Wir sind immer noch da. Aber nach 5 Tagen auch schon ein bisschen müde. Teenager sind zudem erstaunlich empfänglich für Chill-Phasen. Erwachsene prügeln ja gerne ein anspruchsvolles Programm durch, Teenies hingegen liegen auch gerne einfach auf dem Sofa und schauen ins Telefon. Das finde ich sehr löblich und kommt meinem Biorhythmus durchaus entgegen.
Was wir gemacht haben, für mich fürs Protokoll:
Mo: am Abend vom Flughafen abgeholt, dann Burritos bestellt und „How to buy drugs online (fast)“ geschaut Di: Gamestation am Potsdamer Platz besucht, Kollhofftower bestiegen, Burgermeister am Schlesischen Tor gegessen, ins Kino und „Venom 3“ geschaut Mi: Fahrradrundfahrt, Alex, Potsdamer Platz, Kreuzberg, den mutmasslich besten Döner der Stadt bei 7days am Kottbusser Tor gegessen und abends zu Hertha ins Olympiastadion wo wir ein spektakuläres Spiel sahen Do: mittags Sushi, nachmittags den ersten Teil von Venom auf Prime Video geschaut, abends zu Alba im Euroleague Spiel gegen Istanbul Fr: mit dem Auto zum Teufelsberg gefahren, auf dem Rückweg durch den Wedding zu Curry Baude, abends Chicken Wings bei Brewdog, dann den zweiten Teil Venom
Auf diese Weise geht eine Woche rum. Die Jungs wollten vor allem viel unterschiedliches Essen probieren. Heute gingen wir einmal alle Mahlzeiten durch und das Highlight war offenbar Burgermeister am Schlesischen Tor. Aber auch alle anderen Mahlzeiten fanden sie richtig gut. Berlin, die Hauptstadt des Essens. Höhö.
Wir schalten auf die dunkle Zeit des Jahres um und es wird kühler, erst kommt Halloween, dann Allerseelen, im November fallen die Blätter, als würden sie die Tage herunterzählen, die Tage werden kürzer, ruhiger, die Dämmerung kommt immer früher, man schaltet wieder die Lichter an, trifft sich zunehmend in Innenräumen, bei Freunden zu Hause, in Bars, in Kneipen, bei gedämmtem Licht, bei Wärmequellen. Draussen knöpfen wir uns die Jacken immer höher zu, wir tragen Mützen und auf dem Fahrrad auch Handschuhe, im Dezember sind wir eingepackt, manchmal fällt der erste Schnee und der Boden knistert, es wird immer dunkler, ab Mitte Dezember verabreden wir uns kaum noch, wir sagen Meetings ab, verschieben die Dinge auf das neue Jahr, wir fahren uns alle runter, immer dunkler, bis zum 21. Dezember zu und dann schalten wir den Motor aus, es kommen die Lichterketten, das Essen, das viele Bier und dann hängen wir tagelang herum bis die Jahreswende über uns hereinkommt. Danach kommt der seltsam tote Januar. Immerhin habe ich an dessen Ende Geburtstag. Dieses Jahr werde ich fünfzig, vielleicht sollte ich es feiern. Andererseits fand ich letzten Januar in Lappland so schön, das würde ich gerne wieder erleben, allerdings lassen sich Erfahrungen ja nicht wiederholen, vielleicht lade ich Freunde zu mir nach Hause ein, ich sollte ohnehin mehr zelebrieren. Danach erst kommt der furchtbare Februar und der furchtbare März, der magische Teil des Winters ist längst vorbei und das Olympiastadion wird zum Kühlschrank, da will man, dass der Winter jetzt doch vorbeigeht, aber Berlin schickt uns immer noch eine dritte oder vierte Spätwinterwoche nach.
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Früher war der Winter die Zeit, in der ich viel schrieb. Der Sommer hämmert immer auf mich ein, der Sommer baggert an mir, ich soll rausgehen, die Sonne scheint, alle Menschen fahren ihre Blüten aus. Der Winter holt mich hingegen rein, beruhigt mich, da fand ich immer Zeit für die langen Prosatexte.
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Am Montag kommen die beiden Jungs meiner Schwester. Es wird eine aufregende Woche. Gestern fragte ich in meinem Fanclubchat nach dem besten Döner und dem besten Burger und dem besten Sushi und der besten Currywurst. Natürlich bestand die Gefahr, einen religiösen Krieg auszulösen. Es hielt sich allerdings in Grenzen. Die Jungs interessieren sich vor allem für Essen, das finde ich gut, wir werden Spass haben.
Ich weiss nicht, wie gut ich in dieser Woche Tagebuchschreiben kann. Sie schlafen schliesslich in meinem Arbeitszimmer und ich werde ja ständig den Plan in der Hand halten. Mal sehen.
Nach einem solchen Abend bin ich immer sehr selbstkritisch. Meine Performance war eher mittelmässig. Ich lese viel zu schnell und nuschle dabei. Ich bin aus der Übung. Aber das wird wiederkommen. Wenn demnächst die Novelle rauskommt, werde ich vielleicht wieder öfter vor Publikum lesen und es wird wieder besser flutschen. Ausserdem bin ich wegen der Arbeit an der Novelle sehr motiviert die Arbeit an den anderen, langen Prosatexten wieder aufzunehmen, ich täte gut daran, das Nuscheln abzustellen.
Gestern fehlte mir ein wenig die Zuversicht in den Texten. Es waren rohe Texte, direkt aus dem Blog, unlektoriert und nur wenig geschliffen. Die Stadiontexte funktionieren als Tagebucheinträge einigermassen okay, vor einem zuhörenden Publikum brauchen sie aber noch mehr Feinschliff. Das merke ich mir fürs nächste Mal. Aber mein Bauch! Wenn ich wählen könnte, den Bauch loszuwerden oder das Nuscheln, würde ich mich für den Bauch entscheiden. Christian Bale nuschelt schliesslich auch und legt dabei eine gute Performance hin.
Dennoch war es ein schöner Abend. Christian Barons Tante sass im Publikum. Das ist die Frau aus dem Roman, die ihn später aufzog. Und Natalie sass überraschenderweise im Publikum, deren Namen zwei Mal in meinen Texten vorkam. Um sie nicht zu erschrecken, warnte ich sie sicherheitshalber vor. Nachher meinte sie aber, dass sie das gut fand. Später redete ich noch lange mit dem Mann, der für die Räumlichkeiten zuständig ist. Er erzählte mir vom Autorenforum Berlin, einer wöchentlichen Veranstaltung, in der Texte von vortragenden Autorinnen besprochen werden. Da fahre ich sicherlich einmal hin, auch wenns in JWD-Steglitz liegt.
Shit, morgen ist ja schon Freitag und damit Lesung. Meine innere Zeitwahrnehmung war im Dienstag hängen geblieben. Was ziehe ich bloss an? Und ich habe wieder so viel zugenommen.
Jetzt alle Lesungstexte für Freitag lesefest gemacht. Ausserdem stellte ich den technischen Unterbau für den englischsprachigen Herthapodcast „DMTF – don’t mention the fussball“ fertig. Es ist schon ein älterer Podcast, aber wegen den Platzbeschränkungen bei Soundcloud wollten die Jungs einen anderen technischen Unterbau, damit man leichter hochladen und auch ein Archiv anlegen kann. Habe ich jetzt gemacht.
Undsonstso. Meine Frau ist gerade krank und ich fürchte mich davor, mich anzustecken. Am Montag kommen meine beiden Neffen. Ich freue mich sehr auf die beiden, wir werden eine spassige Woche haben. Aber da muss ich natürlich fit sein. Wir werden sehr viel unternehmen. Sie wollen vor allem gut Essen (echten Döner, echte Currywurst und mehr oder weniger echtes Sushi) und zu Hertha gehen. Nächste Woche gibt es zwei Heimspiele, am Mittwochabend im Pokal und Samstagabend in der Liga gegen Köln. Flutlichtspiele. Das wird bestimmt super. Und generell werden wir viel unterwegs sein, sie haben sehr viel Lust auf grosse Stadt. Krank werden wäre nicht besonders cool.
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Ich frage mich, ob Sperrbildschirme persönliche Happyplaces sind:
Schon seit Längerem überlege ich, die Domain mequito.org aufzulösen. Der Erwerb dieser Domain war vor 21 Jahren ein lustiger Gag, weil ich gerade in Madrid lebte und von vielen Menschen „Mek“ genannt wurde, woraus ich schliesslich „Mequito“ ableitete. Jetzt wohne ich schon wirklich lange nicht mehr in Spanien und habe auch kaum noch Bezug zu dem Land. Dabei finde ich Spanien wirklich schön, ausserdem wirkt es derzeit, neben Irland und Norwegen, wie das einzige wirklich progressive Land auf dieser Welt. Dennoch hat sich damals zwischen uns keine echte Liebe entwickelt. Das mag daran liegen, dass ich eigentlich nur die Niederlande verlassen wollte und Paris als neuen Wohnort vorzog, als mir mein damaliger Arbeitgeber eine Stelle in Madrid anbot. Es fühlte sich immer nach Plan B an und wurde nie eine Liebesbeziehung. Zudem beschwörten die langen und unerträglich heissen Sommer keine Glückgefühle in mir herauf.
Die Domain mequito.org fühlt sich also schon seit langer Zeit etwas fremd an. Unter dieser Adresse erwartet man etwas anderes als einen Südtiroler in Berlin, der seinen Urlaub in der Arktis verbringt. Die ersten paar Monate lief dieses Blog unter dem Namen „antarctica.dhs.org“, das war die ursprüngliche Ausgangslage, zuvor betrieb ich in den Neunzigern meinen ersten eigenen Mailserver unter antarctica.xs4all.nl. Ich hatte wohl damals schon einen Fimmel.
Die Domain mequito.org behielt ich jedenfalls trotzdem, schlichtweg, weil es anstrengend ist, ein Blogsystem auf neue Domain umzuziehen. Aber demnächst habe ich wieder etwas Zeit, deswegen beschäftigte ich mich bereits mit neuen Namen. Ich entschied mich für „esregnet“. Schwierig wird allerdings die Wahl der Toplevel-Domain, also bei der sogenannten Endung. Das .de ist schon besetzt und bei allen anderen bin ich eher mittelmässig begeistert.
Das ist die Liste:
esregnet.de -> besetzt esregnet.org -> ich war immer ein Fan von .org Domänen aber es passt besser zu richtigen Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen und solchen Sachen esregnet.cloud -> lustig wegen Regenwolke. Aber auch nur deswegen. esregnet.eu -> nah esregnet.me -> hat was, das verwenden Frau Fragmente und Frau Modeste. Danach hörte sie aber auf zu bloggen. Kein gutes Omen. esregnet.berlin -> hm vielleicht, aber eher näh esregnet.fun -> hehe esregnet.life -> lustig, aber das klingt, als wäre es etwas schlechtes esregnet.com -> besetzt
esregnet.sj -> SJ ist Spitzbergen. Aber diese Domains werden nicht vergeben esregnet.blog -> nah, zu bloggig esregnet.beer -> näh, zu bierig esregnet.edeka -> gibt es tatsächlich esregnet.fish -> religiöse Symbolik, hat was, passt aber nicht zum Inhalt esregnet.monster -> lustig, aber esregnet.xxx -> lustig, aber. Ausserdem besteht das Risiko, dass man mich dann nur noch ohne „safe search“ googlen kann esregnet.one -> diese Toplevel Domain kannte ich gar nicht. Hat was. esregnet.black -> Würde ich normalerweise sofort nehmen, es passt farblich aber nicht. Was mich jetzt zu langem Nachdenken gebracht hat esregnet.blue -> passt farblich irgendwie besser esregnet.bz -> Belize. Oder das ehemalige Kfz Kennzeichen für Bozen. Wir von vielen Bozner Initiativen verwendet. Könnte lustig sein, aber ach, meine Personality ist nicht so Bozen. Und in Bozen regnet es ja nie esregnet.aq -> Antarctica. Kostet aber 7 Euro pro Monat
esreg.net -> hm esregn.et -> hm. Äthiopien. Hat was. Die beiden letzten sehen aber etwas zerstückelt aus.
Auf dem Flug zurück sass eine Frau Anfang vierzig neben mir. Zuerst scherzten wir ein bisschen hier und da wegen der engen Sitze und der Gurten, die sich so schwierig einstecken liessen. Das Scherzen ging sofort in ein Gespräch über. Anfangs sprachen wir über den Grund unserer Aufenthalte in Südtirol. Sie war beruflich unterwegs, auf einer Konferenz, dabei hatte sie allerdings viel Zeit gefunden, sich in der Gegend umzusehen und war völlig von der Landschaft in der Umgebung ihres Hotels verzaubert. Wir redeten über die Berge und über Landschaften. Auch redeten wir über die bedrohliche Weltlage und wir redeten über meine Kindheit in den Bergen und dass ich mit Markus Lanz auf der Schule war. Dabei waren wir uns einig, dass sein Gesprächspartner Precht ein komischer Typ sei. Ich machte mich zwei Jahre älter, als ich tatsächlich bin, ich weiss nicht, warum ich das tat, ich lüge eigentlich nie über mein Alter und erst ist es seltsam, mich zwei Jahre älter zu machen. Sie sagte, dass ich aber wesentlich jünger aussähe. Da hätte ich schon gerne nachgeschoben, dass ich nur 49 Jahre alt bin, aber jünger auszusehen ist ja auch eine gute Sache und die Wahrheit war ja nicht wichtig, nach der Landung würden wir uns nicht mehr wiedersehen, es muss ja nicht alles immer wahr sein, man kann einfach eine schöne, kurze Zeit miteinander haben, mit ihr zu reden war sehr nett, sie war wegen des Fluges auch etwas nervös, also tranken wir Gin Tonic und stiessen auf die Flugnervosität an. Wenn ich von mir erzähle, erwähne ich eigentlich immer meine Frau, das mache ich schon aus Gewohnheit, wenn ich beispielsweise über meine Sommerurlaube in Schweden erzähle, aber auch in anderem Kontext. Und Frauen gegenüber ist es fair, wenn man gleich den sozialen Status auswickelt, schliesslich trage ich keinen Ehering, viele Menschen achten darauf. Heute war es das erste Mal, dass ich das nicht tat. Das Gespräch war einfach nett, ich mochte sie, ein leichter, harmloser Flirt, wir würden uns nicht mehr wiedersehen, ein bisschen fühlte ich mich wieder, als sei ich achtzehn, das kann man mal machen.
Irgendwann über Prag hatte ich wieder meine App mit den offline Karten in der Hand. Damit kann man per GPS sehen, wo man sich gerade befindet. Europa war bewölkt. Dann sagte sie: Du, ich finde unser Gespräch ja sehr schön. Es würde mich freuen, wenn wir in Kontakt blieben. Ich sagte natürlich, dass mich das auch freuen würde und tatsächlich freute es mich auch, allerdings wurde ich auch aus einem etwas plüschigen Schlaf gerissen. Sie gab mir ihre Telefonnummer. Diese trug ich in mein Adressbuch ein und ich sagte, ich würde ihr nach der Landung, wenn ich den Flugmodus wieder ausschalte, eine Whatsapp schicken.
Zehn Minuten später erwähnte sie einen Mann, mit dem sie zusammen sei. Dieser sei Italiener und so lerne sie gerade nebenher Italienisch. Bald darauf streute ich die Erwähnung meines Schwagers. Ich bin mir nicht sicher, ob es der netten Plauderei einen Abbruch tat. Ein bisschen vielleicht schon. Aber vielleicht auch nicht.
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So viel Traurigkeit heute. Morgens, als ich mit der Hündin unterwegs war, sass eine Frau mit ihrem Telefon an einer Häuserwand und weinte so laut, dass man es in der ganzen Strasse hören konnte. Als ich zwanzig Minuten später zurückkam, sass sie immer noch da und redete laut weinend in ihr Telefon hinein.
Nachher traf ich das Frauchen von Paule. Die Frau ist 79 und schwerhörig. Sie ist nicht mehr besonders fit. Aber meine Hündin liebt sie, weil sie von ihr immer mit Leckerlis versorgt wird. Die alte Frau kam heute ohne Paule. Sie läuft neuerdings oft ohne ihren Hund, weil sie Probleme mit der Lunge hat und ihre Werte nicht gut sind, weswegen sie immer zum Arzt geht und da nimmt sie Paule natürlich nicht mit. Ich sagte schon von Weitem: „Na heute wieder beim Arzt gewesen?“ Sie redet gerne über ihre Gesundheit, die Frage kann man also stellen. Diesmal blieb sie aber sehr ernst, sie hielt an und schien nach Worten zu suchen. Dann sagte sie, dass Paule vorletzte Nacht verstorben ist.
Wie schwer der Tod eines Hundes einen trifft, habe ich erst verstanden, seit ich meine eigene Hündin habe. Vorher dachte ich immer, das seien halt Haustiere. Wie Goldfische. Oder Hamster. Wie sie über ihren Hund redete, merkte man, dass sie einen Partner verloren hat. Sie sieht ihn überall. In seinem Körbchen, auf dem Bett, in der Küche. Paule hatte seit dem Sommer Krebs. Mit den Schmerzmitteln hielt er sich eigentlich ganz gut. Aber heute früh fand sie ihn nicht mehr. Ihre Wohnung ist zwar klein, aber Paule war unauffindbar. Bis sie in seine Hundehütte schaute. Paule lag nie in seiner Hundehütte. Die hatte er einmal geschenkt bekommen und seitdem steht sie da. Er ging aber nie hinein. Jedoch hatte er sich dort zum Sterben zurückgezogen.
Sie hat nun seinen leblosen Körper in eine Decke gewickelt und in den Keller gebracht. Heute kommt ein Freund, dann bringen sie ihn nach Pankow ins Krematorium. Irgendwann will sie sich wieder einen Hund zulegen, aber sie ist ja schon 80 und bis sie über Paule hinweg sei, dauert es ja auch eine ganze Weile. Vielleicht war es auch ihr letzter Hund.
Später im Park setzte ich mich kurz auf eine Bank. Die Hündin unterhielt sich mit einem Erdloch und ich las Nachrichten. Am Rande des Parks weinte wieder eine Frau in ihr Telefon. Sie lief langsam.
Für mich persönlich lief der Tag aber ganz okay. Die Traurigkeit um mich herum wird schon kein Vorbote sein.
Am Freitag war ich mit meinem Vater verabredet. Weil ich ohne Auto anreiste, konnte ich nicht in sein Dorf fahren, deswegen kam er nach Meran, um mich zu treffen. Wir wollten ins Forstbräu, aber das Forst war – wie zu erwarten – zu einer furchtbaren Touristenhölle verkommen. Die Kellnerinnen waren gestresst und im Eingangsbereich reihten sich dutzende, wartende Touristen. Man stellte uns in zwanzig Minuten einen Tisch in Aussicht. Das wollten wir aber nicht, wir sind schliesslich Locals, wir wissen, wo man entspannter essen kann und fuhren deswegen ein Stück den Vinschgau hinauf bis nach Tschars, dort setzten wir uns in den Kesslwirt. Das Restaurant ist eher neu und es wirbt mit dem schönen Logo eines Braukessels. Mit Braukesseln gewinnt man mich ja immer. Dort bestellten wir Hirtenmaccheroni, was mich wieder daran erinnerte, dass ich mir die Zubereitung von Hirtenmaccheroni beibringen will. Als Südtiroler sollte ich Hirtenmaccheroni eigentlich mit links kochen können.
Danach fuhren wir ins Schnalstal. Wir machten einen kleinen Ausflug. Ich wollte hinauf bis nach Kurzras. Das ist ein kleiner Ort an der Baumgrenze. Heute ist das ein Sportlerdorf, mit exzentrischen und auch entsprechend teuren Hotels, früher war das nur eine Kirche und eine alte Gastwirtschaft. Diese Gegenden oberhalb der Baumgrenze haben es mir angetan, am liebsten würde ich irgendwann in einer baumlosen Landschaft leben. In Lapland, in Schottland, Island, oder eben auf 2000 Metern. Aber auch die Bäume waren heute schön. Das ganze Tal hinauf bestand aus Lärchen, die sich in dieser Jahreszeit sich gelb verfärben. Das ganze Tal war von einem gelben Schimmer überzogen. Am See stieg ich aus und machte Fotos (siehe unten).
Es regnete den ganzen Tag, Im Land der dreihundert Sonnentage finde ich das schon ulkig. Andererseits kann man bei Regen nicht gut wandern. In Kurzras stiegen wir deswegen auch nur kurz aus dem Auto aus. Wir redeten über die neue Seilbahn auf den Gletscher und ich nahm mir vor, zu einer wärmeren Jahreszeit zurückzukommen. Auf diesem Gletscher wurde übrigens Ötzi gefunden. Das sollte ich nicht unerwähnt lassen. Auf dem Rückweg ins Tal fuhren wir am archeologischen Museum vorbei, das sich eingehend mit Ötzi und den Ausgrabungen beschäftigt. Ötzi selber liegt aber im grossen Museum in Bozen. Laut Google soll dieses Museum oben im Tal aber sehr gut und vor allem unterschätzt sein. Nächstes Mal werde es besuchen.
Unten um Vinschgau kauften wir an den Bauernständen frische Äpfel. Ich wählte verschiedene, mir unbekannte Sorten anhand der Geschmacksbeschreibung aus. Danach in der Tüte konnte ich sie natürlich nicht mehr auseinanderhalten, Äpfel sehen ja alle gleich aus. Geschmeckt haben sie aber auch ohne Geschmacksbeschreibung.
Um sechs Uhr ging ich schliesslich zu meinen Neffen und wir schauten Hertha gegen Braunschweig im Fernsehen. Wir gewannen 3:1.
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Am Samstag sass ich mit meiner Mutter lange am Frühstückstisch. Danach vertraten wir uns die Beine und spazierten auf der Tappeinerpromande oberhalb der Meraner Altstadt. Die Tappeinerpromade ist genial angelegt, wie man steil oben fast an den Dächern der Altstadt kratzt. Andererseits ist sie gerade deshalb bei Touristen so beliebt. Im Sommer kann man da ja gar nicht mehr hingehen. Meran hat ohnehin ein Tourismusproblem, aber selbst heute, einen schnöden, verregneten Tag Ende Oktober, war es da oben voll.
Gegen zwei Uhr fuhr mein Vater zurück in sein Dorf und ich hatte die Eingebung, auf den Spielplan des FC Südtirol zu schauen. Es stellte sich heraus, dass um drei Uhr ein das Spiel gegen den SC Pisa im Bozner Drususstadion stattfand. Und so nahm mein Vater die beiden Neffen und mich mit nach Bozen.
Wir schafften es gerade rechtzeitig zum Spiel. Ungewöhnlich ist die Ausweispflicht, in deutschen Stadien würde das für Empörung sorgen. Natürlich hatte ich keinen Ausweis dabei, aber meine Frau konnte mir ein Foto meines Führerscheins schicken, während ich an der Einlasskontrolle stand. Ein Foto reichte vollkommen aus. Das letzte Mal im Drusus Stadion war ich vor etwa zehn Jahren. Die Tickets kosteten damals 5 Euro und es gab keine wirklichen Fans. Das ist jetzt alles anders geworden. Mittlerweile ist der FC Südtirol in die zweite Liga aufgestiegen, die günstigsten Tickets kosten deswegen auch 22 Euro und das kleine Stadion ist mit 4000 Zuschauern fast ausverkauft. Zudem gibt es zwei Blöcke mit je 20 oder 30 Ultras.
Ich wählte an der Kasse die günstigsten Pläze aus, wie sich dann herausstellte, hatte die Kassendame uns Plätze mitten im Block der Ultras gebucht. Als wir die Tribüne hinunterstiegen und ich versuchte, mir einen Überblick über den Standort unserer Plätze zu verschaffen, verstand ich gleich, dass es sie dort unten bei den grossen Schwenkfahnen und dem Mann mit dem Megaphon befinden mussten. Als wir uns in den Block einreihten, hielt mich einer der Männer an und fragte, ob wir auch mitsingen würden. Ich sagte ihm: Aber natürlich! Mein Pflichtbewusstsein freute ihn. Eigentlich hatte ich ein Spiel im Sitzen und ohne Fans sowie wenigen Zuschauern erwartet, aber so standen wir dann in Reihe drei im Fanblock mit dem Megaphon in der Ohren. Die Jungs fanden das lustig. Es war ihr erstes Mal in einem Stadion und ein kleiner Vorgeschmack auf deren Berlinbesuch übernächste Woche, wo wir zwei Hertha Heimspiele besuchen werden.
Etwas merkwürdig fand ich allerdings die zwei Ultrablöcke des FC Südtirol. Auf der Tribüne gegenüber standen nämlich auch ganz offensichtlich als Ultras erkennbare Fans. Sie schwenkten Fahnen und Banner mit der Ultras Aufschrift, allerdings stand auf deren Banner „Alto Adige“, der italienische Namen für Südtirol. In der Halbzeitpause fragte ich den zweiten Capo, was es mit den beiden Fanblöcken auf sich hat. Er erklärte mir, dass die Gruppe auf der anderen Seite keine Lust habe, deutschsprachige Lieder zu singen, die wollten nur auf italienisch singen. Der deutschsprachige Block singt hingegen in beiden Sprachen. Das hatte ich vorher schon geahnt. Es ist das alte Südtiroler Leid, wenn es wichtig wird, sind die Sprachgruppen immer getrennt. Und der Unwille der Italiener, sich auf die deutschsprachige Kultur einzulassen. Mich deprimierte das immer. Sogar als wir früher Demos, Lesungen oder Konzerte organisierten, die ja eher auf das weltoffene Publikum abzielten. Italiener kamen nie zu Veranstaltungen, die auch nur einen leisen Verdacht von Deutschsprachigkeit aufkommen liessen. Mussolini wäre stolz auf diese Beharrlichkeit gewesen. In umgekehrter Richtung, also von den deutschsprachigen Gruppen hin zu den Italienischen war es damals nur geringfügig besser. Es gab etwas mehr Austausch, aber meist auch keine wirkliche Öffnung. Natürlich gibt es viele gemischtsprachige Paare und Familien, aber gesprochen wird darin italienisch. Siamo in Italia e si parla italiano. Ich empfand das immer als faschistischen Imperialismus. Es scheint sich heute nicht viel daran geändert zu haben. Auch wenn das im Alltag natürlich weniger eine Rolle spielt. Man gewöhnt sich daran. Und dennoch ist es immer wieder ein Thema, wenn man mit den Leuten spricht.
Ach was soll es. Ich lebe in Berlin und eigentlich sollte es mir egal sein.
Nach dem Spiel waren wir jedenfalls alle drei heiser. Wir fuhren mit dem Zug zurück nach Meran und chillten. Später kam meine Schwester und wir schauten „The green mile“, die Stephen King Verfilmung, von der ich neulich schon einmal erzählte.
Ich schlief einen langen und erholsamen Schlaf. Das dauerte dermassen lange, dass mich gegen neun Uhr meine Mutter weckte. Danach frühstückte ich. Meine Mutter ging inzwischen zu meiner Schwester, weil sie Donnerstags immer bei meiner Schwester für ihre Familie kocht. Heute gab es Hühnerschnitzel mit Kartoffelbrei, das bekam ich als Kind auch immer, wenn es keine Pasta gab. Es war perfekt. Nach dem Essen quatschten wir und plötzlich war es drei Uhr. Weil meine Schwester und ich noch ein bisschen die Beine vertreten wollten, spazierten wir in die Stadt, auf einen Kaffee. Diese kleinen Bars, oft einfache Stehbars – die vermisse ich in Berlin wirklich. Man muss da nicht unbedingt Kaffee trinken. Prosecco oder Weisswein geht auch. Oder Bier, Aperitivo, Martini undsoweiter. Und dazu eine kleine Schale Patatine. Gegen halb fünf liefen wir zurück über die Promenade dann verabschiedete ich meine Schwester und ich ging weiter zu meinen Schwiegereltern, die ja mittlerweile auch dort wohnen.
In Südtirol laufe ich immer viel zu Fuss. Noch mehr als in Berlin. Ein guter Ort für Podcasts und Musik. Ich höre momentan dieses Lied namens Funeral von der „Band of Horses“. Die Band war mir völlig unbekannt. Sie wurde in den Nullerjahren gross, da hörte ich noch keine Populärmusik, das ging völlig an mir vorbei. Das Lied „Funeral“ shazamte ich neulich bei irgendeinem Film oder einer Serie. Heute hörte ich es den ganzen Tag auf Dauerschleife. Ich mag ja diese euphorisch melancholischen Vibes, wenn sie zudem so schamlos aufpeitschend orchestriert sind. Nur die Männerstimme ist nicht so meins. Aber das ist eben eine typische piependen Männerstimme der Nullerjahre. Hatten wir in den Achtzigern auch schon. Und auch in den Sechzigern. Die kommen und gehen offenbar in einem zwanzigjährigen Rhythmus.
Link zu meiner „Immer“-Playlist. Ich habe auch eine „Manchmal“-Playlist und eine „Selten“-Playlist. Aber die höre ich nicht so oft.
Danach ging ich wieder zu meiner Schwester. Dort redeten wir über unsere Kindheit und über Handies. Ich besass erst sehr spät ein Handy. Ich war schon 26 Jahre alt, in 2001. Mich interessierte es nicht, telefonieren zu können,ich war immer gerne verschollen. Erst Smartphones wurden für mich interessant. Sie besass hingegen schon 1996 ein Mobiltelefon. Erkenntnis zogen wir daraus aber keine. Dazu kochte sie uns einen Fencheltee. Einer der Söhne sass mit uns auf dem Sofa. Es war ein heimeliger Abend.
Diese neue Fluglinie zwischen Berlin und Bozen macht diese 900 Kilometer zu einer leicht zu überwindenden Strecke. Seit ich zwanzig Jahre alt bin, wohne ich eine mindestens zwölfstündige Reise von meiner Familie entfernt. Utrecht, Madrid, Hamburg und Berlin. Ich wartete lange Jahre auf die schnelle Zugverbindung zwischen Berlin und München. Mittlerweile gibt es diese und man fährt darauf im besten Fall 3,5h. Aber dann gurkt man noch 4 Stunden über die Inntal/Brenner-Strecke. Nach dem Bau des Brennerbasistunnels schrumpft die Zeit auf dieser Strecke zu etwa 2,5h zusammen. Dann fährt man zwischen den beiden Orten etwa 6 Stunden, wenn man die Umsteigezeit wegrechnet. Aber das dauert sicherlich noch zehn Jahre. Bis dahin habe ich vielleicht keine Eltern mehr. Aber auch diese sogenannte Rekordzeit stimmt mich nicht sonderlich euphorisch. Wenn ich sie mit den Hochgeschwindigkeitszügen in Frankreich oder Spanien vergleiche, die für eine ähnliche Strecke 4 bis 4,5 Stunden brauchen.
Aber bei sechs Stunden verliert man immerhin nicht einen kompletten Tag. Vor allem wenn man sehr früh oder sehr spät fährt. Es ist besser als die 12 Stunden, die man früher auf der Strecke immer benötigte.
Die Propellermaschine fasst etwa hundert Passagiere. Leider ist der Flieger nur zur Hälfte belegt. Es würde mich sehr freuen, wenn die Verbindung auch ein wirtschaftlicher Erfolg wird. Wenn das nicht der Fall ist, wird man sie nämlich einstampfen. Andere Südtirolerinnen oder Bozenbesucherinnen erwähnten allerdings immer, dass das Flugzeug voll besetzt gewesen sei. Eventuell liegt es an der Jahreszeit und dem Wochentag. Und die hohen Preise tun sicherlich ihr Übriges, und damit wären wir wieder bei der Wirtschaftlichkeit.
Wie man im Tiefflug über die westlichen Dolomiten hereinfliegt, bis hinunter fast nach Trient, sich dort dreht und südlich in das Etschtal einsinkt. Das ist schon toll. Ich konnte das Dorf meines Vaters sehen und schoss ein Foto davon.
Der Flughafen Bozen ist ein schnuckeliger, kleiner Airport. Er hat ein gutes Restaurant mit gutem Kaffee, einen Securitycheck-Schalter und zwischen Gepäckausgabe und Ausgang liegen etwa 50 Meter. Ich kenne bisher nur die Austiegssituation, am Sonntag werde ich noch sehen, wie das Boarding funktioniert, aber der Komplex wirkt sogar noch kleiner als der Flughafen in Longyearbyen.
Ganz Südtirol ist bewölkt, ab und zu tröpfelt es ein wenig. Alle reden davon. Das Wetter sei ja nicht so gut. Ich lächelte nur. Am späten Nachmittag gingen meine Mutter und ich zu meiner Schwester. Draussen vor der Tür spürten wir zwei kleine Topfen. Meine Mutter wollte wieder zurück ins Haus, um einen Regenschirm zu holen. „Mama, das ist doch kein Regen.“ Sie sagte, man würde ja ganz nass. Ich sagte: „Aber doch nicht von den paar Tropfen.“ Dann stimmte sie mir irgendwie zu. Nach zehn Schritten gab es zwei weitere Tropfen. Daraufhin wollte sie wieder umkehren, um einen Schirm zu holen. So ging das etwa 4 Mal, bis wir weit genug vom Haus entfernt waren, dass schlicht die Entfernung vom Haus sie davon abhielt umzukehren. Dabei wiederholte sie ständig, dass das ja naiv sei, bei Regen ohne Schirm aus dem Haus zu gehen. Im Land der 300 oder so Sonnentage pro Jahr. Die haben komplett den Bezug zur Realität verloren.
Bei der Schwester bestellen wir Burger. Ihre beiden Jungs kommen in zehn Tagen nach Berlin. Wir reden über Hertha und wir reden über die Dinge, die wir machen wollen. Das UCI Deluxe Kino an der Oberbaumbrücke mit den bewegbaren Sesseln finden sie eine super Idee. Und wir werden viel essen. Sie wollen den besten Döner der Stadt probieren und die beste Currywurst und das beste Sushi. Wir werden auch in die Markthalle IX gehen. Streetfood kommt gut. Leider gibt es keine gescheiten Konzerte. Es sind Herbstferien, das Musikprogramm ist komplett ausgedünnt. Mir war nicht klar, dass Veranstalter ihr Programm dermassen auf die Ferienzeit ausrichten. Ohne Kinder kriegt man das ja nicht mit. Ich merke es nur an der Hundewiese. Wenn die Hundewiese leer ist, dann ist dies ein untrügliches Zeichen von Ferien.