32 Grad. Ich fands OK. Wenn man sich nicht bewegen muss und man im Schatten liegt, sind 32 Grad in Ordnung. Ich fühlte mich in Wong Kar Wai’s Hong Kong der sechziger Jahre verlegt.

[Dienstag, 16.8.2022 – Pfütze, Tatt, Karotteneis]

Heutefrüh machte das Tier erste Bekanntschaft mit einer Pfütze. Pfützen gab es bisher noch nicht in ihrem Leben. Aber aufgrund des gestrigen Regens, hatte sich ein 2cm tiefes Gewässer im Park gebildet. Zuerst schnüffelte sie daran, dann trank sie daraus. Später kam ein Hund und rannte durch die Pfütze, das probierte sie dann auch und fand Gefallen daran. Der rennende Hund rannte ständig durch die Pfütze und einmal rannte er mein Tier um, das mit einer ganzen Hälfte im schmutzigen Wasser zu liegen kam.

Später zuhause war sie dann trocken, aber es fielen stundelang Sandkörner von ihrem Fell ab. Die ganze Wohnung ist von einer feinen Sandschicht überzogen.

Sonst ist nicht viel passiert. Ich war im Homeoffice. Morgen habe ich einen Termin bei meiner Tätowiererin. Es soll 34 Grad heiss werden. Ich hasse es jetzt schon. Normalerweise lasse ich mich nur im Winter tätowieren. Ich werde bei 34 Grad mehrere Tage lang mit einem Verband herumlaufen. Schöner Scheiss. Ausserdem sieht es immer dämlich aus, wenn man mit frischen Tattoos herumläuft. Tätowierungen sehen nur gut aus, wenn sie den Anschein erwecken, immer schon dagewesen zu sein.

Morgen gibt es auch den ersten Termin mit der Dogwalkerin. Die Hündin wird es liiieben mit drei iiis, aber sie weiss davon noch nichts.

Dann habe ich dem Tier Karotteneis gemacht. Karottensaft in Eiswürfelbehälter gekippt und ins Gefrierfach gelegt. Die Hündin liebt seltsamerweise Karotten. Und wenn es so heiss ist, liebt sie Eiswürfel. Karotteneiswürfel sind sowas wie Stracciatellaparty für uns Menschen.