[So, 9.6.2024 – in nördlicher Breite]

Am Samstagabend feierte ich mit einer Freundin aus dem Fanclub ihren Geburtstag. Heute schlief ich deswegen lange und ich fand mich nicht in der Stimmung, darüber zu schreiben. Es war ein kurzweiliger Abend im „Biergarten am kleinen Tiergarten“ in Moabit. Der Name dieses Biergartens schreit förmlich nach einem Wortspiel, das Wortspielregister bringt allerdings keine brauchbare Wortschöpfung hervor.

Heute früh um 5 wurde ich von der Morgensonne geweckt. Ich zog das Verdunkelungsrollo herunter, das ich sonst wirklich nie verwende. Ich konnte dadurch wesentlich länger schlafen. Vielleicht sollte ich das öfter mal probieren.
Ich bin gespannt, wie das nächste Woche mit der Mitternachtssonne sein wird. Bisher war ich nur im Winter in den arktischen Gegenden oder eben letzten Spätherbst in Longyearbyen. Die nördlichste Junisonne kenne ich sonst nur von unserem schwedischen Sommerhäuschen, aber das ist aus Sicht der Arktis ja fast Südeuropa. Es wird dort zwar nicht mehr richtig dunkel, am Horizont sieht man die ganze Nacht noch einen hellen Streifen, aber es fühlt sich trotzdem noch nach einer Art Nacht an. Nächste Woche ab Mittwoch, werde ich verschiedenen Stufen der Breitengrade und der Junisonne erleben. Das mit den Breitengraden geht so: 0 Grad ist der Äquator, 90 Grad Nord ist der Nordpol, 90 Grad Süd ist der Südpol. Meine Welt sieht so aus:

00 = Äquator
46 = Südtirol
52 = Berlin
57 = Göteborg
66 = Polarkreis
70 = Nordkap
78 = Longyearbyen/Spitzbergen
90 = Nordpol

Ab Breitengrad 56 fangen die weissen Nächte an. Dort beginnt etwa die nautische Abenddämmerung. So kenne ich das auch von unserem Haus in Schweden (Breitengrad 57), ab 60 beginnt die bürgerliche Dämmerung, das bedeutet, dass man im Freien kein künstliches Licht mehr braucht. Der Name kommt wahrscheinlich daher, dass bei diesen Lichtverhältnissen noch die Bürger unterwegs sind und man mit dem Kiffen also besser aufpasst.

Neu wird für mich der Bereich zwischen 57 und 66 sein, also der Bereich zwischen der nicht ganz dunklen Nacht in Västra Götland (57), und dem Polarkreis (66), wo die Sonne gerade überm Horizont bleibt. Ab Stockholm, also Breitengrad 59, kann man nachts auch draussen lesen. In Göteborg habe ich das einmal versucht, ich konnte die Buchstaben in der Zeitung erkennen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich hätte lesen können, zum einen hatte ich meine Lesebrille nicht dabei und andererseits war möglicherweise auch das Schriftbild zu klein und wenn man nachts schlaftrunken auf einen Text schaut, sind die Augen auch schlichtweg noch zu schwach, vor allem in meinem Alter, ich kann es also nicht mit Sicherheit sagen.

Am Mittwoch werden wir in Gävle sein. Breitengrad 60. Ich werde nachts aufstehen, mir die Lesebrille aufsetzen und ein Buch in die Hand nehmen. Die Nacht darauf schlafen wir in Umea, das ist auf 63 Grad. Ich bin auf den Unterschied gespannt. Eine Nacht später sind wir bereits in Jokkmokk am Polarkreis, dort schauen wir dann der Sonne zu, wie sie den Horizont streift. Und die darauffolgenden Tage werden wir im Tageslicht verbringen.

Hier auch eine schöne Grafik, die die Dämmerungen zur Sommersonnenwende zeigt. Aus Wikipedia.

Und so sieht die Reise nächste Woche ungefähr aus:

[Fr, 7.6.2024 – Volt, Europawahl, Leder 6]

Es fiel mir nicht ganz leicht, einzuschlafen, da ich mehrere Stunden über Bilder, Texte und Landkarten von kleinen Orten und Strassen in Lappland sowie der Finnmark verbracht hatte. Mein Kopf hatte sich mit Googlemaps und Wikipedia vollgesogen und projizierte nun Fragmente von Hotels und Hütten in der Tundra, leicht bewaldeten und bergigen Landschaften und ewigen Strassen auf mein Hirn. Das war durchaus schön. Aber auch etwas aufwühlend. Meine Schlaf-App empfiehlt mir oft, vor dem Schlafengehen keine aufwühlenden Dinge zu tun. Ich dachte dabei immer an Streit oder Diskussionen mit Freunden oder Familienmitgliedern. Urlaubsplanung gehört also auch dazu. Das schreibe ich aber nur auf, weils witzig ist. Ich glaube, ich beschäftige mich vor dem Schlafengehen immer mit aufwühlenden Dingen.

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Weil ich italienischer Staatsbürger bin, werde ich bereits heute für die Europawahl wählen. In Italien wird heute und morgen gewählt, nicht Sonntag.

Es ist das zweite Mal in meinem Leben, dass ich wähle. Das erste Mal war ich achtzehn Jahre alt und ich wählte Rifondazione Communista. Das fand ich damals richtig und wichtig. Heute würde ich die niemals mehr wählen. Danach zog ich in die Niederlande und ich hatte mit der italienischen Politik nichts mehr zu tun. Der Grund, warum ich in Deutschland die Staatsbürgerschaft erlangen will, hat fast ausschliesslich mit dem Wahlrecht zu tun. Ich konnte bisher nie jene Politikerinnen wählen, die über meine lokalen Belange entscheiden. Ausserdem empfinde ich das politische Geschehen schon seit einigen Jahren ziemlich festgefahren und visionslos. Ich bilde mir ein, dass ich das mit einer deutschen Staatsbürgerschaft eher beeinflussen kann. Und natürlich will ich die Rechten verhindern.
Ehrlicherweise gibt es aber keine Partei, der ich mit grosser Freude meine Stimme geben würde. Am nähesten stehen mir vielleicht die Grünen. Aber die Grünen, die eigentlich einem liberalen Geist entsprangen, sind mir zu Konservativ, zu wenig liberal, wie mir eigentlich alle Parteien zu konservativ sind, die SPD sowieso und erst recht alle anderen Parteien. Wenn man die FDP in gewisser Hinsicht aussen vor lässt. Aber die FDP ist auch nur bei Wirtschaftsthemen liberal und bevor ich diese Besservedienerpartei wähle, wähle ich lieber die SPD.

Vor einigen Wochen fing die Partei namens VOLT meine Aufmerksamkeit ein. Sie sind nach eigener Aussage sozialliberal, progressiv und europäisch. Sozialliberal und progressiv sind Schlagworte, die mir im üblichen Parteienspektrum völlig fehlten. Nach dem Lesen ihrer Mission finde mich zu 95% in all dem wieder, wofür sie stehen. Und mir gefällt die Tonalität sowie das Auftreten. Und es ist die einzige, wirklich europäische Partei. Weil ich auch noch nie Mitglied in einer Partei war, registrierte ich mich heute kurzerhand.

So. Ich bin jetzt Mitglied in einer Partei. Ich bin Volt Parteimitglied.

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Um 17Uhr öffnete das Wahllokal der italienischen Botschaft in der Hiroshimastrasse 1 am Tiergarten. Ich war zehn Minuten früher da. Es gab bereits eine sehr lange Schlange. Nach meiner Ankunft wuchs diese Schlange um ein Vielfaches an. Es dauerte etwa 40 Minuten, bis ich an der Reihe war. Drin gab es vor der Urne noch eine kurze Wartezeit. In den Fluren hingen Kopien des Wahlzettels in Postergrösse, damit sich die Wartenden ein letztes Bild machen konnten. Auf dem Poster konnte ich allerdings kein VOLT-Logo erkennen. Ich erkannte lediglich die Meloni Partei, die Berlusconi Partei, die Lega und die Grünen. Auch die Südtiroler Volkspartei stand zur Auswahl. Fand ich lustig. Die hatte ich ganz vergessen. Aber meine Sorge war nun die VOLT Partei. Wie konnte ich die wählen? Natürlich war ich schlecht vorbereitet, ich hätte es mir denken können, dass eine Wahl kompliziert ist. Also schmiss ich Google an und fand heraus, dass Volt Italia nicht unter eigener Flagge zur Wahl antritt, sondern in einem demokratischen Verbund namens „Partito Democratico“. Das fand ich als stolzes, neues Parteimitglied etwas schwach, aber was weiss ich, warum diese Entscheidung so getroffen wurde, es wird schon valide Gründe haben.

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Auf dem Rückweg kehrte ich bei Flaconi in der Leipziger Strasse ein. Das ist der Flagship Store des gleichnamigen Online Parfumhändlers. Ich las, dass man dort die Parfums von Schwarzlose führt. Vor etwa zehn Jahren bestellte ich einmal ein Probierset von einer Berliner Parfümerie namens Schwarzlose. Mir gefiel der Name des Dufthauses und das Design der Flaschen, ausserdem spielt die Marke mit einer nebligen, dunklen Sinnlichkeit, die Berlin als Stadt angedichtet wird. Die einzelnen Düfte tragen Namen wie „Zeitgeist“, „Trance“, „Rausch“ oder „Leder 6“. Damals suchte ich jedoch nach einer anderen Art Duft als die angebotenen, deshalb beliess ich es beim Probierset.

Nun ist es so, dass der Duft, mit dem ich mich in den letzten Jahren meist parfümiere, den Namen „Russian Leather“ trägt. Es ist eine Weiterentwicklung des „Cuir de Russie“ von Chanel durch das Parfümhaus Molton Brown aus London. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine stört mich aber die russische Referenz. Das mag kleinlich oder kindisch klingen, aber wenn ein Staat bzw. ein illiberaler Staatsmann ein Imperium der russischen Kultur mit Gewalt über andere Staaten bringen will, dann sträubt sich alles in mir, dann will ich jegliche Sympathie, die ich sonst für Russland durchaus in Ansätzen hatte, nicht mehr zum Ausdruck bringen. Dann soll das russische Imperium auch keine positive Konnotation mit diesem rauschig-rauchigen Duft, den ich gerne um mich habe, bekommen.
Ich zeige dir, was ich von deiner russischen Überlegenheit halte.
Deswegen wollte ich mir das „Leder 6“ von Schwarzlose anriechen. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie das roch.

Eine grosse, stilvolle, dunkelhäutige Frau bediente mich. Sie war vielleicht Anfang dreissig, hatte aber den Habitus einer Grande Dame. Ihre Barthaare waren erstaunlich schlecht rasiert. Nicht, dass mich das störte, ich fand es nur erstaunlich, weil sie sonst so stilsicher war und eine elegante Grösse ausstrahlte. Vielleicht ist das aber auch so gewollt, oft ist das Spiel mit der Geschlechtszugehörigkeit ja auch die Provokation. Ich fand es lustig, dass es mich irritierte.

Das „Leder 6“ riecht anders als „Russian Leather“. Es enthält keinen Rauch, es ist feiner, weniger schwer, er riecht in den oberen Noten sehr leicht, ich kann diese Note noch nicht ganz erfassen, ich werde ihn erneut riechen müssen, und im Körper hat er dennoch diese ledrige und harzige Tiefe, es ist ein sehr intimer Geruch. Ich hatte ihn gar nicht als solchen in Erinnerung.

Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile. Sie zeigte mir ähnliche Gerüche, die meisten waren mir aber zu nadelbäumig. Was ich an anderen Menschen durchaus mag, aber an mir selbst nicht besonders.

Ich werde zurückkommen und wieder daran riechen. Neue Düften brauchen immer ihre Zeit.

[Do, 6.6.2024 – Kreditkarten]

Es erstaunt mich, wie viel Zeit eine solche Reiseplanung kostet. Ich sitze nun den dritten Abend daran und bin gerade einmal bei der Hälfte angelangt. Möglicherweise nehme ich die Reise zu ernst, ich google immer alles und will ein gutes Gefühl haben, dass ich mich für die richtigen Dinge entscheide. Das entspricht eigentlich gar nicht meiner Persönlichkeit, bei der Reiseplanung verhalte ich mich aber offenbar entsprechend. Das ist mir neu.

Zu allem Überfluss finde ich meine Kreditkarte nicht mehr. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich die Karte das letzte Mal in der Hand hielt. Es muss Monate her sein. Schliesslich zahle ich mittlerweile immer mit dem Telefon, die Karte benutze ich nur für die Abhebung von Bargeld und das brauche ich wirklich sehr selten. Oder ich benötige die Karte eben um den CVC Code bei Booking.com einzugeben. So wie gestern.
Seit gestern suche ich meine Kreditkarte. Sie ist aber unauffindbar. Bisher konnte ich es keinen Missbrauch bei den Geldbewegungen erkennen, daher denke ich, dass sie sich irgendwo in der Wohnung oder im Auto befinden muss. Aber ich habe sowohl die Wohnung wie auch das Auto auf den Kopf gestellt.
Mittlerweile habe ich herausgefunden, dass man viele Hotels bei Booking auch mit Paypal bezahlen kann. Das habe ich hiermit getan. Aber es gibt noch drei Unterkünfte, bei denen das nicht möglich ist.
Ich will das Risiko nicht eingehen, die Karte zu sperren und eine neue zu bestellen, weil die neue Karte möglicherweise nicht rechtzeitig ankommt. Wir treten die Reise bereits in 9 Tagen an. Ausserdem würde ich dann eine ganze Woche lang auch in Berlin nicht mehr bezahlen können. Und buchen kann ich in der Zwischenzeit ja auch nichts.

Also rief ich meinen Vater an, mit der Frage, ob er eine Kreditkarte besässe, worauf er mir mit einem irritierend stolzen Unterton mitteilte, dass er die Karte schon vor Jahren wieder zurückgegeben habe, weil er sie nie nutze. Er sprach mir aber Mut zu und sagte: das schaffst du schon, Sohn.
Ein bisschen ärgert es mich, aber nur ein bisschen, ich bin hauptsächlich belustigt darüber, wie er sich überhaupt nicht mit der Planung der Reise auseinandersetzen will und mich alles machen lässt, als wäre ich ein Reisebüro. Das ist jetzt wahrscheinlich meine Rolle. Er ist der Rentner, der nach einem anstrengenden Leben nur noch Spass haben will, und ich bin jetzt der berufstätige Mann im mittleren Alter, der das Land am Laufen hält.

Ich versuchte mein Glück und gab eine erfundene CVC ein. Drei willkürliche Ziffern. Die Zahlung ging zuerst durch und ich erlebte einige freudige Minuten, aber nach kurzer Zeit erhielt ich die Meldung, dass die Zahlung abgelehnt wurde. Die 874 war es also nicht. Theoretisch habe ich noch 998 Versuche.

Allerdings stellte ich fest, dass ich mit einer erfundenen CVC Nummer immerhin reservieren kann. Jedoch ahne ich, dass mir das irgendwann, spätestens beim Betreten der entsprechenden Unterkunft, auf die Füsse fallen wird.

Ich habe noch keine Lösung.

Das Problem mit der Karte ist, dass man vor Ort mit derselben Karte bezahlen muss wie mit der Kreditkarte, mit der man die Buchung getätigt hat. So habe ich das zumindest in Erinnerung. Aber vielleicht war das auch nur bei Mietautos der Fall und nicht bei Booking? Statt zu reservieren, könnte ich ja auch direkt vorab, mit der Karte meiner Frau bezahlen, dann brauchen wir die Karte nicht mehr auf der Reise. Die Lösung kommt mir erst jetzt, während ich diese Zeilen schreibe.
Aber meine Frau schläft schon, ich werde sie morgen fragen.

[Mi, 5.6.2024 – Graefe Peberg]

Weiter die Reise geplant und an dem Hausbesetzertext gearbeitet. Nachmittags ins Urbankrankenhaus gefahren (nichts Schlimmes) und dann mit der Hündin im angrenzenden Graefekiez und am Landwehrkanal spaziert. Dort sonnten sich etwa zwei Dutzend Schwäne. Als ich das sah, nahm ich die Hündin sicherheitshalber an die Leine. Als sie dann auch die vielen Schwäne sah, wäre sie gerne mitten hineingerannt, aber das ging natürlich nicht mehr. Zwei Dutzend Augenpaare scannten mich und die Hündin. Die Augenpaare folgten uns, als würde uns ein 24-Äugiger Organismus beobachten. Das dauerte mehrere Minuten, bis wir uns vermeintlich in sicherer Entfernung befanden.

Ich arbeitete 4 Jahre lang in dem Kiez, ausserdem verbrachte ich dort eine sehr intensive Zeit mit meiner kleinen Schwester, da sie im Urbankrankenhaus ihre erste manische Episode austrug und wir jeden Tag stundenlang durch den Kiez spazierten. In all den Jahren kam ich immer mit dem Fahrrad, heute fuhr ich zum ersten Mal mit dem Auto durch diese Strassen, ich brauchte etwa 15 Minuten, um einen Parkplatz zu finden. Es gibt diese Kieze, die völlig zugeparkt sind. Erkenntnis ziehe ich daraus aber keine. Der Graefekiez wirkt oft wie ein Prenzlauer Berg des Westens. Auch der nicht allzu weit entfernte Bergmannkiez. Das klingt immer negativ. Immer wenn man etwas mit Prenzlauer Berg vergleicht, lässt das negative Untertöne anklingen. Warum eigentlich. Ich finds blöd, ich bin gerne da. Ja klar, es ist nicht mehr so wild und experimentell wie früher, und in Teilen hat sich dort richtiger Reichtum und oft auch eine kulturelle Einseitigkeit breitgemacht, aber Peeberg-Bashen ist halt auch einfach eine Mode, man kann sich damit abgrenzen, man kann sich cool geben. Wie gesagt, ich finds blöd. Aber ich finde auch Abgrenzung blöd.

[Di, 4.6.2024 – Reiseplanung, alter Kollege]

Nun stellte ich die Reise zum Polarkreis zusammen. Mein Vater überliess mir die Planung. Er stellte keinerlei Bedingungen. Er weiss so gut wie nichts über Skandinavien und will sich einfach überraschen lassen. In meiner Familie spielte Nordeuropa nie eine Rolle. Im Sommer fuhren wir zu den Stränden in Lignano, Iesolo oder Caorle, das nördlichste, wohin meine Familie reiste, war München. Und immer noch reist meine Familie eher zu den sommerlich heissen Destinationen. Also Kroatien, Griechenland, Sardinien. Mich zog es hingegen schon in jungen Jahren immer eher nach London, Amsterdam und Berlin. Nun mussten sie mich aufgrund meiner präferierten Wohnorte hin und wieder in den Niederlanden, Hamburg und Berlin besuchen, aber am nördlichen Stadtrand von Hamburg hörte deren Welt eher auf.

Dass mein Vater sich einfach überraschen lassen will, freut mich. Er war eigentlich immer schon neugierig und aufgeschlossen, das wurde mir erst in den letzten Jahren bewusst. So fragte ich mich damals, wie sie auf meinen Job in der Firma mit der schwulen Dating-App reagieren würden. Mein Vater fand das lustig und interessant, während meine Mutter, zu der ich eine engere Beziehung habe, eher verhalten reagierte. Nicht wegen der Homosexualität, sondern eher wegen der ganzen Sex- und Dating-Sache. Mein Vater findet erst mal immer alles spannend. Ich sehe da eine Parallele zu seinem Sohn. Meine Mutter besteht hingehen aus Vorbehalten. Nun war sie einmal in unserem Häuschen in Schweden und sie schwärmt seitdem davon, aber von einem weiteren Urlaub in Skandinavien sah sie bisher ab. Wobei mir auch auffällt, dass sie seitdem schlichtweg nie mehr im Urlaub gewesen ist.

Aber egal, ich schweife ab. Mein Vater findet es spannend und will alles geschehen lassen, wie ich es plane. Er freut sich sehr darauf. Vor allem scheint ihn das Neue da oben, alles nördlich von Hamburg bis zum Nordpol, zu faszinieren. Es stand schlichtweg nie richtig auf seiner inneren Weltkarte.
Während ich die Reise plante, merkte ich, dass ich selbst nicht so viel weiss. Ich habe einige lose Punkte, die ich ansteuern will, wie beispielsweise Umea und Lulea, sowie Jokkmokk am Polarkreis und dann Alta sowie Hammerfest. Auch würde ich gerne nach Tromsö rüberfahren, das liegt aber ausserhalb unserer Route und man kommt in Nordnorwegen wirklich nicht sehr schnell voran, wir würden zusätzliche drei Tage brauchen, obwohl es Luftlinie nur wenige hundert Kilometer sind.
Aber ich muss mich auch um die Zwischenstopps kümmern. Wo man etwas sehen kann, und um kurze Wanderungen mit der Hündin zu unternehmen. Ich fand spektakuläre Wasserfälle und Steinformationen. Auch Höhlenmalereien. Bauwerke gibt es da oben weniger. Nur einige beeindruckende Brücken und besondere Kathedralen, wie die Nordlichtkathedrale in Alta. Auch sollte ich darauf achten, dass die Orte, in denen wir übernachten, mit einen Aufenthaltswert daherkommen. In Lulea gibt es diese alte Holzstadt und Pitea soll auch schön sein, ich weiss aber gerade nicht mehr warum.
Generell sind skandinavische Städte abseits von Göteborg, Stockholm und Südschweden nicht besonders schön. Sie wurden meist in den 70 Jahren generalüberholt und sehen aus wie Fussgängerzonen im Ruhrgebiet. Die kleinen Dörfer haben hingegen oft einen ästhetischen Charme, sie sind allerdings auch immer ein bisschen tot. Und in Nord-Norwegen wurde in den letzten Kriegswochen alles von den Nazis evakuiert und zerstört, die dortigen Siedlungen wurden alle im Nachkriegsstil wiedererrichtet.

Ich plane also noch. Manchmal ist es vielleicht besser in einer kleinen Ortschaft zu nächtigen bzw unterwegs ausserhalb der Städte. Es gibt auf der Route manchmal kleine Herbergencluster mitten im Nirgendwo. zB ein Camping, ein Motel und zweidrei Ferienhäuser die beisammenstehen. Das müsste bedeuten, dass es dort irgendwas Aufenthaltswertes gibt. Aber das muss ich mir alles noch im Detail ansehen. Es ist wesentlich aufwendiger als erwartet.

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Am Abend traf ich Manfred, meinen alten Partner der Firma, in der ich von 2018 bis 2019 arbeitete. Wir hatten uns seit 5 Jahren nicht mehr gesehen. Das erste das er zu mir sagte: du siehst so jung aus.
Danach konnte er nicht mehr viel falsch machen.

Unsere gemeinsame berufliche Zeit war sehr aufregend, aber auch dramatisch. Als ich dort in 2018 eingestellt wurde, waren wir noch eine Tochterfirma der DHL. Nach einigen Monaten verkaufte DHL den Laden an einen Reifendiscounter aus Niedersachsen. Zwar waren Manfred und ich die beiden Geschäftsleiter in der Firma und verantwortlich für den Standort in Berlin, Geschäftsführer waren wir aber nicht. Letztendlich bestimmte der neue Eigentümer alles und fuhr die Firma faktisch gegen die Wand. Nach drei Monaten brach mehr als die Hälfte des Umsatzes weg. Manfred und ich sammelten fast ein Jahr lang Scherben ein, weil wir das nach ein paar Monaten nicht mehr mit ansehen wollten, und auch der neue Eigentümer nicht mehr wirklich glücklich schien, schlugen wir ihm vor, dass wir uns nach einem neuen Käufer umsähen, und so reisten wir durch halb Deutschland auf der Suche nach neuen Käufern oder immerhin Firmen, die Teile unserer Firma übernehmen würden. Wir hatten noch ein intaktes und teils motiviertes Team mit viel Kompetenz, das hätten wir gerne gerettet.

So gruben wir wieder viele alten Geschichten aus. Es wirkt so lange her. Er kramte auch die Geschichte mit den Russen in Düsseldorf hervor. Die hatte ich ganz vergessen, aber ich hatte darüber gebloggt, das wusste ich noch.

[So, 2.6.2024 – Hugleikur]

Am späten Nachmittag fuhren wir zu Hugleikur Dagsson ins Oblomov in Neukölln. In der Einladung wurde mehrmals erwähnt, dass die Veranstaltung um Punkt 18:30 Uhr beginnen wird. Das kommt mir sehr entgegen. Nichts ist schlimmer als dieses ewige Gewarte bei Bands oder Stars. Zuerst kommt meist ohnehin die Vorband oder ein Vor-Act und dann wird wieder gewartet, und dann kommt der Soundcheck und dann wird wieder gewartet. Auch 18:30 finde ich eine super Zeit. Dann kann man nachher noch etwas trinken. Denn wenn man vorher trinkt, wird man ohnehin nur müde und unaufmerksam.

Erstaunlich fand ich die Grösse des Raumes bzw, wie klein diese Grösse war. Die Show fand in einem kleinen Nebenraum der Kneipe statt, es standen etwa 30 Stühle, es gab keine Bühne, sondern nur einen Freiraum vor der ersten Reihe, mit einem Mikro und im Eck hing ein kleines Mischpult. Unter solchen Umständen trat ich vor zehn Jahren auf, als ich noch öfter auf Lesebühnen meine Texte vortrug. Zwar mag ich solche Kulissen gerne, aber für einen Mann, der in Island ein Star ist und 100.000 Follower auf Insta hat, fand ich es doch ein bisschen unglamourös. Gut, seine Stärke sind die Zeichnungen, Comedy ist eher seine Nebenkompetenz und in Deutschland ist er nicht sehr bekannt. Andererseits erwähnte er gestern, dass er zu 40% in Berlin wohnt, ich hätte angenommen, dass der Wohnort auf die lokale Popularität abfärbt. Andererseits wohnte ich in Mitte fünf Jahre lang neben einem kroatischen Popstar von dem niemand in Berlin wusste, dass sie ein Popstar ist. Wir hatten uns mit dem jungen Paar in der Nachbarwohnung angefreundet und gingen manchmal gemeinsam aus. Irgendwann erzählte uns die Frau, dass sie in Koratien sehr berühmt sei, sie deswegen auch lieber in Berlin wohne, wo niemand sie kenne und sie ein normales Leben führen könne. Als ich sie googelte gab es hunderte Videos von ihr, wie sie sich mit einer Windmaschine vor einem Sonnenunteruntergang räkelte und Liebesbeweise ins Mikro hauchte. Zu jenem Zeitpunkt hatte sie aber bereits mit ihrer Popkarriere gebrochen. Sie macht jetzt Jazz und findet ihr früheres Werk peinlich. Das konnte ich gut verstehen. Von ihrem Jazz-Werk kann sie allerdings nicht leben. Weil ihre Zeit als Popkünstlerin aber noch so viel Geld reinbringt, muss sie sich nicht um das Einkommen sorgen.

Was das genau mit Hugleikur Dagsson zu tun hat, weiss ich aber auch nicht. Er ist schliesslich auch ausserhalb Islands bekannt. Island hat 400.000 Einwohner, zu den 100.000 Followern gehören sicherlich nicht ein Viertel der Einwohner.

Nach der Show tranken meine Frau und ich ein Bier am Tresen. Auch Hugleikur sass im Barraum mit ein paar Freunden. Als wir gingen, sagte ich im Vorbeigehen Thankyou zu ihm und erzählte, dass wir seit 11 Jahren Fans seiner Comics sind. Elf Jahre. Ich hatte die Jahre erst vor kurzem nachgezählt. Er gab sich sichtlich erfreut.

[Sa, 1.6.2024 – Lamour, Kuhweide, Bozner Sauce]

Mein Schwager war zu Besuch und so war ich etwas eingespannt. Und ich musste im Ehebett schlafen, wo ich allgemein nicht mehr sehr gut schlafen kann. Zu allem Überfluss plagte mich der Partyschlager „L’Amour toujours“ in seiner rassistischen Variante. Seit hellhäutige Strickpulloverübermenschen das Lied auf Sylt sangen, wurde mir das Lied ein paar Mal zu oft in die Timeline gespült. Es ist ein grauenhafter Ohrwurm. So lag ich zwei Nächte im Bett und spulte fünf Akkorde mit rassistischen Parolen vor dem inneren Ohr ab. Ich war hilflos. Das muss man ja irgendwie umdichten können. Aber dazu war ich nicht in der Lage.

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Am Freitag war ich mit meinem Braufreund in Brandenburg. Genauer gesagt in der Märkischen Schweiz, beim Vorder- sowie Hintersee nahe Trebnitz. Die Gegend ist nicht ganz so stark bewaldet, was ich durchaus mag. Wir liefen zuerst an Getreidefeldern entlang. Nach einiger Zeit wollten wir wissen, um welche Getreidesorte es sich dabei handelt. Ich schmiss Google Lens an, das mir verriet, dass wir uns am Rande eines Gerstenfeldes befanden. Ein Gerstenfeld. Das fanden wir beide Hobbybrauer natürlich lustig, auf eine fast religiöse Art lustig. Sofort fühlte ich mich wohl.

Dann liefen wir an einer Kuhweide entlang. Meine Hündin kennt keine Kühe. Was für mich, als ehemaligen Kuhhirten etwas ungewöhnlich ist. Ich war gespannt, ob wir Kühe sehen würden und wie sie darauf reagieren würde. Aber wir erblickten keine. Allerdings spazierte sie hinterm Zaun auf der Weide neben uns her.

Und dann passierte es.

Sie sah einen frischen Kuhfladen, roch daran, und – wälzte sich darin. Da sie sich auf der anderen Seite des elektrischen Zauns befand, konnte ich ihr nur entsetzt zubrüllen, aber in dieser Situation war sie nicht abrufbar. Sie wälzte sich genüsslich in der frischen Kuhscheisse. Als sie nach einer Weile genug Scheisse in ihr Fell aufgesogen hatte, beschloss sie, meinem Ruf zu folgen, und kam befriedigt zu mir, wo sie sich einmal kräftig schüttelte. Mein Freund und ich sprangen zur Seite.

Glücklicherweise befanden wir uns am Anfang unserer Wanderung, vielleicht ergäbe sich eine Gelegenheit, die wasserscheue Hündin in einem der Seen zu waschen, oder vielleicht würde sie sich im Gras trockenwälzen, oder wohlwissend, dass es so etwas wie Trockenwälzung nicht wirklich gibt, fiele mir auf der Wanderung vielleicht eine andere gescheite Lösung ein. Dermassen schmutzig und stinkend konnten wir sie kaum im Auto zurück nach Berlin transportieren.

Es ergab sich dann tatsächlich, dass es am grösseren, sogenannten Haussee ein paar flache Einstiegsmöglichkeiten gab. Ich zog meine Schuhe aus und ging bis zu den Knien ins Wasser. Von dort aus lockte ich die Hündin mit billigen Triggern (Wasser spritzen, Stöcke werfen). Sie japste mindestens zehn Minuten lang am Ufer, weil sie unbedingt die Stöcke holen wollte, sich aber nicht ins Wasser traute, aber irgendwann stand sie vor lauter Aufregung mit den Vorderpfoten im Wasser. Und dann mochte sie es. So geht das immer. Im Wasser konnte ich sie dann einigermassen waschen. Zwar roch sie nachher immer noch nach Kuhweide, aber die braune Masse war immerhin weg.

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Heute machten wir uns anderthalb Kilo Spargel. Das ist gar nicht so viel, wie man vermuten würde. Um das ganze etwas aufzupeppen, beschloss ich Bozner Sauce zuzubereiten. Ich dachte, das sei vielleicht nett, weil ich ja in Bozen geboren wurde und ich kenne Bozner Sauce eigentlich nur aus meiner Jugend, danach ass ich das nie mehr. Da ich wusste, dass ich Eier brauchte, fischte ich alle verfügbaren Eier (6 Stück) aus dem Kühlschrank und kochte sie. Nachdem ich sie abgekühlt hatte, las ich das Rezept. Es hätten zwei Eier gereicht. Und zu zwei Eiern nimmt man 150 ML Öl. Bei 6 Eiern hätte ich also fast einen halben Liter Öl verwenden müssen. Das fand ich übertrieben. Also machte ich die Sauce wiesiewiesie mir gefällt. Als Bozner kann ich Bozner Sauce schliesslich zubereiten, wie es mir passt. Ich zerdrückte die sechs Eier und rührte etwas Olivenöl und Essig mit ein, streute etwas Brühepulver und Schnittlauch drüber. Das schmeckte auch prima.

[Do, 30.5.2024 – Texte, die lange Auszeit]

Heute begann ich wieder mit der Arbeit an der Hausbesetzernovelle. Ich will meine Auszeit dazu nutzen, diese Geschichte fertigzustellen und als E-Book zu veröffentlichen. Vor allem das letzte Viertel erfordert mehr Arbeit, das letzte Viertel wirkt, als hätte ich die Geschichte so schnell wie möglich beenden wollen.

In den letzten anderthalb Jahren habe ich drei Texte begonnen, die mit etwas Zeit und Arbeit zu langen Prosatexten, also Novellen oder Romanen, oder mindestens zu sehr langen Kurzgeschichten ausgearbeitet werden könnten. Sollten. Müssten.
Während ich einer regulären Arbeit nachgehe, fange ich gerne an, lange Texte zu entwerfen, ich schreibe Eröffnungstexte, manchmal das erste oder die ersten beiden Kapitel, um ein Gefühl für Figuren und Setting zu bekommen. Manchmal merke ich, dass ein Text gut funktioniert, und gut unter meinen Fingern wegflutscht, dann bleibe ich eine Weile dran. Weil ich aber weiss, dass ein richtig langer Text weniger aus dem flutschenden Moment besteht, sondern vor allem Lesen, korrigieren, erneut lesen und erneut ausbessern und ständiges Ausmisten bedeutet, verschiebe ich die richtige Arbeit immer auf den Schwedenurlaub, an dem ich viel Zeit zum Schreiben habe. Wenn ich in Schweden bin, hacke ich aber lieber Holz oder ich mähe Uferstellen.

Die momentane Auszeit bietet sich aber förmlich an.

Bezüglich meiner Auszeit: Ich habe noch nicht mit der Suche nach einem neuen Job begonnen. Zwar hat mein Headhunter bereits etwas für mich gefunden, möglicherweise werde ich nächste oder übernächste Woche ein Vorstellungsgespräch führen, aber selber bin ich noch nicht aktiv geworden. Schliesslich werde ich ab Mitte Juni erst mal zum Polarkreis fahren und den ganzen Juli werde ich in Schweden verbringen. Ich würde nicht vor August anfangen können. So hänge ich gerade motivatorisch etwas im Vakuum. Ich verbringe Zeit mit der Hündin und führe ein sehr sorgenfreies Leben, mit der Gewissheit, dass ich mich bis Ende März nächsten Jahres nicht um finanzielle Einbussen sorgen muss. Nach den vielen stressigen Jahren empfinde ich das gerade als wohltuend.

Andererseits liegen die Stellen im höheren Management nicht auf der Strasse herum, es kann auch sehr lange dauern, bis ich etwas Adäquates finde. Ich bin schliesslich nicht mehr der schnittige junge Typ mit Mitte dreissig, sondern ich trage einen grauen Bart und werde nächstes Jahr fünfzig. Aber natürlich wird oft genau das gesucht. Also nicht ein Typ mit Bauch und Bart, sonder die darin liegende Erfahrung. Es kann auch schnell gehen.

[Mi, 29.5.2024 – Dialog, Einbürgerung, Elternbeziehungen]

Wie immer, wenn man mit einer läufigen Hündin unterwegs ist und sich ein Kontakt nicht vermeiden lässt, frage ich die Frage:

Ich: Ist er unkastriert?
Er: Ja.
(Wir beobachten die Hunde, es passiert aber nicht viel)
Ich: Er scheint sich aber nicht für sie zu interessieren.
Er: Ja. Sein Ding sind eher unkastrierte Rüden.
Ich: Unkastrierte?
Er: Ja.
Ich: Lustig.
Er: Ja finde ich auch.
(wir lachen)
Ich: So ist das halt manchmal.
Er: Genau.
Ich: Schwulsein kommt in der Natur ja viel vor.
Er: Hunde waren schon schwul, bevor es modern wurde.
Ich: Ja stimmt.
Er: Ja total.
Ich: Dass er auf Unkastrierte steht, ist aber noch mal ein sehr spezieller Kink.
Er: Ja total.
(Wir schauen belustigt)
Ich: OK, wir gehen frühstücken.
Er: Ja, wir auch. Tschüss.

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Ich habe jetzt einen Termin für den Einbürgerungstest. Er findet Ende September statt. In Angermünde. Das sind 1 Stunde und 14 Minuten Autofahrt. Es hätte einen weiteren Termin ein paar Tage früher gegeben, für jenen Test hätte ich aber nach Senftenberg fahren müssen. Das sind ganze zwei Autostunden. Dann lieber Angermünde.
Dieses Land will mich nicht.

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Später treffe ich das Frauchen von Wallace. Wallace ist ein unkastrierter Rüde, der sehr seinen Hormonen erlegen ist. Das ist bei ihm dermassen stark ausgeprägt, dass das Frauchen ihn zu gewissen Jahreszeiten konsequent an der Leine hält, weil er wie verzaubert irgendwelchen Weibchengerüchen hinterherläuft. So auch heute.
Als wir uns nähern, gebe ich ihr zu verstehen, dass meine Hündin läufig ist, ich schlage ihr aber vor, die beiden zu testen. Vor allem, damit ich weiss, wie sehr sich unkastrierte Rüden noch für sie interessieren. Wallace ist natürlich sofort interessiert und steckt seine Schnauze in ihre Vulva. Meine Hündin knurrt ihn aber weg und er hält sich fortan auf Abstand.
Die Halterin ist erstaunt und auch ein bisschen stolz. Sie sagt, sie würden das gut üben. Wir quatschen ein bisschen hin und her und dann beschliessen wir, ein Stück gemeinsam zu laufen. Sie möchte nämlich mit ihm üben, dass er entspannt und folgsam neben einem läufigen Weibchen laufen kann. Der Spaziergang funktioniert einwandfrei.

Ich erzähle von meiner geplanten Reise mit meinem Vater. Dass wir Mitte/Ende Juni mit dem Auto zum Polarkreis und zum Nordkap fahren. Ich erzähle ein bisschen über meinem Vater und meine wenig existierende Beziehung zu ihm. Sie ist unerwartet begeistert von diesem Plan, sie sagt, das soll ich unbedingt tun. Sie fragt mich auch, ob ich Tagebuch führe, ich sage „ja ich schreibe Tagebuch“. Das findet sie super und wichtig für diese Reise, damit ich das später auch alles reflektieren kann. Ich erwähne nicht, dass das dieses Tagebuch im Internet stattfindet.

Daraufhin erzählt sie mir von ihrem Vater und ihrer Mutter. Zu denen sie vor 5 Jahren den Kontakt abgebrochen hat. Wie sie eigentlich immer beschimpft oder beleidigt wurde. Ihre Mutter eröffnete ihr, dass sie gar nicht mehr schwanger hatte werden wollen, als sie in ihrem Bauch war. Ihr älterer Bruder wurde geliebt und sie wurde beschimpft. Verstanden hat sie das nie. Beschimpft und beleidigt zu werden empfand sie als normal. Seit sie den Kontakt abgebrochen hat, geht es ihr besser.
Ihr Vater rief sie vor zwei Jahren einmal an und beleidigte sie nach zwei Sätzen. Sie fragte ihn, ob er besoffen sei. Dann legte sie auf.

[Di, 28.5.2024 – Podcast, Hündin]

Tagsüber war ein Fanclubfreund bei mir zu Besuch. Er hostet einen englischsprachigen Hertha Podcast und möchte das Ganze auf eine andere technische Basis umziehen. Ich wusste gar nicht, dass ich mich mittlerweile recht gut mit Podcasttechnik auskenne, und das offenbar auch andere Leute denken. Aber auf eine gewisse Weise stimmt das wohl auch.

Mein Freund hat Angst vor Hunden, daher treffen wir uns zuerst ausserhalb des Hauses, damit sich die Situation weniger konfrontativ ergibt. Es läuft natürlich völlig entspannt ab. Er würde auch gerne seine kleine Tochter, die sich auch vor Hunden fürchtet, an Hunden heranführen. Das ist ein gutes Unterfangen, Kinder sollte früh Angst verlieren. Angst ist die Pest. Deswegen werden wir uns in nächster Zeit einmal für einen Spaziergang treffen.

Die Hündin ist gerade läufig. Sie befindet sich mitten in den Stehtagen. Das ist der Höhepunkt der Fruchtbarkeit und in ihr machen die Hormone Ballermann. Es ist anstrengend für sie. Sie will sich nicht bewegen, gleichzeitig hechelt sie aber vor Anstrengung, ausserdem hat sie mehrmals am Tag Anflüge von Rastlosigkeit, in denen sie ihr Bettchen rammelt. Sie verwendet ihr Bettchen wie einen Sexualpartner, beisst sich oben fest und rammelt unten. Das machen nicht alle Hunde so. Sie aber schon. Ich weiss nicht, ob alle Rüden sich damit anfreunden könnten.
Das dauert eine halbe Stunde. Danach liegt sie wieder faul herum.